Juden und Mission der Christen
Stellungnahme der deutschen Bischofskonferenz: ZdK-Erklärung „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Heiden“ ist "keine authentische Darstellung". Der Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gerhard Ludwig Müller, hat zur Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen“ eine aktuelle Stellungnahme verfasst.
Leben und Sendung (Mission) der Kirche lassen sich nur verstehen auf der
Grundlage ihres Bekenntnisses zu Jesus dem Christus: „Wer mit dem Munde bekennt
´Jesus ist der Herr` und mit dem Herzen glaubt‚ Gott hat ihn von den Toten
auferweckt’, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen. Darin gibt es keinen
Unterschied zwischen Juden und Griechen. Alle haben denselben Herrn; aus seinem
Reichtum werden alle beschenkt, die ihn anrufen“ (Röm 10,10-12).
Das Christusbekenntnis der Kirche hat seinen Ursprung in der lebendigen
Begegnung der Jünger mit der Person Jesu. In ihm hat die Urkirche das Wort, das
Gott ist, erkannt, das Fleisch angenommen hat um unseres Heiles willen. Durch
seine Predigt, seine Lehre und seine Heilstaten und letztendlich durch seinen
Tod am Kreuz, seine Auferstehung von den Toten und die Ausgießung des Heiligen
Geistes hat Gott der Vater und der Sohn und der Heilige Geist unüberbietbar
durch eine neue Offenbarung und endgültig (eschatologisch) sich selbst allen
Menschen mitgeteilt als Wahrheit und Leben.
„Daher ist die christliche Heilsordnung, nämlich der neue und endgültige Bund
unüberholbar.“ (1) In diesem Sinne fasst das II. Vatikanische Konzil in der „Dogmatischen
Konstitution über die göttliche Offenbarung“ Dei Verbum das ganze
Christusbekenntnis der Kirche in seinem biblischen Ursprung und seiner
glaubensmäßigen Entfaltung in der großen Tradition mit höchster lehramtlicher
Autorität zusammen.
Jesus ist der Christus
Die Kirche glaubt also an die Person Jesu Christi. Sie baut nicht auf einer
historischen Rekonstruktion eines Jesus–Bildes auf, das aus den biblischen
Quellen etwa nach den Vorentscheidungen eines liberal-kulturchristlichen
Weltbildes abstrahiert wird.
Daher kann nicht das Alte Testament als Zeugnis einer realen Bundesstiftung
Gottes gelesen werden im Gegensatz zum Neuen Testament, das nur mit
literarischen Stilmitteln einen jüdischen Thora-Lehrer als Sohn Gottes oder als
universalen Heilsmittler interpretieren würde, ohne dass Jesus wirklich und
wahrhaft das fleischgewordene Wort Gottes ist. (2)
Die Heilige Schrift: Wort Gottes in menschlicher Sprache
Für das Verhältnis der jüdischen und der christlichen Glaubensgemeinde
zueinander ergibt sich ein gemeinsamer glaubenshermeneutischer Bezugsrahmen, der
im eminenten Sinn theologisch ist und sich qualitativ von Vergleichen aus
historischer und literarwissenschaftlicher Sicht abhebt. Gläubige Juden und
Christen gehen davon aus, dass Gott sich in der Geschichte offenbaren kann und
sich in der Tat geoffenbart hat als Schöpfer aller Menschen und als Retter und
Erlöser seines erwählten Volkes.
Die Heiligen Schriften Israels und der Kirche bezeugen in menschlicher Sprache
das Wort Gottes und enthalten es. Die Bibel der Juden und die Bibel der Christen
(im Alten und Neuen Testament) sind also nicht rein menschliche Interpretationen,
die im Sinne liberaler Projektionstheorien „Gott“ als fiktionales Subjekt einer
heilsgeschichtlichen Offenbarung in Wort und Tat sich voraussetzen (und so „Gott“
einführen, „als ob“ er „Person“ wäre).
Was jüdisches und christliches Bekenntnis unterscheidet, ist nicht die
Behauptung eines realen Handelns Gottes im Bund für Israel und einer bloß
menschlichen Interpretation der Gestalt Jesu in den neutestamentlichen Schriften,
sondern die Frage, ob Jesus tatsächlich der verheißene Messias ist, ob die
Inkarnation, der Sühnetod am Kreuz und die Auferweckung von den Toten von
demselben Gott des Bundes, dem Gott und Vater Jesu Christi, tatsächlich gewirkt
worden sind.
Die Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes
In dem genannten Text (Anm.2) des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK
wird dagegen die Grenzlinie zwischen Juden und Christen lediglich in der „Vorstellung“
von der Trinität und der Inkarnation festgemacht.
Für Katholiken und alle Christen, die das Nicaeno-Konstantinopolitanum
anerkennen, ist das Mysterium der Trinität nicht eine an Gott von außen
herangetragene Metapher der Nähe und Liebe Gottes, sondern die Offenbarung des
innersten Seins Gottes, das er selbst in der realgeschichtlichen Menschwerdung
des Sohnes Gottes und der Ausgießung des Heiligen Geistes uns Menschen kundgibt
und in das wir einbezogen werden.
Heil ist das Erfülltwerden mit der Liebe Gottes – jetzt und für immer bis in
Ewigkeit. Vom universalen Heilswillen Gottes kann dann nicht mehr unabhängig von
seiner geschichtlich-eschatologischen Vergegenwärtigung in Jesus Christus, dem
einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, gesprochen werden.
Gottes Bund – Angebot des Heils
Vom Primat der Gnade und des Glaubens her ist ein Standpunkt, der „das ethische
Handeln aller Menschen“ als „einen Weg zu Gott eröffnet, jenseits der
Glaubensunterschiede“ (3) , schlechterdings nicht nachvollziehbar. An der
zentralen christlichen Glaubensüberzeugung vom wirklichen Gnadenhandeln Gottes
in Christi Tod zur Erlösung aller Menschen führt kein Weg vorbei:
„Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu
haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus
Jesus [...] Ist denn Gott nur ein Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja,
auch der Heiden, da doch gilt: Gott ist der ‚Eine’. Er wird aufgrund des
Glaubens sowohl die Beschnittenen wie die Unbeschnittenen gerecht machen“ (Röm
3, 23-30).
Die Erlangung des endzeitlichen Heils soll nach dem Matthäusevangelium, so
suggeriert die Erklärung des Gesprächskreises, nicht an die Person Jesu gebunden
sein, sondern sei „allein“ von den Taten der Nächstenliebe abhängig. So könne
Jesus für die Juden als Ausleger der Thora gelten und für die Heiden habe er die
Funktion, sie zur Anerkennung des Gottes Israels zu bewegen.(4)
Dass für alle Evangelien das Messiasgeheimnis und -bekenntnis zentral ist,
findet keine Erwähnung. Maria, die Jesus durch das Wirken des Heiligen Geistes
empfangen hat, soll ihrem Sohn den Namen Jesus geben, (Mk 8,29 parr.; Joh 11,27)
„denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,21). Prophetisch wird
Jesus bezeichnet als der „Hirt meines Volkes Israel“ (Mt 2,6). Das Erlöserwirken
Jesu Christi auf die Heiden außerhalb des Gottesvolkes Israel zu beschränken,
hieße, das gesamte biblische Zeugnis auf den Kopf zu stellen.
Der Souveränität und Einzigkeit Gottes entspricht hingegen, dass ER von sich aus
auf dem Weg der Erwählung, der Berufung, der Gnade des Bundes, der Erlösung und
der Rechtfertigung und - gemäß dem christlichen Bekenntnis - der Menschwerdung
zu uns kommt. Menschen können dann den Weg Gottes zu ihrem Heil mitgehen, wenn
sie ihm den „Gehorsam des Glaubens“ (5) entgegenbringen, der sich in der Liebe
zu Gott und zum Nächsten mit der Erfüllung des Willens Gottes in seinen Geboten
zeigt.
Gottes Gnade und menschliches Handeln
Von einer Reduktion des Judentums und des Christentums, die sich einem
Bundesschluss Gottes verdankt wissen, auf eine Ethik als eigenständigen Weg der
Menschen zu Gott und fast einem Anspruch auf Heil, zu unterscheiden ist die
Anerkennung des grundlegenden Menschenrechtes auf Religionsfreiheit (6). In
diesem Sinn lehrt das II. Vatikanische Konzil, dass jeder Mensch Recht und
Pflicht hat, in Fragen der religiösen Überzeugung und des sittlichen Handelns
seinem Gewissen zu folgen und in diesem Sinn dem Prinzip der Wahrheit und des
Guten zu entsprechen (7).
So können auch diejenigen Menschen gerettet werden und endgültig zur
Gemeinschaft mit Gott gelangen, die ohne eigene Schuld nicht an Jesus Christus,
ja unter Umständen nicht einmal an die Existenz des personalen Gottes als
Schöpfer und Vollender glauben, aber eben nicht ohne die Gnade Christi, die in
ihnen verborgen wirkt.
Da aus christlicher Sicht von Gott niemals ohne Jesus den Christus, das
fleischgewordene Wort, und ohne den endzeitlich „über alles Fleisch“ (Apg 2,17)
ausgegossenen Heiligen Geist gesprochen werden kann, geschieht von Gott her
immer die Rettung durch Jesus Christus und durch das innere Wirken des Heiligen
Geistes (9).
„Auch hat ja Christus, wie die Kirche immer gelehrt hat und lehrt, in Freiheit,
um der Sünden aller Menschen willen, sein Leiden und seinen Tod aus unendlicher
Liebe auf sich genommen, damit alle das Heil erlangen. So ist es die Aufgabe der
Predigt der Kirche, das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes
und als Quelle aller Gnaden zu verkünden“ (10).
Das explizite Christus-Bekenntnis und seine Konkretion in der Kirchengliedschaft,
das Leben aus den Sakramenten und in der Nachfolge Christi sind darum als Mittel
des Heils notwendig für alle, die Jesus als den Christus erkennen.
Gegenseitiger Respekt ohne Relativierung des eigenen Glaubens
Walter Kardinal Kasper betonte, dass man nicht von zwei Heilswegen, einen für
die Juden und einen für die Christen, sprechen kann, wenn man „mit der Bibel von
der universalen Heilsbedeutung Jesu Christi überzeugt ist.“ Vielmehr ist im
Zueinander der Schriften des mosaischen Bundes und des Neuen Testaments die
gemeinsame Heilsgeschichte offenbar, bei der „das jüdische Volk das von Gott
bleibend erwählte Volk“ ist, dessen Bund durch Jesus Christus bestätigt und
überboten und universalisiert wird. (11)
Die Unterschiede der Religionen haben ihren Ursprung nicht in voneinander
unabhängigen Offenbarungen, Bundesschlüssen und Rettungsaktionen Gottes, der
sich jeweils verschiedene Zielgruppen vornimmt und die Menschheit spalten statt
einen würde. Dies widerspräche der Einzigkeit Gottes: „Gott unser Retter will,
dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen,
denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der
Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle...“ (1 Tim
2,4-5).
Daraus ergeben sich auch Wesen und Sendung der Kirche als Sakrament des Heils
der Welt in Christus, in dem die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste
Vereinigung mit Gott wie für die Einheit(!) der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist.
Die Bekenntnisunterschiede ergeben sich aus der unterschiedlichen Reaktion der
Menschen entsprechend ihrem Wahrheitsgewissen im Hinblick auf die
Selbstoffenbarung Gottes.
Menschen unterschiedlichen Glaubens können darum voller Respekt voreinander mit
Menschen anderer Religionen zusammenleben und freundschaftlich am Aufbau einer
Gesellschaft nach religiös oder naturrechtlich begründeten ethischen
Grundprinzipien zusammenwirken.
Sie können aber auch die Unterschiede aushalten, ohne sich wechselseitig falsche
und schlechte Absichten zu unterstellen. Eine Relativierung des je eigenen
verbindlichen Glaubensbekenntnisses hingegen macht einen Dialog überflüssig. Er
ist jedoch sinnvoll und wechselseitig förderlich, da gerade zwischen Juden und
Christen die Tatsache einer geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes unstrittig
ist, wenn auch unterschiedliche Überzeugungen hinsichtlich ihrer Reichweite, d.h.
ihrer Kulmination in Person und Sendung Jesu Christi bestehen.
Deshalb wäre es eine Verkürzung der katholischen Glaubenslehre von der
Verwirklichung des universalen Heilswillens in Jesus Christus und dessen
einziger Heilsmittlerschaft und der daraus folgenden Heilsnotwendigkeit der
Kirche und der Taufe, sowie auch der Heilsmöglichkeit für Menschen, die ohne
eigene Schuld nicht an Christus glauben, wenn daneben ohne diesen
Bedingungszusammenhang ein Heilsweg „auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne
das Sakrament der Taufe“ (12) als von Gott selbst konstatiert würde.
Der Begriff „Mission“ und das Judentum
In einem Dialog zwischen Juden und Christen muss der Begriff der Mission richtig
dargestellt werden. Christliche Mission hat ihren Ursprung in der Sendung Jesu
vom Vater. Er gibt seinen Jüngern Anteil daran in Bezug auf das Gottesvolk
Israel (vgl. Mt 10,5) wie dann auch als der auferstandene Herr im Hinblick auf
alle Völker (vgl. Mt 28,19). So entsteht das Gottesvolk gestiftet im Bundesblut
Jesu, der seine Kirche aus Juden und Heiden beruft (Eph 2,11-21), aufgrund des
Christus-Glaubens, und mittels der Taufe, der Eingliederung in seinen Leib, der
die Kirche ist (LG 14).
Die Juden, die nicht zum Glauben an Christus kommen, sind darum nicht vom Heil
ausgeschlossen, wenn sie aus der Gnade des Bundesschlusses und den Weisungen
Gottes leben. Das Heil, von dem hier die Rede ist, meint allerdings im
christlichen Sinn das Heil, das Gott Juden und Heiden durch Christus geschenkt
hat.
Aus dem Unterschied in der Bewertung von Person und Sendung Jesu folgen die
Unterschiede in den soteriologischen Auffassungen. Bei der christlichen Mission
geht es also nicht darum, mit subtiler Überredungskunst Gläubige anderer
Religionen abzuwerben, oder mit Drohung von diesseitigen Nachteilen und
jenseitigen Strafen jemanden zum christlichen Glauben zu nötigen.
Glaube und Freiheit bedingen einander. Erzwungener Glaube oder eine aufgenötigte
Taufe sind ein Widerspruch in sich selbst und stehen der geoffenbarten Lehre
entgegen (DH 10).
Mission und Gewaltlosigkeit
Christliche Mission und Zeugnis im Wort der Verkündigung und im eigenen
Lebensvollzug gehören zusammen. Lieber Gewalt erleiden als Gewalt ausüben, ist
der Grundsatz, den Jesus seinen Jüngern bei der Aussendung mitgibt. Darum können
Christen auf Gott vertrauen, der auf den Wegen, die nur er kennt, seinen
universalen Heilsplan ausführen wird. Denn sie sind Zeugen Christi, aber sie
müssen nicht selbst das Heil der Menschen bewerkstelligen.
Der Eifer für das „Haus des Herrn“ und gelassenes Vertrauen auf das siegreiche
Wirken Gottes gehören zusammen. Christliche Mission bedeutet, dass die
bevollmächtigten Boten die geschichtliche Verwirklichung des universalen
Heilswillens Gottes in Jesus Christus bezeugen und verkünden und ihre
sakramentale Präsenz in Martyria, Leiturgia und Diakonia der Kirche des Vaters
und des Sohnes und des Heiligen Geistes feiern.
Der Grund dieser missionarischen Kirche ergibt sich aus dem universalen
Heilswillen Gottes, der sich in der Heilsmittlerschaft Christi verwirklicht: „So
ist es nötig, dass sich alle zu ihm, der durch die Verkündigung der Kirche
erkannt wird, bekehren sowie ihm und seinem Leib, der Kirche, durch die Taufe
eingegliedert werden.
Christus selbst hat nämlich mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des
Glaubens und der Taufe betont und damit zugleich die Notwendigkeit der Kirche,
in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Tür eintreten, bekräftigt.
Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche
und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie
aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten.
Wenngleich Gott Menschen, die das Evangelium ohne eigene Schuld nicht kennen,
auf Wegen, die er weiß, zum Glauben führen kann, ohne den es unmöglich ist, ihm
zu gefallen, so liegt doch auf der Kirche die Notwendigkeit und zugleich das
heilige Recht der Evangeliumsverkündigung. Deshalb behält heute und immer die
missionarische Tätigkeit ihre ungeschmälerte Bedeutung und Notwendigkeit.“ (AG
7) So stellt das Zweite Vatikanische Konzil die Heilnotwendigkeit des Glaubens
an Christus und der Kirche dar.
Volk Gottes aus Juden und Heiden – Das Zeugnis der Schrift
Es ist und bleibt eine qualitative Bestimmung der Kirche des Neuen Bundes, dass
sie (synchron und diachron) Kirche aus Juden und Heiden ist, wenn auch das
quantitative Verhältnis von Juden- und Heidenchristen zunächst einen anderen
Eindruck erwecken mag.
Ebenso wie nach Kreuz und Auferstehung Jesu Christi nicht zwei Bünde
beziehungslos nebeneinander stehen, gibt es auch nicht unverbunden „das
Bundesvolk Israel“ neben „dem Volk Gottes aus den Völkern“ (13). Vielmehr ist
die bleibende Rolle des Bundesvolkes Israel im Heilsplan Gottes dynamisch zu
beziehen auf das „Volk Gottes aus Juden und Heiden - geeint in Christus“, den
die Kirche als den universalen Schöpfungs- und Heilsmittler bekennt.
Im Kontext des universalen Heilswillens sind alle Menschen, die das Evangelium
Christi noch nicht empfangen haben, auf das Gottesvolk des Neues Bundes
hingeordnet: „In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen
gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (vgl. Röm
9,4f), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk: die Gaben
und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue.“ (LG 16).
Juden und Christen im brüderlichen Dialog
Somit lässt sich auch die offenbarungstheologische und heilsgeschichtliche
Beziehung zwischen dem jüdischen und christlichem Glauben aufweisen, ohne dass
die Kirche Christi den Glauben an ihren Herrn und ihre universale Sendung zur
Verkündigung des Evangeliums für alle Menschen einschränken oder gar in der
Substanz relativieren müsste.
Mit dem Glauben an Christus unvereinbar ist jede Form von Polemik oder Abwertung
der „Juden“ (aber auch der „Heiden“), die aufgrund ihres Wahrheitsgewissens
nicht an Jesus als den Christus glauben. Ein „judenfeindlicher“ Christ – das
wäre eine contradictio in adjecto. Und die schlimme Tatsache, dass es von
Christen Exzesse gegen ihre jüdischen Brüder und Schwestern gegeben hat, beweist
nur, dass sie im schreienden Widerspruch zu ihrem Christennamen gehandelt haben.
Judenfeindschaft in (nominell) christlichen Kreisen ist nicht Folge des Christus-Bekenntnisses,
sondern Beweis für den Verrat an ihm.
Feindseligkeit oder gar Verfolgung sind dem Gebot Christi diametral
entgegengesetzt. So erklärt das Konzil: „Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit
den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen
irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf
Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und
Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend
jemandem gegen die Juden gerichtet haben“ (NA 4).
Umgekehrt sind aber bei dem heutigen so positiv und freundschaftlich
entwickelten Dialog zwischen Juden und Christen, Polemiken und an historischen
Tatbeständen immer wieder genährte Ressentiments oder christliche
Selbstbezichtigungen völlig fehl am Platz, wenn das mit allen historischen und
theologischen Negativitäten besetzte Schlagwort der „Judenmission“ die Sendung
der Kirche zum Zeugnis für Jesus, den Christus, als „Licht zur Erleuchtung der
Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,32) in Misskredit bringt.
Wie können denn „judenfeindlich“ interpretierte neutestamentliche Stellen zur
Judenmission herhalten? (14). Eine biblisch begründete Judenfeindschaft wäre ein
Widerspruch in sich. Da „die pilgernde Kirche ihrem Wesen nach missionarisch,
d.h. als Gesandte unterwegs ist, da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung
des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes hat gemäß dem Heilsplan Gottes“
(15) (AG 2), hat Mission in keiner Weise etwas mit einer juden- oder
heidenfeindlichen Gesinnung zu tun, die wie in einem politischen Imperialismus
die Gegner vor die Wahl von Vernichtung und Unterwerfung stellt.
Das Gegenteil ist wahr: „Der Heilsplan Gottes entspringt der quellhaften Liebe
Gottes, des Vaters“ (AG 2). Gottes Herrschaft ist Liebe und sein Königtum
bedeutet die Erhebung des Menschen in der Gnade Christi, der aus Liebe sein
Leben für alle dahingegeben hat, und damit die Überwindung aller Feindschaften.
Das Christsein begründet nicht ein Überheblichkeitsgefühl oder gar eine
Verachtung Andersgläubiger, sondern eine Angleichung an die Haltung der Demut
und Dienstbereitschaft Jesu, so dass die „Söhne der Kirche dessen eingedenk sein
sollen, dass ihre ausgezeichnete Stellung nicht den eigenen Verdiensten, sondern
der besonderen Gnade Christi zuzuschreiben ist“ (LG 16).
Die Suche nach der Tiefenversöhnung
Der Text des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK trägt den allzu
plakativen Titel „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und
Christen“.
Die Alternative, die hier suggeriert wird, vereinfacht die theologisch komplexe
Einheit vom Alten und Neuen Bund sowie auch die Verschiedenheit der jüdischen
und der christlichen Glaubensgemeinschaft im Hinblick auf das Bekenntnis zu
Jesus dem Christus über das mögliche Maß hinaus.
Ohne Zweifel ist es zu begrüßen, wenn in einem theologischen Arbeitskreis das
positive Verhältnis von Christen und Juden mit Bezug auf die Quellen der
Offenbarung und des Bekenntnisses vertieft, Wunden geheilt und eine tiefere
Versöhnung gesucht werden. Aufgrund ihrer im Gott der Schöpfung und des Bundes
wurzelnden geistlichen Verwandtschaft (vgl. NA 4) stehen Christen und Juden vor
den gemeinsamen Herausforderung, einer säkularisierten Welt gegenüber die
befreiende Macht Gottes zu bezeugen und die darin begründete Würde des Menschen
zu propagieren. Der Mensch ist im Bilde Gottes geschaffen und zur Freiheit und
Herrlichkeit der Kinder Gottes berufen (vgl. Röm 8,21).
Der Dialog in einem Arbeitskreis kann jedoch nicht um den Preis geschehen, dass
wesentliche christliche Glaubensaussagen zu den Mysterien der Trinität und der
Inkarnation, zu Erlösung und Rechtfertigung des Sünders, zu Gnade und Erbsünde,
zur universalen und einzigen Mittlerschaft Christi, zur Heilsnotwendigkeit der
Kirche, des Christusbekenntnisses und der Verbindung mit Christus in den
Sakramenten, zum Verhältnis von universalem Heilswillen und seiner ekklesialen
und sakramentalen Vergegenwärtigung entweder relativiert oder ungenau
wiedergegeben werden.
Vom Standpunkt der katholischen Theologie ist ein schlüssiges Gesamtkonzept im
vorliegenden Text nur schwer auszumachen.
Lehramtliche Bewertung der Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“
Dem Text kommt keine lehramtliche Autorität zu. Er kann in keiner Weise als ein
offizielles Dokument der katholischen Kirche oder als authentische Darstellung
des katholischen Glaubens und Bekenntnisses angesehen werden. Die den Text
leitende ganz offenkundige Entgegensetzung der Lehre des II. Vatikanischen
Konzils und Johannes Paul II. einerseits zur Lehre und zu den ihm zukommenden
Maßnahmen (in der Formulierung liturgischer Texte) Papst Benedikts XVI.
andererseits ist sowohl formal wie auch inhaltlich völlig verfehlt (16).
Weder hat die Neuformulierung der Fürbitte für die Juden im außerordentlichen
Ritus der Karfreitagsliturgie etwas mit „Judenmission“ in der absolut negativen
Bedeutung zu tun, die ihm das Papier des Arbeitskreis unterlegt („Judenmission
... als Ausdruck der Geringschätzung des Judentums ... und deshalb den Boden für
den Antisemitismus des Nationalsozialismus bereitete.“) (17), noch gibt es eine
„Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils“, die den Bund Gottes mit dem
jüdischen Volk als einen Heilsweg zu Gott darstellt - auch ohne Anerkennung Jesu
Christi und ohne das Sakrament der Taufe“ (18).
In dieser verkürzten und missverständlichen Form hat sich das II. Vatikanische
Konzil gerade nicht ausgedrückt.
Nostra aetate ist für den Neuanfang des Verhältnisses von Juden und Christen von
größter Bedeutung. Aber weder diese Erklärung noch andere Konzilstexte noch das
Neue Testament dürfen selektiv auf ein bestimmtes Vorverständnis hin ausgelegt
werden, in dem die universale Heilsmittlerschaft Jesu Christi und die daraus
folgende Heilsnotwendigkeit des Christus-Bekenntnisses, der Kirche und ihrer
Sakramente relativiert wird.
Entscheidend bleibt die kirchliche Lehre in ihrem Gesamtzusammenhang. In der
Auslegung der Offenbarung, wie sie auf je eigene und aufeinanderbezogene Weise
in Schrift und Tradition vermittelt wird, muss die katholische Theologie immer
berücksichtigen, dass die verbindliche Erklärung der Offenbarung „nur dem
lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut ist, dessen Vollmacht im Namen Christi
ausgeübt wird.“ (DV 10).
Deshalb bleibt das ungeschmälerte Christusbekenntnis der Kirche konstitutiv für
den katholischen Glauben und zentrales Thema im Gespräch mit der jüdischen
Glaubensgemeinschaft.
Juden und Christen sollen ein Segen sein für die Welt
Das II. Vatikanische Konzil hat in Nostra aetate auch die Grundlagen für einen
Dialog formuliert, der das bisher Erreichte und die Verantwortung für die
Zukunft einbezieht: „Mit den Propheten und mit demselben Apostel erwartet die
Kirche den Tag, der nur Gott bekannt ist, an dem alle Völker mit einer Stimme
den Herrn anrufen und ihm `Schulter an Schulter`dienen (Soph 3,9).
Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die
Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die
Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches
ist.“ (NA 4)
Für die gute Entwicklung des jüdisch-christlichen Dialogs können auch immer noch
die Worte Johannes Paul II. gelten, die er an die Juden in seiner Heimat Polen
1993 gerichtet hat: „Als Christen und Juden folgen wir dem Beispiel Abrahams.
Wir sind berufen, ein Segen für die Welt zu sein. Das ist der Auftrag, der auf
uns wartet. Es ist unbedingt notwendig für uns, Christen und Juden zugleich,
zuerst ein Segen zu sein füreinander!“
Daran knüpft Papst Benedikt XVI. in der Kölner Synagoge bei seinem Besuch (2005)
anlässlich des Weltjugendtags an: „Auch bei dieser Gelegenheit möchte ich
versichern, dass ich beabsichtige, den Weg der Verbesserung der Beziehungen und
der Freundschaft mit dem jüdischen Volk, auf dem Papst Johannes Paul II.
entscheidende Schritte getan hat, mit voller Kraft weiterzuführen.“
______________________
(1) II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die göttliche
Offenbarung „Dei Verbum“ (CV), 4.
(2) ZdK, Erklärung „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und
Heiden“ vom 9.3.2009, (Erklärung) S. 19.
(3) Ebd., S. 5.
(4) Ebd., S. 18f.
(5) II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die göttliche
Offenbarung „Dei Verbum“ (CV), 5.
(6) II. VATIKANISCHES KONZIL, Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitas
humanae“ (DH) 2.
(7) Ebd., 3.
(8) II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen
Genitum“ (LG), 18.
(9) II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt
von heute „Gaudium et spes“ (GS), 22.
(10) II. VATIKANISCHES KONZIL, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ (NA), 4.
(11) Walter KASPER, Wo das Herz des Glaubens schlägt. Die Erfahrungen meines
Lebens, Freiburg 2008, 294f.
(12) ZdK, Erklärung, S. 5.
(13) ZdK, Erklärung, S. 17.
(14) ZdK, Erklärung, S. 16.
(15) II. VATIKANISCHES KONZIL, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad
gentes“ (AG) 2.
(16) ZdK, Erklärung, S. 1; 10.
(17) Ebd., S. 13.
(18) Ebd., S.1.