Wider die „oben ohne“-Theologie
DT vom 29.12.2007
Von Professor Klaus Berger
Der Atheismus hat auch da seinen Platz gefunden, wo man ihn eigentlich
nicht vermutet: An den theologischen Fakultäten – Die Folgen sind verheerend
„Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb.“ Dieses Tischgebet zum Mittagessen
hörte ich kürzlich in einer kirchlichen Akademie. Der begleitende und
verantwortliche Geistliche gab in einem heftigen Gespräch, das wir daraufhin
führten, zu erkennen, dass er genau mit dieser Formel auch Abendmahl feiern
könnte. Ich sei wohl etwas altmodisch geraten. In der Tat. Denn nicht
hochgeistige Gespräche über Hegel und Nietzsche, sondern solche „Tischgebete“
sind die praktische, ganz konkrete Auswirkung einer Theologie, die sich
hochtrabend „Gott-ist-tot-Theologie“ oder eben atheistische Theologie nennt.
Diese Theologie hat allerdings nicht so primitiv angefangen, wie sie endet, aber
sie führt unausweichlich in diesem Sumpf. Der genannte Pastor führte als
Verteidigung an: „Wo die Liebe und der Friede ist, dort ist Gott“. Meine Antwort:
„Mag schon sein, aber warum sagen Sie das denn nicht?“ – Antwort: „Nein, ich
halte nichts von Kult und Ritual, wie Jesus.“ – Meine Gegenfrage: „Oder könnte
es sein, dass Sie Probleme haben mit dem Bekennen?“ Dass von dieser Art Kult-Abstinenz
ein direkter Weg zu den Friedwäldern führt, wird noch zu zeigen sein.
Zum philosophischen Vorspiel gehören Hegel und Nietzsche
In das philosophische Vorspiel gehören Hegel und Nietzsche, der eine
examinierter Theologe aus Tübingen, der andere Pfarrerssohn. Beide verkünden
lautstark den Tod Gottes. Diese Philosophen sehen den Tod Gottes als Konsequenz
der Säkularisierung, denn für Gott wird es „eng“ in der Welt und menschlicher
Freiheit, die Gott die Regie über die Geschichte abnimmt. Die Anhänger von Karl
Marx haben eindrücklich demonstriert, wohin das führt. Auch noch Gott-ist-tot-Theologen
werden den Theismus (Glauben an Gott) kritisieren, weil er den Menschen die
Verantwortung nehme.
Die eigentliche Gott-ist-tot-Theologie oder kurz genannt die „Theologie des oben
ohne“ gibt es erst seit den 68-er Jahren. Sie ist die Theologie dieser
Generation; Flaggschiff ist das Buch von Dorothee Sölle „Atheistisch an Gott
glauben“ (1968). Das Buch fasst ältere Anregungen zusammen. Zielsetzung ist die
grundlegende Veränderung der Praxis des Glaubens. So hat auch der Tübinger
Neutestamentler und Barth-Schüler Ernst Käsemann immer wieder erklärt, Ziel
seiner Theologie sei es, auch die letzte Frömmigkeit in Württemberg auszurotten.
Warum? Alle Religion sei Menschenwerk, und zuallererst die Frömmigkeit sei
Frevel gegen Gott. Der Fromme wolle Gott beherrschen, ihn verfügbar machen. Denn
Liturgie sei Magie, Gebet Zauber.
Eine Spielart dieser Theologie des praktisch-theologischen Atheismus lieferte –
zunächst ungewollt – die Marburger Theologie, die in ihrem linken Flügel sich
mit Käsemanns Intentionen traf. Denn jede bildhafte oder liturgische Rede von
Gott sei unsachgemäß. Sie sei „mythologisch“, weil sie mit Gott umgeht, als wäre
er eine Größe in der Welt unter anderen. Rudolf Bultmann selbst war das
Tischgebet nicht fremd, denn bei ihm machte – vielleicht inkonsequent – die
Entmythologisierung halt vor der Person Gottes und dem Gebet. Bultmanns linke
Schüler Herbert Braun und Dorothee Sölle sahen das anders.
Und es gibt eine Anekdote von Frau Bultmann, die angesichts dieser radikalen und
konsequenten Schüler gesagt habe: „Nee Rudolf, das machen wir nicht mit.“
Konsequent war das Verhalten der Schüler durchaus. Denn wenn man systematisch
mythologische Rede vermeiden wollte, musste man auch Gott als Person
entmythologisieren und zum Beispiel durch „Liebe“ ersetzen. So kam es, dass man
bist heute regelmäßig mit der Formel konfrontiert wird „Gott ist die Liebe“; das
steht zwar im ersten Johannesbrief, aber als isoliertes Zitat funktioniert diese
Formel als verheerender Theologie-Ersatz. Denn wenn Gott in Wahrheit nichts
weiter als „die Liebe“ ist, hat man seine Personalität und seinen „Charakter“,
seine Widerständigkeit und sein Geheimnis aufgelöst.
Ein solcher Gott ist kein Gegenüber mehr, das man mit „Du“ anreden kann, sondern
er ereignet sich nur noch in der Begegnung von Menschen. Das Gesicht Gottes wird
dann, wie man gesagt hat, nur (!) noch erkennbar als das Gesicht des anderen
neben mir. – Diese Reduktion Gottes auf Existenzbegegnung und Ethik hat von
Anfang an immer eine anti-liturgische und anti-kultische Tendenz gehabt. So hat
man gesagt: „Diesen profanen, nicht-kultischen Zug zur Sache hat Jesus endgültig
zum Sieg gebracht. Kultisches Denken und kultisches Handeln – Waschungen,
Speisegebote, Sabbatsitten, Fasten und Beten – erübrigen sich angesichts der
Verkündigung Jesu. Gott begegnet nicht mehr im Haus der Religion, er braucht
nicht ,fromm vergegenwärtigt zu werden, er ist gegenwärtig‘ er ist nicht länger
König und Herrscher“. (D. Sölle).
Die Berufung auf Jesus und das Neue Testament ist hier – nebenbei gesagt –
extrem ideologisch und tendenziös. Dieser Irrtum führte bis zu der Annahme, das
Vater Unser könne nicht von Jesus stammen, denn Jesus habe sich doch gegen jedes
Ritual gewandt. Hier wird noch einmal deutlich: Das Insistieren Benedikts XVI.
auf der Liturgie hat nicht, wie manche meinen, seinen Ursprung in bayerischer
Folklore, sondern betrifft die zentrale Frage gegenwärtiger Theologie, nämlich
die nach der Personalität Gottes. Denn dieser Zug der Gott-ist-tot-Theologie
wird konsequent ausgeweitet auf jede Theologie, die anders ist als ethisch-existenziell
oder rein negativ.
So lesen wir bei W. Hamilton (1961): „Wenn wir vom Tode Gottes sprechen, so
meinen wir nicht einfach den Tod eines himmlischen Wesens, das irrigerweise zu
Idolen objektiviert wurde. Wir sprechen dann auch vom Tod jeder Fähigkeit in uns,
überhaupt eines der herkömmlichen Bilder Gottes zu bestätigen.“ Eine Folge ist
auch der Verlust des Credos im Sinne des Glaubensbekenntnisses. Und unter dieser
Voraussetzung gilt: „Dass es Gott nicht mehr gibt, heißt ja nichts anderes, als
dass es ihn nicht mehr eindeutig gibt.“
Vier schwerwiegende Folgen dieses Ansatzes sind kurz zu erörtern: Die
irrtümliche Berufung auf die christliche Mystik, das Jonglieren mit der
ungelösten Frage der Theodizee, die Leugnung jeder persönlichen Unsterblichkeit
und die Zielrichtung auf einen modischen europäischen Neubuddhismus. Sätze wie „Gott
um Gottes willen lassen“ oder die Äußerung Meister Eckharts, er würde die Schau
der Trinität verschmähen, um einem Mütterchen Suppe zu kochen, werden von der
Got-ist-tot-Theologie hemmungslos ausgeschlachtet.
Sollte Meister Eckhart das Christentum wirklich verstanden haben als eine Art
des Lebens, die „ohne die supranaturale, überweltliche Vorstellung eines
himmlischen Wesens“ auskommt? Was geschieht bei diesen Theologen mit der Mystik?
Sie wird platt gemacht. Denn die Mystiker haben um die Spannung gewusst, die
darin besteht, dass die Unähnlichkeit aller Aussagen mit dem Gemeinten stets
größer ist als die Ähnlichkeit. Aber sie haben diese Spannung ausgehalten
zwischen der biblisch und kirchlich notwendigen „positiven“ bildlichen Rede von
Gott und seiner Unaussagbarkeit.
Konsequenzen der Gott-ist-tot-Theologie
Dieses Aushalten ist katholisch (und, wenn es gut geht, auch evangelisch), aber
diese Spannung aufzulösen aus Furcht vor Verdinglichung, aus dieser Spannung
auszubrechen und lieber die Existenz Gottes als eines Gegenübers gleich ganz zu
leugnen, das bedeutet eine zerstörerische und unsachgemäße Flucht an das
vermeintlich rettende Ufer. Gott gibt es nicht wie andere Dinge, er ist das
Nicht-Andere, er bleibt stets in unserem Rücken – aber gerade so bleibt er dem
Gebet als Gegenüber erhalten. Der Satz „den Gott, den es gibt, gibt es nicht“ (angeblich
von D. Bonhoeffer), ist eine dumme Formulierung, weil er mit einem
missverständlichen deutschen Wortspiel Aussagen über die Existenz Gottes
gefährdet.
Versteht man diesen Satz in dem Sinne, dass Gott kein Objekt unter anderen ist,
dann ist das richtig, aber spätestens seit Nikolaus Cusanus längst Einsicht der
Theologie. Denn in seiner Schrift „De non aliud“ sagt der Cusaner, Gott sei kein
mögliches Objekt des Erkennens, sondern immer unfassbar und vor allem stets eher
Subjekt. Wenn aber der Satz meint, Gott „gäbe es nicht“ dann gilt das Wort des
Psalmisten (Ps 13[14],1): Nur der Tor spricht in seinem Herzen: „Es gibt keinen
Gott“. Im Judentum hat man „Es gibt nicht“-Aussagen dieser Art in Disputen
zwischen Kain und Abel in den Mund Kains gelegt. Das soll heißen: Wenn es keinen
Gott gibt und kein Gericht usw., dann ist jede Schandtat erlaubt.
Leider greift die Gott-ist-tot-Theologie auch die Theodizee-Frage auf. Man sagt:
„Ein einziges gefoltertes Kind genügt, um die Bezeichnung allgütig für immer
verstummen zu lassen.“ Da wird so getan, als hätte bisherige Theologie dumm und
unerfahren von Gottes Güter geredet und stets vergessen, dass es Hiob und den
leidenden Christus gab. Aber auch Jesus am Kreuz mit seinem Ruf „Mein Gott, wozu
hast du mich verlassen?“ muss als Argument für die Gott-ist-tot-Theologie
herhalten. Hier wird es nun völlig absurd, denn warum betet und klagt Jesus dann
zu einem Gott, den es nicht gibt? Am Kreuz geht es eben nicht um die „Härte der
Gottlosigkeit“.
Und auch in Auschwitz ist Gott nicht gestorben. Auch ich halte „Auschwitz“ für
die schrecklichste Tat, aber mein Glaube geht davon aus, dass der Mensch nicht
Gott ist, auch wenn er sich einbildet, den Herren über Leben und Tod spielen zu
können. Gott ist unfassbar größer als das größte Verbrechen. Ich verweise nur
auf das Gebet des Jossel Rakover aus dem brennenden Warschauer Ghetto (Zwi
Kolitz, dt. von P. Badde).
Eine der Konsequenzen der Gott-ist-tot-Theologie ist die Leugnung selbst der
Wünschbarkeit und Möglichkeit persönlicher Weiterexistenz über den Tod hinaus.
So wird nun nicht nur die Personhaftigkeit Gottes berührt, sondern auch die des
Menschen. Man sucht eine „Geborgenheit, die nicht in der Weiterexistenz liegt“.
In der Tat darf man fragen: Brauchen Menschen eine Erlösung vom Tod? – Dieses
ist die Kernfrage des Neuen Testaments. Wer sie verneint, sollte sich mit dem
Christentum nicht weiter abgeben.
Vielmehr wird nun umgekehrt die Rede von persönlicher Unsterblichkeit als
Siegerpose typisch männlicher Herkunft ausgegeben. Weiblich – ganz im Sinne des
Öko-Feminismus – sei ein Satz wie dieser: „Wir sind nicht mehr als der Wind, das
Sonnenlicht, der Schnee.“ Wer den Glauben an die Möglichkeit der Weiterexistenz
über den Tod hinaus als „typisch männlich“ diskreditiert, verwechselt wohl
Sehnsucht mit Angeberei. Christen gehen davon aus: Gottes Liebe und menschliche
Personalität „will Ewigkeit“.
Doch in der Tat: Wer ohne Gott als Gegenüber auskommt, kann im Fall des Todes
nur von einem „Aufgehobensein in Gott“ reden, und zwar im Sinne der Vernichtung
der Einzelexistenz. Auch hier wird wieder Mystik missbraucht, indem Aussagen
über die Intimität zwischen Gott und Mensch im Sinne des apersonalen Aufgehens
in einer Art Nirwana gedeutet werden. Ein Beispiel: Wenn G. Tersteegen betet „Vernichte,
Herr, die Eigenheit, zerstör das Meine gar. Nichts sein, das ist die höchste
Lehr“, dann geht es nicht um die Auflösung der Person (schon gar nicht im Tod),
sondern das Nichts an dieser Stelle ist ein Zitat aus 1 Kor 1, 28. Da geht es um
Menschen, die weder reich noch klug noch adelig, sondern einfach nichts sind.
Aber diese Menschen leben in Korinth. Sie haben sich nicht in Gottes Nirwana
aufgelöst. Aber von hier aus, wenn der Mensch nichts anderes ist als Wind und
Schnee, führt ein direkter Weg zu den Friedwäldern, in denen der Mensch sehr
anschaulich wieder in den Kreislauf der Jahreszeiten eingefügt wird und darin
untergeht. Es ist schwer, vor Ort „dagegen anzuglauben“, so heimelig ist der
deutsche Märchenwald.
Und dann ist da noch diese typisch neu-katholische Häresie
Schließlich aber gibt es eine typisch neukatholische Häresie in Deutschland,
verbunden mit Namen wie Willigis Jäger OSB, Gotthold Hasenhüttl und Hubertus
Halbfas, nicht zu vergessen das neue Buch von E. Pagels über das Thomas-Evangelium.
Bei allen diesen Autoren wird explizit gesagt, Jesu Lehre sei buddhistisch und
wer die Kirche erneuern wolle, brauche „mehr Buddhismus“. Nun ist der Buddhismus
keine Religion, weil er keine Götter und keinen Gott kennt, sondern eine
Philosophie der konsequenten Entleerung. So ist für jeden Buddhisten klar: Wo es
keinen persönlichen Gott gibt, kann das erhoffte Schicksal jedes Einzelnen nur
sein, sanft zu verlöschen. Wünschen möchte ich das niemandem, aber sehr viele
wollen es für sich selbst. Nach christlichem Glauben soll und kann der Einzelne
befreit werden – aber eben nicht von der eigenen Person, sondern von allem, was
diese ängstigt und unfrei macht.
Ergebnis: Der Atheismus in der Theologie leugnet Gott als personales Gegenüber.
Er läuft über Liturgiefeindlichkeit, Leugnung der Personhaftigkeit Gottes bis
hin zur Aufgabe der Personalität des Menschen. Das Ende ist die Option für den
Buddhismus als die Religion der Zukunft – oder eben die schlichte Banalität wie
in dem eingangs zitierten Tischgebet. Auf jeden Fall verlieren wir auf diesem
Weg das gesamte religiöse, geistige und kulturelle Inventar, das wie ererbt
hatten.