Ökumene als Einbahnstrasse (ökumenischer Kirchentag 2010)
Die Selbstverleugnung geht bei Funktionären wie einem Alois Glück inzwischen
so weit, dass er nicht mehr erklären kann, was ihn von der Evangelischen Kirche
unterscheide - Ein kath.net Kommentar von Peter Seewald.
Was hält man davon: Jemand ist zu Gast in einem fremden Haus. Er wird freundlich
empfangen. Aber plötzlich fängt er an, sich aufzuplustern. Die eigene Villa sei
ja weit schöner. Schönere Vorhänge. Feineres Parkett. Das bessere Klima. Und
überhaupt: Alles viel moderner als dieser alte Schuppen hier.
Ein Fall aus dem Knigge für ökumenisches Benehmen. Und Margot Käßmann hat es
vorgemacht. Noch vor Monaten fand sie es unter ihrer Würde, sich mit einem
einfachen Bischof wie Reinhard Marx zu einem Streitgespräch für das SZ-Magazin
zusammenzusitzen. Sie sei doch nun die Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche von Deutschland. Da müsse bitteschön eine gewisse hierarchische Ordnung
gewahrt werden. Diese Woche nutzte sie die Einladung in den marxschen
Bischofssitz, sich ein wenig in Szene zu setzen, einen wohlkalkulierten Skandal
inklusive. Die Pille sei ein „Geschenk Gottes“, verkündete die Theologin im Dom
zu München. Niemand regte sich auf. Aber eine fette Schlagzeile war es allemal.
Der ökumenische Kirchentag ist eine wertvolle Veranstaltung mit großartigen
Begegnungen und wunderbaren Menschen. Dass die Einheit der Christen in Christo
eine Aufgabe ist, die nicht erlassen wird, weiß man schon aus dem Evangelium.
Inzwischen jedoch scheint Ökumene vor allem so verstanden zu werden, als könne
das Ziel einzig und alleine darin liegen, die katholische Kirche mittels
Protestantisierung gewissermaßen einzuebnen. Das Schema ist recht übersichtlich:
hier die Aufgeklärten – dort die Doofen. Hier der Fortschritt – dort der
Rückschritt. Hier weltoffen – dort vernagelt. Tja, die arme Verwandtschaft.
Glücklich, wer sich zu den besseren zählen darf. Dankbar, wer sich auf Kosten
der anderen profilieren kann. Unvorstellbar scheint dabei, dass sich auch
Katholiken als moderne Menschen empfinden könnten. Modern vielleicht nicht im
Sinne von Zeitgeist und Anpassung. Aber im Sinne eines Lebensstils, der über den
Tag hinaus führt. Der Gestern mit Morgen verbindet, kritisches Bewusstsein mit
Solidität, die Freude am eigenen Leben mit der Verantwortung für die
nachfolgende Generation.
Beispiel „Abendmahlsgemeinschaft“: Warum wird noch immer mangelnder Wille zur
Einheit unterstellt, wenn die katholische Kirche an der Eucharistie festhält?
Weiß man nicht, dass sie für Katholiken das Heiligste vom Heiligen ist, etwas,
das sie nicht aufgeben wollen und nicht aufgeben dürfen? Unerträglich inzwischen
die Herabwürdigung der katholischen Liturgie; die Respektlosigkeit vor dem
katholischen Verständnis der Sakramente und des Priestertums; vor unzähligen
Menschen letztlich, die sich ganz bewusst für ein zölibatäres Leben entschieden
haben. Und zwar aus keinem anderen Grund, als sich existentiell dem Dienst für
Gott und den Menschen zu widmen.
Man stelle sich vor, Katholiken forderten umgekehrt die Revision
protestantischer Praxis, die aus dem Evangelium nicht zu begründen ist, etwa das
Frauenpriestertum. Sie prangerten pausenlos die Missachtung Mariens als Mutter
der Kirche an. Diskutierten nur noch über das judenfeindliche Denken in den
Schriften Martin Luthers. Erzürnten sich über Auswüchse einer Seelsorge, die zur
Wohlfühlkirche degeneriert. Dies alles in der Sorge, dass die Geschwister (ganz
ohne Zölibat oder „Papst-Diktatur“) weit mehr Mitglieder verlieren als die
angeblich doch so weltfremden „Katholen“. 2008 waren das allein in der
evangelischen Landeskirche in Bayern 20.000 Gläubige – ein ganzes Drittel mehr
als im Jahr zuvor.
Eine Frage guten Stils ist es, wenn ein evangelischer Dekan als speziellen Gruß
am Tag der Eröffnung eines ökumenischen Kirchentages in der „Süddeutsche Zeitung“
verkündet, die katholischen Kollegen seien allesamt ziemlich verklemmt,
geknechtet und eigentlich ganz erbärmliche Gestalten, die sich pausenlos
verbiegen müssten. Sie fielen auf durch „so eine Art ‚Seminar-Singsang‘“. Man
merke ihnen die „Prägung“ durch eine lange „abgeschirmte Zeit in einer eigenen
seminaristischen Welt“ an. Die wenigen, die „geradlinig und kritisch“ seien,
würden schnell „vom Bistum zwangsversetzt.“ Inzwischen träten in der
katholischen Priesterschaft „gute Leute“ erst gar nicht mehr an, „teils wegen
des Zölibats, teils wegen der selbstherrlichen Bischofshierarchie.“
Apropos Brüderlichkeit: Warum kann sich ein Bischof Huber in kaum einer
Diskussion seiner antirömischen Spitzen enthalten? Warum ist es so faszinierend,
einen Zwiespalt zu konstruieren zwischen einem katholischen „Volk“ und einer
katholischen „Herrschaft“? Glaubt man wirklich, 1,2 Milliarden Katholiken
weltweit befänden sich unter der Knute einiger „alter Männer“ in Rom und
warteten sehnsuchtsvoll darauf, endlich befreit zu werden? Umgekehrt fand es
niemand unter den evangelischen Amtsträgern für angebracht, die Hand zu heben,
als es darum ging, den Bischof von Rom im Rahmen der Piusbrüder-Affäre gegen den
unerhörten Anwurf in Schutz zu nehmen, er sei möglicherweise selbst ein
Antisemit. Oder: Wo waren die Brüder, als auf dem Höhepunkt der
Missbrauchsdebatte eine völlig entfesselte Medienmaschinerie zu Generalverdacht
und Kollektivschuld schritt? Sich wegducken, um nicht selbst getroffen zu werden,
ist keine Haltung. Vertreter von Judentum, Orthodoxie und Islam haben hier
deutliche Worte gefunden. Halt, doch, einen gab es auch unter den evangelischen
Brüdern, der widerstand, den wunderbar mutigen und noblen Protestanten Horst
Köhler.
Vielleicht sollte man im Rahmen des ökumenischen Prozesses auch einmal in
Erinnerung rufen, dass es sich hierbei nicht ausschließlich um das Gespräch nur
zwischen Katholiken und Protestanten und auch nicht um eine rein deutsche
Angelegenheit handelt. Die evangelischen Landeskirchen mögen national
ausgerichtet sein, die katholische, und damit die allgemeine, apostolische und
universale, ist es nicht. Ökumene ist eben auch der Dialog mit Anglikanern,
Evangelikalen, chinesischer Staatskirche oder der Orthodoxie, deren 350
Millionen Mitglieder nicht unbedingt weniger bedeutend sind.
Und die katholischen Würdenträger auf dem ÖKT? Um des lieben Friedens willen war
man bereit, unbequeme katholische Initiativen auszuschließen, um im Kunterbunten
bloß nicht zu missionarisch aufzufallen. Von Selbstbewusstsein keine Spur. Ein
katholisches Profil hat es dann schwer, noch erkennbar zu sein. Die
Selbstverleugnung geht bei Funktionären wie einem Alois Glück inzwischen so weit,
dass er nicht mehr erklären kann, was ihn von der Evangelischen Kirche
unterscheide. Wo die Stimme eines Kardinal von Galen, des „Löwen von Münster“
gefordert wäre, hört man häufig nur das Schnurren eines Bischof Marx, des Katers
von München. Man will ja niemanden verschrecken, schon gar nicht die Damen und
Herren von der Presse.
Die Herde allein zu Haus. Eine Herde überdies, die immer weniger weiß, wo sie
hingehört – verängstigt von einem furchterregenden Zerrbild von katholischer
Kirche und katholischem Glauben, das ihre Gegner tagtäglich neu an die Wand
pinseln. Vielleicht sollte man im Gegenzug gelegentlich wieder einmal zeigen,
dass Katholizismus weder modrig, noch krankhaft oder verwerflich ist, sondern
die Fülle und Schönheit eines ganzheitlichen christlichen Glaubens meint, der
Geist, Leib und Seele vereint – in der Freude, im Trost und in der Herrlichkeit
eines immer wieder ganz erstaunlichen Gottes.