Was feiert die Kirche im Advent?
Gedanken von P. Michael Luxbacher LC
über den Advent:
Still, eucharistisch, marianisch, biblisch und liebevoll
Aus den Amici News
AdD: Was feiert die Kirche im Advent?
P. Michael: Es ist wirklich so, dass wir durch die Liturgie der Kirche immer neu
dazu eingeladen sind, das Wesen unserer „Froh-Botschaft“ neu zu entdecken. Durch
die verschiedenen Feiern des Kirchenjahres lernen wir, die Tiefe unserer
Erlösung immer wieder neu zu schätzen.
Das Wort „Advent“ selbst zeigt uns schon, worum es geht. Eigentlich heißt „Advent“
nicht „Erwartung“, wie wir das vielleicht vermuten könnten, sondern eher hat es
etwas mit einer „Ankunft“ zu tun. Joseph Ratzinger, unser jetziger Heiliger
Vater, hat in einer Adventspredigt einmal dargelegt, dass in der Antike das Wort
die Anwesenheit eines Königs oder Herrschers oder auch des Kultgottes
bezeichnete, der den Seinen die Zeit seiner Anwesenheit schenkt. Wir können auch
sagen, die Adventszeit ist eine Zeit der Gnade, in der eine mächtige und hoch
stehende Person mich beschenkt, indem sie einfach bei mir und bei uns weilt.
Anders gesagt: Wir feiern im Advent die Anwesenheit Gottes, der schon mitten
unter uns ist aber noch nicht so sichtbar, dass es für jeden eindeutig wäre. In
diesem Sinn ist der Advent eine Zeit der Entdeckung, wo wir mit Liebe und
Aufmerksamkeit die Spuren der Gegenwart Christi unter uns dankbar wahrnehmen und
ihnen mehr Raum in unserem Leben geben. Es ist selbstverständlich auch und
gerade deswegen eine Zeit des Wartens und des Erwartens, weil wir uns danach
sehnen, unseren menschgewordenen Gott doch direkt zu sehen und anzufassen. Wir
wollen Jesus sehen, von Angesicht zu Angesicht, und unser Herz bleibt unruhig,
bis es in ihm ausruhen darf.
Aber wie wissen wir, dass Jesus schon unter uns anwesend ist? Und wann wird es
so weit sein, dass wir diesen Anwesenden richtig „sehen“ können? Genau hier
berühren wir den Kern des Adventgeheimnisses.
Vordergründig betrachten wir die noch nicht sichtbare Anwesenheit Gottes, der
ganz praktisch nicht zu sehen ist, weil er noch im Schoß der Jungfrau Maria
weilt. Es ist aber nicht möglich, seine Gegenwart zu verleugnen. Die
hochschwangere Mutter Christi kann nicht verstecken, dass ein neues Leben in ihr
zu Hause ist, auch wenn sie es wollte. Und genau die Tatsache, dass das
Christkind gegenwärtig aber noch nicht durch die Geburt sichtbar und tastbar ist,
erfüllt uns mit einer freudigen Erwartung nach mehr. Am Heiligen Abend wird
unsere Sehnsucht gestillt.
Durch diese Betrachtung merken wir erstaunt, dass derselbe Jesus auch heutzutage
unter uns wirklich gegenwärtig ist: Im Wort Gottes, in den Sakramenten, in der
Eucharistie, in seiner Kirche, in jedem Menschen, wo auch immer zwei oder drei
in seinem Namen zusammenkommen. In jedem Tabernakel ist er so real präsent wie
er vor 2000 Jahre im Tabernakel des Mutterschoss Mariens gegenwärtig war. Wir
können ihn noch nicht von Angesicht zu Angesicht anschauen aber bekommen hier
auf Erde einen Vorgeschmack auf das, was kommt. Diese Gedanken bringen uns
schnell zur Frage: Aber wann wird die Sehnsucht nach mehr gestillt sein? Gibt es
auch eine Geburtsstunde, einen Heiligen Abend, an dem Jesus sich mir zeigen wird?
Die Antwort ist selbstverständlich ja, nämlich, am Ende der Zeit, wenn ich mit
Gottes Hilfe den Himmel erreiche. Dort werde ich staunend und anbetend ihn sehen,
wie er wirklich ist. Und so verstehen wir, warum die Texte für die Liturgie so
oft auf dem Ende der Welt deuten. Für uns Christen wird die Stunde des Todes, so
betrachtet, eine Art geistliches Bethlehem, eine Geburtsstunde anderer Art, in
der Jesus sich selbst mir endgültig offenbart. Dann werden wir Gott sehen können
und müssen nicht mehr in der Dunkelheit wandern. Wenn Jesus, nachdem er einen
Platz für mich im Himmel bereitet hat, für mich zurückkommt, wird es ein Moment
großer Freude sein. In der Adventszeit sollen wir doch die Sehnsucht nach der
endgültigen Begegnung mit dem Herrn stärken; wir wollen ihn wirklich sehen, wie
er ist, nicht nur durch die Schleier unserer Selbstbezogenheit, sondern in
Freiheit und in echter Liebe.
Gleichzeitig merken wir eine dritte Art Anwesenheit und des Schon-Gegenwärtig-Seins
Jesu in unserer Welt und das ist in unserem Herzen. Ist es nicht wahr, dass Gott
durch die Gnade der Taufe in uns selbst anwesend ist? Und stimmt es nicht auch,
dass wir die Sehnsucht danach haben, ihm genau da, in unserem Herzen, tief zu
begegnen. So ist es in der Tat, und während der Adventszeit nehmen wir die
Gegenwart Gottes in uns ganz neu auf und warten mit Zuversicht und Vertrauen auf
Weihnachten und die Geburtsstunde in unserem Leben. Welche Stunde soll das sein?
Die Stunde, in der die Heiligkeit in uns als klares Licht und heller Morgenstern
für die Welt leuchtet. Und wenn wir fragen, wann genau das geschehen soll,
sollen wir merken, dass das auch sehr von uns abhängig ist. Wenn wir mutig den
Weg zur Heiligkeit gehen, werden wir das Christkind klar erkennen können, und so
wird es auch bei den anderen sein. Sie werden merken, dass Gott in mir und durch
mich mitten unter uns wohnt so wie es bei allen Heiligen der Fall gewesen ist.
Zusammengefasst: Während der Adventszeit feiern wir die verborgene Gegenwart
Gottes - eines Gottes, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist, aber noch nicht
sichtbar ist. Wir schauen auch mit Sehnsucht nach vorne und warten geduldig bis
der Herr sich selbst endgültig offenbart – an Weihnachten; am Ende der Zeit und
in meinem Herzen, wenn ich Gott in meinem Leben wirken lasse.
AdD.: Wie soll ein Katholik den Advent feiern?
P. Michael: Jesus sprach einmal von seinem Reich als Sauerteig, als Senfkorn.
Die beiden Bilder zeigen uns etwas Wichtiges: Das Reich Gottes, seine Gegenwart
unter uns Menschen ist eine stille, aber kraftvolle Realität, die am Anfang
unbemerkt und mit der Zeit immer stärker und eindeutiger präsent wird, bis es
nicht mehr zu übersehen ist.
So ist es mit dem Advent. Wir beobachten erstaunt, wie die Anwesenheit Gottes
immer spürbarer wird und, je mehr wir von diesem Gott erfahren, desto
begeisterter werden wir. In diesem Licht können wir auch entdecken, wie ein
Katholik die heilige Adventszeit feiern soll:
a) Still: Wenn wir den Larm und Hektik des Alltags nicht ausschalten, mindestens
zeitweise, werden wir die Zeichen der Gegenwart Gottes einfach übersehen. Gott
ist schon anwesend, aber es braucht ein aufmerksames und ruhiges Herz, um zu
entdecken, wo er sich versteckt.
b) Eucharistisch: Wo ist es besser, den verborgenen Jesus anzubeten und ihn zu
begleiten als in der Eucharistie? Hier lernen wir die leise, stille Gegenwart
Christi wahrzunehmen. Öfter in die hl. Messe gehen, Anbetung in einer Kirche
oder Kapelle halten, Besuche bei Christus in der Eucharistie – all das soll Teil
unseres Advents sein.
c) Marianisch: Im Schoß der Muttergottes weilt unser Herr und Erlöser. Im
Rosenkranzgebet und durch spontane Akte der Liebe besuchen wir Maria, gehen wir
in die Schule Mariens und lernen wir von ihr, wie man sich für die Gegenwart
Gottes öffnet und wie man die Anwesenheit Gottes in sich wachsen lassen kann.
Maria wird uns mit Freude alles erklären, was wir wissen wollen, wenn es um den
Umgang mit ihrem geliebten Sohn geht.
d) Biblisch: Im Wort Gottes entdecken wir Jesus, anwesend und gleichzeitig
verborgen. Man braucht Zeit, um Jesus in der Schrift zu entdecken und ihn
kennenzulernen. Nehmen wir uns während der Adventszeit 5 Minuten mehr pro Tag,
um in der Bibel, besonders in den Evangelien, zu lesen.
e) Liebevoll: Christus begegnet uns in unseren Brüder und Schwestern. Dienen wir
ihm in ihnen mit Geduld und Liebe, dann werden wir bald wahrnehmen, wie nah
Jesus bei uns ist.
Kurz zusammengefasst: wir sollen die Gegenwart Christi weilen suchen. Dann
werden wir merken, dass die Sehnsucht nach ihm wächst, eine Sehnsucht, die wir
dann an Weihnachten (teilweise) stillen können.
AdD.: Der dritte Adventsonntag wird als Gaudete-Sonntag begangen. Was
bedeutet das?
P. Michael: Als ich Kind war, haben wir Weihnachtsgeschenke bekommen. Sie lagen
immer relativ lang vor dem Fest selbst unter dem Weihnachtsbaum. Ich muss
ehrlich sagen, dass es fast so schön war zu rätseln, was in jeder Kiste alles
stecken könnte, wie die Pakete an Weihnachten selbst zu öffnen. Daraus lernte
ich, dass das Warten und Erwarten mit einer tiefen Freude und Vorfreude
verbunden ist.
Genau in diesem Sinn feiern wir Christen den sogenannten Gaudete-Sonntag. Das
erste Wort des Eröffnungsverses an diesem Sonntag lautet „Gaudete“, d.h. „Freut
euch!“: „Freut euch im Herrn zu aller Zeit!“ (Phil 4, 4) ermahnt uns der Apostel.
Und warum? Weil es jetzt einfach „fast so weit“ ist. Die langersehnte Geburt in
Bethlehem, die brennend erwünschte Heiligkeit in meinem Leben ist noch nicht da
... aber fast! Das ist Grund genug, aus Vorfreude den Jubelruf erklingen zu
lassen.
Ein bisschen mehr als eine Woche vor der Geburt ist es unmöglich, die Vorfreude,
die spontan hochkommt, total zu unterdrücken. Am dritten Adventssonntag haben
wir schon zwei intensive Wochen hinter uns. Wir haben den ganzen Prozess des
Wachstums Jesu in Maria – und in uns! – beobachtet und merken, dass der Lohn für
unsere Geduld und Beharrlichkeit ansteht. Teilweise schön, teilweise schmerzhaft
ist die Zeit des Wartens aber in diesem Moment können wir die Freude nicht
unterdrücken.
Die hochschwangere Mutter des Herrn wird es nicht viel länger aushalten. Das
merke ich schon; sie ist im achten Monat... Christus, der Retter, ist SEHR nah
und die Stunde seiner Geburt in Bethlehem steht bevor. Es gibt Vorfreude auf
jedes Geschenk – und Jesus Christus ist das größte Geschenk überhaupt. Deswegen
ist es selbstverständlich, dass wir ein Freudenfest schon vor Weihnachten feiern;
die Freude übermächtigt uns, wenn wir daran denken, dass Jesus bald das Licht
der Welt sehen wird – und ich ihn betrachten darf. Einfach wunderbar!
AdD.: Ist der Advent eine Fastenzeit?
P. Michael: Zuerst ein Wort zum Begriff Fastenzeit: Wir verbinden es
normalerweise mit der 40-tägigen Vorbereitung auf Ostern. Während dieser Zeit
der geistlichen Vorbereitung auf die Erlösung unserer Welt nehmen wir uns durch
Fasten und Opfer zurück, um in unserem Herzen und in unserem Leben Platz für
Gott zu schaffen. Das Wort Fastenzeit kann helfen zum Kern des 40-tägigen
Ereignisses zu kommen: Ich soll abnehmen, aber nicht nur an Gewicht, sondern
auch und vor allem an meinem Stolz, meinem Egoismus, an meiner Tendenz nach
Eitelkeit und Selbstverherrlichung, an meiner selbstzufriedenen und gemütlichen
Sinnlichkeit. Damit ich Raum für die auferstandene Liebe für Jesus in meinen
Herz habe, damit Er überhaupt in mir Platz findet, soll ich durch Fasten, Beten
und gute Werke das Heiligtum meines Herzens gut aufräumen. Vielleicht könnte man
diese Vorbereitung auf Ostern auch mit Wendungen ausdrücken wie „Zeit, um der
Liebe freie Hand zu lassen“ oder „Zeit, um Raum für Gott zu schaffen“.
Weil die Liebe Christi, die fleischgewordene Barmherzigkeit Gottes, uns so
wichtig ist, entscheiden wir uns, alles wegzunehmen, was verhindern könnte, dass
diese Liebe an uns und an unsere Welt herankommt. Das ist der Sinn der
Fastenzeit. So betrachtet sehen wir ganz klar, dass auch die Zeit vor
Weihnachten eine Fastenzeit in diesem Sinne ist, eine Zeit des „von-sich-selbst-Abnehmens“,
ein Moment des „Jesus-in mich-Annehmens und Aufnehmens“.
In einem schönen und tiefen Satz des hl. Johannes des Täufers entdecken wir den
ganzen Sinn der Adventszeit: „Jesus muss wachsen, ich muss abnehmen.“ Es ist
kein Zufall, dass gerade Johannes der Täufer, der Prophet des Abnehmens, in der
Liturgie des Advent so oft vorkommt. Es ist doch wirklich so, dass auch die Zeit
vor Weihnachten eine Zeit des „von-sich-selbst-Abnehmens“ ist. Die radikale und
kompromisslose Umkehr; den Weg für den Erlöser gerade machen; den mächtigen und
befreienden Messias würdig begrüßen, wenn er kommt: All das finden wir in der
Botschaft von Johannes dem Täufer und das entspricht genau dem Sinn einer echten
Fastenzeit.
Praktisch gesagt: Genauso wie während der 40-tägigen Vorbereitung auf Ostern
dürfen wir einige konkrete Vorsätze in den wichtigen Bereichen Gebet, Gutes tun
und Verzicht fassen, um uns auf diese Weise zu helfen, dass Abnehmen und
Aufnehmen wirklich stattfinden.
AdD: Was ist in der Adventliturgie besonders?
P.Michael: Jede Liturgie ist besonders. Die Adventliturgie ist in diesem Sinn
nicht besonders besonders. Wir dürfen nie vergessen, dass, wenn wir Liturgie
feiern, Jesus unter uns gegenwärtig wird. Jede liturgische Feist ist sozusagen
ein kleines Weihnachten; Christus zeigt uns sein Antlitz und schenkt uns große
Freude.
Es gibt selbstverständlich Zeichen und Symbole, Worte und Handlungen, Gesang und
Musik, die zur Adventszeit gehören. Die Farbe violett, Zeichen von Umkehr und
Busse; das Fehlen des Glorias am Sonntag, Erinnerung daran, dass wir auf den
Herrn warten und noch nicht bei ihm sind; der Lesungszyklus, in dem die Lesungen
von Altem und Neuem Testament von der Kirche liebvoll ausgewählt worden sind, um
uns sicher ans Ziel der Einkehr und der Umkehr zu führen; der „Rorate“-Ruf,
Zeichen unserer Sehnsucht nach dem Kommen Christi: Das alles ist ein wunderbarer
Reichtum, den wir mit unserer Teilnahme an der Liturgie auch unter der Woche
genießen können.
Wir sollen uns von der Symbolik und Schönheit der Liturgie jetzt – aber wirklich
immer - mitreißen lassen. Gott ist ein menschenfreundlicher Gott; genau das
feiern wir am Heiligen Abend. Er ist Mensch geworden, in allem uns gleich außer
der Sünde. Er weiß genau, was wir als Menschen alles brauchen, um ganz von ihm
berührt zu sein und durch die Liturgie zeigt er uns, dass er uns ganz berühren
will: Leib, Seele, Sinne, Verstand, Herz und Gefühle: Alles wird durch die Feier
der Liturgie berührt, erweckt und erhoben.
Lassen wir deshalb die Liturgie dieser schönen Vorbereitungsphase auf uns wirken
und in uns wirken. Christus, der in Bethlehem geboren ist, wird in der Feier der
Liturgie wirklich in uns neu geboren. Mit Wachsamkeit und liebevoller
Dankbarkeit nehmen wir das Geschenk, das er selbst ist, an, damit er uns mit
brennenden Lampen und glühenden Herzen findet, wenn er kommt. In freudiger
Erwartung beten wir inständig zu demjenigen, der uns zuerst gesucht und gefunden
hat: Komm, Herr Jesus! Komm bald!