Paulus - Glaubwürdiges Modell auch für Christen heute



Eine Botschaft zur österlichen Bußzeit
von Bischof Kurt Koch (Basel).
Solothurn (www.kath.net)


Liebe Schwestern und Brüder
Für dieses und das kommende Jahr hat Papst Benedikt XVI. ein Paulusjahr zum dankbaren Gedenken des Völkerapostels Paulus anlässlich der 2000-Jahrfeier seiner Geburt angekündigt, die von den Historikern zwischen den Jahren 7 und 10 nach Christi Geburt angesetzt wird.

Paulus gehört nicht nur zu den eindrücklichsten Persönlichkeiten und markantesten Gestalten in der Urkirche, sondern er hat auch und gerade in der heutigen Situation der Kirche viel zu sagen. Ich lade Sie deshalb ein, für seine grundlegenden Glaubenseinsichten neugierig zu sein.

Apostel durch Bekehrung

Beeindruckend ist bereits die Art und Weise, in der Paulus Christ geworden ist. Auch vor seiner Bekehrung ist er keineswegs ein Mensch gewesen, dem Gott nichts bedeutet und der seinem Gesetz ferne gestanden hätte. Er ist vielmehr ein strenggläubiger Jude gewesen, so dass er den neuen Glauben der Christen, bei dem nicht so sehr das Gesetz Gottes, sondern die Person des gekreuzigten und auferstandenen Christus im Mittelpunkt steht, als für den jüdischen Gottesglauben nicht annehmbar, sondern skandalös beurteilt hat.

Von daher hat er sich verpflichtet gesehen, die Anhänger Jesu Christi auch ausserhalb von Jerusalem zu verfolgen. Dies änderte sich blitzartig mit dem so genannten Erlebnis vor Damaskus, als Paulus Christus begegnet ist und von seinem Licht berührt worden ist. Von diesem Moment an hat er sich ganz auf die Seite des gekreuzigten und auferstandenen Christus und sein ganzes Leben in den Dienst der Verkündigung seines Evangeliums gestellt.

Dieser radikale Seitenwechsel im Leben des Paulus enthält auch für uns Menschen heute eine befreiende Botschaft: Wenn der auferstandene Christus den Christenverfolger Saulus sogar zu seinem Apostel berufen und ihm den neuen Namen Paulus gegeben hat, dann ist es evident, dass es bei Christus einfach keine hoffnungslosen Fälle gibt.

Mag ein Mensch noch so tief gefallen sein – er kann eigentlich nie tiefer fallen als in die ausgebreiteten Arme und auffangenden Hände Jesu Christi. Dass eine solche Begegnung mit dem auferstandenen Christus dann auch das Leben dieses Menschen von Grund auf verändern wird, ist freilich ebenso evident.

Was Paulus vor Damaskus erfahren hat, dies hat er nachher zum Inhalt seiner Verkündigung gemacht, nämlich die Gnade Gottes, die die Menschen einlädt, sich mit Gott, mit sich selbst und den anderen Menschen zu versöhnen. Paulus war dabei überzeugt, dass diese Botschaft nicht nur die Juden betreffen kann, dass sie vielmehr eine universale Bedeutung hat und alle Menschen angeht.

Denn der Gott, der sich ihm in Jesus Christus offenbart hat, ist Gott aller Menschen und der ganzen Schöpfung.

Paulus als Missionar

Hier zeigt sich der eigentliche Antrieb für die vielen Reisen, die Paulus unternommen hat und die ihn auch nach Europa geführt haben, wo Paulus in Mazedonien zum ersten Mal das Evangelium verkündet hat. Das tiefste Motiv seiner missionarischen Wirksamkeit bestand schlicht darin, dass er umsonst weiterschenken wollte, was er selbst umsonst empfangen hat.

Oder um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: „Die Liebe Christi drängt uns“ (2 Kor 5,14). Nur in dieser Liebe konnte Paulus den schwierigen und manchmal verzweifelten Situationen, denen er ausgesetzt war, entgegentreten.

Und nur in dieser Liebe war er auch zur Hingabe seines eigenen Lebens für den Glauben an Christus bereit. Dass das christliche Evangelium auch in unseren Breitengraden angekommen ist, so dass wir aus ihm leben dürfen, haben wir nicht unwesentlich dem Völkerapostel zu verdanken. Dieses dankbare Gedenken verpflichtet uns Christen freilich, dass wir auch heute unsere Mission wahrnehmen und das Evangelium in einem weithin neuheidnisch gewordenen Europa von neuem verkünden.

Solche neue Evangelisierung wird glaubwürdig nur gelingen können, wenn ihr eigentlicher Beweggrund – wie bei Paulus – die Liebe ist, die gerade nicht gelebt wird, um andere oder gar eigennützige Ziele zu erreichen, sondern die letztlich immer umsonst ist.

Von daher leuchtet das eigentliche Lebensgeheimnis des Paulus auf: Ihm kam es entscheidend darauf an, Jesus Christus in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen und ihn zu den Menschen zu tragen. Darin besteht die neue Ausrichtung seines Lebens nach der Bekehrungserfahrung vor Damaskus: Wer von Christus gerecht gemacht wird, dies heisst angenommen ist, lebt nicht mehr für sich selbst und seine eigene Gerechtigkeit. Er lebt vielmehr mit Christus, indem auch er sich selbst hingibt und am Schicksal Jesu Christi selbst Anteil gewinnt.

Oder mit den eigenen Worten des Paulus: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich jetzt aber noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,19b- 20).

Taufe als mystisches Geschehen

Mit diesen tiefen Worten hat Paulus umschrieben, was sich in der Taufe ereignet: Mit der Taufe wird der Täufling hinein genommen in die Bewegung Jesu Christi vom Tod zum Leben, die Paulus in der heutigen Lesung (Röm 5, 12-19) so eindringlich beschreibt. Die Taufe bedeutet in den Augen des Paulus einen radikalen Existenzwechsel von dem „fleischlichen“, der Sünde und dem Tod ausgelieferten Leben zum „geistlichen“, von Gottes Geist geleiteten Leben im Sinne der Befreiung zum wahren Sein.

Diese muss Gestalt gewinnen in einer radikalen Änderung der Lebensweise, die vor allem einschliesst, in Übereinstimmung und in persönlicher Freundschaft mit Christus zu leben.

Für Paulus ist die Taufe nicht einfach ein Sakrament, das rein äusserlich vollzogen werden könnte; es geht ihm vielmehr um eine innere Umwandlung des getauften Menschen. Paulus genügt es jedenfalls nicht, dass wir einfach Getaufte sind; für ihn ist es viel entscheidender, dass wir durch die Taufe „in Christus“ sind und mit ihm leben. Indem Paulus dieses gegenseitige Durchdrungensein von Christus und dem Getauften sehr stark hervorhebt, könnte man von einer sehr verinnerlichten, geradezu „mystischen“ Dimension in der paulinischen Sicht der Taufe sprechen.

An dieser tiefen Schau der Taufe könnten und sollten wir uns gerade in der pastoralen Situation von heute neu orientieren. Denn die Taufe kann nur dort an ihr Ziel kommen, wo sie in eine ganz persönliche Freundschaft mit Christus hinein führt. Diese zu vertiefen oder zu erneuern, ist auch der eigentliche Sinn der Österlichen Busszeit, die auf die Erneuerung unserer Taufversprechen in der Feier der Heiligen Osternacht zielt, dem allerwichtigsten Gottesdienst der christlichen Glaubensgemeinschaft im Kirchenjahr.

Christus und Kirche

Von daher kommt schliesslich neues Licht auf das Verhältnis des Paulus zur Kirche. Zunächst fällt auf, dass Paulus nicht auf dem gewöhnlichen Weg, nämlich durch die Kirche, zu Christus gekommen ist, wiewohl er vor der Begegnung mit Christus der Kirche begegnet ist.

Doch diese Begegnung war völlig kontraproduktiv; sie führte nicht zur Zustimmung, sondern zu heftiger Ablehnung und deshalb Verfolgung der Kirche. Erst das direkte Eingreifen Christi in das Leben des Paulus auf dem Weg nach Damaskus hat ihn zu seiner Zustimmung zur Kirche Jesu Christi geführt.

Dabei sticht im Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte in die Augen, dass sich Christus selbst mit der Kirche identifiziert, wenn er zu Paulus spricht: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ (Apg 9, 4).

Christus gibt damit dem Paulus zu verstehen, dass die Kirche zu verfolgen im Grunde bedeutet, Christus selbst zu verfolgen. Indem Paulus die Kirche verfolgte, verfolgte er zugleich Christus. Dies bedeutet natürlich auch umgekehrt, dass sich Paulus auf dem Weg nach Damaskus nicht nur zu Christus, sondern zugleich auch zu seiner Kirche bekehrt hat.

Diese Kirchenerfahrung des Paulus zeigt, dass man Christus und Kirche nicht voneinander trennen kann – wie ein Slogan vorgibt, der vor einigen Jahrzehnten Mode geworden ist und der besagt: „Jesus ja – Kirche nein“. Zwischen Christus und Kirche kann es aber keinen Widerspruch geben, und zwar trotz der vielen Sünden der Menschen, die die Kirche bilden.

Der Slogan „Jesus ja – Kirche nein“ ist folglich nicht christlich und entspricht auch nicht der Intention des Paulus. Diese wird vielmehr greifbar in seiner Lieblingsbezeichnung der Kirche als „Leib Christi“, dem alle Getauften zugehören und bei dem alle mitwirken zur Auferbauung der Kirche.

Die tiefste Wurzel dieser Vorstellung der Kirche als „Leib Christi“ liegt für Paulus dabei in der Eucharistie als dem Sakrament des Leibes Christi, in dem Christus uns seinen Leib schenkt und uns so sehr zu seinem kirchlichen Leib umwandelt, dass die Eucharistie der immer währende Entstehungsort der Kirche ist.

Denn alles kirchliche Leben geht von der Eucharistie aus und sammelt sich wieder um den Altar Jesu Christi herum.

Erneuerung des Christseins und der Kirche

Damit schliesst sich der Kreis: Paulus legt Wert darauf, dass er nicht durch eigene Anstrengung Christ und Apostel geworden ist, sondern durch eine persönliche Berufung durch Christus. Was er umsonst empfangen durfte, wollte er auch umsonst weitergeben, und dadurch ist er zum grossen Völkermissionar geworden.

Das tiefste Motiv für seine vielen Reisen war die Liebe, die er von Christus empfangen hat und an der die Taufe innigen Anteil schenkt. Von daher erkannte er stets tiefer, dass die Kirche der Leib Christi und deshalb berufen ist, Christus in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen und ihn zu den Menschen zu tragen.

In diesen grundlegenden Perspektiven erweist sich Paulus als ein glaubwürdiges Modell auch für unser heutiges Christsein und das Leben der Kirche. Nehmen wir das Paulusjahr als willkommenen Anlass, uns wieder einmal in die kostbaren Briefe des Paulus zu vertiefen. Und lassen wir uns in der kommenden Österlichen Busszeit auf unser eigenes Getauftsein ein, damit wir es in der Heiligen Osternacht erneuern können. Auf diesem Weg nach Ostern wünsche ich Ihnen herzlich alles Gute und den begleitenden Segen Gottes.


+ Kurt Koch
Bischof von Basel