Ein wahrer
„Diener der Diener Gottes“
Papst Benedikt XVI.
zeichnet sich durch intellektuelle und geistliche Tiefe aus
DT vom 21.04.2005
Von Armin Schwibach
Es ist
eine Freude, katholisch zu sein. Jedenfalls zeigten dies die
Hunderttausende, die am Petersplatz den weißen Rauch aufsteigen
sahen. Bei der ersten Schwingung der großen Glocke brach dann
diese Freude endgültig in einem einzigen Aufschrei aus. Der
Bischof Roms, der Nachfolger des Apostels Petrus, der
Stellvertreter Christi auf Erden ist gewählt, die Sorge um den
leeren Stuhl Petri beendet. Die Zeit der hoffnungsvollen
Erwartungen, die dem neu gewählten Pontifex entgegenkommen, hat
begonnen.
Aber
jetzt ist die Freude wichtig. Katholisch sein heißt auch gerade
dies: sich freuen zu können. An Weihnachten den fleischgewordenen
Sohn Gottes zu feiern, an Ostern den Auferstandenen anzubeten.
Eine Freude, die lacht im Bewusstsein, dass nach dem Jubel die
harte Arbeit beginnt oder weitergeht.
Benedikt heißt der neue Papst, der vor das in Rom versammelte Volk
und die Völker der Welt getreten ist. Benedictus – gebenedeit –
vom Guten her gesagt. In seinem gewählten Namen stellt der neue
Papst das Gute ins Zentrum seines Seins und seines Pontifikats.
Das Gute, zu dem zu streben ist, das es zu erringen gilt, das der
Auftrag für das wesentliche Menschsein jenseits von Bedingungen,
Einschränkungen und gewaltvoller Unterdrückung ist – dieses Gute,
das sich sagt, ankündigt und mit Kraft und Entschlossenheit
verkündet werden muss, ist das ausdrückliche Zentrum der Person
und des Pontifikats Benedikts XVI. Zu diesem Guten kann dann
gestrebt werden, wenn dessen Quelle in ihrer absoluten Wahrheit,
das heißt der Offenbarung Gottes in der Schöpfung, im
Heilsgeschehen der Fleischwerdung seiner in Christus und durch
dessen Vermittlung in der Kirche in radikaler Glaubwürdigkeit,
ohne Bangen und entschieden, zum „Programm“ eines sich erneuernden
Menschseins wird.
Gerade
deshalb ist Benedikt auch der Name eines Papstes, der den Frieden
als oberste Aufgabe für die Menschen sieht. Wer erinnert sich
nicht an den mühsamen Kampf seines Vorgängers Benedikt XV. gegen
die zerstörenden Mächte, die sich im Ersten Weltkrieg, dem letzten
Krieg der alten und dem ersten Krieg unserer modernen Zeit,
entfesselten? Heute wie vor fast neunzig Jahren ist der Frieden
höchstes Gebot. Der heilige Benedikt von Nursia ist aber auch der
Heilige Patron Europas, des Abendlandes, der Wiege der
katholischen Kirche. So gebietet der heilige Benedikt, im betenden
Arbeiten die Welt Gott zu nähern. Papst Benedikt XVI., oder wie er
sich selbst auf dem Balkon des Petersdoms bezeichnet hat, „der
demütige Arbeiter im Weingarten des Herrn“, zeichnet sich durch
jene betende Tiefe aus, die aus der abgründigen Nähe zu diesem
Gott heraus in Einheit von Vernunft und Glauben auf alle Menschen
zugeht und in den leidenschaftlichen Strom des Gottesgeschehens
hineinzieht.
Im
Blick des neuen Heiligen Vaters lebt der Geschmack Gottes und die
unerschütterliche Wirklichkeit der Gabe, der „gratia“ des
Glaubens. In Kontinuität mit seinem Vorgänger und geliebten und
geachteten Freund Johannes Paul II. ist er wahrer „servus servorum
Dei“ (Diener der Diener Gottes). Wie Joseph Ratzinger noch am
Montag sagte: „Wir sind Priester, um den anderen zu dienen“, „pro
hominibus constituti“, für die Menschen bestellt.
Es ist
gerade das dem heiligen Benedikt anvertraute Abendland, das sich
immer mehr mit seiner Identität auseinanderzusetzen hat. So
stellte Joseph Ratzinger im November 2004 fest: „Wir sind von
einer christlichen Kultur zu einem aggressiven und teilweise sogar
intoleranten Säkularismus übergegangen. Nichtsdestoweniger jedoch,
obwohl die Kirchen sich leeren und viele nicht mehr glauben
können, ist der Glaube nicht tot. Ich bin sicher, dass auch im
Kontext einer multikulturellen Gesellschaft mit ihren großen
Auseinandersetzungen der christliche Glaube ein wichtiger Faktor
bleibt, der in der Lage ist, dem Kontinent eine moralische und
kulturelle Kraft zu verleihen.“ Das Abendland hat einen gewissen
„fast pathologischen Hass gegen sich selbst zu überwinden“, um
wieder in der Lage zu sein, das wirklich Große, Wichtige und Reine
zu erkennen, ohne sich in den Verzweigungen der Nichtigkeiten, der
Verlassenheit und der Selbstvergessenheit zu verlieren.
Dem
Heiligen Vater ist die Sorge um Europa und das Abendland wichtig,
aber nicht einfach gegen andere weltkirchliche Situationen und
Problematiken, sondern gerade im Bewusstsein, dass diese
Situationen für das Selbstbewusstsein des Abendlandes eine große
Herausforderung darstellen. Aus dieser Herausforderung heraus
erwächst eine Pflicht der Reflexion, um den Sinn der wahren
Katholizität des Glaubens und der Kirche neu erstehen lassen zu
können. Benedikt XVI. sieht sich in das Erbe Johannes Pauls II.
gestellt, insofern „katholisch“ heute kein Gegensatzbegriff zu
anderem mehr ist, sondern sich in der Tat als „universal“ und
allumfassend darstellt. Das Katholische betrifft das allgemein
Menschliche, im Ausgang von der glaubensmäßigen Integrierung in
die Gestalt der Kirche, das sich von seiner göttlichen Herkunft
her bestimmt und so wahres und gutes Leben verwirklichen soll und
will. Dies ist ein Auftrag, gerade in einer „verweltlichten“ Welt,
die aus ihrer Lethargie, ihrem Vermeinen und ihrer Relativität
herauszuzerren ist.
So
erklärte der frühere Joseph Kardinal Ratzinger einmal: „Ich
unterscheide zwischen Säkularismus und säkularem Sein. Wenn dem so
ist, so ist es für mich sehr wichtig, einen individualistisch
missverstandenen Begriff der Freiheit zu überwinden. Es gibt da
einen Freiheitsbegriff, für den als Träger der Freiheit nur das
Subjekt, das Individuum existiert.
Es ist
dies der alte Traum, wie Gott zu sein. Dies ist jedoch von einem
anthropologischen Gesichtspunkt her falsch, da der Mensch ein
endliches Wesen ist, geschaffen, um mit anderen zusammenzuleben.
Seine Freiheit ist somit notwendig eine mit anderen geteilte
Freiheit, die die Freiheit für alle garantiert und also auf die
Verabsolutierung des Ich verzichtet. Wieder lernen, dass Freiheit
anthropologisch und soziologisch nur als mit anderen geteilte
Freiheit definiert ist, schließt das allgemeine Recht, die
Autorität ein. Es gibt den großen Irrtum, Freiheit in Kontrast zur
Autorität zu sehen.“
Hoffnungsträger aus einem Land der Spaltungen
Es ist
lange her, dass ein Deutscher zum Mittelpunkt der Hoffnungen der
ganzen Welt geworden ist. Und vielleicht ist es deshalb auch an
der Zeit, dass sich gerade die Deutschen wieder an die
Notwendigkeit der Tiefe und der unverfälschten Eigentlichkeit
erinnern. Es ist ein Zeichen der Wirksamkeit des Heiligen Geistes,
dass aus dem Land der weltlichen und kirchlichen Trennungen und
Spaltungen, aus dem Kernland der Modernität mit ihren nur allzu
oft katastrophalen Folgen, aus dem Land der Indifferenz, der
theologischen und praktischen Verwässerung des Glaubens sowie der
Lehre der Kirche die große Gestalt des Papstes Benedikt XVI.
hervorgehen durfte.
Am
Montag bat Joseph Ratzinger den Herrrn eindringlich darum, „dass
nach dem großen Johannes Paul II. er uns erneut einen Hirten
schenke, einen Hirten, der uns zur Erkenntnis Christi, zu seiner
Liebe, zur wahren Freude führt“. Dieser betende und sorgende Hirt
ist nun da.
Benedikt XVI. wird die Kirche und die Welt vor große
Herausforderungen stellen und es nicht zulassen, sich mit leicht
begehbaren Hintertreppen zu begnügen. Er wird der Christenheit
intellektuelle Redlichkeit und Aufrichtigkeit in Ehrlichkeit und
Kohärenz abfordern. Diese sind eingebettet im wahren Leben der
göttlichen Liebe, die den ganzen Menschen in all seinem Sein
betrifft und provoziert. Ein Leben, das nicht verzweifelt, das die
Zukunft nicht als Becken der Möglichkeiten erleidet, sondern sie
vor dem göttlichen Willen gestalten will.
Die in
dieser Zeitung heute wiedergegebene Predigt zur Eröffnung des
Konklaves hat in dieser Hinsicht programmatischen Wert, nein, mehr
noch: sie ist Kern eines theologischen, philosophischen und
spirituellen Programms. Die „päpstliche Revolution“ ist im Rollen.