Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 122
Brief
Papst Johannes Pauls II.
an die Frauen
29. Juni 1995
Herausgeber:
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
Kaiserstraße 163, 53113 Bonn
Euch, Frauen der ganzen
Welt,
gilt mein herzlicher Gruß!
1. An jede von
euch richte ich als Zeichen der Teilnahme und Dankbarkeit diesen Brief,
während die IV. Weltfrauenkonferenz näherrückt, die im September dieses
Jahres in Peking abgehalten wird.
Ich möchte vor allem der
Organisation der Vereinten Nationen gegenüber meine Hochachtung dafür zum
Ausdruck bringen, daß sie eine Initiative von so großer Bedeutung angeregt
hat. Auch die Kirche will ihren Beitrag zur Verteidigung der Würde, der
Rolle und der Rechte der Frauen anbieten, und das nicht allein durch die
besondere Mitwirkung der offiziellen Delegation des Heiligen Stuhls an den
Arbeiten in Peking, sondern auch dadurch, daß sie Herz und Verstand aller
Frauen direkt anspricht. Als mir die Generalsekretärin der Konferenz, Frau
Gertrude Mongella, angesichts dieses wichtigen Treffens unlängst einen
Besuch abstattete, habe ich ihr eine Botschaft überreicht, in der einige
grundlegende Punkte der diesbezüglichen Lehre der Kirche zusammengestellt
sind. Es ist eine Botschaft, die sich über den besonderen Anlaß hinaus,
der die Anregung dazu gab, einem allgemeineren Ausblick auf die
tatsächliche Lage und die Probleme der Frauen in ihrer Gesamtheit öffnet
und sich in den Dienst ihrer Sache in der Kirche und in der Welt von heute
stellt. Ich habe daher veranlaßt, daß sie allen Bischofskonferenzen
zugeleitet werde, um ihre größtmögliche Verbreitung sicherzustellen.
Indem ich auf das
zurückgreife, was ich in jenem Dokument schrieb, möchte ich mich nun
direkt an jede Frau wenden, um mit ihr über die Probleme und Aussichten
der Situation der Frau in unserer Zeit nachzudenken, wobei ich im
besonderen bei dem wesentlichen Thema Würde und Rechte der Frauen im
Lichte des Wortes Gottes verweilen will.
Ausgangspunkt für diesen
gedanklichen Dialog muß der Dank sein. Die Kirche - so schrieb ich in dem
Apostolischen Schreiben Mulieris dignitatem - "möchte der Heiligsten
Dreifaltigkeit Dank sagen für das ,Geheimnis der Frau' und für jede Frau,
für das, was das ewige Maß ihrer weiblichen Würde ausmacht, für ,Gottes
große Taten', die im Verlauf der Generationen von Menschen in ihr und
durch sie geschehen sind" ( Nr. 31).
2. Der
Dank an den Herrn für seinen Plan bezüglich der Berufung und Sendung der
Frau in der Welt wird auch zu einem konkreten und unmittelbaren Dank an
die Frauen, an jede Frau, für das, was sie im Leben der Menschheit
darstellt.
Dank sei dir, Frau als
Mutter, die du dich in der Freude und im Schmerz einer einzigartigen
Erfahrung zum Mutterschoß des Menschen machst, die du für das Kind, das
zur Welt kommt, zum Lächeln Gottes wirst, die du seine ersten Schritte
lenkst, es bei seinem Heranwachsen betreust und zum Bezugspunkt auf seinem
weiteren Lebensweg wirst.
Dank sei dir, Frau als
Braut, die du dein Schicksal unwiderruflich an das eines Mannes bindest,
in einer Beziehung gegenseitiger Hingabe im Dienst an der Gemeinsamkeit
und am Leben.
Dank sei dir, Frau als
Tochter und Frau als Schwester, die du in die engere Familie und dann in
das gesamte Leben der Gesellschaft den Reichtum deiner Sensibilität,
deiner intuitiven Wahrnehmung, deiner Selbstlosigkeit und deiner
Beständigkeit einbringst.
Dank sei dir, berufstätige
Frau, die du dich in allen Bereichen des sozialen, wirtschaftlichen,
kulturellen, künstlerischen und politischen Lebens engagierst, für deinen
unverzichtbaren Beitrag zum Aufbau einer Kultur, die Vernunft und Gefühl
zu verbinden vermag, zu einem Verständnis vom Leben, das stets offen ist
für den Sinn des "Geheimnisses", zur Errichtung wirtschaftlicher und
politischer Strukturen, die mehr Menschlichkeit aufweisen.
Dank sei dir, Frau im
Ordensstand, die du dich nach dem Vorbild der größten aller Frauen, der
Mutter Christi, des fleischgewordenen Wortes, in Fügsamkeit und Treue der
Gottesliebe öffnest und so der Kirche und der ganzen Menschheit hilfst,
Gott gegenüber eine "bräutliche" Antwort zu leben, die auf wunderbare
Weise Ausdruck der Gemeinschaft ist, die er zu seinem Geschöpf herstellen
will.
Dank sei dir, Frau, dafür,
daß du Frau bist! Durch die deinem Wesen als Frau eigene
Wahrnehmungsfähigkeit bereicherst du das Verständnis der Welt und trägst
zur vollen Wahrheit der menschlichen Beziehungen bei.
3. Aber
mit dem Dank ist es nicht getan, das weiß ich. Wir sind leider Erben einer
Geschichte enormer Konditionierungen, die zu allen Zeiten und an jedem Ort
den Weg der Frau erschwert haben, die in ihrer Würde verkannt, in ihren
Vorzügen entstellt, oft ausgegrenzt und sogar versklavt wurde. Das hat sie
daran gehindert, wirklich sie selbst zu sein, und hat die ganze Menschheit
um echte geistige Reichtümer gebracht. Es wäre sicher nicht leicht, klare
Schuldzuweisungen vorzunehmen, wenn man an die Macht der kulturellen
Ablagerungen denkt, die im Laufe der Jahrhunderte Denkweisen und
Institutionen geformt haben. Aber wenn es dabei, besonders im Rahmen
bestimmter geschichtlicher Kontexte, auch bei zahlreichen Söhnen der
Kirche zu Fällen objektiver Schuld gekommen ist, bedauere ich das
aufrichtig. Dieses Bedauern übertrage sich auf die ganze Kirche in einem
Bemühen um erneuerte Treue zu der Inspiration aus dem Evangelium, das
gerade zu dem Thema von der Befreiung der Frauen von jeder Form von
Mißbrauch und Vorherrschaft eine Botschaft von unvergänglicher Aktualität
bereithält, die der Haltung Christi selbst entspringt. Indem er sich über
die in der Kultur seiner Zeit geltenden Vorschriften hinwegsetzte, nahm er
den Frauen gegenüber eine Haltung der Öffnung, der Achtung, der Annahme
und der Zuneigung an. Auf diese Weise ehrte er in der Frau die Würde, die
sie seit jeher im Plan und in der Liebe Gottes besitzt. Wenn wir am Ende
dieses zweiten Jahrtausends auf ihn blicken, stellt sich uns unwillkürlich
die Frage: Wieviel von seiner Botschaft ist angenommen und verwirklicht
worden?
Jawohl, es ist Zeit, mit
dem Mut zur Erinnerung und mit dem offenen Eingeständnis der Verantwortung
auf die lange Geschichte der Menschheit zu blicken, zu der die Frauen, und
zumeist unter viel ungünstigeren Bedingungen, einen Beitrag geleistet
haben, der dem der Männer nicht nachsteht. Ich denke im besonderen an die
Frauen, die die Kultur und die Kunst geliebt und sich ihnen gewidmet
haben, obwohl sie von der Ausgangslage her benachteiligt, oft von einer
gleichwertigen Erziehung ausgeschlossen, der Unterbewertung, Verkennung
und sogar Aberkennung ihres intellektuellen Beitrags ausgesetzt waren. Von
dem vielfältigen Wirken der Frauen in der Geschichte hat sich leider mit
den Mitteln der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung sehr wenig
feststellen lassen. Zum Glück kann man allerdings, auch wenn die Zeit die
belegbaren Spuren dieses Wirkens zugedeckt hat, seines heilsamen
Einfließens in den Lebenssaft gewahr werden, der das Sein der einander
ablösenden Generationen bis herauf zu uns ausmacht. Hinsichtlich dieser
großen, ungeheuren "Überlieferung" durch die Frauen hat die Menschheit
eine unermeßliche Schuld. Wie viele Frauen wurden und werden noch immer
mehr nach dem physischen Aussehen bewertet als nach ihrer Sachkenntnis,
ihrer beruflichen Leistung, nach den Werken ihrer Intelligenz, nach dem
Reichtum ihrer Sensibilität und schließlich nach der ihrem Sein und Wesen
eigenen Würde!
4. Und was
soll man zu den Hindernissen sagen, die in vielen Teilen der Welt den
Frauen noch immer die volle Einbeziehung in das gesellschaftliche,
politische und wirtschaftliche Leben verwehren? Man denke nur daran, wie
das Geschenk der Mutterschaft, dem doch die Menschheit ihr eigenes
Überleben verdankt, oft eher bestraft als belohnt wird. Es ist sicher noch
viel zu tun, damit das Dasein als Frau und Mutter keine Diskriminierung
beinhaltet. Es ist dringend geboten, überall die tatsächliche Gleichheit
der Rechte der menschlichen Person zu erreichen, und das heißt gleichen
Lohn für gleiche Arbeit, Schutz der berufstätigen Mutter, gerechtes
Vorankommen in der Berufslaufbahn, Gleichheit der Eheleute im
Familienrecht und die Anerkennung von allem, was mit den Rechten und
Pflichten des Staatsbürgers in einer Demokratie zusammenhängt.
Es handelt sich um einen
Akt der Gerechtigkeit, aber auch um eine Notwendigkeit. Die anstehenden,
sehr ernsten Probleme werden in der Politik der Zukunft in immer stärkerem
Maß die Miteinbeziehung der Frau erleben: Freizeit, Lebensqualität,
Wanderbewegungen, soziale Dienste, Euthanasie, Drogen, Gesundheitswesen
und Fürsorge, Ökologie usw. Für alle diese Bereiche wird sich eine
stärkere soziale Präsenz der Frau als wertvoll erweisen, denn sie wird
dazu beitragen, die Widersprüche einer Gesellschaft herauszustellen, die
auf bloßen Kriterien der Leistung und Produktivität aufgebaut ist, und sie
wird auf eine Neufassung der Systeme dringen zum großen Vorteil der
Humanisierungsprozesse, in denen sich der Rahmen für die "Zivilisation der
Liebe" abzeichnet.
5. Wie
könnten wir, wenn wir sodann auf einen der heikelsten Aspekte der
Situation der Frau in der Welt blicken, die lange und erniedrigende -
häufig freilich "untergründige" - Geschichte der im Bereich der Sexualität
gegenüber Frauen verübten Gewalttätigkeiten unerwähnt lassen? An der
Schwelle zum dritten Jahrtausend können wir diesem Phänomen gegenüber
nicht gleichgültig bleiben und resignieren. Es ist an der Zeit, die Formen
sexueller Gewalt, deren Objekt nicht selten die Frauen sind, nachdrücklich
zu verurteilen und geeignete gesetzliche Mittel zur Verteidigung
hervorzubringen. Im Namen der Achtung der menschlichen Person müssen wir
außerdem Anklage erheben gegen die verbreitete, von Genußsucht und
Geschäftsgeist bestimmte Kultur, die die systematische Ausbeutung der
Sexualität fördert, indem sie auch Mädchen im jungen Alter dazu anhält, in
die Fänge der Korruption zu geraten und sich für die Vermarktung ihres
Körpers herzugeben.
Wieviel Hochachtung
verdienen angesichts solcher Entartungen hingegen die Frauen, die mit
heroischer Liebe zu ihrem Kind eine Schwangerschaft austragen, die durch
das Unrecht ihnen gewaltsam aufgezwungener sexueller Beziehungen zustande
gekommen ist; was nicht nur im Rahmen der Greueltaten vorkommt, die sich
leider im Zusammenhang mit den auf der Welt noch immer so häufigen Kriegen
ereignen, sondern auch in Situationen des Wohlstandes und des Friedens,
die oft durch eine Kultur eines hedonistischen Permissivismus verdorben
sind, in dem nur allzu leicht auch Tendenzen eines aggressiven Männertums
gedeihen. Unter solchen Umständen ist die Entscheidung zur Abtreibung, die
freilich immer eine schwere Sünde bleibt, eher ein Verbrechen, das dem
Mann und der Mitwirkung des Umfeldes anzulasten ist, als eine den Frauen
aufzuerlegende Schuld.
6. Mein
Dank an die Frauen wird daher zum eindringlichen Appell, von seiten aller
und besonders seitens der Staaten und der internationalen Institutionen
alles Notwendige zu tun, um den Frauen die volle Achtung ihrer Würde und
ihrer Rolle wiederzugeben. In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin,
meine Bewunderung für die Frauen guten Willens zu bekunden, die sich der
Verteidigung der Würde des Standes der Frau durch die Erringung
gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Grundrechte gewidmet
und diese mutige Initiative zu einer Zeit ergriffen haben, in der dieser
ihr Einsatz als eine Übertretung, als Zeichen mangelnder Fraulichkeit, als
großtuerisches Gehabe, ja als Sünde angesehen wurde!
Wie ich in der Botschaft
zum Weltfriedenstag dieses Jahres mit Blick auf diesen großartigen
Befreiungsprozeß der Frau schrieb, kann man sagen, "es war ein schwieriger
und komplizierter Weg, nicht immer frei von Irrtümern, aber im
wesentlichen ein positiver Weg, auch wenn er nochp>unvollendet ist auf
Grund der vielen Hindernisse, die in verschiedenen Teilen der Welt im Wege
stehen, daß die Frau in ihrer besonderen Würde anerkannt, geachtet und
aufgewertet wird" (Nr. 4).
Es gilt, auf diesem Weg
weiterzugehen! Ich bin jedoch überzeugt, daß das Geheimnis, um rasch den
Weg zur vollen Achtung der Identität der Frau zu Ende zu gehen, nicht nur
über die, wenn auch notwendige, Anprangerung von Verbrechen und
Ungerechtigkeiten führt, sondern auch und vor allem über einen ebenso
wirksamen wie wohldurchdachten Förderungsplan, der alle Bereiche des
Lebens der Frau betrifft, angefangen bei einer erneuerten und universalen
Bewußtmachung der Würde der Frau. Auf die Anerkennung dieser Würde bringt
uns trotz der vielfältigen historischen Konditionierungen die Vernunft
selbst, die das jedem Menschen ins Herz geschriebene Gesetz Gottes erfaßt.
Aber vor allem das Wort Gottes erlaubt uns, mit aller Klarheit das
grundlegende anthropologische Fundament der Würde der Frau zu erkennen,
das wir in Gottes Plan für die Menschheit ausmachen können.
7. Laßt
mich daher, liebe Schwestern, zusammen mit euch noch einmal über den
wunderbaren Bibelabschnitt meditieren, der die Erschaffung des Menschen
schildert und soviel über eure Würde und eure Sendung in der Welt aussagt.
Das Buch Genesis spricht
von der Schöpfung in zusammenfassender Form und in poetischer und
symbolischer, aber zutiefst wahrer Sprache: "Gott schuf also den Menschen
als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf
er sie" (Gen 1,27). Der Schöpfungsakt Gottes erfolgt nach einem genauen
Plan. Zunächst wird gesagt, daß der Mensch geschaffen wird "als Abbild
Gottes, ihm ähnlich" (vgl. Gen 1,26), eine Formulierung, die sogleich die
Besonderheit des Menschen im gesamten Schöpfungswerk klarstellt.
Dann heißt es, daß er schon
am Anfang als "Mann und Frau" (Gen 1,27) geschaffen wurde. Die Heilige
Schrift liefert selber die Auslegung dieser Angabe: der Mensch, wenngleich
umgeben von den zahllosen Geschöpfen der sichtbaren Welt, wird sich
bewußt, daß er allein ist (vgl. Gen 2,20). Gott greift ein, um ihm aus
dieser Lage der Einsamkeit herauszuhelfen: "Es ist nicht gut, daß der
Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht"
(Gen 2,18). Der Erschaffung der Frau ist also von Anfang an das Prinzip
der Hilfe zugeordnet, nicht - man beachte - einseitige Hilfe, sondern
gegenseitige. Die Frau ist die Ergänzung des Mannes, wie der Mann die
Ergänzung der Frau ist: Frau und Mann ergänzen sich gegenseitig. Die
Weiblichkeit verwirklicht das "Menschliche" ebenso wie die Männlichkeit,
aber mit einer andersgearteten und ergänzenden Ausgestaltung.
Wenn die Genesis von
"Hilfe" spricht, bezieht sie sich nicht nur auf den Bereich des Tuns,
sondern auch auf den des Seins. Weiblichkeit und Männlichkeit ergänzen
einander nicht nur unter physischem und psychischem, sondern unter
ontologischem Gesichtspunkt. Nur dank der Dualität von "männlich" und
"weiblich" verwirklicht sich das "Menschliche" voll.
8. Nachdem
er den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, sagt Gott zu beiden:
"Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch" (Gen 1,28). Er verleiht ihnen
nicht nur die Fähigkeit zur Fortpflanzung, damit das Menschengeschlecht in
der Zeit fortbesteht, sondern er vertraut ihnen auch die Erde als Aufgabe
an, indem er sie verpflichtet, deren Ressourcen verantwortungsvoll zu
verwalten. Der Mensch ist als vernunftbegabtes und freies Wesen
aufgerufen, das Gesicht der Erde zu verändern. Für diese Aufgabe, die im
wesentlichen Kulturarbeit ist, tragen von Anfang an sowohl der Mann wie
die Frau gleiche Verantwortung. In ihrer bräutlichen und fruchtbaren
Gegenseitigkeit, in ihrer gemeinsamen Aufgabe, die Erde zu beherrschen und
zu unterwerfen, spiegeln die Frau und der Mann nicht eine statische und
nivellierende Gleichheit, aber auch nicht einen abgrundtiefen Unterschied
und unerbittlichen Konflikt wider: ihre natürlichste, dem Plan Gottes
entsprechende Beziehung ist die "Einheit der zwei", das heißt eine auf
Beziehung angelegte "Einheit in der Zweiheit", die einen jeden die
wechselseitige Beziehung zwischen den Personen als ein bereicherndes und
sie mit Verantwortung ausstattendes Geschenk empfinden läßt.
Dieser "Einheit der zwei"
wurde von Gott nicht nur das Werk der Fortpflanzung und das Leben der
Familie anvertraut, sondern der eigentliche Aufbau der Geschichte. Wenn
während des internationalen Jahres der Familie, das 1994 abgehalten wurde,
die Aufmerksamkeit der Frau als Mutter galt, so läßt es der Anlaß der
Pekinger Konferenz angebracht erscheinen, erneut den vielfältigen Beitrag
bewußt zu machen, den die Frau für das Leben ganzer Gesellschaften und
Nationen leistet. Es ist ein Beitrag vor allem geistig-kultureller, aber
auch gesellschaftlich-politischer und ökonomischer Natur. Wirklich viel zu
verdanken haben dem Beitrag der Frau die verschiedenen Bereiche der
Gesellschaft, die Staaten, die nationalen Kulturen und, alles in allem,
der Fortschritt der ganzen Menschheit!
9.
Normalerweise wird der Fortschritt nach wissenschaftlichen und technischen
Kategorien bewertet, und auch unter diesem Gesichtspunkt fehlt der Beitrag
der Frau nicht. Doch das ist nicht die einzige, ja nicht einmal die
wichtigste Dimension des Fortschritts. Wichtiger erscheint die
ethisch-soziale Dimension, die die menschlichen Beziehungen und die Werte
des Geistes betrifft: was diese Dimension betrifft, die sich, angefangen
von den Alltagsbeziehungen zwischen den Personen, besonders innerhalb der
Familie, oft ohne alles Aufsehen, entfaltet, ist die Gesellschaft dem
"Genius der Frau" gegenüber in weiten Teilen Schuldnerin.
In diesem Zusammenhang
möchte ich den Frauen einen besonderen Dank aussprechen, die über die
Familie hinaus in den verschiedenen Bereichen der Erziehungsarbeit tätig
sind: in Kindergärten, Schulen, Universitäten, Fürsorgeeinrichtungen,
Pfarreien, Vereinen und Bewegungen. Überall, wo das Erfordernis einer
Bildungs- und Erziehungsarbeit besteht, kann man die enorme Bereitschaft
der Frauen feststellen, sich in den menschlichen Beziehungen zu
verausgaben, besonders für die Schwächsten und Schutzlosesten. Bei dieser
Arbeit verwirklichen sie so etwas wie eine gefühlsmäßige, kulturelle und
geistige Mutterschaft, die wegen ihrer Wirkung auf die Entwicklung der
Person und die Zukunft der Gesellschaft von wahrhaft unschätzbarem Wert
ist. Und wie könnte man hier das Zeugnis so vieler katholischer Frauen und
so vieler weiblicher Ordensgemeinschaften unerwähnt lassen, die in den
verschiedenen Kontinenten insbesondere die Erziehung der Kinder, Mädchen
und Jungen, zu ihrem hauptsächlichen Dienst gemacht haben? Muß man nicht
mit dankbarem Herzen auf all die Frauen blicken, die an der Front des
Gesundheitsdienstes gearbeitet haben und weiter arbeiten, und das nicht
nur im Rahmen oft gut organisierter Gesundheitseinrichtungen, sondern oft
unter sehr mißlichen Umständen, in den ärmsten Ländern der Welt, und damit
ein Zeugnis von Verfügbarkeit geben, das nicht selten an das Martyrium
grenzt?
10.
Daher, liebe Schwestern, ist es mein Wunsch, daß mit besonderer
Aufmerksamkeit über das Thema "Genius der Frau" nachgedacht werde, nicht
nur um darin die Züge eines genauen Planes Gottes zu erkennen, der
angenommen und eingehalten werden muß, sondern auch um ihm im gesamten
Leben der Gesellschaft, auch dem kirchlichen, mehr Raum zu geben. Auf
dieses Thema, das ich allerdings schon anläßlich des Marianischen Jahres
aufgegriffen hatte, konnte ich in dem schon erwähnten, 1988
veröffentlichten Apostolischen Schreiben Mulieris dignitatem ausführlich
eingehen. In diesem Jahr wollte ich dann in dem Brief, den ich
gewohnterweise zum Gründonnerstag an die Priester sende, eine gedankliche
Verbindung zu Mulieris dignitatem herstellen, als ich sie einlud, über die
wichtige Rolle nachzudenken, die in ihrem Leben die Frau als Mutter, als
Schwester und als Mitarbeiterin in der Apostolatsarbeit spielt. Das ist
eine andere Dimension - verschieden von der ehelichen, aber gleichfalls
wichtig - jener "Hilfe", die nach der Genesis die Frau dem Mann leisten
soll.
Die Kirche sieht in Maria
den erhabensten Ausdruck des "Genius der Frau" und findet in ihr eine
Quelle nicht versiegender Inspiration. Maria hat sich als "Magd des Herrn"
bezeichnet (Lk 1,38). Aus Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes hat sie ihre
bevorzugte, aber alles andere als leichte Berufung einer Braut und Mutter
der Familie von Nazaret angenommen. Dadurch, daß sie sich in den Dienst
Gottes stellte, stellte sie sich auch in den Dienst der Menschen: ein
Liebesdienst. Dieser Dienst hat es ihr ermöglicht, in ihrem Leben die
Erfahrung einer geheimnisvollen, aber echten "Herrschaft" zu
verwirklichen. Nicht zufällig wird sie als "Königin des Himmels und der
Erde" angerufen. So ruft sie die ganze Gemeinschaft der Gläubigen an,
viele Nationen und Völker rufen sie als "Königin" an. Ihre "Herrschaft"
ist Dienst! Ihr Dienst ist "Herrschaft"!
So sollte die Autorität
sowohl in der Familie wie in der Gesellschaft und in der Kirche verstanden
werden. Das "Herrschen" offenbart die wesentliche Berufung des Menschen,
der geschaffen ist nach dem "Bild" dessen, der Herr des Himmels und der
Erde ist, und dazu berufen, in Christus Gottes Adoptivkind zu sein. Der
Mensch ist auf Erden die einzige "von Gott um ihrer selbst willen gewollte
Kreatur", wie das II. Vatikanische Konzil lehrt, das bezeichnenderweise
hinzufügt, daß der Mensch "sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe
seiner selbst vollkommen finden kann" (Gaudium et spes, 24).
Darin besteht die
mütterliche "Herrschaft" Mariens. Da sie mit ihrem ganzen Sein Hingabe für
den Sohn gewesen war, wird sie auch zur Hingabe für die Söhne und Töchter
des ganzen Menschengeschlechts, indem sie das tiefe Vertrauen dessen
weckt, der sich an sie wendet, um sich auf den schwierigen Pfaden des
Lebens zu seiner endgültigen, transzendenten Bestimmung geleiten zu
lassen. Dieses Endziel erreicht ein jeder über die Etappen seiner
Berufung, ein Ziel, das dem zeitlich-irdischen Einsatz sowohl des Mannes
wie der Frau die Richtung weist.
11. Vor
diesem Horizont des "Dienstes" - der, wenn er in Freiheit, Gegenseitigkeit
und Liebe erbracht wird, das wahre "Königtum" des Menschen zum Ausdruck
bringt - ist es möglich, ohne nachteilige Folgen für die Frau auch einen
gewissen Rollenunterschied anzunehmen, insofern dieser Unterschied nicht
das Ergebnis willkürlicher Auflagen ist, sondern sich aus der besonderen
Eigenart des Mann- und Frauseins ergibt. Es handelt sich hier um eine
Thematik mit einer spezifischen Anwendung auch auf den innerkirchlichen
Bereich. Wenn Christus - in freier und souveräner Entscheidung, die im
Evangelium und in der ständigen kirchlichen Überlieferung gut bezeugt ist
- nur den Männern die Aufgabe übertragen hat, durch die Ausübung des
Amtspriestertums "Ikone" seines Wesens als "Hirt" und als "Bräutigam" der
Kirche zu sein, so tut das der Rolle der Frauen keinen Abbruch, wie
übrigens auch nicht jener der anderen Mitglieder der Kirche, die nicht das
Priesteramt innehaben, sind doch alle in gleicher Weise mit der Würde des
"gemeinsamen Priestertums" ausgestattet, das in der Taufe seine Wurzeln
hat. Diese Rollenunterscheidungen dürfen nämlich nicht im Lichte der
funktionellen Regelungen der menschlichen Gesellschaften ausgelegt werden,
sondern mit den spezifischen Kriterien der sakramentalen Ordnung, das
heißt jener Ordnung von "Zeichen", die von Gott frei gewählt wurden, um
sein Gegenwärtigsein unter den Menschen sichtbar zu machen.
Im übrigen kommt gerade im
Rahmen dieser Ordnung von Zeichen, wenn auch außerhalb des sakramentalen
Bereiches, dem nach dem erhabenen Vorbild Mariens gelebten "Frausein"
keine geringe Bedeutung zu. Denn im "Frausein" der gläubigen und ganz
besonders der "gottgeweihten" Frau gibt es eine Art immanentes
"Prophetentum" (vgl. Mulieris dignitatem, 29), einen sehr beschwörenden
Symbolismus, man könnte sagen,p>eine bedeutungsträchtige
"Abbildhaftigkeit", die sich in Maria voll verwirklicht und mit der
Absolutheit eines "jungfräulichen" Herzens, um "Braut" Christi und
"Mutter" der Gläubigen zu sein, das Wesen der Kirche als heilige
Gemeinschaft treffend zum Ausdruck bringt. In dieser Sicht "abbildhafter"
gegenseitiger Ergänzung der Rollen des Mannes und der Frau werden zwei
unumgängliche Dimensionen der Kirche besser herausgestellt: das
"marianische" und das "apostolisch-petrinische" Prinzip (vgl. ebd., 27).
Andererseits ist - daran
erinnerte ich die Priester in dem erwähnten Gründonnerstagsbrief dieses
Jahres - das Amtspriestertum im Plan Christi "nicht Ausdruck von
Herrschaft, sondern von Dienst" (Nr. 7). Es ist die dringende Aufgabe der
Kirche bei ihrer täglichen Erneuerung im Lichte des Wortes Gottes, dies
immer klarer zu machen, sei es bei der Entwicklung des
Gemeinschaftsgeistes und bei der sorgfältigen Förderung aller typisch
kirchlichen Mittel der Teilnahme, sei es durch die Achtung und Aufwertung
der unzähligen persönlichen und gemeinschaftlichen Charismen, die der
Geist Gottes zum Aufbau der christlichen Gemeinschaft und zum Dienst an
den Menschen weckt.
In diesem weiten Raum des
Dienstes hat die Geschichte der Kirche in diesen zweitausend Jahren trotz
vieler Konditionierungen wahrhaftig den "Genius der Frau" kennengelernt,
wenn sie aus ihrer Mitte Frauen von erstrangiger Größe hervorgehen sah,
die in der Zeit ihre tiefe und heilsame Prägung hinterlassen haben. Ich
denke an die lange Reihe von Märtyrerinnen, von Heiligen, von
außergewöhnlichen Mystikerinnen. Ich denke in besonderer Weise an die
heilige Katharina von Siena und die heilige Theresia von Avila, der Papst
Paul VI. seligen Angedenkens den Titel einer Kirchenlehrerin zugesprochen
hat. Und wie wäre hier sodann nicht an zahlreiche Frauen zu erinnern, die
auf Antrieb ihres Glaubens Initiativen ins Werk gesetzt haben von
außerordentlicher sozialer Bedeutung im Dienst vor allem der Ärmsten? Die
Zukunft der Kirche im dritten Jahrtausend wird es gewiß nicht versäumen,
neue und wunderbare Äußerungen des "Genius der Frau" festzustellen.
12. Ihr
seht also, liebe Schwestern, wie viele Beweggründe die Kirche für ihren
Wunsch hat, daß auf der bevorstehenden, von den Vereinten Nationen in
Peking ausgerichteten Konferenz die volle Wahrheit über die Frau zutage
treten möge. Man möge wirklich den "Genius der Frau" gebührend
hervorheben, indem nicht nur die großen und berühmten Frauen der
Vergangenheit oder unserer Zeit berücksichtigt werden, sondern auch jene
einfachen Frauen, die ihr Talent als Frau in der Nomalität des Alltags im
Dienst an den anderen zum Ausdruck bringen. Denn besonders in ihrer
Hingabe an die anderen im tagtäglichen Leben begreift die Frau die tiefe
Berufung ihres Lebens, sie, die vielleicht noch mehr als der Mann den
Menschen sieht, weil sie ihn mit dem Herzen sieht. Sie sieht ihn
unabhängig von den verschiedenen ideologischen oder politischen Systemen.
Sie sieht ihn in seiner Größe und in seinen Grenzen und versucht, ihm
entgegenzukommen und ihm eine Hilfe zu sein. Auf diese Weise verwirklicht
sich in der Geschichte der Menschheit der grundlegende Plan des Schöpfers
und tritt in der Vielfalt der Berufe und Berufungen unaufhörlich die -
nicht nur physische, sondern vor allem geistige - Schönheit zutage, mit
der Gott von Anfang an die menschliche Kreatur und im besonderen die Frau
beschenkt hat.
Während ich dem Herrn im
Gebet den guten Ausgang der wichtigen Tagung von Peking anvertraue, lade
ich die Gemeinschaft der Kirche ein, das laufende Jahr zum Anlaß zu nehmen
für eine aufrichtige Danksagung an den Schöpfer und Erlöser der Welt für
das Geschenk eines so großen Gutes, wie es das Frausein ist: es gehört in
seinen vielfältigen Ausdrucksformen zum grundlegenden Erbe der Menschheit
und der Kirche.
Maria, Königin der Liebe,
wache über die Frauen und über ihre Sendung im Dienst an der Menschheit,
am Frieden und an der Ausbreitung des Reiches Gottes!
Mit meinem Segen.
Aus dem Vatikan, am 29.
Juni 1995, dem Hochfest der Apostel Petrus und Paulus.
Johannes Paul II
Dem Netz zur Verfügung gestellt durch
Christoph
Overkott und
Michael
Olteanu.
|
|
|