Brief des
Papstes Johannes Paul II ging an alle Kardinäle
Papst Johannes Paul II. hat das Wirken der
katholischen Kirche in Deutschland gewürdigt und gleichzeitig fehlerhafte
Entwicklungen in der Ökumene, in der Ausbildung von Theologen und in der
Zusammenarbeit von Priestern und Laien beklagt. In einem anlässlich der
jüngsten Kardinalsernennungen an alle deutschen Kardinäle persönlich
gerichteten Schreiben appelliert das Kirchenoberhaupt an die Bischöfe,
rechtzeitige und wirkungsvolle Maßnahmen gegen Fehlentwicklungen zu
ergreifen und die Einheit der Kirche in Deutschland mit Papst und
Weltkirche zu wahren. Die Katholische Nachrichten-Agentur dokumentiert den
sieben Seiten umfassenden Brief, der das Datum vom 22. Februar, dem Tag
der Kreierung der 44 neuen Kardinäle, trägt. Der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hatte den Text in der
vergangenen Woche bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz
allen Bischöfen zur Kenntnis gegeben:
Verehrter lieber Bruder!
1. Die Berufung von vier weiteren herausragenden Kirchenmännern aus
Deutschland in das Kardinalskollegium hat die deutschen Purpurträger
innerhalb des Senates des Papstes zu einer stattlichen Gruppe gemacht.
Sicherlich haben Sie verstanden, was mich zu diesen Ernennungen bewogen
hat: Ich wollte auch auf diese Weise meine Dankbarkeit und Anerkennung für
die Verdienste zum Ausdruck bringen, die jedem einzelnen der neuen
Kardinäle zukommen. Gleichzeitig wollte ich meine herzliche Wertschätzung
bekunden, die ich für die ganze Kirche hege, die in Ihrem Land lebt und
wirkt. Ich weiß um den unermüdlichen Einsatz, mit dem Sie, verehrter
Bruder, sich in diesen schwierigen Zeiten Tag für Tag den pastoralen
Aufgaben widmen, die Ihnen anvertraut sind. Ich bin mir sicher, dass die
Erhebung in die Kardinalswürde für Sie ein weiterer Anstoß ist, sich im
Zeugnis für Christus und sein Evangelium hochherzig einzusetzen. Zugleich
anerkenne ich, dass die Kirche in Deutschland im Hinblick auf ihr Wirken
dynamisch ist und sich in wahrhaft rühmenswerter Weise um die Brüder und
Schwestern in Not sorgt.
Wir haben vor kurzem das Große Jubiläum beschlossen, in dem die Kirche neu
erfahren hat, dass der Auferstandene in ihr lebendig gegenwärtig ist.
'Jetzt gilt es, die empfangene Gnade zu beherzigen und sie in eifrige
Vorsätze und konkrete Maßstäbe zum Handeln umzusetzen' (Novo millennio
ineunte, 3). Gerade in diesem Horizont möchte ich Ihnen, Herr Kardinal,
einige Gedanken vorlegen, die in diesen Monaten in mir gereift sind. Die
Probleme, die die Gläubigen in Deutschland angehen müssen, sind im
Wesentlichen jene, die man ebenso in anderen europäischen Ländern
antrifft. Doch es gibt auch örtliche Eigenheiten, die es nötig machen,
dass die Hirten sowohl im Wissen darum als auch im Handeln an einem Strang
ziehen, um rechtzeitig und wirkungsvoll pastorale Maßnahmen zu ergreifen.
2. Dankbar stelle ich fest, dass die Kirche in Ihrem Land eine solide
organisatorische Struktur besitzt und durch eine Vielzahl von
Einrichtungen im öffentlichen Leben präsent ist. Zugleich ist nicht zu
übersehen, dass sich immer mehr Menschen vom aktiven Glaubensleben
zurückziehen oder nur noch Teile des Evangeliums und der kirchlichen Lehre
annehmen. Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung und der damit
verbundene Glaubensschwund
droht die Kirche von innen her auszuhöhlen, so dass sie zwar nach außen
hin stark erscheint, aber innerlich kraftloser wird und auch an
Glaubwürdigkeit verliert. Ich möchte Sie deshalb bitten, Ihre vielfältigen
Gaben in erster Linie dafür einzusetzen, dass der katholische Glaube in
seiner Fülle und Schönheit mit neuem Elan verkündet wird. Ein besonderes
Augenmerk ist dabei auf die theologischen Ausbildungsstätten und die
Priesterseminare zu richten. Jene, die im Namen der Kirche den Dienst der
Lehre und der Leitung ausüben, müssen fest im Glauben der Kirche verankert
sein, um nicht dem Zeitgeist oder der Resignation zu verfallen. 'Das ist
der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube' (1 Joh 5,4).
Die Lehre in den Theologischen Fakultäten ist nicht dem
freien Belieben anheim gegeben sondern muss vom Grundgesetz der ´fides
quaerens intellectum» bestimmt sein, vom Glauben kommen und zum Glauben
führen. Die Katechese muss auf allen Stufen zum Glauben mit der Kirche
verhelfen. Der Katechismus der Katholischen Kirche und der Katechismus
Eurer Bischofskonferenz bieten dafür die verlässlichen Grundlagen. Wichtig
erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass die Bischöfe ermutigt werden,
ihre persönliche Verantwortung für die katholische Lehre kraftvoll
wahrzunehmen, auch und gerade in schwierigen Fragen, in denen sich die
Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri und die Einbindung
in die Weltkirche bewähren muss.
3. Große Sorgen bereiten mir
verschiedene Entwicklungen im Bereich von Ehe und Familie. Auch in Ihrem
Land wird das Verständnis der Ehe als Lebens- und Liebesbund zwischen Mann
und Frau, der auf das Wohl der Ehegatten sowie auf die Zeugung und
Erziehung von Kindern hingeordnet ist, von vielen Menschen und auch vom
Gesetzgeber in Frage gestellt. Der daraus resultierende Verfall an
menschlichen und christlichen Werten ist unabsehbar.
Die Treue zu Christus verpflichtet
uns, die Gläubigen auf die tragischen Folgen dieser Entwicklungen
hinzuweisen und ihnen einen anderen Weg zu zeigen. Daher bitte ich Sie,
zusammen mit den Bischöfen klare Orientierungen zu geben, damit viele
Gläubige dem Plan des Schöpfers über Ehe und Familie entsprechen, die
Kinder und Jugendlichen im Glauben erziehen und sich getreu an die
moralischen Prinzipien halten, wie sie in der Enzyklika Humanae vitae, im
Nachsynodalen Mahnschreiben Familiaris consortio und im Schreiben der
Glaubenskongregation über den Kommunionempfang von wiederverheirateten
geschiedenen Gläubigen dargelegt sind. Die Zukunft der Kirche und der
Gesellschaft hängt wesentlich von der Zukunft der Familie ab. Ihr Land hat
auch in dieser Frage eine wesentliche Mitverantwortung für viele andere
Staaten Europas und darüber hinaus.
4. Ein Thema, mit dem Sie in Deutschland ständig konfrontiert werden, ist
die Ökumene in ihren vielfältigen Ausdrucksformen. Der Weg der Ökumene,
den das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet hat, ist unumkehrbar. Er ist
eine Aufgabe, die der Herr uns gestellt hat. Wir müssen daher alles uns
Mögliche tun, um die Einheit der Christen in der Wahrheit und in der Liebe
zu fördern.
Ich bin mir sicher, dass Sie sich dafür einsetzen werden, die oft zähen
Bemühungen um die Einheit nicht ins Stocken geraten zu lassen. Zugleich
liegt es mir am Herzen, dass diese Bemühungen in manchen Ländern, auch in
Ihrer Heimat, eine noch bessere Orientierung bekommen. Es gibt nämlich
mancherorts Verwirrung und Missbräuche - ich denke etwa an die nicht
selten praktizierte Interkommunion -, die dem Anliegen der wahren Einheit
sehr schaden. Eine Ökumene, die die Wahrheitsfrage mehr oder weniger
beiseite ließe, könnte nur zu Scheinerfolgen führen. Die Erklärung Dominus
Iesus hat den Gläubigen wesentliche christologische und ekklesiologische
Wahrheiten in Erinnerung gerufen, die unaufgebbar zum katholischen
Selbstverständnis gehören. Ich vertraue darauf, dass Sie auf dem festen
Fundament dieser Erklärung den ökumenischen Dialog zu fördern und
entsprechend Ihren Aufgaben zu leiten wissen.
5. Schließlich möchte ich noch eine Frage anschneiden, die in der
Seelsorge vor Ort von erheblicher Bedeutung ist. Ich meine die so wichtige
Zusammenarbeit von Priestern und Laien im pastoralen Dienst. In vielen
Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften hat sich diese Zusammenarbeit
bewährt und als fruchtbar erwiesen. Nur gemeinsam können wir die
gewaltigen Herausforderungen der Gegenwart meistern. Leider geht aber aus
zuverlässigen Informationen hervor, dass es trotz vieler lehramtlicher
Klarstellungen weiterhin Vorfälle in Liturgie, Predigt, Katechese und
Gemeindeleitung gibt, die nicht mit den lehrmäßigen und disziplinären
Vorgaben der Kirche übereinstimmen. Auch wenn solche Vorgänge im
Augenblick nützlich scheinen und im durchschnittlichen Bewusstsein eine
beträchtliche Plausibilität beanspruchen können, schaden sie gerade auch
der Ortskirche auf längere Sicht, weil sie dem inneren Wesen der Kirche
entgegenstehen. Deswegen lege ich Ihnen dringend ans Herz, den in der
Pastoral Tätigen zu helfen, die Instruktion zu einigen Fragen über die
Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester besser zu verstehen und
treulich in die Praxis umzusetzen. Es geht hier letztlich um die Frage der
Identität der Priester und der Laien, die für die Kirche lebenswichtig
ist. Mit dieser Bitte verbinde ich auch die Hoffnung auf neue Initiativen
in der Berufungspastoral. Die so ersehnte Erneuerung der Kirche ist ohne
Erneuerung des Priestertums und des gottgeweihten Lebens nicht möglich.
6. Das sind, lieber und verehrter Bruder, die Überlegungen, die ich mit
Ihnen in diesem für das Leben der Kirche in Ihrem Land so bedeutsamen
Augenblick teilen wollte. Ich weiß um den hochherzigen Einsatz, mit dem
Sie Ihren Dienst ausüben und kenne auch die tiefen Gefühle der
Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl, die Ihr pastorales Handeln
auszeichnen. Daher bin ich sicher, dass Sie die Sorgen beherzigen werden,
die ich Ihnen in diesem meinem Schreiben zur Kenntnis gebracht habe. Die
Einladung, die Christus einst an den Ufern des Sees Genesaret an Petrus
und seine Gefährten richtete, sagt er heute uns: Duc in altum! Fahr hinaus
auf den See! (Lk 5,4). Am Beginn eines neuen Jahrtausends
spürt die Kirche lebendig ihre Pflicht, neu 'bei Christus aufzubrechen',
um der Welt seine Heilsbotschaft zu verkündigen
(vgl. Novo millennio ineunte, 29ff.). Aus dieser Sicht dringt die Bitte
des göttlichen Meisters mächtiger denn je an unser Herz: 'Alle sollen eins
sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in
uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast' (Joh 17,21).
Ich versichere Ihnen, im täglichen Gebet die Freuden und Sorgen, die Sie
persönlich und die Kirche in Deutschland bewegen, vor den Herrn zu tragen
und erteile Ihnen von Herzen den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 22. Februar 2001, Fest der Cathedra Petri
Joannes Paulus II
|
|
|