Vernunft und Glaube 20

Vernünftig glauben.
Keine Quelle der Intoleranz

An die Möglichkeit des Erkennens einer allgemeingültigen Wahrheit zu glauben, ist keineswegs eine Quelle der Intoleranz; im Gegenteil, es ist die notwendige Voraussetzung für einen ehrlichen und glaubwürdigen Dialog der Menschen untereinander. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, die trennenden Uneinigkeiten zu überwinden und gemeinsam den Weg zur ganzen, ungeteilten Wahrheit einzuschlagen, indem wir jenen Pfaden folgen, die allein der Geist des auferstandenen Herrn kennt.

Was die biblischen Texte und besonders die Evangelien betrifft, so reduziert sich ihre Wahrheit sicher nicht auf die Erzählung einfacher historischer Geschehnisse oder auf die Enthüllung neutraler Fakten, wie es der historizistische Positivismus gern hätte.

 Im Gegenteil, diese Texte berichten von Ereignissen, deren Wahrheit jenseits des gewöhnlichen geschichtlichen Geschehens liegt: sie liegt in ihrer Bedeutung in der und für die Heilsgeschichte. Ihre vollständige Darstellung findet diese Wahrheit in der fortwährenden Lesung und Deutung, welche die Kirche im Laufe der Jahrhunderte von diesen Texten vornimmt, wobei sie deren ursprüngliche Bedeutung unverändert bewahrt. Es ist daher dringend geboten, daß man sich auch philosophisch nach dem Verhältnis fragt, das zwischen dem Faktum und seiner Bedeutung besteht; ein Verhältnis, das den besonderen Sinn der Geschichte begründet.

Der Mensch vermag mit Hilfe seiner begrenzten geschichtlichen Sprache Wahrheiten auszudrücken, die das Sprachereignis transzendieren. Denn die Wahrheit kann niemals auf die Zeit und die Kultur beschränkt werden; sie ist in der Geschichte zu erkennen, übersteigt aber diese Geschichte.

Wenngleich die Auslegung der Quellen eine wichtige Aufgabe der Theologie ist, so gilt ein weiteres, noch schwierigeres und anspruchsvolleres Bemühen dem Verständnis der geoffenbarten Wahrheit bzw. dem Prozeß des intellectus fidei. Der intellectus fidei verlangt, wie ich schon angedeutet habe, den Beitrag einer Philosophie des Seins, die es vor allem der dogmatischen Theologie erlaubt, ihre Funktionen auf angemessene Weise auszuüben. Der dogmatische Pragmatismus vom Anfang dieses Jahrhunderts, wonach die Glaubenswahrheiten nichts anderes als Verhaltensregeln wären, ist bereits abgelehnt und zurückgewiesen worden;  trotzdem bleibt immer die Versuchung bestehen, diese Wahrheiten rein funktional zu verstehen. In diesem Fall würde man in ein unangemessenes und verkürztes Schema verfallen, dem die spekulative Klarheit fehlt. Eine Christologie zum Beispiel, die einseitig »von unten« vorginge, wie man heute zu sagen pflegt, oder eine Ekklesiologie, die ausschließlich nach dem Vorbild bürgerlicher Gesellschaften aufgebaut ist, könnten die Gefahr einer derartigen Verkürzung kaum vermeiden.

Wenn der intellectus fidei den ganzen Reichtum der theologischen Überlieferung integrieren soll, muß er sich der Philosophie des Seins bedienen. Diese Philosophie des Seins wird fähig sein müssen, das Problem des Seins je nach den Ansprüchen und Beiträgen der ganzen philosophischen Tradition — auch der aus jüngster Zeit — wieder aufzugreifen; dabei muß sie aber vermeiden, in blutleere Wiederholungen veralteter Schemata zu verfallen. Die Philosophie des Seins ist im Rahmen der christlichen metaphysischen Überlieferung eine dynamische Philosophie, welche die Wirklichkeit in ihren ontologischen, kausalen und kommunikativen Strukturen sieht. Sie findet ihre Kraft und Beständigkeit darin, daß sie sich auf den Seinsakt selber stützt, der die volle und globale Öffnung gegenüber der ganzen Wirklichkeit gestattet. Dabei überschreitet sie jede Grenze, bis sie Den erreicht, der allem Vollendung schenkt.  In der Theologie, die ihre Prinzipien von der Offenbarung als neuer Erkenntnisquelle erhält, wird diese Sicht entsprechend dem engen Verhältnis zwischen Glaube und metaphysischer Vernünftigkeit bestätigt.

 

Vernunft und Moral 

Ähnliche Überlegungen lassen sich auch in bezug auf die Moraltheologie anstellen. Die Wiedergewinnung der Philosophie ist auch für das Glaubensverständnis, das sich auf das Handeln der Gläubigen bezieht, dringend nötig. Angesichts der heutigen Herausforderungen auf sozialem, wirtschaftlichem, politischem und wissenschaftlichem Gebiet ist das sittliche Gewissen des Menschen desorientiert. In der Enzyklika Veritatis splendor habe ich hervorgehoben, daß viele der in der heutigen Welt vorhandenen Probleme einer »Krise um die Wahrheit« entstammen. »Nachdem die Idee von einer für die menschliche Vernunft erkennbaren universalen Wahrheit über das Gute verloren gegangen war, hat sich unvermeidlich auch der Begriff des Gewissens gewandelt; das Gewissen wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Wirklichkeit gesehen, das heißt als ein Akt der Einsicht der Person, der es obliegt, die allgemeine Erkenntnis des Guten auf eine bestimmte Situation anzuwenden und so ein Urteil über das richtige zu wählende Verhalten zu fällen; man stellte sich darauf ein, dem Gewissen des Einzelnen das Vorrecht zuzugestehen, die Kriterien für Gut und Böse autonom festzulegen und dementsprechend zu handeln. Diese Sicht ist nichts anderes als eine individualistische Ethik, aufgrund welcher sich jeder mit seiner Wahrheit, die von der Wahrheit der anderen verschieden ist, konfrontiert sieht«.

Während die Kirche so immer wieder auf die Bedeutung und die wahren Dimensionen des philosophischen Denkens zurückkommt, fördert sie zugleich sowohl die Verteidigung der Menschenwürde wie auch die Verkündigung der Botschaft, die das Evangelium enthält. Denn die dringend notwendige Vorbereitung auf diese Aufgaben besteht heute darin, die Menschen zur Entdeckung ihrer Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis  und ihrer Sehnsucht nach einem letzten, endgültigen Sinn des Daseins zu führen. In der Sicht dieser tiefen, der menschlichen Natur von Gott eingeschriebenen Bedürfnisse gewinnt auch die Bedeutung des Wortes Gottes deutlicher sichtbare Konturen: sie ist menschlich und macht menschlicher. Dank der Vermittlung einer zu echter Weisheit gewordenen Philosophie wird der heutige Mensch allmählich erkennen können, daß er um so mehr Mensch sein wird, je mehr er sich, im Vertrauen auf das Evangelium, Christus öffnet.

 

Der Dialog

Das philosophische Denken ist oft das einzige Terrain für Verständigung und Dialog mit denen, die unseren Glauben nicht teilen. Die philosophische Bewegung der heutigen Zeit verlangt den aufmerksamen und kompetenten Einsatz gläubiger Philosophen, die fähig sind, die Erwartungen, Öffnungen und Problemstellungen dieses geschichtlichen Augenblicks zu erfassen. Während der christliche Philosoph im Lichte der Vernunft und nach ihren Regeln argumentiert, sich dabei aber immer von dem weitergehenden Verständnis leiten läßt, das ihm das Wort Gottes schenkt, kann er eine Überlegung entwickeln, die auch für den verständlich und wahrnehmbar sein wird, der die volle Wahrheit, die die göttliche Offenbarung kundtut, noch nicht begreift. Dieses Terrain von Verständigung und Dialog ist heute um so wichtiger, da die Probleme, die sich der Menschheit immer dringender stellen — man denke an die Probleme der Umwelt, des Friedens oder des Zusammenlebens von Rassen und Kulturen —, eine mögliche Lösung finden im Licht einer klaren, ehrlichen Zusammenarbeit der Christen mit den Gläubigen anderer Religionen und mit allen, denen die Erneuerung der Menschheit am Herzen liegt, selbst wenn sie keinen religiösen Glauben teilen.

 Das hat das II. Vatikanische Konzil ausgesprochen: »Der Wunsch nach einem solchen Dialog, geführt einzig aus Liebe zur Wahrheit und unter Wahrung angemessener Diskretion, schließt unsererseits niemanden aus, weder jene, die hohe Güter der Humanität pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen, noch jene, die Gegner der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen«.  Eine Philosophie, in der etwas von der Wahrheit Christi, der einzigen endgültigen Antwort auf die Probleme des Menschen, (127) zum Leuchten kommt, wird eine wirksame Stütze für jene wahre und zugleich weltweite Ethik sein, die die Menschheit heute braucht.

 Es drängt mich, diese Enzyklika mit einem letzten Gedanken abzurunden, mit dem ich mich vor allem an die Theologen wende, damit sie den philosophischen Implikationen des Wortes Gottes besondere Aufmerksamkeit schenken und eine Überlegung anstellen, aus der sich die spekulative und praktische Substanz der theologischen Wissenschaft ergibt. Ich möchte ihnen für ihren kirchlichen Dienst danken. Die engen Bande zwischen der theologischen Weisheit und dem philosophischen Wissen ist einer der ursprünglichsten Schätze christlicher Tradition bei der Vertiefung der geoffenbarten Wahrheit. Darum fordere ich sie auf, die metaphysische Dimension der Wahrheit wiederzugewinnen und besser herauszustellen, um so in einen kritischen und anspruchsvollen Dialog einzutreten sowohl mit dem philosophischen Denken unserer Zeit wie auch mit der gesamten philosophischen Tradition, ob sie nun im Einklang mit dem Wort Gottes oder aber im Gegensatz zu ihm steht. Sie sollen sich stets die Anleitung eines großen Meisters des Denkens und der Spiritualität vor Augen halten, des hl. Bonaventura, der den Leser, den er in sein Itinerarium mentis in Deum einführte, darum bat, sich im klaren zu sein, daß »Lesung ohne Reue, Erkenntnis ohne Frömmigkeit, Suchen ohne den Überschwang des Staunens, Klugheit ohne die Fähigkeit zur Hingabe an die Freude, Tätigkeit losgelöst von der Religiosität, Wissen getrennt von der Liebe, Intelligenz ohne Demut, Studium ohne den Halt der göttlichen Gnade, Nachdenken ohne die von Gott inspirierte Weisheit — daß all das nicht ausreicht«.

PS. Es war die ganze Zeit Johannes Paul II (Fides et Ratio), der da sprach.  Wir haben nur einige Hilfen eingefügt.


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