Wählen wir das Leben und die Liebe.
Wählen wir die Liebe.
Von Gabriele Kuby
Die Schriftstellerin Gabriele Kuby sprach beim 3. Internationalen Kongress
„Treffpunkt Weltkirche“ in Augsburg über die Kultur des Lebens. Der Kongress
wurde vom Hilfswerk "Kirche in Not" veranstaltet und dauerte vom 11. bis 13.
April.
Mir ist die ehrenvolle Aufgabe übertragen worden, das Impulsreferat zu diesem
Podium zu halten. Ehrenvoll deswegen, weil hier Menschen sitzen, die mit ihrer
ganzen Lebensenergie, mit großer Ausdauer und Unerschrockenheit seit Jahrzehnten
für die Bewahrung des Lebens kämpfen – von der Empfängnis bis zum natürlichen
Tod. Jeder hier könnte statt meiner dieses Eingangsreferat halten.
Wir machen das Leben nicht, wir empfangen es. Die Sprache weist uns darauf hin,
dass das Leben jedes Menschen ein Geschenk ist, ein Geschenk, das wir von Gott
empfangen – und das deswegen heilig und unantastbar ist. Auf der erste Seite der
Bibel heißt es: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes
schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Diese Offenbarung Gottes hat sich
in den Verfassungen der westlichen Welt niedergeschlagen. Niemand denkt höher
vom Menschen als Gott selbst und jene, die daran glauben, dass er eine
unsterbliche Seele besitzt und zum ewigen Leben berufen ist.
Das bringt uns in ein Dilemma: Wir wollen gerne ein Abbild Gottes sein – das ist
auf jeden Fall attraktiver als ein höher entwickelter Affe –, aber wir wollen
uns nicht einem Schöpfer verdanken und versteifen uns deswegen sogar darauf, vom
Affen abzustammen. Wir wollen sein wie Gott. Wir wollen selbst entscheiden, was
gut und was böse ist, was lebenswert und was lebensunwert ist. Wir wollen selbst
Herr über Leben und Tod sein.
Schon Adam und Eva sind dieser Versuchung erlegen, was sie bekanntlich das
Paradies gekostet und sie dem Tod unterworfen hat. Die Versuchung ist heute
dieselbe, allerdings sind unsere technischen Mittel unerhört viel größer, um –
wie Benedikt XVI. es formuliert hat – „in die Brunnenstube des Lebens
hinabzusteigen“ und dort nach eigenem Gutdünken zu schalten und zu walten.
Angenommen, wir wären bei der christlichen Offenbarung geblieben, dass das Leben
heilig ist, das heißt unantastbar, beginnend mit der Verschmelzung von Ei und
Samenzelle im Mutterleib und endend mit dem letzten Herzschlag. Was würde uns
entgehen?
- -- Wir könnten die Zeugung des Menschen nicht aus der Umarmung von Mann und Frau in die Petrischale ins Labor verlegen.
- -- Wir könnten an Ei und Samenzelle keine genetischen Veränderungen vornehmen.
- -- Wir könnten den Menschen nicht klonen.
- -- Wir könnten keine Chimären herstellen, Mischwesen aus Mensch und Tier.
- -- Wir könnten Embryonen nicht zu Medikamenten verarbeiten.
- -- Wir könnten kleine Menschen, die uns nicht in die Lebensplanung passen, nicht im Schoß der Mutter umbringen.
- -- Wir könnten sie nicht wegen eines Verdachts auf Behinderung selektieren, notfalls unmittelbar vor ihrer Geburt.
- -- Wir könnten alte Menschen, die leiden und die
vielleicht das Leben der Jungen beschweren, nicht töten.
Würde uns wirklich etwas entgehen , wenn wir dies alles nicht täten?
In einigen Ländern Europas ist dies alles bereits legalisiert. Gestern hat sich
die große Mehrheit unserer Abgeordneten, also auch die Mehrheit der Abgeordneten,
die sich christlich nennen, für die Verschiebung des Stichtages entschieden.
Schade! Deutschland hätte eine Chance gehabt, in Fragen der Bioethik für die
Welt einen Maßstab zu setzen. Frau Kaminiski hat gestern mit einer Mahnwache vor
dem Reichstag vergeblich versucht, die Abgeordneten an ihr Gewissen zu erinnern.
Was das Zerbrechen von Maßstäben angeht, so hat England unter dem früheren
Premierminister Tony Blair, die Vorreiterstelle eingenommen. Tony Blair wurde
vor wenigen Monaten in die katholische Kirche aufgenommen und kämpft nun als
Katholik an vorderster Front der Homolobby.
Legalisieren heißt: Parlamente entscheiden, dass das Leben des schwachen
Menschen vom starken Menschen manipuliert und getötet werden darf. Nicht die
Erkenntnis der Wahrheit über den Menschen ist Grundlage der Gesetzgebung,
sondern die Entscheidung der Mehrheit der Parlamentarier, die alle vier Jahre
gewählt werden wollen, um dann eine Politik zu machen, welche ihnen die
Wiederwahl in weiteren vier Jahren garantiert…. Papst Benedikt nennt dies „die
Diktatur des Relativismus“.
Päpste haben die Gabe, Wahrheit so zu formulieren, dass sie zum Stein des
Anstoßes wird. Wahrheit, die im konkreten historischen Augenblick nicht zum
Stein des Anstoßes wird, geht unter. Allerdings ertrinkt sie nicht. Sie wartet
auf Menschen, die bereit sind, sie zu bekennen und selbst zum „Zeichen des
Widerspruchs“ zu werden. Solche Menschen sind selten. Hier, auf diesem Kongress,
wimmelt es geradezu von ihnen.
Johannes Paul II. prägte den Begriff von der „Kultur des Todes“. Indem wir der
irrwitzigen Versuchung erliegen, Probleme des Lebens durch Töten des Lebens zu
lösen, schaffen wir eine Kultur des Todes.
Hier sitzt Professor Birg, der seit Jahrzehnten Alarm schlägt und versucht,
Politiker und Öffentlichkeit auf die bedrohliche Bevölkerungsentwicklung
hinzuweisen. Seit dem Pillenknick in den siebziger Jahren liegt sie auf
Aussterbekurs. Jede neue Generation der Ureinwohner fast aller europäischen
Länder ist um ein Drittel kleiner als die vorhergehende.
Eine solche Bevölkerungsdezimierung ist bisher nur der Pest und dem
dreißigjährigen Krieg gelungen. Trotzdem wird die Parlamentarische Versammlung
des Europarats nächste Woche über den Antrag der österreichischen SPÖ-Abgeordneten
Gisela Wurm entscheiden, die Abtreibung zu legalisieren. Die Tötung des
ungeborenen Menschen galt bisher als Unrecht, ein Unrecht auf dessen Bestrafung
der Staat verzichtet hat. Nun soll es ein Recht werden, ja sogar ein
Menschenrecht. Im selben Antrag wird auch gefordert, dass Verhütungsmittel
staatlich finanziert werden sollen, die Sexualerziehung der Jugendlichen über
Verhütungsmethoden verpflichtend sein soll.
Die westliche Gesellschaft ist stolz auf die Aufklärung, der sie die
bedingungslose Verpflichtung auf wissenschaftliche Rationalität zu verdanken
glaubt. Ist es nicht merkwürdig, dass sie nicht schon aus rein rationalen
Gründen der Selbsterhaltung die Abtreibung ächtet?
Ist es nicht merkwürdig, dass der Staat die Jugend durch den Pflicht-Sexualunterricht
in die entmoralisierte und demoralisierende Frühsexualität hineintreibt und sie
zu Verhütungsexperten ausbildet? Warum wird die Jugend nicht zur
Familienfähigkeit erzogen?
Ist es nicht merkwürdig, dass der Staat mit aller Macht die Gender-Ideologie in
die Feinstruktur der Gesellschaft hineintreibt und schon im Kindergarten anfängt,
die Kinder in ihrer natürlichen Geschlechtlichkeit umzupolen? Die „Gender-Perspektive“
besagt, dass es zur Freiheit des Menschen gehöre, sein Geschlecht – Sie haben
richtig gehört! – sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei zu wählen.
Dies ist seit 1999 „Leitprinzip und Querschnittsaufgabe der deutschen Politik“.
Die Europäische Union kämpft mit zunehmen totalitären Mitteln darum, dass Gender-Mainstreaming
Leitprinzip aller Mitgliedstaaten wird. Falls Sie davon nichts wissen, wundern
Sie sich nicht: Gender-Mainstreaming wird ohne öffentliche Debatte und ohne
parlamentarische Legitimation in gesellschaftliche Wirklichkeit verwandelt. Es
gibt in Deutschland hundert akademische Stellen, die „gender studies“ lehren.
Treibende Kraft sind die Radikalfeministinnen.
Sie sind Feinde der Frau. Sie sind Feinde des Mannes. Sie sind Feinde der
Kinder, sie sind Feinde der Familie. Sie agieren mit dem Joker: „Gleichstellung
von Männern und Frauen“. Aber ist das unser Problem? Schafft die Abschaffung des
Geschlechtsunterschiedes zwischen Mann und Frau und die Preisgabe aller
sexueller Normen Zukunft?
In wessen Interesse handelt der Staat, der Gender-Mainstreaming zu seinem
Leitprinzip macht? Gewiss nicht im Interesse der Familie! Gewiss nicht im
Interesse der Jugend! Gewiss nicht im Interesse der Zukunft – vielmehr im
Interesse einer Minderheit. Wo ist der Widerstand?
Gott hat damals bei der Erschaffung der Welt noch mehr gesagt, nämlich: „Seid
fruchtbar und vermehrt euch.“ Das ist das erste Gebot, das Gott dem Menschen gab.
Die Bevölkerungskrise, in der wir uns befinden und die keinen, der sich in
diesem Saal befindet, unberührt lassen wird, hat als tiefste Ursache die
Missachtung dieses Gebots.
Heute sehen wir, dass die Enzyklika „Humanae Vitae“, verkündet von Paul VI. im
Jahr 1968, der Geburtsstunde der sexuellen Revolution, prophetischen Charakter
hatte. Sie behandelt die „rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens“.
Der Papst lehrte damals: Die Sexualität hat eine zweifache Funktion: Die
liebende Vereinigung von Mann und Frau und die Fruchtbarkeit.
Wir dürften das eine vom anderen nicht systematisch trennen, wenn wir dem
menschenfreundlichen Plan Gottes gerecht werden wollen. Wann werden unsere
Bischöfe die Ablehnung dieser Enzyklika revidieren, durch welche die Kirche in
Deutschland und vielen anderen Ländern die Vollmacht der Verkündigung in Fragen
der Moral eingebüßt hat? Welche Zukunftskraft hat das Christentum, wenn es seine
Moral preisgibt?
Kardinal Schönborn hat am 1. April 2008 bei einer Heiligen Messe im
Abendmahlssaal in Jerusalem in Anwesenheit von 150 Bischöfen aus aller Welt
gesagt: „Es geht um die Zukunft Europas. In den letzten 40 Jahren hat Europa
drei Mal nein zu seiner Zukunft gesagt. 1968 mit dem ‚Nein‘ zur Enzyklika Pauls
VI. ‚Humanae vitae‘, wenige Jahre später mit der in den meisten europäischen
Ländern eingeführten Fristenregelung und letztlich mit der ‚Homo-Ehe‘.
In zwei Generationen wird die europäische Bevölkerung auf die Hälfte zurückgehen:
Das ist objektiv ein ‚Nein zur Zukunft’." De facto, so der Wiener Erzbischof,
sei die katholische Kirche die einzige Kraft in Europa, die heute für die
Zukunft eintrete. Junge Paare müssten ermutigt werden, „großzügig ‚Ja zum Leben’
zu sagen - und damit zur Zukunft“.
Wie werden wir, jeder von uns, zu einem „Zeichen des Widerspruchs“, zu einem
Grenzstein, den man nicht einfach überrennen kann? Beten ist notwendig. Ohne mit
Gott im Gespräch zu sein, ist es nicht möglich, Seine Stimme zu hören und Seinem
Willen gehorsam zu sein, auch dann noch, wenn uns das etwas kostet. Aber Beten
in der Kammer genügt nicht. Pater Rupert Mayer sagte: „Der Triumph des Bösen ist
das Schweigen der Guten.“ Je länger wir schweigen, umso mehr wird es uns kosten,
für eine Kultur des Lebens, für die Zukunft zu kämpfen.
Zu allen Zeiten legt Gott den Menschen „das Leben und das Glück, den Tod und das
Unglück vor“, auch heute. Im Buch Deuteronomium, Kapitel 30, sagt Gott weiter:
„Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod
lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und
deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, und hör auf seine Stimme und
halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“
Gott lässt uns die Wahl zwischen Tod und Leben, weil er uns die Freiheit
geschenkt hat, damit wir mit unserer Liebe auf seine Liebe antworten. Wählen wir
also das Leben und die Liebe.
Augsburg (www.kath.net)