Protestanten, rettet die Katholiken.

Plädoyer für eine Ökumene, die keine Mogelpackung ist.

Klaus Berger, Neutestamentler, Heidelberg.

Kühl, sehr kühl haben die Protestanten die jüngste Enzyklika des Papstes aufgenommen. Worte vom Rückschlag und Rückfall machten die Runde. Und hinter vorgehaltener Hand erzählt man, der Kardinal vom vatikanischen Sekretariat für die Einheit der Christen, Kasper, sei überhaupt gegen die Publikation gewesen, hielte das Schreiben für schlicht überflüssig. Angesichts dessen fragt man sich, welche Szenerie sich da eigentlich aufgebaut hat. Stehen wir in einem Zweikampf mittelalterlicher Recken oder neuzeitlicher Boxer, in denen des einen Vorteil jeweils des anderen Nachteil ist? Hat der Papst hier etwa ,,gewonnen"? Hätte er etwas schreiben müssen, das die Protestanten freut? Um welchenreis würden das Match spannender? Anscheinend lauert man auf jeden Millimeter, den der Papst der anderen Seite entgegen-' kommt. Wenn ja, dann herrscht Jubel. Stellt er den katholischen Standpunkt klar dar, ist man sauer (,,Ich finde, es hätte die-' ser Wiederholung nicht unbedingt bedurft", ließ sich etwa unser Bundespräsident zur Enzyklika ,vernehmen).

Da zählt es dann auch gar nicht, daß ich von irgendeinem Entgegenkommen der Protestanten extrem selten etwas gehört habe. Betrachten sich die Protestanten etwa als die umworbene Schöne, die immer sagen kann: Es reicht noch nicht, mein Lieber? Und was ist dann wirklich erreicht, wenn alles Katholische protestantisch geworden ist, wie es das Kirchenvolksbegehren offenkundig anstrebt? Doch wer auch immer und auf welcher Seite auch immer die Sehnsucht nach der Einheit der Christen als Machtspielchen ansieht .oder betreibt, hat die falsche Optik. Ich kenne das Spiel seit fünfzig Jahren: Jede Äußerung wird gewogen, ob sie in Richtung Einheit führt oder ein Rückschritt ist. Berufsökumeniker sind da wie Wetterpropheten. Doch so kann es noch Jahrhrunderte gehen.

Gern überliest man daher in der Enzyklika all das Undramatische, das der Papst in sehr persönlichen Worten zu den ökumenischen Bestrebungen sagt. Er dankt Gott für ,,bedeutsame Fortschritte und Annäherrungen, die uns auf eine Zukunft in voller Glaubensgemeinschaft hoffen lassen". Er nennt die Protestanten ,,kirchliche Gemeinschaften", er bezeichnet ökumenische .Gebetstreffen und Wortgottesdienste als in sich selbst lobenswert, da sie auf die ersehnte volle Gemeinschaft vorbereiten. Er spricht von Gnade, die auf den Weg der Ökumene geführt habe. Er lobt das ökumenische Engagement und das brennende Verlangen nach Einheit. Und unter besonderen Umständen erlaubt er auch Interkommunion, etwa bei Lebensgefahr,. aber immerhin.

Nur auf den einen Punkt hat sich indes die Lektüre der Enzyklika im wesentlichen konzentriert: auf das Verbot der Interkommunion und der Interzelebration (aktive Teilnahme protestantischer Geistlicher am Altar). Genau das aber wird in Deutschland schon praktiziert und wäre auf dem Kirchentag, Medienspektakel hin oder her, nichts Neues. Ich finde das bedauerlich und kontraproduktiv und meine, daß diese Praxis auch evangelischerseits keine Zustimmung finden dürfte. Man muß die deutsche Mentalität kennen, um die Wut gegenüber den ,,Bremsern" (gemeint sind Papst und Bischöfe) zu verstehen. Sie ist gerade bei den noch relativ engagierten Katholiken' ausgeprägt. Nach deren Selbstverständnis geht es um eine Revolution von unten, die wie bei einem Dammbruch alles hinwegschwemmen soll und kann, was Theologen und Bischöfe gegen das gemeinsame Abendmahl so vorbringen.

 Man ist die ,theologischen Streitigkeiten und subtilen Begründungen gründlich satt, und yerweist immer darauf, wie gut man sich schon verstehe. ,,Hier vor Ort sind wir schon viel weiter als Sie, Herr Professor",' sagte mir neulich enorm en'gagierte Katholikin. Kein Wunder: Man wertet die Laien weitgehend auf, spricht sie mündig, lobt ,wie der Papst' die Ökumene - und dann will man sie mitten irn Laufen zehn Meter vor dem Ziel anhalten? Die Tendenz geht auf Wegwischen aller Theologie und Tradition - zugunsten von Harmonie und Liebesmahl. Der berühmte gute Wille steht gegen religiöse Identität, die man' dann nicht selten noch als ,,Kopflastigkeit" diffamiert.

Ein Teil der Ortspfarrer ist dem Papst und Kardinal Ratzinger in dieser Hinsicht. bereits uneinholbar davongelaufen. Hand in Hand damit geht ein gigantischer Verlust an dem, was man früher Theologie nannte. Neunzig Prozent Deutschlands sind in diesem Sinne theologiefreie Zone. Viele Laien verstehen die ihnen zugesprochene Mündigkeit wie die Aushändigung eines theologischen Doktordiploms. Und da es bei den Pfarrern manches Mal ähnlich ist, weil ihre Ausbildung im schlimmen Sinne veraltet war, stehen wir hierzulande in eriner Welt von Hobbytheologen, die mit ihrem Glauben umgehen, als wäre jedermann Chirurg der ein Taschenbuch ,,,Du und dein Herz" studiert hätte.

Die Vernunft müßte in dieser Situation von den Protestanten ausgehen. Gegenüber jeder Bedrohung anderer fremder Kulturen sind wir mittlerweile sehr sensibel. Aber die freiwillige Aufgabe der katholischen Identität nimmt man gerne als Morgengabe in einer in Wahrheit neuprotestantischen religirösen Einheitskultur. Denn darüber täusche man sich nicht. Zu neunzig Prozent, besteht Ökumene im Weglassen des Katholischen. zugunsten eines aufgeklärten Minimalkonsenses; theologiegeschichtlich gesehen ist es nicht das Reformatorische, was hier bedrohlich wäre, sondem die verspätet und undialektisch nachgeholte Aufklärung als radikaler Verlust von Religion. Die aufgegebene katholische kulturelle Identität reicht vom Weihwasser bis zur Maiandacht, von den fünf überzähligen katholischen Sakramenten bis zur Seelenmesse (Requiem), von Mariä Lichtmeß bis zur Kräuterweihe, vom Sterberosenkranz bis Medjugorje. Diese sogenannte Ökumene scheint immer nach derselben Regel abzulaufen: Keinem Protestanten mag man all die katholische ,,Kultur" oder auch nur einen Teil davon zumuten, aber Katholiken sollen darauf verzichten können. Kann eine solch merkwürdige Einheit einem ehrlichen Protestanten etwas wert sein?

,,Zumal gerade die Protestanten ihre Bibel kennen und Katholiken darauf aurinerksam machen soIlten, daß es nach dem ganzen Neuen Testament nichts Schlimmeres und Katastrophaleres gibt als ein gemeinsames Mahl dort zu feiern, wo keine wirkliche Einheit der Christen besteht. So ist es nach 1 Korinther 11. Paulus spricht hier von der schrecklichsten Sünde, nämlich davon, sich das Gericht zu essen und zu trinken. Die Situation in Korinth: In der Gemeinde gibt es Spaltungen, die manifest sind. Ein Teil der Gemeinde fühlt sich diskriminiert, vielleicht weil diese Menschen zu wenig zu essen haben, vielleicht weil sie nicht so viel essen mögen. Es besteht die Gefahr, daß sie am liebsten nicht dazugehören möchten, sich von der Gemeinde verabschieden wollen. Vielleicht geht es auch um mehr, um kulturelle Differenzen, die es in der Hafenstadt Korinth in Menge gab.

Paulus sagt: Übertüncht die vorhandenen Spaltungen nicht durch ein gemeinsames Mahl. Denn das wäre nicht wirklich echte Einheit, nicht das Mahl der Versöhnten. Schafft, so Paulus, um jeden Preis die Uneinigkeit zuvor aus der Welt. Sonst ist das Mahl eine Farce. Paulus sagt nicht: Feiert nur ruhig das Mahl, dann wird das die Spaltung schon von sich aus überwinden. Nein, angesichts faktischer Spaltungen ist für Paulus das gemeinsame Mahl eben nicht das Instrument, die Einheit herzustellen, sondern eine einzige Heuchelei und ein Frevel. Wer so die Einheit feiert, die nicht da ist, der zerstört nach Paulus die Mahlsymbolik selbst. Denn anders als die Taufe, die jeder einzeln bekommt, ist. das Mahl eine einzigartige Proklamation der Einheit und .Einzigkeit Gottes. So denkt Paulus hier streng theologisch konsequent:

Weil der Herr durch Brot und Wein sich selbst den Menschen gibt, als der eine Herr die vielen verbindet, deshalb ist jede nicht vollendete Einheit, jede camouflierte Uneinigkeit, ein Verbrechen am Herrn selbst.

Überall im Orient stellt das Mahl Einheit und Frieden dar. Aber wo das nicht besteht, soll man auch nicht so tun, als sei schon alles geklärt. Auf derselben Linie liegen alle frühchristlichen Aussagen über das Verhältnis von Versöhnung mit dem Nächsten einerseits und Versöhnung mit Gott andererseits. Die Versöhnung der Menschen untereinander hat grundsätzlich und überall zeitlichen Vorrang. Auch im Vaterunser ist so zu übersetzen: ,,Vergib uns ... wie auch wir vergeben haben." Unterschiede der Konfessionen reichen von der Mariologie bis zum Amtsverständnis und von der Eucharistie (Tabernakel) bis zur Frauenordination. Niemand will diese Differenzen hochköcheln. In Korinth ging es damals um viel weniger Gravierendes. Paulus war ein kluger und bedachter Seelsorger. Das Sakrament des Herrenmahls ist für ihn jedoch ein Realsymbol, Zeichen für eine Wirklich-keit, für die Wirklichkeit des einen Gottes, nicht irgendeine religiöse Feier.

Hier liegt der zweite Punkt, den Protestanten aufgreifen können müßten. Auch in seiner Er:zyklika argumentiert der Papst mit der Konzeption der Einheit, die das Mahl darstellt. Er bindet Eucharistie an die Einheit: ,,Da die Eucharistie die höchste sakramentale Darstellung der Gemeinschaft der Kirche ist, verlangt sie, im Kontext der Unversehrtheit auch der äußeren Bande der Gemeinschaft gefeiert zu werden." Es sei daher nötig, daß die Bande der Gemeinschaft wirklich bestehen. Der Papst: ,,Es wäre daher äußerst unangebracht, wenn das Sakrament der Einheit der Kirche schlechthin ohne eine wahre Gemeinschaft mit dem Bischof gefeiert würde." Genau an dieser Stelle liegt auch der Grund für die Verbindung von Amt und Eucharistie. Wenn das Abendmahl nicht nur gemeinsames Essen und Denken an Jesus ist, sondern etwas mit der Verfaßtheit der Kirche zu tun hat, dann kommt auch das Amt als Dienst an der Einheit der Kirche in den Blick. Wenn gilt, daß das Mahl Darstellung und Vollendung der Einheit ist - der Papst spricht mit Paulus vom Glauben, der in der Liebe Gestalt gewinnt -, dann ist es Rolle des Amtes, für diese Einheit zu sorgen. Daher greift der Apostel regulativ in die Abendlnahlsfeier in Korinth ein. Das wäre die Vertikale: Der Apostel sorgt mit seiner Autorität für die Bewahrung und Rettung der Einheit.

Und was die Horizontale betrifft: Das gemeinsame Herrenmahl stellt auch die Einheit der Kirche in der Geschichte dar, von gestern über heute auf morgen hin. Es ist selbst Teil dieser die Zeiten umspannenden Einheit. Hier liegt der Grund für das nach katholischem Verständnis unabdingbare Erfordernis der ,,apostolischen Sukzession" für den Bischof oder Priester, der das Mahl mit der Gemeinde feiert. Denn von Anfang an sind selbsternannte Autoritäten für die Kirche ein Horror. Amt und Bewarhrung der Einheit hängen aufs innerste zusammen. Daß es neben dem Amt in der Kirche immer unabhängig vom Amt verteilte Charismen gibt, sei nur am Rande vermerkt. Von keinem Amtsträger verlangt man deshalb, daß er Charismatiker ist. Ein Bischof rnuß nicht Tote erwecken können. Ich sehe im übrigen keine Notwendigkeit; den evangelischen Primat der Rechtfertigung in irgendeinen Gegernsatz zum Prinzip apostolischer Sukzession zu setzen - ganz abgesehen davon, daß in keiner kirchlichen Gemeinschaft Amtsträger nur nach Gnade und Barrnherzigkeit angestellt werden.

Nun haben im Vorfeld des Kirchentages besronders die Baptisten verkündet, ,jedermann" sei bei ihnen zum Abendmahl eingeladen. Und die Baptisten können dabei auf die Praxis Jesu verweisen, offene Gastmähler mit allen möglichen Menschen zu halten, mit Zöllnern und Religionslosen (,,Sündern"); mit Heiden und Huren. Diese Gastmähler, auf denen Wein zum Zeichen der Messianität Jesu getrunken wurde, hatten in der Tat missionarischen Charakter. So verstehen auch viele der Reformatoren das Abendmahl als eine Veranstaltung zur Wekkung des Glaubens, also ein Mahl im Dienste der Umkehr. So betrachtet stehen Mähler am Anfang des Christwerdens und setzen Kircheneinheit nicht voraus. Doch nach den Berichten der Evangelien unterscheidet sich nun aber das letzte Mahl Jesu ganz offensichtlich und sehr markant von diesen missionarischen Gastmählern. Das. letzte Mahl Jesu verhält sich zu den missionarischen Mahlzeiten wie eine Familienfeier zu einer offenen Party bei einem Straßenfest Man kann solche Partys veranstalten, nur muß man sie dann nicht Abendmahl nennen. Denn nur beim Abendmahl, so wird berichtet, sind die zwölf Jünger anwesend, die Repräsentanten des erneuerten Israel. Nur hier spricht Jesus Deuteworte zu Brot und Wein. Nur hier stiftet er einen Bund, den neuen Bund, sein Vermächtnis, also eine Institution. Nur das letzte Mahl Jesu ist eine bewußte und gültige Zusammenfassung allen Wirkens Jesu. Und als Repräsentanten Israels sind die zwölf die Adressaten des neuen Bundes.

Es wäre aus meiner Sicht sinnvoll, wenn man offen die Differenz zwischen Verkündigungsmählern und Abendmahl zugäbe und bedächte. Dabei fällt freilich auch eine weitere Differenz ins Auge. Nur beim letzten Mahl gibt es, nach Lukas und Paulus einen Wiederholungsbefehl. Nur dieses Mal hat daher sakramentalen Charakter. Der Papst sagt in seiner Enzyklika, gegenwärtig könne ein unzeitig vorweggenommenes interkonfessionelles Abendmahl nur den Sinn für die Entfernung vom Ziel verschleiern und Zweideutiges über Glaubenswahrheiten einführen. Aus exegetischer Sicht muß man im Sinne des Paulus noch deutlicher werden: Ein solches ,,Abendmahl" ist eine Mogelpackung und kein Sakrament. Vielleicht gelingt es doch noch, die Diskussion von der reinen Emotionalität in theologische Bahnen zu lenken.

Wie also Einheit, wenn nicht so? Es bleibt schon merkwürdig: Es gibt tausend Felder sinnvoller ökumenischer Zusammenarbeit, die durchaus intensiviert werden könnten. Mit dem Papst darf und soll man dieses als Gnade Gottes begrüßen. Doch wie Adam und Eva im Paradies sich nur auf die eine verbotene Frucht konzentrierten und sich durch diese Fixierung prompt verführen ließen, so starren die Christen nur auf den einen Punkt, verführt durch die Medien, an die die Schlange ihre Rolle abgetreten hat. Die Paradiesgabe des ewigen Lebens hat Gott dann nach Uberzeugung der Christen übrigens zu seiner Zeit von sich aus den Menschen geschenkt, im Neuen Testament. Was man ungeduldig erzwingen will, schenkt Gotte zu seiner Zeit. Wie gut, daß die Taufe, das wirklich Heilsnotwendige, ökumenisch anerkannt ist; auch das war nicht immer so.

Wir haben oben von der Ökumene des kulturellen Ausverkaufs gesprochen. Die Protestanten befürchten sie, die Katholiken vollziehen sie. Aus. beidem wird deutlich: Nie und nimmer wird man sich beim gemeinsamen Mininum treffen, bei schmalen Formelkompromissen, die brüchiger sind als alter Gouda. Es wird nur eine Ökumene auf der Basis des Maximums geben, in einer neuen Einheit von Theologie und Spiritualität, in einer Ergänzung von rationaler durch monastische Theologie. Also auch in einer Erneuerung der Theologie aus der Tiefe her, damit das Wort Hobbytheologe kein Schimpfwort mehr bleibt. Theologie nicht zum Rechthaben sondern zum Weisewerden und zum Frommwerden. Es gibt eine Stunde, das Neue Testament mit Computers Hilfe zu bearbeiten, und es gibt eine Zeit, es auf Knien zu lesen. Schön sagt es der heilige Albertus Magnus von Köln: Halbes Wissen zerstört den Glauben, ganzes Wissen adelt und vollendet ihn.

Aus der Weltzeitung FAZ


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