Warum die Eucharistiefeier ein einziger Skandal ist

Wer die Eucharistie für verrückt hält, tut es nicht als erster und befindet sich auch nicht in schlechter Gesellschaft, analysiert Paul Badde in der Welt vom Samstag.

Rom (www.kath.net /welt) Gegenüber der „Schule von Athen“, die sich in jedem Geschichtsbuch der Mittelstufe findet, hatte der junge Raffael um das Jahr 1509 schon den „Disput über das Sakrament“ auf die andere große Wand der päpstlichen Sala della Signatura gemalt. Es war sein erstes Fresco in Rom. In Wittenberg hatte Dr. Luther seine Thesen noch nicht angeschlagen. Wie in einem Bernstein hält Raffaels „Disputa del Sacramento“ deshalb das Eucharistieverständnis der vorreformatorischen Christenheit Europas fest. Das Wandbild zeigt einen Altar in der Mitte, darauf eine Monstranz mit einer Hostie, darüber schwebt der Heilige Geist, darüber der erhöhte Christus, darüber der Vater im Himmel.

Adam, Moses, König David, Jeremias und der heilige Stephanus lagern entspannt neben anderen Patriarchen, Propheten, Heiligen und Engeln um Gott in den Wolken, während sich auf der Erde Kirchenlehrer wie Augustinus und Künstler wie Bramante um ein winziges Stück Brot in einer goldenen Fassung scharen: um das „eucharistische Antlitz“ Christi, wie Johannes Paul II. jetzt schrieb, um die „Medizin der Unsterblichkeit, Gegengift gegen den Tod”, wie Ignatius von Antiochien im 2. Jahrhundert sagte. Nicht das Abendmahl, sondern allein die Hostie hat Raffael in diesem Raum als überwältigenden Triumph über alle Weisheit der Welt und der Antike ins Bild gesetzt.

Die Sala della Signatura ist so etwas wie das Bernsteinzimmer der Vatikanischen Museen, in dem von morgens bis abends die Besucherströme nicht nachlassen, die von hier aus weiter zur Sixtinischen Kapelle drängen. Licht durchflutet den Raum verschwenderisch. Ob sich darum von hier aus auch der Disput ein wenig erhellen lässt, der heute in Deutschland wieder über die Eucharistie geführt wird? Dazu müssten wir Rom an dieser Stelle aber für einen kleinen Exkurs über die drei größten Skandale der Geschichte der Religionen verlassen, deren ersten wir uns irgendwo östlich des Mittelmeers vorstellen müssen.

Es war wohl vor rund 3500 Jahren, als sich die Ahnung einiger Nomaden dort zu einem Glauben verdichtete, der sie danach etwa folgendes zu den Stämmen sagen ließ, unter denen sie ihre Zelte aufschlugen: „Es gibt nicht hunderte von Göttern, wie ihr glaubt. Es gibt nur einen einzigen Gott. Er hat nicht nur Himmel und Erde erschaffen, sondern natürlich auch die Lampen am Himmel, von denen ihr denkt, dass sie Götter sind. Dieser Gott ist unser Gott!“ Kulturgeschichtlich gesehen war es eine ungeheuerliche, unglaubliche Frechheit, zu der sich die frühen Juden da erkühnten – unter denen dann auch gleich noch der zweite Skandal seinen Anfang nahm, freilich mehr als 1000 Jahre später.

Das war, als zwölf Männer und einige Frauen plötzlich gegen alle Schriftgelehrten Israels aufstanden und behaupteten: „Der Schöpfer des Himmels und der Erde ist anders, als wir ihn uns vorgestellt haben. Denn er hat sich uns persönlich gezeigt, uns und euch. Er ist Mensch geworden, er hat mit uns gelebt und gegessen und ihr habt ihn verhaften und hinrichten lassen. Hier in Jerusalem hat er sich schlachten lassen wie ein Lamm. Der Tod konnte ihn aber nicht halten, er ist aus dem Grab auferstanden, er lebt, wir haben ihn gesehen und wieder mit ihm Mahl gehalten.“ Wen will wundern, dass diese Nachricht in den Ohren der meisten Menschen Judäas, Samarias und Galiläas noch viel skandalöser gellte als die Nachricht ihres neuen Glaubens, mit dem die Juden ein Millenium zuvor das mächtige Ägypten und Babylon entsetzt hatten?

Vielleicht ist aber dennoch der dritte Skandal der allergrößte, auch wenn es in den letzten Jahrhunderten immer stiller um ihn geworden ist. Denn aus der Auferstehung, die die Apostel bezeugten, erstand zuerst und zuletzt ja nur die universale Kirche aus Juden und Heiden, in der von Anfang an erklärt wurde, dass jedes Mal, wenn Christen sich in gläubiger Erinnerung an den letzten Abend Jesu vor seinem Tod versammelten und dabei Brot und Wein weihten und verzehrten, dass dann Christus, das Opferlamm Gottes, selbst wieder ganz und gar in diesem Brot und Wein unter ihnen gegenwärtig sei – und zwar nicht nur zeichenhaft, oder als fromme Erinnerung, sondern wirklich und wahrhaftig.

„Wir opfern immer das gleiche Lamm, und nicht heute das eine und morgen ein anderes“, schrieb Johannes Chrysostomus im 4. Jahrhundert. Das Brot sei lebendiger Leib, führte Ephraim, der Syrer, zur gleichen Zeit aus, und jeder, der es gläubig verzehre, esse „Feuer und Geist“. Philosophisch gesprochen, sei Gott im eucharistischen Brot also nicht symbolisch gegenwärtig, sondern ontologisch, auf Deutsch: nicht als verdichtetes Zeichen seines letzten Gastmahls, sondern wirklich. Ist das aber so, dann muss das auch für jeden Krümel gelten, und zwar auch, wenn die Eucharistiefeier beendet und das gemeinsame Mahl schon lange abgeräumt ist.

Darum entwickelte sich um diesen Glauben später im Westen eine eigene Sakramentsfrömmigkeit, die es nicht einmal in der Orthodoxie gibt und die wie in einem Lackmustest noch heute den fremden Kern des Katholischen festhält. Für alle sieben Sinne hält die Sakramentverehrung nämlich besonders das verwandelte Wesen jenes eucharistischen Brotes fest, das nicht sofort verzehrt wird: im Gold des „Tabernakels“, in dem diese Hostien verwahrt werden, im brennenden Öllicht davor, im Weihrauch, das den feierlichen Segen mit der Hostie in der „Monstranz“ begleitet, in den Kniebeugen – also für die Augen und Ohren, die Nase und für den Verstand. Denn es sind ja allesamt alte Formen der byzantinischen Kaiserverehrung, die hier freilich keinem Kaiser oder Menschen, sondern einem Stück konsekrierten Brotes gezollt werden.

„Allerheiligstes“ wird der Tabernakel darum auch genannt, nach der innersten Kammer des jüdischen Tempels, die vor 2000 Jahren als der Raum galt, in dem Gott im Wort der Tora wohnte. Nach der Reformation verfügte das Konzil von Trient noch einmal, dass jede konsekrierte Hostie „wahrhaft, wirklich und substanzhaft“ Leib und Blut Christi bleibt. Natürlich übersteigt das jedes Verstehen und Begreifen – was gleichwohl Denker von Thomas von Aquin bis zu Edith Stein immer neu fasziniert hat. Nach Hans Ulrich Gumbrecht war es das radikale Festhalten an das wirklich verwandelte konsekrierte Brot, das die katholische Kirche davor bewahrt hat, „zu einer bloßen Weltanschauung zu werden.

Für Katholiken ist die Eucharistie also nicht nur das geteilte Brot einer christlichen Abendmahlsfeier – von dem sich so viel leichter glauben lässt, das Gott in diesem Teilen zugegen sei. Für sie ist es Gott in einem Stück Brot, als zerbrechliche, vergängliche Materie. Das ist natürlich unglaublich. Dennoch ist das bis heute der Glaubenskern der katholischen Kirche geblieben – auch wenn alle Katholiken ihn gewiss nur mit Mühe und sehr viele wohl schon überhaupt nicht mehr teilen, etliche Bischöfe inklusive. Ontologische Gegebenheiten sind freilich immun gegen wechselnde Mehrheiten. Entweder es ist so oder es nicht so – als letzter Skandal in der Geschichte der Religionen: „Das ist mein Leib, / das ist mein Blut.“

Wer das Ganze für verrückt hält, tut es also nicht als erster und befindet sich auch nicht in schlechter Gesellschaft. Die evangelischen Kirchen teilen dieses Sakramentsverständnis nicht mehr. Aber auch ein Protestant wird nicht im Ernst erwarten, dass die katholische Kirche diesen Glauben aufgeben darf, ohne sich selbst aufzugeben – und am wenigsten wird es jemand vom Papst erwarten. Am Gründonnerstag hat er ein letztes Lehrschreiben veröffentlicht, wo er den Disput um das Sakrament der „kosmischen“ Eucharistie im Jahr 2003 noch einmal „gut katholisch“ in 62 Kapiteln gegen alle Verwässerungen verteidigt hat. Nicht weniger gut katholisch – wenn auch nicht ganz so päpstlich – hat es die Schriftstellerin Flannery O’Connor aus Georgia aber vor vielen Jahren schon einmal in einem einzigen Satz gesagt, im Streitgespräch mit einem Anglikaner: „Wenn die Eucharistie nicht mehr ist als ein Symbol Christi, dann sage ich: zur Hölle damit!“

Paul Badde

 
  









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