Bis der Notarzt kommt
Zurück zur Bibel?
Der Ökumenismus treibt neue, welke Blüten
Es
gibt unter Männern jenseits der Fünfundsechzig für den Fall, daß sie alle
noch einiger als einig sind, eine Art von alberner Ausgelassenheit, die
wie eine Karikatur der Harmonie des Himmels anmutet. So muß es zugegangen
sein, als die Katholische Akademie Bayerns jüngst den Ökumene-Preis an
Bischof Professor, Ulrich Wilckens und Professor Otto Hermann Pesch
verliehen hat, also an einen katholisierenden Lutheraner und einen
lutherisierenden Ex-Dominikaner. Und passend
dazu lud man als Laudator Thomas
Söding (katholisch), einen Theologen sonnigsten Gemüts ohne Feinde.
Was in aller
Welt sollte nicht stimmen bei so vielen Gutmenschen? Es gibt doch auch so
viele gute Bücher zu diesem Thema, von Harding Meyer bis Heinrich Fries,
es gibt Lehrstühle für Ökumenismus und vor allem Kongresse. Sollte ich das
alles übersehen haben? Sollte mich gar der Spalt-Teufel reiten? Nun,
sicher kann man nie sein und vielleicht ist es die kollektive
Selbstsicherheit des oben geschilderten Establishments, die am meisten
irritiert, ja deprimiert. Immerhin, der einzige kritische Satz in München
stammt von Thomas Söding, der mutig sagte: „Der Grad der
Selbstreferentialität ökumenischer Dokumente wird nur noch von
vatikanischen Enzykliken übertroffen."
Die
Lebenslüge Numero eins des Ökumenismus ist die Meinung, „die Bibel" oder
„allein die Schrift" sei Maßstab der Vereinigung der Kirchen. In der
Ahnungslosigkeit der fünfziger Jahre meinten viele, die Annäherung an die
Bibel brächte die Christen zusammen. Aber die Schrift enthält
Unterschiedliches, allein im Neuen Testament gibt es etwa dreizehn
verschiedene Theologien, und überdies hat fast jeder Professor noch seine
eigenen Ansichten über das, was darin steht. Es ist daher unangebracht,
wenn Protestanten Katholiken ermahnen, sie müßten schriftgemäßer werden.
Allzuoft ist die Schrift ideologisiert und vor den jeweils eigenen Karren
gespannt worden.
Schon in den
sechziger Jahren hat deshalb Ernst Käsemann verkündet, die Schrift könne
nicht die Einheit der Kirche begründen. Und er hatte recht, denn die
Schrift gibt es nicht pur, sondern immer nur in der Lektüre derer, die sie
auslegen. Ist das „sola scriptura in irgendeinem Sinne realistisch?
Christlicher Glauben ist weder die Summe der Professorenmeinungen, noch
kann sich jeder einzelne zurechtlegen, was er glauben soll und will.
Anhand der „Schwulensegnung", der sich in Deutschland immerhin fünf große
evangelische Landeskirchen angeschlossen haben und die sicher nicht
schriftgemäß ist, wird deutlich, daß an diesem Prinzip eigentlich keiner
mehr festhalten kann. Gewiß kann man sich exegetisch verbiegen um den Text
so lange zu kitzeln, bis er das Gewünschte hergibt. Doch in den
obengenannten Reden aus München liest man auf jeder Seite zweimal vom
„Zurück zur Bibel". Entweder haben die Redner keine Ahnung von
Erkenntnistheorie oder von Exegese oder, sie verkaufen ihre Zuhörer für
dumm.
So ist es
eine Überforderung jeder denkbaren Exegese, das Recht auf Frauenordination
aus dem Neuen Testament zu erweisen. Das letzte exegetische Mittel,
freilich aus Zeiten des Faustrechts in der Bibelauslegung, ist immer, eine
spätere Glosse anzunehmen. So geschieht es etwa für die Stelle 1. Kor
14,34-36. Genausowenig kann man die Ohrenbeichte vor dem Pfarrer aus der
Schrift beweisen. Das muß ja auch alles nicht sein - nur wer das Gegenteil
fordert, schafft mit dem Rekurs auf die „Schrift" mehr Probleme, als er
löst.
Ökumenismus
stellt sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen dar. Die obengenannte ist
die professorale, theoretische. Davon zu unterscheiden ist die praktische,
auf der das theoretisch Erdachte vor Ort umgesetzt wird, „bis der Notarzt
kommt". Als Theorie ist Ökumenismus ein Selbstläufer irenischer
Professoren geworden, subtil, gelehrt und praxisfern (siehe Dokumente über
„Rechtfertigung"). Auch hier gilt: Wer auch nur geringe Ahnung hat von der
Verführbarkeit des Geistes, wird sich nicht darüber wundern, wie geduldig
Papier ist. Denn innerhalb eines gewissen Rahmens kann man, wenn man nur
will, nahezu alles philologisch beweisen. Auch jedem Juristen sollte
dieses vertraut sein. Wenn man nur will, kann man zeigen, daß Standpunkt x
und Standpunkt y gar nicht so weit auseinanderliegen, wie man meinte.
Dieses verzweifelte Bemühen bedingt im übrigen auch die Wirkungslosigkeit
ganzer ökumenistischer Bibliotheken.
Als Praxis
hingegen ist Okumenismus ein „Hobby" aufgeklärter Reformer. Insbesondere
die katholische Kirche ist seit dem Konzil zu einem Ameisenhaufen
selbsternannter Kirchenverbesserer geworden. Keine Autofahrt mit
Pfarrgemeinderäten vergeht, auf der ich nicht tiefgreifende
Reformvorschläge (alle in Richtung Ökumene) anhören muß. Und wer will`
sich schon der bevorstehenden herrlichen Verschwisterung widersetzen?
Je länger
ich diesem Treiben zuschaue, um so mehr stellt sich die Frage: Kann man
überhaupt so mit einer Religion umgehen? Die Antwort ist immer stärker:
Nein. Das; was produziert wird, ist Aufklärung ohne ihre Dialektik, sind
aufklärerische Freundschaftsbünde, oft inklusive Horror vor Ritualen. Um
einen vernünftigen Freundschaftsbund ging es zum Beispiel, als vor 180
Jahren die Badische Union entstand: „in der Einigkeit und Freundschaft mit
allen Christen". Und diese Aufklärung ist von Religion haarscharf
verschieden. Freilich schrieb
schon 1993 der Ökumeniker Heinrich Fries anläßlich meiner Rezension zum
„Weltkatechismus" in dieser Zeitung, die Gefahr eines Humanismus, der
Reduktion auf ein Minimalbekenntnis, bestehe für seine Ökumene nicht. Nun,
man kann ja sehen, was in den elf Jahren seitdem geschehen ist.
Doch was
auch immer man gegen Ökumenismus einwendet, dem Kritiker wird es ergehen
wie in der Fabel von Hase und Igel. Wer sagt: In der Religion der Zukunft
wird es um drei Dinge gehen - um das Geheimnis, das Heilige und die reale
Gegenwart Gottes, der wird hören: Haben wir alles, machen wir alles schon.
Denn die Berufsökumeniker werden stets behaupten, daß sie nichts aufgeben
wollen. Man muß schon genau hingucken, wenn man die Unterschiede zwischen
Säkularisat und Original entdecken will.
Zwei Punkte:
Die Kirche der Ökumeniker ist keine missionarische mehr. Folgt man den
Ausführungen von Otto Hermann Pesch, so wird die Kirche in Zukunft
bestenfalls ein „Markt der Möglichkeiten" sein. Eine sich so verstehende
Kirche wird sich vor allem mit ihren inneren Problemen beschäftigen.
Früher gab es dafür Konzilien, die durch ihre Autorität die Kirche
geschlossen und damit missionsfähig hielten. Es ist schon Weisheit Jesu:
Ein in sich gespaltenes Reich kann sich nicht ausbreiten.
Das zweite,
was fehlt, sind die Spitzen religiöser Erfahrung „oben" und „unten". Eine
aufgeklärte Religion wird weder die Seligkeit des Findens der Wahrheit
noch die Abgründe von Kreuz, Martyrium, Leid und Schande aufweisen. Daß
der aufgeklärten Theologie das extreme Leiden fremd ist, zeigt im
Rückblick die Diskussion um den Gibson-Film „Die Passion Jesu". Extremes
Leiden und Mitleiden ist außerhalb der Kontrolle der wohltemperierten
Vernunft. Das vor allem war für die Bischöfe ein Ärgernis: extreme
religiöse Erfahrung. Darstellungen des Schmerzensmanns werden aus Kirchen
entfernt, eine Bischöfin schlägt vor, statt des Kreuzes lieber spielende
Kinder abzubilden. Schlechte Zeiten also für Pascals Gott Abrahams, Isaaks
und Jakobs.
Was es mit
des Kreuzes Schande' auf sich hat, ist am Stichwort Zölibat zu zeigen. In
meine Sprechstunde kommen oft Studenten, die sagen: Eigentlich bin ich
katholisch, aber es ist ja sowieso alles gleich, und da studiere ich erst
einmal evangelische Theologie, auch wegen des Zölibats. In der Tat: Wenn
alles ohnehin ganz ähnlich ist, wozu noch den Zölibat halten? Jesu
Eunuchenwort (Mt 19,12) und paulinische Kreuzes-theologie haben viel
miteinander zu tun: Eunuch zu sein ist genauso eine Schande wie fehlendes
Ansehen bei Paulus. Und das Kreuz zumal ist die schändlichste
Hinrichtungsart. Das Wort Kreuz markiert bei Paulus immer den direkten
Gegensatz zu den bürgerlichen -Wertvorstellungen. Jesus sagt:
„Wenn jemand hinter mir gehen will, soll er nicht an sich selbst denken,
sondern nach meinem Vorbild Kreuz [und Schande] auf sich nehmen" (Mk
8,34).
Nimmt man
hier Paulus und Jesus zusammen, dann gilt: Nicht Ehelosigkeit ist die
Schande, sondern ehrenrührig ist es, keinen „Partner" zu haben. Wer keinen
„Partner" hat, der hat eben keinen „abgekriegt", ist ein Mauerblümchen
ohne Attraktivität, Ausstrahlung und Charme. Ob er freiwillig verzichtet
hat oder nicht, ist dabei ganz egal. Wer keinen Partner hat, wird dagegen
in jeder Hinsicht verdächtigt. Gewiß kann man 'auch auf andere Weise ganz
dem Herrn gehören. Aber der Verzicht auf Partner ist ein ganz besonderes
Zeichen, ein prophetisches, wie es eben prophetische Zeichenhandlungen
waren. Aber es ist ein Zeichen mit besonderem Verkündigungscharakter über
das, was Glauben überhaupt bedeutet. Schon immer hatten Ehe und Sexualität
in Israel diesen hochsensiblen Zeichencharakter.
Eine
Verkündigung ohne dieses Zeichen wäre ärmer oder, wie die katholische
Kirche denkt, entscheidend ärmer. Sie sieht dieses Zeichen bei Johannes
dem Täufer, Jesus und Paulus. Beim Zwangszölibat verzichtet man freiwillig
nicht nur auf den Partner, sondern auch auf seine Freiheit. Also doppelte
Schande, zu den letzteren zu gehören. Leiden, Blut und Kreuz, Schande und
Martyrium gehören zum Problem der Theodizee. Schon die alte Aufklärung ist
an dieser Frage gescheitert. Der ökumenistischen Aufklärung wird es da
nicht anders ergehen. Keiner wird für Aufkläricht sterben wollen.
Vor allem
für die protestantische Seite ist dieses peinlich. Nach meiner Kenntnis
liegt der protestantische Kirchenbesuch bei ein bis zwei Prozent, der
katholische bei zehn Prozent. Die Bindekraft der katholischen Kirche ist
etwa zehnmal stärker. Eine „Ein-bis-zwei-Prozent-Kirche" ist praktisch
tot. Es ist daher verständlich, daß man nach vorne flüchtet und sich mit
den Katholiken zusammentut, dabei deren Dummheit („Theologie-Mängel") und
Gutwilligkeit ausnutzend. So aber kann man mit Religion schon gar nicht
umgehen. Denn eine Religion kann man nicht modernisieren. Mein Rat: Beide
Seiten brauchen Zeit, Ruhe zu finden. (KLAUS BERGER) |
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