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Im Hinblick auf die Bischofssynode des kommenden Oktobers habe
ich gedacht, die Fastenpredigten dieses Jahres dem Thema des
Wortes Gottes zu widmen. Wir werden in der Folge über die
Verkündigung des Evangeliums im Leben Christi nachdenken, das
heißt über Jesus, „der verkündet“, über die Verkündigung der
Sendung der Kirche, das heißt über den „verkündeten“ Jesus, über
das Wort Gottes als Mittel der persönlichen Heiligung, die
lectio divina, sowie über die Beziehung zwischen dem Geist
und dem Wort, das heißt das geistliche Lesen der Bibel.
Wir beginnen diese Predigten am Tag, an dem die Kirche das Fest
der Kathedra Petri feiert, und das ist nicht ohne Bedeutung für
unser Thema. Es bietet uns dies vor allem die Gelegenheit, den,
der heute auf dem Stuhl Petri sitzt, den Heiligen Vater Benedikt
XVI., zu ehren und ihm unsere Zuneigung und Verehrung zu
bekunden. Dann erinnert es uns an das, was der Apostel Petrus
selbst in seinem zweiten Brief schreibt: „Keine Weissagung der
Schrift darf eigenmächtig ausgelegt werden“ (2 Petr 1,20), und
dass deshalb jede Interpretation des Wortes Gottes sich mit der
lebendigen Tradition der Kirche messen muss, deren authentische
Auslegung dem apostolischen Lehramt und in einzigartiger Weise
dem petrinischen Lehramt anvertraut ist.
Es ist schön, bei einer Gelegenheit wie dieser und im Kontext
des aktuellen ökumenischen Dialogs an einen bekannten Text des
hl. Irenäus zu erinnern: „Weil es aber zu weitläufig wäre, in
einem Werke wie dem vorliegenden die apostolische Nachfolge
aller Kirchen aufzuzählen, so werden wir nur die apostolische
Tradition und Glaubenspredigt der größten und ältesten und
allbekannten Kirche, die von den beiden ruhmreichen Aposteln
Petrus und Paulus zu Rom gegründet und gebaut ist, darlegen… Mit
der römischen Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen
Vorranges (propter
potentiorem principalitatem) jede Kirche übereinstimmen, d.
h. die Gläubigen von allerwärts, denn in ihr ist immer die
apostolische Tradition bewahrt von denen, die von allen Seiten
kommen“ (Irenäus, Adv. Haer. III, 2).
In diesem Geist, nicht ohne Furcht und Zittern, schicke ich mich
an, meine Gedanken über das lebensnotwendige Thema des Wortes
Gotte in Anwesenheit des Nachfolgers des Petrus und Bischofs von
Rom vorzutragen.
1. Die Verkündigung im Leben Jesu
Nach der Erzählung des Taufe Jesu fährt der Evangelist Markus in
seiner Erzählung fort: „Nachdem man Johannes ins Gefängnis
geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete
das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das
Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“
(Mk 1,14f). Matthäus schreibt kürzer: „Von da an begann Jesus zu
verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 4,17).
Mit diesen Worten beginnt das „Evangelium“, verstanden als die
gute Nachricht „Jesu“ – das heißt überbracht von Jesus und deren
Subjekt Jesus ist –, anders als die gute Nachricht „von“
Jesus der nachfolgenden apostolischen Predigt, in der Jesus das
Objekt ist.
Es handelt sich um ein Ereignis, das einen genauen
raumzeitlichen Platz einnimmt: es geschieht „in Galiläa“, „nachdem
man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte“. Das von den
Evangelisten gebrauchte Wort „er begann zu verkünden“ hebt stark
hervor, dass es sich um einen „Anfang“ handelt, um etwas Neues
nicht nur im Leben Jesus, sondern in der Heilsgeschichte selbst.
Der Brief an die Hebräer drückt diese Neuheit so aus: „Viele
Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern
gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu
uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1-2). Es beginnt eine
besondere Zeit des Heils, ein neuer
kairos, der sich auf ungefähr zwei Jahre erstreckt (vom
Herbst 27 bis zum Frühjahr 30 nach Christus).
Jesus wies dieser seiner Aktivität eine derartige Wichtigkeit zu,
dass er sagte, dass er vom Vater gerade dazu gesandt und mit der
Salbung des Heiligen Geistes geweiht worden ist, nämlich „damit
ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Während
einige ihn einmal aufhalten wollten, ermahnt er die Apostel zum
Aufbruch und sagt ihnen: „Lasst uns anderswohin gehen, in die
benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin
ich gekommen“ (Mk 1,38).
Die Verkündigung Jesu ist teil der so genannten „Geheimnisse des
Lebens Christi“ und als solches nähern wir uns ihr an. Mit dem
Wort „Geheimnis“ ist in diesem Zusammenhang ein Ereignis des
Lebens Jesu gemeint, das eine Heil bringende Bedeutung trägt und
als solches von der Kirche in ihrer Liturgie gefeiert wird. (vgl.
Augustinus, Epistula 55, 1,2) Wenn es kein spezifisches
liturgisches Fest der Verkündigung Jesu gibt, so ist das deshalb
der Fall, da ihrer in jeder Liturgie der Kirche gedacht wird.
Der „Wortgottesdienst“ in der Messe ist nichts anderes als die
liturgische Aktualisierung des verkündenden Jesus. Ein Text des
II. Vatikanischen Konzils besagt: „Gegenwärtig ist er in seinem
Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der
Kirche gelesen werden“. (Sacrosanctum
concilium 7).
So wie Jesus in der Geschichte nach der Verkündigung des Reiches
Gottes nach Jerusalem ging, um sich dem Vater als Opfer
darzubringen, so erneuert Jesus in der Liturgie nach der
erneuten Verkündigung seines Wortes das Opfer seiner selbst an
den Vater durch die eucharistische Handlung. Wenn wir am Ende
der Präfation sagen: „Gepriesen sei der, der kommt im Namen des
Herrn: Hosanna in der Höhe“, so geben wir im ideellen Sinn jenen
Moment wieder, in dem Jesus in Jerusalem einzieht, um sein
Pas’cha zu feiern; dort endet die Zeit der Verkündigung und
beginnt die Zeit des Leidens.
Die Verkündigung Jesu ist also ein „Geheimnis“, da sie nicht nur
die Offenbarung einer Lehre enthält, sondern das Geheimnis der
Person Christi erklärt; sie ist wesentlich, um sowohl das
Vorhergehende zu verstehen – das Geheimnis der Menschwerdung –
als auch das, was folgt: das Ostergeheimnis. Ohne das Wort Jesu
würde es sich um stumme Ereignisse handeln. Es war eine
glückliche Intuition Johannes Pauls II., in die Verkündigung des
Reiches unter die „lichtreichen Geheimnisse“ einzufügen , die
von ihm den freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen
Geheimnisses hinzugefügt wurden, neben der Taufe Christi, die
Hochzeit von Kanaan, die Verklärung und die Einsetzung der
Eucharistie.
2. Die Fortsetzung der Verkündigung Christi in der Kirche
Der Verfasser der Briefs an die Hebräer schrieb eine
beträchtliche Zeit nach dem Tode Jesu, als eine lange Zeit
nachdem Jesus zu sprechen aufgehört hatte; und dennoch sagt er,
das Gott uns im Sohn „gerade in diesen Tagen“ gesprochen hat. Er
betrachtet also die Tage, in denen er lebt, als Teil der „Tage
Jesu“. Deshalb wendet er ein wenig später eine Zitat aus den
Psalmen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz
nicht wie beim Aufruhr“ auf die Christen an und sagt: „Gebt Acht,
Brüder, dass keiner von euch ein böses, ungläubiges Herz hat,
dass keiner vom lebendigen Gott abfällt, sondern ermahnt
einander jeden Tag, solange es noch heißt: Heute“ (vgl. Hebr
3,7f).
Gott spricht also auch heute in der Kirche und er spricht „im
Sohn“. „So ist Gott – so ist in der dogmatischen Konstitution
Dei Verbum zu lesen –, der einst gesprochen hat, ohne
Unterlass im Gespräch mit der Braut seines geliebten Sohnes, und
der Heilige Geist, durch den die lebendige Stimme des
Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt,
führt die Gläubigen in alle Wahrheit ein und lässt das Wort
Christi in Überfülle unter ihnen wohnen“. (Dei Verbum 8)
Wie aber können wir diese „seine Stimme“ hören? Die göttliche
Offenbarung ist abgeschlossen; in einem gewissen Sinn gibt es
keine Worte Gottes mehr. Und siehe: da entdecken wir eine
weitere Verwandtschaft zwischen dem Wort und der Eucharistie.
Die Eucharistie ist in der ganzen Heilsgeschichte gegenwärtig:
im Alten Testament als Bild (das Osterlamm, das Opfer des
Melchisedek, das Manna), im Neuen Testament als Ereignis (der
Tod und die Auferstehung Christi), in der Kirche als Sakrament (die
Messe).
Das Opfer Christi ist vollendet und abgeschlossen am Kreuz; in
einem gewissen Sinne gibt es also keine Opfer Christi mehr; und
dennoch wissen wir, dass da noch ein Opfer ist und dass es das
eine Kreuzesopfer ist, das im eucharistischen Opfer gegenwärtig
und wirksam wird; das Ereignis dauert fort im Sakrament, in der
Geschichte der Liturgie. Etwas Analoges geschieht mit dem Wort
Christi: es hat aufgehört, als
Ereignis zu existieren, aber es existiert noch als
Sakrament.
In der Bibel bildet das Wort Gottes (dabar),
gerade in der besonderen Form, die es in den Propheten annimmt,
immer ein Ereignis; es ist ein Ereignis-Wort, das heißt ein Wort,
das eine Situation schafft, die immer etwas Neues in der
Geschichte bewirkt. Der geläufige Ausdruck „das Wort Jahwes kam
zu…“ könnte mit „das Wort Jahwes nahm die konkrete Form in… (Ezechiel,
Zacharias, Habakuk usw.) an“ übersetzt werden.
Diese Art von Ereignis-Wort dauert bis Johannes dem Täufer fort;
in Lukas lesen wir: „Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung
des Kaisers Tiberius… erging in der Wüste das Wort Gottes an (factum
est verbum Domini super) Johannes, den Sohn des Zacharias“ (Lk
3,1ff). Nach diesem Moment, verschwindet diese Formel gänzlich
aus der Bibel und an ihre Stelle tritt eine andere; nicht mehr:
factum est verbum Domini super, sondern Verbum factum est:
das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Das Ereignis ist jetzt
eine Person! Nie begegnet man dem Satz: „das Wort Gottes erging
an Jesus“, da er das Wort ist. Den provisorischen
Verwirklichungen des Wortes Gottes in den Propheten folgt jetzt
die volle und endgültige Verwirklichung.
Indem er sich im Sohne schenkt – schreibt der hl. Johannes vom
Kreuz – hat Gott uns alles auf einmal gesagt und hat nichts mehr
zu offenbaren. Gott ist in einem gewissen Sinn stumm geworden,
da er nichts mehr zu sagen hat. (vgl. Johannes vom Kreuz,
Aufstieg zum Berg Karmel II, 22, 4-5) Aber man muss das wohl
verstehen: Gott ist stumm geworden in dem Sinne, dass er nichts
Neues mehr zu dem hinzuzufügen hat, was er in Jesus gesagt hat,
nicht aber in dem Sinn, dass er nicht mehr spricht; er sagt
immer neu das, was er einmal in Jesus gesagt hat!
4. Das Wort: hörbares Sakrament
Es gibt in der Kirche keine
Ereignis-Worte mehr, dafür aber
Sakrament-Worte. Die Sakrament-Worte sind die Worte Gottes,
die ein für allemal „geschehen“, in der Bibel gesammelt sind und
jedes Mal wieder „aktive Wirklichkeit“ werden, wenn die Kirche
sie mit Vollmacht verkündet und der Heilige Geist, der sie
inspiriert hat, sie wieder im Herzen derer entzündet, die sie
hören. „Er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch
verkünden“, sagt Jesus vom Heiligen Geist (Joh 16,14).
Wenn man vom Wort als „Sakrament“ spricht, so wird dieser
Begriff nicht im technischen und auf die sieben Sakramente
eingeschränkten Sinn genommen, sondern im weiteren Sinn,
aufgrund dessen man von Christus vom „Ursakrament des Vaters“
und von der Kirche als dem „allumfassenden Heilssakrament“
spricht. (vgl. Lumen Gentium, 48) In Beachtung der Definition,
die der hl. Augustinus vom Sakrament als „einem sichtbaren Wort“
(verbum
visibile) gibt (vgl. Augustinus, In Evangelium Ioannis
tractatus 80,3), definiert man gewöhnlich im Gegensatz dazu das
Wort als ein „hörbares Sakrament“ (sacramentum
audibile).
In jedem Sakrament unterscheidet man ein sichtbares Zeichen und
eine unsichtbare Wirklichkeit, die die Gnade ist. Das Wort, das
wir in der Bibel lesen, ist an sich nichts anderes als ein
materielles Zeichen (wie das Wasser und das Brot), ein Zusammen
von toten Silben oder höchstens ein Wort des menschlichen
Wortschatzes wie die anderen; treten aber der Glaube und die
Erleuchtung durch den Heiligen Geist hinzu, kommen wir durch
dieses Zeichen in geheimnisvoller Weise in Berührung mit der
lebendigen Wahrheit und dem Willen Gottes und hören die Stimme
Christi.
„Der Leib Christi“, so schreibt Bossuet, „ist nicht wirklicher
im anzubetenden Sakrament gegenwärtig, als er dies in der
Verkündigung des Evangeliums ist. Im Geheimnis der Eucharistie
sind die Gestalten, die ihr seht, Zeichen, aber das, was in
ihnen enthalten ist, ist der Leib Christi; in der Schrift sind
die Worte, die ihr hört, Zeichen, aber der Gedanke, den sie
überbringen, ist die Wahrheit des Sohnes Gottes.“
Die Sakramentalität des Wortes Gottes offenbart sich in der
Tatsache, dass es manchmal ganz klar jenseits des Verstehens des
Menschen wirkt, das begrenzt und unvollkommen sein kann, es
wirkt fast allein durch sich,
ex opere operato, wie man in der Theologie sagt.
Als der Prophet Elischa zum Syrer Naaman, der zu ihm gekommen
war, um vom Aussatz geheilt zu werden, sagte: „Geh und wasch
dich siebenmal im Jordan!“, antwortete dieser entrüstet: „Sind
nicht der Abana und der Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser
als alle Gewässer Israels? Kann ich nicht dort mich waschen, um
rein zu werden?“ (2 Kön 5,12). Naaman hatte recht: die Flüsse
Syriens waren zweifellos besser und wasserreicher; und dennoch
wurde er durch das Bad im Jordan geheilt und sein Leib wurde wie
der eines Kindes, was nie geschehen wäre, wenn er in einem der
großen Flüsse seines Landes gebadet hätte.
So ist es mit dem Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift
enthalten ist. Unter den Heiden und auch in der Kirche gab und
gibt es bessere Bücher, als es einige Bücher der Bibel sind,
literarisch feinere und im religiösen Sinne erbaulichere (man
denke an die
Imitatio Christi), und dennoch wirkt keines von diesen so,
wie das geringste der inspirierten Bücher wirkt. In den Worten
der Schrift ist etwas, das jenseits aller menschlichen Erklärung
wirkt; es ist eine evidente Unverhältnismäßigkeit zwischen dem
Zeichen und der von ihm gewirkten Wirklichkeit gegeben, was eben
an das Wirken der Sakramente denken lässt.
Die „Gewässer Israels”, welche die göttlich inspirierten
Schriften sind, heilen auch heute vom Aussatz der Sünde; nach
der Verlesung des Evangeliums der Messe fordert die Kirche den
Priester oder Diakon dazu auf, das Buch zu küssen und zu
sprechen; „Durch die Worte des Evangeliums mögen getilgt werden
unsere Sünden“ (per
evangelica dicta deleantur nostra delicata). Die heilende
Kraft des Wortes Gottes wird von der Schrift selbst bezeugt: „Weder
Kraut noch Wunderpflaster machte sie gesund, sondern dein Wort,
Herr, das alles heilt“ (Weish 16,12).
Die Erfahrung bestätigt dies. Ich habe einen Menschen dieses
Zeugnis in einer Fernsehsendung geben hören, an der ich teilnahm.
Er war ein Alkoholiker im letzten Stadium; er hielt es nicht
mehr als zwei Stunden ohne Trinken aus; die Familie war am Rand
der Verzweiflung. Sie luden ihn zusammen mit seiner Frau zu
einem Treffen über das Wort Gottes ein. Dort las jemand einen
Abschnitt der Schrift. Ein Satz durchfuhr ihn wie eine
Stichflamme und er spürte, dass er geheilt war. Im Anschluss
daran öffnete er jedes Mal, wenn er die Versuchung zu trinken
verspürte, eilends die Bibel an jener Stelle, und allein durch
das erneute Lesen der Worte spürte er, wie die Kraft in ihn
zurückkehrte, bis er jetzt ganz geheilt ist. Als er sagen wollte,
um welche Satz es sich handelte, gebrach ihm die Stimme aus
Rührung. Es war das Wort aus dem Hohenlied: „Süßer als Wein ist
deine Liebe“ (Hld 1,2). Diese einfachen Worte, die dem
Augenschein nach nichts mit seinem Fall zu tun hatten, hatten
das Wunder vollbracht. Eine ähnliche Episode ist in den
Erzählungen eines russischen Pilgers zu lesen. Aber der
berühmteste Fall ist der des Augustinus. Beim Lesen der Worte
des Paulus im Römerbrief (13,12ff): „Darum lasst uns ablegen die
Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst
uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken,
ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht“,
spürte er „ein Licht der Gelassenheit“, das im Herzen
aufleuchtete, und er verstand, dass er von der Knechtschaft des
Fleisches geheilt war. (Augustinus, Confessiones VIII, 12)
5. Der Wortgottesdienst
Es gibt einen Bereich und einen Moment im Leben der Kirche, in
dem Jesus heute in feierlichster und sicherster Weise spricht,
und das ist der Wortgottesdienst in der Messe. In den Anfängen
der Christenheit war der Wortgottesdienst von der
eucharistischen Liturgie getrennt. Die Jünger, so berichtet die
Apostelgeschichte, „verharrten Tag für Tag einmütig im Tempel“;
dort hörten sie die Lesungen der Bibel, sangen die Psalmen und
die Gebete zusammen mit den anderen Juden; sie taten das, was
man im Wortgottesdienst tut; dann versammelten sie sich und „brachen
in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude
und Einfalt des Herzens“, das heiß sie feierten Eucharistie (vgl.
Apg 2,43ff).
Bald aber wird diese Praxis unmöglich, sowohl aufgrund der
Feindseligkeit, die ihnen seitens der jüdischen Gemeinde
entgegengebracht wurde, als auch aufgrund der Tatsache, dass die
Schriften nunmehr für sie einen neuen Sinn angenommen hatten,
der ganz auf Christus ausgerichtet war. So ging auch das Hören
der Schrift vom Tempel und von der Synagoge an die Orte des
christlichen Kultes über und wurde zum heutigen Wortgottesdienst,
der der eucharistischen Liturgie vorangeht.
Der hl. Justinus gibt im 2. Jahrhundert eine Beschreibung der
eucharistischen Feier, in der bereits alle wesentlichen Elemente
der künftigen Messe vorhanden sind. Nicht nur der
Wortgottesdienst ist integraler Bestandteil der Messe, sondern
zu den Lesungen aus dem Alten Testament waren nun jene
hinzugetreten, die der Heilige die „Gedächtnisse der Apostel“
nennt, das heißt die Evangelien und die Briefe, praktisch das
Neue Testament.
Indem die biblischen Lesungen in der Liturgie gehört werden,
nehmen sie einen neuen und stärkeren Sinn an, als wenn sie in
anderen Kontexten gelesen werden. Sie haben nicht so sehr den
Zweck, die Bibel besser zu kennen, wie das der Fall ist, wenn
man sie zuhause oder in einer Bibelschule liest; ihr Zweck
besteht vielmehr darin, denjenigen zu erkennen, der im Brechen
des Brotes gegenwärtig wird, jedes Mal einen besonderen Aspekt
des Geheimnisses zu erhellen, das empfangen wird. Dies erscheint
in fast programmatischer Weise in der Episode der beiden
Emmausjünger auf: durch das Hören der Erklärung der Schriften
begann sich das Herz der Jünger zu lösen, so dass sie ihn dann
am Brechen des Brotes erkennen konnten.
Ein Beispiel unter vielen: die Lesungen des 29. Sonntags im
Jahreskreis, Lesejahr B. Die erste Lesung ist ein Abschnitt vom
leidenden Knecht, der sich die Ungerechtigkeit des Volkes
auferlegt (Jes 53,2-11); die zweite Lesung spricht von Christus,
dem Hohenpriester, der in allem wie wir geprüft ist, die Sünde
ausgenommen; der Abschnitt aus dem Evangelium spricht vom
Menschensohn, der gekommen ist, um sein Leben hinzugeben als
Lösegeld für viele. Zusammen setzen diese drei Texte einen
grundlegenden Aspekt des Geheimnisses ins Licht, das in der
eucharistischen Liturgie gefeiert und empfangen werden wird.
In der Messe werden die Worte und die Episoden aus der Bibel
nicht nur erzählt, sondern neu gelebt; das Gedächtnis wird
Wirklichkeit und Gegenwart. Was „in jener Zeit“ geschah,
geschieht „in dieser Zeit“, „heute“ (hodie),
wie sich die Liturgie gern ausdrückt. Wir sind nicht nur Hörer
des Wortes, sondern Gesprächsteilnehmer und Akteure in ihm. An
uns, die wir dort anwesend sind, richtet sich das Wort; wir sind
dazu aufgerufen, selbst den Platz der erinnerten Personen
einzunehmen.
Auch hier werden die Beispiele zum Verständnis beitragen. In der
ersten Lesung lesen wir die Episode von Gott, der zu Mose aus
dem brennenden Dornbusch spricht: wir sind in der Messe vor dem
wahren brennenden Dornbusch… Von Jesajas lesen wir, dass er auf
die Lippen glühende Kohlen empfängt, die ihn für die Sendung
läutern: wir sind im Begriff, auf den Lippen die wahre glühende
Kohle zu empfangen, den, der gekommen ist, um das Feuer auf die
Erde zu bringen… Ezechiel wird aufgefordert, die Schriftrolle
der prophetischen Orakel zu verspeisen, und wir werden
denjenigen verspeisen, der das fleisch- und brotgewordene Wort
selbst ist…
Dies wird noch klarer, wenn wir vom Alten auf das Neue Testament
übergehen, von der ersten Lesung zum Evangelium. Die Frau, die
an Blutungen litt, ist sicher geheilt zu werden, wenn es ihr
gelingt, den Saum des Gewandes Jesu zu berühren: was soll man
von uns sagen, die wir dabei sind, bedeutend mehr zu berühren
als den Saum seines Gewandes? Einmal hörte ich im Evangelium die
Episode des Zachäus, und mich beeindruckte ihre „Aktualität“.
Ich war Zachäus; die Worten galten mir, „heute muss ich in dein
Haus kommen“, von mir konnte man sagen: „er ist zu einem Sünder
als Gast gegangen!“, und ich war es, zu dem Jesus nach dem
Empfang der Kommunion sagte: „Heute ist das Heil in dieses Haus
gekommen“.
So ist es bei jeder Episode des Evangeliums. Wie sollte man sich
in der Messe nicht mit dem Gelähmten identifizieren, zu dem
Jesus sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“ und „Steh auf und
geh nach Hause“, mit Simeon, der das Jesuskind in Armen hält,
mit Thomas, der zitternd seine Wunden berührt? In der Feier der
Messe vom Tag ist das Evangelium des Freitags der 2. Woche der
Fastenzeit das Gleichnis von den mörderischen Winzern (Mt
21,33-45): „Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er
dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.“ Ich erinnere
mich an die Wirkung dieser Worte auf mich, während ich sie
einmal ziemlich oberflächlich hörte. Derselbe Sohn sollte mir in
der Kommunion gegeben werden: war ich darauf vorbereitet, ihn
mit dem Respekt zu empfangen, den sich der himmlische Vater
erwartete?
Nicht nur die Geschehnisse, sondern auch die in der Messe
gehörten Worte des Evangeliums nehmen einen neuen und stärkeren
Sinn an. Eines Tages im Sommer feierte ich die Messe in einem
kleinen Klausurkloster. Mt 12 war das Evangelium. Ich werde nie
den Eindruck vergessen, den mir diese Worte Jesu hinterließen: „Hier
aber ist einer, der mehr ist als Jona… Hier aber ist einer, der
mehr ist als Salomo”. Es war, als hörte ich sie in diesem Moment
zum ersten Mal. Ich verstand, dass jenes Adverb „hier“ wirklich
hier und jetzt bedeutete, das heißt in jenem Moment und an jenem
Ort, nicht nur in der Zeit, in der Jesus vor vielen
Jahrhunderten auf der Erde war. Seit jenem Tag im Sommer wurden
mir jene Worte auf neue Weise lieb und vertraut. Oft sehe ich
mich während der Messe im Moment, in dem ich nach der Wandlung
niederknie und mich wieder erhebe, dazu veranlasst, in mir zu
wiederholen: „Hier aber ist einer, der mehr ist als Salomo! Hier
aber ist einer, der mehr ist als Jona!”
„Ihr, die ihr gewöhnlich an den göttlichen Geheimnissen
teilnehmt – sagte Origenes zu den Christen seiner Zeit – wenn
ihr den Leib des Herrn empfangt, bewahrt ihn mit aller Vorsicht
und Verehrung, damit nicht einmal ein Krümel zur Erde falle,
damit nichts vom konsekrierten Geschenk verloren gehe. Ihr seid
zu Recht davon überzeugt, dass es eine Schuld ist, aus
Nachlässigkeit Stücke fallen zu lassen. Wenn ihr hinsichtlich
der Verwahrung seines Leibes so vorsichtig seid – und es ist
richtig, dass ihr es seid – so wisset auch, dass die
Vernachlässigung des Wortes Gottes keine geringere Schuld ist
als die Vernachlässigung seines Leibes“. (Origenes, In Exod. hom.
XIII, 3)
Unter den vielen Worten Gottes, die wir jeden Tag in der Messe
oder im Stundengebet hören, findet sich fast immer eines, das in
besonderer Weise für uns bestimmt ist. Allein kann es unseren
ganzen Tag erfüllen und unser Gebet erleuchten. Es geht darum,
es nicht ins Leere fallen zu lassen. Diverse Skulpturen und
Reliefs des antiken Orients zeigen den Schreiber, während er
dabei ist, die Stimme des Herrschers aufzunehmen, der diktiert
oder spricht: man sieht ihn, wie er ganz angespannt ist:
verschränkte Beine, aufrechter Oberkörper, aufgerissene Augen,
offene Ohren. Es ist dies die Haltung, die in Jesajas dem Knecht
des Herrn zugewiesen wird: „Jeden Morgen weckt er mein Ohr,
damit ich auf ihn höre wie ein Jünger“ (Jes 50,4). So sollten
wir sein, wenn das Wort Gottes verkündet wird.
Nehmen wir als die Mahnung, die wir im Prolog der Regel des hl.
Benedikt lesen, als an uns gerichtet auf: „Öffnen wir unsere
Augen dem göttlichen Licht und hören wir mit aufgeschrecktem Ohr,
wozu uns die Stimme Gottes täglich mahnt und aufruft:
Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!
Und wiederum:
Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden
sagt (vgl. Ps 95,8).“