Zweite Predigt
„Als spreche man mit den Worten Gottes“
Der verkündigte Jesus
P. R. Cantalamessa O.M.Cap.
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1. Von Jesus, der verkündet,
zum verkündigten Jesus
Im zweiten Brief an die Korinther – dem Brief schlechthin, der
dem Dienst der Verkündigung gewidmet ist – schreibt der hl.
Paulus diese programmatischen Worte: „Wir verkündigen nämlich
nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber
als eure Knechte um Jesu willen (2 Kor 4,5). Denselben Gläubigen
Korinths hatte er in einem vorhergehenden Brief geschrieben: „Wir
dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten!“ (1 Kor
1,23). Wenn der Apostel mit einem einzigen Wort den Inhalt der
christlichen Verkündigung umfassen will, so ist dieses Wort
immer die Person Jesu Christi!
In diesen Aussagen ist Jesus nicht mehr wie in den Evangelien in
seiner Qualität als Verkündiger, sondern in seiner Qualität als
Verkündigter betrachtet. Parallel dazu sehen wir, dass der
Ausdruck „Evangelium Jesu“ eine neue Bedeutung annimmt, ohne
dabei seine alte zu verlieren; von der Bedeutung der „frohen
Botschaft, die Jesus bringt“ (Jesus als Subjekt!) findet der
Übergang zur Bedeutung der „frohen Botschaft über Jesus“, oder
Jesus betreffend (Jesus als Objekt!) statt.
Dies ist die Bedeutung, die das Wort Evangelium am feierlichen
Anfang des Römerbriefs hat: „Paulus, Knecht Christi Jesu,
berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu
verkündigen, das er durch seine Propheten im voraus verheißen
hat in den heiligen Schriften: das Evangelium von seinem Sohn,
der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem
Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in
Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von
Jesus Christus, unserem Herrn“ (Röm 1-4).
In dieser Betrachtung konzentrieren wir uns auf „das Wort Gottes
in der Sendung der Kirche“. Dies ist das Thema, mit dem sich das
dritte Kapitel der
Lineamenta der Bischofssynode beschäftigt, die die
verschiedenen Aspekte und Bereiche der Verwirklichung
entsprechen dem folgenden Schema erhellt:
• Die Sendung der Kirche ist die Verkündigung Christi, des
fleischgewordenen Wortes Gottes.
• Das Wort Gottes muss allen in allen Zeiten zur Verfügung
stehen.
• Das Wort Gottes, Gnade der Gemeinschaft unter den Christen.
• Das Wort Gottes, Licht für den interreligiösen Dialog:
a. mit dem Volk der Juden
b. mit den Völkern anderer Religionen
• Das Wort Gottes, Sauerteig der modernen Kulturen
• Das Wort Gottes und die Geschichte des Menschen
Ich beschränke mich darauf, einen besonderen und sehr begrenzten
Punkt zu behandeln, von dem ich jedoch glaube, dass er einen
Einfluss auf die Qualität und die Wirksamkeit der Verkündigung
der Kirche in all ihren Formen hat.
2. „Unnütze“ und „wirksame“ Worte
Im Matthäusevangelium wird im Zusammenhang der Rede über die
Worte, die das Herz offenbaren, ein Wort Jesu wiedergegeben, das
die Leser des Evangeliums aller Zeiten erzittern ließ: „Ich sage
euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden
sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Mt 12,36).
Es ist immer schwierig gewesen zu erklären, was Jesus mit dem „unnützen
Wort“ meinte. Ein gewisses Licht ergibt sich für uns aus einem
anderen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (7,15-20), an der
das Thema vom Baum wiederkehrt, den man an den Früchten erkennt,
und wo die ganze Rede anscheinend den falschen Propheten gilt: „Hütet
euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose)
Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An ihren
Früchten werdet ihr sie erkennen.“
Wenn das Wort Jesu in einer Beziehung zu seiner Rede von den
falschen Propheten steht, so können wir vielleicht entdecken,
was das Wort „unnütz“ bedeutet. Der ursprüngliche Begriff, der
mit „unnütz“ übersetzt wird, ist
argóni, was heißt „ohne Wirkung“ (alpha privativum +
ergon, Werk). Einige moderne Übersetzungen, unter ihnen die
italienische der italienischen Bischofskonferenz, geben den
Begriff mit „unbegründet“ wieder, das heißt: mit einem passiven
Wert: ein Wort, das keine Grundlage hat, also Verleumdung ist.
Dies ist ein Versuch, um der Drohung Jesu einen beruhigenderen
Sinn zu geben. Es gibt da nämlich dann nichts besonders
Beunruhigendes, wenn Jesus sagt: für jede Verleumdung muss man
sich vor Gott verantworten!
Die Bedeutung von
argóni jedoch ist vielmehr aktiv und will besagen: ein Wort,
das nichts gründet, das nichts hervorbringt: also leer, steril,
ohne Wirksamkeit ist (Vgl. M. Zerwick,
Analysis philologica Novi Testamenti Graeci, Romae 1953, ad
loc.). In diesem Sinn war die antike Übersetzung der Vulgata
korrekter:
verbum otiosum, ein „müßiges, unnützes“ Wort, das im Übrigen
auch heute von den meisten Übersetzungen benutzt wird.
Es ist nicht schwierig zu verstehen, was Jesus sagen will, wenn
wir dieses Adjektiv mit jenem vergleichen, das in der Bibel
ständig das Wort Gottes charakterisiert: das Adjektiv
energes, wirksam, das wirkt, dem immer eine Wirkung (ergon)
folgt (dasselbe Adjektiv, von dem das Wort „energisch“ herstammt).
Der hl. Paulus schreibt zum Beispiel an die Thessaloniker: „Darum
danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das
ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als
Menschenwort, sondern - was es in Wahrheit ist - als Gottes Wort
angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen,
wirksam (energeitai)“
(1 Thess 2,13). Die Entgegensetzung zwischen Wort Gottes und
Menschenwort ist hier implizit als die Entgegensetzung zwischen
dem Wort, „das wirkt“ und dem Wort, „das nicht wirkt“,
vorgestellt, zwischen dem wirksamen Wort und dem unwirksamen und
leeren Wort.
Auch im Brief an die Hebräer finden wir diesen Begriff der
Wirksamkeit des Wortes Gottes: „Denn lebendig ist das Wort
Gottes, (und) kraftvoll (energes)“
(Hebr 4,12). Dies aber ist eine althergebrachte Vorstellung, in
Jesaja erklärt Gott, dass das Wort, das seinen Mund verlässt,
nie „leer“ zu ihm zurückkehrt, ohne bewirkt zu haben, wozu er es
gesandt hat“ (vgl. Jes 55,11).
Das unnütze Wort, für das die Menschen am Tag des Gerichts
Rechung tragen müssen, ist also nicht jedes unnütze Wort, es ist
das unnütze, leere Wort, das von dem ausgesprochen ist, der
hingegen die „energischen“ Worte Gottes aussprechen sollte. Kurz:
es ist das Wort des falschen Propheten, der nicht das Wort von
Gott empfängt und dennoch die anderen zum Glauben verleitet,
dass es sich um das Wort Gottes handelt. Es geschieht genau das
Umgekehrte von dem, was der hl. Paulus sagt: indem ein
Menschenwort empfangen wurde, wird es nicht für das genommen,
was es ist, sondern für das, was es nicht ist, und das heißt:
für ein göttliches Wort. Der Mensch wird für ein jedes unnützes
Wort über Gott zur Rechenschaft gezogen werden! Das also ist der
Sinn der schwerwiegenden Mahnung Jesu.
Das unnütze Wort ist die Fälschung des Wortes Gottes, es ist der
Parasit des Wortes Gottes. Es wird an den Fürchten erkannt, die
es nicht hervorbringt, da es
per definitionem steril, unwirksam ist (im Guten). Gott „wacht
über sein Wort“ (vgl. Jer 1,12), er ist eifersüchtig auf es und
kann es nicht gestatten, dass sich der Mensch der in ihm
enthaltenen göttlichen Macht aneignet.
Der Prophet Jeremia erlaubt es uns, wie vor einem Verstärker die
Mahnung zu hören, die sich unter jenem Wort Jesu verbirgt. In
ihm erscheint es nunmehr klar, dass es um die falschen Propheten
geht: „So spricht der Herr der Heere: Hört nicht auf die Worte
der Propheten, die euch weissagen. Sie betören euch nur; sie
verkünden Visionen, die aus dem eigenen Herzen stammen, / nicht
aus dem Mund des Herrn… Der Prophet, der einen Traum hat,
erzählt nur einen Traum; wer aber mein Wort hat, der verkündet
wahrhaftig mein Wort. Was hat das Stroh mit dem Korn zu tun? -
Spruch des Herrn. Ist nicht mein Wort wie Feuer - Spruch des
Herrn - und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert? Darum gehe
ich nun gegen die Propheten vor - Spruch des Herrn -, die
einander meine Worte stehlen. Nun gehe ich gegen die Propheten
vor - Spruch des Herrn -, die ihre Zunge gebrauchen, um Sprüche
zu machen“ (Jer 23,16.28-31).
3. Wer sind die falschen Propheten?
Aber wir sind nicht hier, um eine Erörterung über die falschen
Propheten in der Bibel anzustellen. Wie immer ist es so, dass in
der Bibel von uns und zu uns gesprochen wird. Jenes Wort Jesu
urteilt nicht über die Welt, sondern über die Kirche; die Welt
wird nicht aufgrund der unnützen Worte gerichtet werden (all
ihre Worte sind im oben beschriebenen Sinn unnütze Worte!),
sondern sie wird dafür gerichtet werden, dass sie nicht an Jesus
geglaubt hat (vgl. Joh 16,9). Die Menschen, die über jedes
unnütze Wort Rechenschaft ablegen müssen, sind die Männer der
Kirche; wir sind es, die Verkünder des Wortes Gottes.
Die „falschen Propheten“ sind nicht nur jene, die von Zeit zu
Zeit Irrlehren verbreiten; es sind auch jene, die das Wort
Gottes „verfälschen“. Paulus ist es, der diesen Begriff benutzt,
indem er ihn der Umgangssprache entnimmt; wörtlich bedeutet er
„das Wort verwässern“, wie dies die betrügerischen Wirte tun,
wenn sie ihren Wein mit Wasser verlängern (vgl. 2 Kor 2,17;4,2).
Die falschen Propheten sind die, die das Wort Gottes nicht in
seiner Reinheit vorlegen, sondern es verdünnen und in tausend
menschlichen Worten ermüden, die ihrem Herzen entspringen.
Der falsche Prophet bin auch ich, jedes Mal, wenn ich der „Schwäche“,
der „Dummheit“, der Armut und Nacktheit des Wortes nicht
vertraue und es einkleiden will und das Kleid mehr achte als das
Wort, und ich mehr Zeit für die Kleider aufwende als für das
Wort, wenn ich vor ihm in Gebet stehe, es anbete und es in mir
zu leben beginnt.
Jesus verwandelte in Kana in Galiläa Wasser in Wein, das heißt
den toten Buchstaben in den lebendig machenden Geist (so die
geistliche Interpretation des Ereignisses durch die Väter); die
falschen Propheten sind jene, die das Umgekehrte tun und den
reinen Wein des Wortes Gottes in Wasser verwandeln, das
niemanden belebt, in tote Buchstaben, in leeres Geschwätz.
Unterschwellig schämen sie sich des Evangeliums (vgl. Röm 1,16)
und der Worte Jesu, da sie „zu hart“ seien für die Welt, oder zu
arm und nackt für die Gelehrten, und so versuchen sie, sie mit
dem zu würzen, was Jeremia „die Phantasien ihres Herzens“ nannte.
Der hl. Paulus schrieb an seinen Jünger Timotheus: „Bemüh dich
darum, dich vor Gott zu bewähren als ein Arbeiter, der sich
nicht zu schämen braucht, als ein Mann, der offen und klar die
wahre Lehre vertritt. Gottlosem Geschwätz geh aus dem Weg;
solche Menschen geraten immer tiefer in die Gottlosigkeit“ (2
Tim 2,15-16). Das profane Geschwätz ist das, was nichts mit dem
Plan Gottes, was nichts mit der Sendung der Kirche zu tun hat.
Zu viele Menschenworte, zu viele unnütze Worte, zu viele Reden,
zu viele Dokumente. Im Zeitalter der Massenkommunikation läuft
die Kirche Gefahr, im „Stroh“ der unnützen Worte zu versinken,
die nur um des Sagens willen ausgesprochen werden, die nur
deshalb geschrieben werden, weil es Zeitungen und Zeitschriften
gibt, welche damit zu füllen sind.
Auf diese Weise bieten wir der Welt einen ausgezeichneten
Vorwand, um ruhig in ihrem Unglauben und in ihrer Sünde zu
verharren. Würde sie das wahre Wort Gottes hören, so wäre es für
den Ungläubigen nicht so leicht davonzukommen, indem er sagt (wie
er es oft tut, nachdem er unsere Predigten gehört hat): „Worte,
Worte, Worte!“. Der hl. Paulus nennt die Worte Gottes „die
Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen“ und sagt, dass
nur sie „durch Gott die Macht (haben), Festungen zu schleifen;
mit ihnen reißen wir alle hohen Gedankengebäude nieder, die sich
gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen. Wir nehmen alles Denken
gefangen, sodass es Christus gehorcht” (2 Kor 10,3-5).
Die Menschheit leidet an Lärm, sagte der Philosoph Kierkegaard;
man muss ein „Fasten“ ausrufen, aber ein Fasten an Worten; es
ist notwendig, dass einer schreit, wie es Moses eines Tages tat:
„Sei still und höre, Israel“ (Dt 27,39). Der Heilige Vater hat
uns an die Notwendigkeit dieses Fastens an Worten in seiner
Begegnung in der Fastenzeit mit dem römischen Klerus erinnert,
und ich glaube, dass seine Einladung, wie gewöhnlich, an die
Kirche erging, noch bevor sie die Welt betraf.
4. Jesus ist nicht gekommen, um uns belanglose Dinge zu sagen
Mich haben diese Worte Péguys immer beeindruckt:
„Jesus Christus, meine Tochter,
- so wendet sich die Kirche an ihre Kinder -
ist nicht gekommen, um uns Belangloses zu sagen…
Er hat nicht die Reise unternommen, um auf die Erde
herabzusteigen,
Um uns Rätsel und Witze zu erzählen.
Es ist nicht die Zeit, um sich zu amüsieren…
Er hat sein Leben nicht hergegeben…
Um uns Flunkereien zu erzählen.“
(Ch. Péguy, Il portico del mistero della seconda virtù, in
Oeuvres poétiques complètes, Gallimard 1975, S. 587f.)
Die Sorge darum, das Wort Gottes von jedem anderen Wort zu
unterscheiden, ist derart, dass Jesus, als er seine Apostel
aussendet, ihnen gebietet, keinen unterwegs zu grüßen (vgl. Lk
10,4). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieses Gebot
manchmal wörtlich zu nehmen ist. Wenn man sich aufhält, um die
Leute zu grüßen, während man dabei ist, die Predigt zu beginnen,
zerstreut dies unvermeidlich die Konzentration auf das zu
verkündigende Wort, es lässt dies den Sinn für seine Andersheit
gegenüber jedem menschlichen Reden verlieren. Es ist dies
dasselbe Bedürfnis, das man spürt (oder spüren sollte), wenn man
sich für die Feier der Messe einkleidet.
Das Bedürfnis ist noch stärker, wenn es sich um den Inhalt
selbst der Verkündigung handelt. Im Markusevangelium zitiert
Jesus das Wort des Jesaja: „Es ist sinnlos, wie sie mich
verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. (Jes
29,13)“; dann fügt er zu den Pharisäern und Schriftgelehrten
gewandt hinzu: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an
die Überlieferung der Mensche. Und weiter sagte Jesus: „Sehr
geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft und haltet euch an
eure eigene Überlieferung“ (Mk 7,7-13).
Wenn es einem nicht gelingt, das einfache und nackte Wort Gottes
vorzustellen, ohne es durch tausend Unterscheidungen und
Präzisierungen und Hinzufügungen und Erklärungen zu filtern, die
in sich auch richtig sind, aber das Wort Gottes ermüden, so tut
man genau dasselbe, für das Jesus an jenem Tag die Pharisäer und
Schriftgelehrten tadelte: man „setzt das Wort Gottes außer
Kraft“; man „blockiert“ es und lässt es zum großen Teil seine
Kraft verlieren, in die Herzen der Menschen einzudringen.
Das Wort Gottes darf nicht benutzt werden, um belanglose Reden
zu halten oder schon gemachte und gänzlich menschliche Reden mit
göttlicher Autorität zu ummanteln. In uns nahe stehenden Zeiten
konnte man sehen, wohin eine derartige Tendenz führt. Das
Evangelium wurde instrumentalisiert, um jeden möglichen
menschlichen Plan zu stützen: vom Klassenkampf bis hin zum Tod
Gottes.
Wenn eine Hörerschaft von psychologischen, gewerkschaftlichen,
politischen oder der Leidenschaft zugehörigen Bedingtheiten
derart voreingenommen ist, dass es von Anfang an unmöglich ist,
nicht das zu sagen, was sie sich erwartet, und ihr nicht völlig
in allem recht zu geben; wenn da keine Hoffnung besteht, die
Zuhörer zu dem Punkt zu bringen, an dem es möglich ist, ihnen zu
sagen: „Kehrt um, und glaubt!“ – dann ist es gut, überhaupt
nicht das Wort Gottes zu verkünden, damit es nicht zu
parteilichen Zwecken instrumentalisiert und somit verraten wird.
Mit anderen Worten: es ist besser, darauf zu verzichten, eine
richtiggehende Verkündigung zu machen und sich darauf zu
beschränken, zuzuhören, versuchen zu verstehen und Anteil zu
nehmen an den Ängsten und Leiden der Menschen, statt mit der
Gegenwart und der Liebe des Evangeliums des Reiches zu predigen.
Jesus erweist sich im Evangelium sehr bedacht darauf, sich nicht
zu politischen und parteilichen Zwecken instrumentalisieren zu
lassen.
Die Wirklichkeit der Erfahrung und somit des Menschenwortes ist
natürlich nicht aus der Verkündigung der Geschichte
ausgeschlossen, sie muss aber dem Wort Gottes unterworfen sein,
um Dienst an ihm zu werden. Wie es in der Eucharistie der Leib
Christi ist, der den aufnimmt, der ihn isst, und nicht umgekehrt,
so muss es in der Verkündigung das Wort Gottes sein, das das
lebensnotwendige stärkere Prinzip ist, dem das Menschenwort zu
unterwerfen und anzugleichen ist, und nicht das Gegenteil.
Deshalb ist es notwendig, den Mut zu haben, bei der Behandlung
von lehrmäßigen und disziplinären Problemen der Kirche öfter vom
Wort Gottes, insbesondere des Neuen Testaments, auszugehen und
dann an es gebunden zu bleiben, in der Sicherheit, dass so viel
sicherer das Ziel zu erreichen ist, das darin besteht, bezüglich
jeder Fragestellung den Willen Gottes zu entdecken.
Dasselbe Bedürfnis kann auch in den religiösen Gemeinschaften
wahrgenommen werden. Es besteht die Gefahr, dass bei der Bildung
der Jugend und der Novizen in den Exerzitien und im restlichen
Leben der Gemeinschaft mehr Zeit auf das Studium der Schriften
des eigenen Gründers verwandt wird (die oft sehr arm an Inhalt
sind) als auf das Wort Gottes.
5. Wie mit Worten Gottes sprechen
Es ist mir klar, dass das, was ich sage, einen schwerwiegenden
Einwurf aufkommen lassen kann. Soll sich also die Verkündigung
der Kirche auf eine Abfolge (oder eine Flut) von Bibelzitaten
reduzieren, mit Kapitel- und Versangabe, wie bei den Zeugen
Jehovas und anderen fundamentalistischen Gruppen? Gewiss nicht.
Wir sind Erben einer andersgearteten Tradition. Ich erkläre, was
ich damit meine, an das Wort Gottes gebunden zu bleiben.
Immer im zweiten Brief an die Korinther schreibt der hl. Paulus:
„Wir sind jedenfalls nicht wie die vielen anderen, die mit dem
Wort Gottes ein Geschäft machen. Wir verkünden es aufrichtig und
in Christus, von Gott her und vor Gott“ (2 Kor 2,17), und der hl.
Petrus ermahnt in seinem ersten Brief die Christen mit den
Worten: „Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt“
(1 Petr 4,11). Was will das heißen: „in Christus sprechen“, oder
„mit den Worten reden, die Gott einem gibt“? Es will sicher
nicht heißen, im materiellen Sinne und nur die von Christus und
von Gott in der Schrift ausgesprochenen Worte zu wiederholen. Es
will besagen, dass die grundlegende Inspiration, der Gedanke,
der den Rest „informiert“ und stützt, von Gott kommen muss,
nicht vom Menschen. Der Verkündiger muss „von Gott bewegt“ sein
und so sprechen, als sei er anwesend.
Es gibt zwei Weisen, um eine Predigt oder irgendeine andere
mündliche oder schriftliche Verkündigung des Glaubens
vorzubereiten. Ich kann mich zuerst an den Tisch setzen und
dabei selbst das zu verkündigende Wort und das zu entfaltende
Thema wählen und mich dabei auf meine Kenntnisse, meine
Vorlieben usw. usw. basieren, und dann, ist erst einmal die Rede
vorbereitet, mich niederknien, um hastig Gott zu bitten, das,
was ich geschrieben habe, zu segnen und meinen Worten Wirkkraft
zu verleihen. Das ist schon gut so, aber es ist nicht der
prophetische Weg. Man muss vielmehr das Gegenteil tun. Zuerst
muss man niederknien und Gott fragen, welches Wort er sagen will;
dann setzt man sich an den Tisch und nutzt seine eigenen
Kenntnisse, um jenem Wort Gestalt zu geben. Dies ändert alles,
da so es nicht Gott ist, der sich mein Wort aneignen muss,
sondern da so ich es bin, der sich sein Wort aneignet.
Man muss von der Gewissheit des Glaubens ausgehen, dass der
auferstandene Herr zu jedem Umstand im Herzen ein Wort hegt, das
er seinem Volk mitteilen will. Dieses Wort ändert die Dinge, und
dieses Wort ist zu entdecken. Und er zögert nicht, es seinem
Diener zu offenbaren, wenn er demütig und beständig darum bittet.
Am Anfang handelt es sich um eine fast unmerkliche Bewegung des
Herzens: ein kleines Licht, das sich im Geist entzündet, ein
Wort der Bibel, das die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen
beginnt und eine Situation erhellt.
Wirklich „das kleinste aller Samenkörner“, aber dann bemerkst du,
dass in ihm alles enthalten war: es war ein Donner in ihm, der
die Zedern des Libanons niederbrechen ließ. Dann setzt du dich
an den Tisch, öffnest deine Bücher, schaust in deine
Aufzeichnungen, schlägst in den Kirchenvätern, den Meistern,
Dichtern… nach. Aber nun ist alles ganz anders. Nicht mehr das
Wort Gottes steht im Dienst deiner Kultur, sondern deine Kultur
steht im Dienst des Wortes Gottes.
Origenes beschreibt gut den Prozess, der zur dieser Entdeckung
führt. Bevor in der Schrift die Nahrung zu finden ist – sagte er
–, ist es notwendig, eine gewisse „Armut der Sinne“ zu ertragen;
die Seele ist von allen Seiten von Finsternis umgeben, sie gerät
in Sackgassen. Bis nicht plötzlich nach mühsamer Forschung und
Gebet die Stimme des Wortes erklingt: sofort erhellt es etwas.
Der, der es suchte, läuft ihm entgegen „und springt dabei über
die Berge und hüpft über die Hügel“ (vgl. Hld 2,8), das heißt:
er öffnet den Geist, um ein starkes und helles Licht zu
empfangen (vgl. Origenes,
In Mt Ser. 38 [GCS, 1933, S. 7];
In Cant. 3 [GCS, 1925, S. 202]). Groß ist die Freude, die
diesen Moment begleitet. Sie ließ Jeremia ausrufen: „Kamen Worte
von dir, so verschlang ich sie; dein Wort war mir Glück und
Herzensfreude“ (Jer 15,16).
Gewöhnlich kommt die Antwort Gottes in Gestalt eines
Schriftwortes, das aber in jenem Augenblick seine
außerordentliche Angemessenheit an die Situation und an das
Problem offenbart, das zu behandeln ist, als wäre es gerade dazu
geschrieben worden. Manchmal ist es nicht einmal notwendig,
ausdrücklich ein derartiges Bibelwort zu zitieren oder zu
kommentieren. Es genügt, dass derjenige der, spricht, es vor
sich hat und es sein ganzes Sprechen „in-formiert“. Auf diese
Weise spricht er tatsächlich „mit den Worten Gottes“. Diese
Methode gilt immer: für die großen Dokumente des Lehramtes wie
für die Lektion, die der Magister seinen Novizen erteilt, für
den gelehrten Vortrag wie für eine einfache Sonntagspredigt.
Wir alle haben die Erfahrung gemacht, wie viel ein einziges Wort
Gottes, an das zuerst zutiefst geglaubt und das zutiefst gelebt
wird, durch den bewirken kann, der es ausspricht, manchmal auch,
ohne dass er es weiß; oft ist festzustellen, dass es unter den
vielen anderen Worten gerade dieses gewesen ist, das das Herz
berührt und mehr als einen Zuhörer zum Beichtstuhl geführt hat.
Nachdem der Apostel auf die Bedingungen der christlichen
Verkündigung (von Christus sprechen, aufrichtig, als sei man von
Gott bewegt und als stünde man unter seinem Blick), fragte sich
Paulus: „Wer aber ist dazu fähig?” (2 Kor 2,16). Niemand, das
ist klart, ist dazu fähig. Wir tragen diesen Schatz in
Tongefäßen. Wir können jedoch beten und sagen: Herr, erbarme
dich dieses armen Tongefäßes, das den Schatz deines Wortes
tragen muss. Bewahre uns davor, unnütze Worte über dich zu sagen.
Lass uns einmal den Geschmack deines Wortes erfahren, damit wir
es von jedem anderen zu unterscheiden wissen und damit jedes
andere Wort uns ohne Geschmack erscheine. Verbreite, wie du es
versprochen hast, den Hunger im Land, „nicht den Hunger nach
Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn“
(Am 8,11).