DAS LEBEN IN CHRISTUS -
GESCHENK UND ANSPRUCH
Eine erste Hinführung zum 3. Teil des
„Katechismus der Katholischen Kirche“
Beitrag für die Zeitschrift „Gottgeweiht“,
Jg. 16, 2002, Nr. 2, S. 37-42
Vorbemerkungen
Wenn jemand die Frage stellt, was
denn für das Christ-Sein wesentlich ist und wirklich dazugehört, dann
wird man ihm vom katholischen Glaubensstandpunkt aus nicht das Buch von
Hans Küng „Christ sein“ empfehlen können, das wenig Katholisches an sich
trägt; man sollte vielmehr in erster Linie auf den „Katechismus der
Katholischen Kirche“ (= KKK) verweisen, der 1993 in deutscher Sprache
erschienen ist und seit 1997 in der authentischen lateinischen Fassung
vorliegt, gemäß welcher die landessprachlichen Fassungen zu revidieren
sind.[1]
Es handelt sich beim sog.
„Weltkatechismus“ um kein trockenes Lehrbuch, sondern um ein dem Glauben
der Kirche entstammendes und zum katholischen Glauben hinführendes Werk.
Es will nicht etwa nur den intellektuellen Aspekt des Glaubens
herausstellen, sondern sucht auch der Feier des christlichen Mysteriums,
dem Leben aus dem Glauben und dem Gebet breiten Raum zu geben.
Approbiert von der höchsten Autorität der Kirche, von Papst Johannes
Paul II. in Einheit mit dem Bischofskollegium, ist der „Katechismus der
Katholischen Kirche“ ein sicherer und authentischer Bezugstext für
die Darlegung der katholischen Lehre[2],
der sich an alle mit der Weitergabe des Glaubens verantwortlichen
Personen richtet (in erster Linie an die Bischöfe, Priester, Diakone und
Katecheten), der aber auch für alle anderen gläubigen Christen
eine nützliche Lektüre sein soll (KKK 12).
Will man den Katechismus richtig lesen,
so darf das nicht rein „informativ“ geschehen, das heißt aus der
Perspektive des unbeteiligten Zusehers. Von dort aus wird das Werk zwar
nicht ganz ohne Wert für den Leser sein, bietet aber einen Zugang
gleichsam nur aus der Distanz und ohne Frucht für das Leben. Einzig
sachgemäß ist der Standpunkt des Glaubens, um ein derartiges Dokument
des katholischen Glaubens angemessen verstehen und würdigen zu können!
Aufbau und Struktur des
Katechismus
Der „KKK“ will in seiner Einheit und Ganzheit angenommen und ins
christliche Leben umgesetzt werden:
1)
Grundlegend ist das
Glaubensbekenntnis (KKK 26-1065), das ausführlich entfaltet und
erklärt wird. Gottes Liebe hat uns erschaffen und erlöst. Wir sind
getauft auf den Namen des dreifaltigen Gottes und hoffen in ihm die
selige Vollendung in der himmlischen Herrlichkeit zu erlangen.
2)
Die Feier des christlichen
Mysteriums (KKK 1066-1690) beinhaltet die Vergegenwärtigung und
heilsstiftende Zuwendung alles dessen, was Gott durch seinen Sohn Jesus
Christus im Heiligen Geist für uns Menschen getan hat. In der
Gemeinschaft der Kirche erhalten wir in den Sakramenten und den anderen
li-turgischen Vollzügen sowie auch in den Übungen der Volksfrömmigkeit
Anteil an der Gnadenfülle, die uns der Herr durch Tod und Auferstehung
erworben hat.
3)
Das Leben in Christus
(KKK 1691-2557) anerkennt diese vielfältigen Gaben Gottes und versucht
dem Anspruch gerecht zu werden, der darin liegt. Eben dies gilt es im
Folgenden noch näher aufzuzeigen.
4)
Das christliche Gebet
(KKK 2557-2865) hält in seinen vielen Formen die lebendige Verbindung
mit Gott aufrecht. Wenn der Mensch Gott lobt, empfängt er zugleich
Gottes Segen.[3]
Sein Leben im umfassenden, auf die ewige Vollendung aus-gerichteten Sinn
wird gestärkt.
Beschenkt durch Gottes
Gaben
Weit davon entfernt, gleichsam mit
erhobenem Zeigefinger dem nach Halt und Orientierung suchenden Christen
sowie dem fragenden Menschen gegenüberzutreten, bietet der „Katechismus“
in seinem 3. Teil, der sich mit dem „Leben in Christus“ befasst (KKK
1691-2557), keineswegs eine Abhandlung von Moral nach Art einer
„Standpauke“ oder vom isolierten Standpunkt eines Leistungschristentums
aus, sondern es geht vor allem darum, den unerschöpflichen Reichtum des
Geheimnisses Christi aufzuzeigen, wie es sich uns in seiner Fülle
geoffenbart hat und im Glauben und im sakramentalen Leben der Kirche
ständig präsent bleibt. Aus diesem Reichtum des Geheimnisses Christi
leben wir, und ihm verdanken wir uns. Darum gilt: Primär sind wir
Beschenkte, noch bevor Gott irgend etwas von uns fordert! Ihm verdanken
wir das Leben, unser ganzes Sein. Alle natürlichen Kräfte und noch mehr
unsere übernatürliche Befähigung und tatsächliche Begnadung ist von Gott
geschenkt. Es heißt deshalb – in einem richtigen Sinn verstanden –
zuallererst nicht „Du sollst!“, sondern „Du kannst! – Du darfst!“[4]
Berufen zur Verantwortung
Freilich sind uns die wunderbaren
Gaben Gottes in Natur und Gnade nicht dazu anvertraut, dass wir sie
achtlos beiseite schieben oder in ihrem von Gott gestifteten Sinngehalt
verkehren und missbrauchen. Als freie Wesen, mit Vernunft und Gewissen
ausgestattet, sind wir in eine lebendige Verantwortung gerufen: vor uns
selbst, gegenüber der Mit- und Umwelt, vor allem aber gegenüber Gott dem
Herrn, der in der Taufe in einer ganz einzigartigen Weise unser Vater
geworden ist. Dieses Verantwortungsverhältnis ist nicht bedrückend und
einengend, sondern befreiend. Von daher wird eigene Tätigkeit nicht
verhindert, sondern geradezu erst ermöglicht. Es ist die Freiheit zum
Guten, die uns vom Gott der Liebe geschenkt ist; wir dürfen sie nicht
als Vorwand für Zügellosigkeit missbrauchen. Denn dann verliert die
Freiheit ihren Sinn, und wir würden erneut „Sklaven der Sünde“, von der
uns Jesus Christus befreit hat.[5]
Eben diesen Zusammenhang drückt der
Katechismus sehr gut aus, wenn es in Nr. 1709 heißt: Wer an Christus
glaubt, wird Kind Gottes. Diese Annahme an Kindes Statt gestaltet den
Menschen um und lässt ihn dem Vorbild Christi folgen. Sie befähigt ihn,
richtig zu handeln und das Gute zu tun. In Vereinigung mit seinem
Erlöser gelangt der Jünger zur Vollkommenheit der Liebe, zur Heiligkeit.
Das sittliche Leben, in der Gnade gereift, weitet sich in der
Herrlichkeit des Himmels zum ewigen Leben.
In der Nachfolge Christi
der ewigen Vollendung entgegen
Auf diese Weise gestaltet sich das
sittliche Leben des Christen als Weg der Nachfolge Christi. Ihn
nachzuahmen bedeutet nicht, all das und genau das tun zu müssen, was der
Herr in seiner einzigartigen Liebe und Hingabe für uns und um unseres
Heiles willen getan hat. Hier wären wir zweifellos überfordert.
Nachfolge Christi schließt aber sehr wohl das Bemühen mit ein, sich die
innersten Gesinnungen Christi zu eigen zu machen. Es geht darum, daß wir
unser Herz nach seinem Herzen bilden lassen und ihm immer ähnlicher
werden. Er, der wahre Gott und wahre Mensch, ist unser Vorbild geworden.
Er, der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist unser wahrer
Weg und zugleich unser ewiges Ziel, da der Erlöser uns in seiner
heiligsten Menschheit einführt in das innerste Geheimnis des
dreifaltigen Gottes. Dieses göttliche Leben tragen wir bereits in uns
durch die heiligmachende Gnade. Das Leben mit Gott will sich entfalten
und bewähren hier auf Erden, es soll sich vollenden in der ewigen Schau
Gottes von Angesicht zu Angesicht.
Eben darum geht es in der
christlichen Morallehre: Zu zeigen, was Gott Großes an uns getan hat,
der uns befähigt, als Kinder Gottes zu leben. Wir sind nicht mehr der
Sünde ausgeliefert, sondern wir dürfen das Gute lieben und sollen es
tun. In aller eigenen Schwachheit und Hinfälligkeit, ja Versuchtheit und
faktischen Unterlegenheit unter so manche Sünde haben wir einen Beistand
und einen Fürsprecher beim Vater im Himmel: Christus den Herrn!
Zu welch großer Fülle des Lebens in
der Gnade und Herrlichkeit wir berufen sind, leuchtet der ganzen Kirche
und jedem einzelnen Christen in der heiligen Jungfrau und Gottesmutter
Maria auf, dem „Höchstfall der Erlösung“. In ihr ist das Leben mit
Christus und aus der Kraft des Erlösers zur Vollendung gelangt. Sie
vermag uns aufzuzeigen, wie wir Jesus, ihrem Sohn, stets besser und
inniger nachfolgen können.
Auf die bleibende Frage, die der
Mensch sich selber stellt, ja die er gleichsam selber ist, kann
es nur eine letzte und umfassende Antwort geben: Wir finden sie bei IHM,
dem menschgewordenen Sohn Gottes. IHM sollen wir stets neu unser Leben
anvertrauen. Dann wird es gute Frucht bringen für Zeit und Ewigkeit.
In diesem Sinn gibt der Katechismus
den Gläubigen Wegweisung für das sittliche Leben. Der erste Abschnitt
des dritten Teils entfaltet in allgemeiner Weise die „Berufung des
Menschen“, nämlich das „Leben im Heiligen Geist“ (KKK 1699-2051). Der
zweite Abschnitt wendet sich ganz konkret den „Zehn Geboten“ Gottes zu
(KKK 2052-2557). Diese unsere Einführung soll auf die weitere Lektüre
und Darstellung vorbereiten.