„Die Kirche lebt aus der Eucharistie.“ Mit diesen Worten beginnt
der Heilige Vater seine Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, die er am
Gründonnerstag dieses Jahres veröffentlicht hat. Die Eucharistie ist
Mitte des Lebens der Kirche. Sie ist zugleich ihr „Lebensmittel“. Von
dieser Lebensmitte, von diesem Lebensmittel möchte ich heuer in den
neun Katechesen sprechen, die monatlich am ersten oder zweiten (im
April sogar erst am dritten) Sonntag stattfinden sollen.
I.
Beginnen wir ohne Umschweife mit dem Erlebnisbericht eines
ständigen Diakons unserer Erzdiözese Wien: „Die junge Dame empfängt
mich am Flughafen der chinesischen Hauptstadt und stellt sich als
meine Begleiterin vor. Sie ist akademische Übersetzerin, ihr Englisch
wirkt, soweit das hier möglich ist, fast akzentfrei. Mit ihrem
uniformähnlichen Kostüm und ihrer sachlichen Freundlichkeit wirkt sie
ein wenig gefroren. Während der Fahrt zum Hotel bietet sie mir vor dem
abendlichen Begrüßungsessen eine kleine Stadtrundfahrt an. Die
Dämmerung des Sonntagnachmittags bricht herein, Schneewolken hängen in
der Luft. Ich möchte kein Sightseeing-Programm, sondern eine
katholische Abendmesse und äußere diesen Wunsch. Nach einer kurzen
Beratung mit dem Fahrer und einigen Handytelefonaten bringt uns das
Auto zu einer hell erleuchteten Kirche. Viele Leute, vor allem Jugend,
strömen hinein. Die Messe sei chinesisch, meint meine Begleiterin, und
ich verstünde doch die Sprache nicht. ‚Der Vorgang ist auf der ganzen
Welt der gleiche‘, antworte ich und verlasse das Fahrzeug. Als sie im
Wagen sitzen bleiben will, sage ich: ‚Sie sind zu meiner Begleitung
bestellt und werden jetzt mit mir die Messe besuchen.‘ Daraufhin kommt
sie mit, nur der Fahrer bleibt im Auto. Ich betrete die Sakristei,
werfe einen raschen Blick auf das Madonnenbild und das Foto des
Heiligen Vaters und weiß, dass ich am rechten Ort bin. Der Priester
spricht nicht englisch, ich spreche nicht chinesisch, aber ich zeige
ihm meine Stola, er umarmt mich, gibt mir eine Albe und wir feiern
gemeinsam die Messe. Viele Leute kommen zur Kommunion, darunter
zahlreiche Katechumenen, die gesegnet werden wollen. Es ist ein
würdiger und gleichzeitig fröhlicher Gottesdienst.
Beim Verlassen der Kirche schaut meine Begleiterin weniger gefroren
drein und beginnt Fragen zu stellen, wobei sie sich vor jeder
Fragestellung entschuldigt: ‚Ist das Gott, der da zu Ihnen kommt?‘
‚Ja, das ist Gott.‘ ‚Ist Gott in den goldenen Gefäßen drinnen, die Sie
am Altar aufheben?‘ ‚Ja, da ist er drinnen, nicht symbolisch, sondern
wirklich. Der Priester wandelt Brot und Wein in Fleisch und Blut
unseres Herrn.‘ Langes Schweigen. Dann fragt sie weiter und
entschuldigt sich zweimal vor der Frage: ‚Und das .... das essen Sie
dann?‘ ‚Ja, das essen wir, das ist, soweit es auf der Erde
Vollkommenheit gibt, die vollkommenste Vereinigung zwischen Mensch und
Gott. Und das gleiche geschieht, wo immer sich ein katholischer
Priester befindet, jede Minute auf der ganzen Welt.‘ Wieder Schweigen.
Erst als wir vor dem Hotel angelangt sind, stellt sie noch eine letzte
Frage: ‚Wie leben Sie mit dieser Religion?‘ Darauf erfolgt keine
Antwort mehr, denn in der Zwischenzeit sind wir in der lärmerfüllten
Hotelhalle angelangt. Aber eine Woche später, als sie mich zum
Flughafen begleitet, sagt sie beim Abschied vor der Passkontrolle:
‚Schreiben Sie mir bitte und schicken Sie mir Material über diesen
Gott.‘ Ich verspreche es, dann gehe ich durch die Sperre. Im
Menschengewühl verliere ich sie bald aus den Augen. Noch im Flugzeug
erfüllt mich die Freude über diesen Glauben, der uns erlaubt, auf
solche Fragen solche Antworten zu geben. Ich denke auch an die letzte,
unbeantwortete Frage, auf die nur das Leben selbst und Gottes Gnade
Antworten geben können. Wir fliegen über die Mongolei, das Land unter
uns ist schneebedeckt, mondbeschienen und weit. „Ein kostbarer Schatz
in zerbrechlichen Gefäßen“, denke ich und schlafe ein“ (Franz Eckert).
„Ein kostbarer Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ – beides will ich
in den kommenden Katechesen gemeinsam betrachten, den Schatz selber,
das „Geheimnis des Glaubens“, und das Gefäß, das ihn enthält: die
Liturgie, der Gottesdienst. Woher kommt die Feier der Eucharistie? Wie
hat sie sich entwickelt? Was bezeichnet und bedeutet sie? Vom „woher“
soll in der ersten Katechese die Rede sein. Die Eucharistie, die
Heilige Messe – über die verschiedenen Namen werden wir in den
nächsten Katechesen sprechen – ist „typisch“ christlich. Eines ist
gewiss über allen Zweifel erhaben: Jesus selber hat sie beim letzten
Abendmahl, in der Nacht vor seinem Leiden und Tod gestiftet, und er
hat den Auftrag gegeben, dass dies zu seinem Gedächtnis weiter getan
werden soll. Die Eucharistie ist unverwechselbar sozusagen Eigengut
der christlichen Religion, des christlichen Glaubens, der christlichen
Kirche. Aber, so neu sie ist, so unverwechselbar, so sehr Besonderheit
Jesu Christi, ist sie doch ganz tief in der Vorgeschichte, im Alten
Bund und darüber hinaus in der ganzen Menschheit verwurzelt. Durch die
Zeichen, die sie verwendet, ist sie in den Kosmos hinein verwoben,
Brot und Wein, die Gaben der Erde, Frucht des Weinstocks, Gaben der
Schöpfung. Sie ist unverwechselbar hinein verwoben in die jüdische
Geschichte, in die Geschichte des Alten Bundes. Von dieser Geschichte
möchte ich heute in dieser ersten Katechese vor allem sprechen. In
welchen Gefäßen wurde dieser kostbare Schatz vorbereitet, in denen er
auch weiterhin getragen und vermittelt wird?
Es gehört zu den spannenden Episoden in der Geschichte der
christlichen Kirchen und der christlichen Theologie, dass in den
letzten fünfzig, hundert Jahren die jüdischen Wurzeln unseres
Gottesdienstes stark neu und wieder entdeckt worden sind, dass viel
durchsichtiger und einsichtiger geworden ist, wie sehr unser
Gottesdienst aus den tiefen Wurzeln des Alten Bundes, des Gottesvolkes
des Alten Bundes stammt. Für mich selber gehört es immer wieder zu den
spannenden Abenteuern, sowohl was das Wissen, die Forschung, als auch
den Glauben selber betrifft, zu entdecken, wahrzunehmen, wie sehr wir
von der Wurzel getragen sind, aus der wir stammen. Paulus sagt den
Heidenchristen in Rom: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel
trägt dich“ (Röm 11,18). Diese Wurzel ist das Judentum, ist das
erwählte Volk. Diesem Wurzelstock sind wir, die wir aus den
Heidenchristen stammen, eingepfropft, sagt Paulus (Röm 11,17). Von
dieser Wurzel soll also heute und auch nächstes Mal noch die Rede
sein. Es gehört zu den großen Freuden, diese Wurzeln zu entdecken,
freilich ist damit auch der tiefe Schmerz verbunden, dass das so lange
verkannt worden ist, verdeckt, vergessen, sogar verleugnet. Dass Juden
und Christen in dieser tiefen Gemeinsamkeit sind, verdanken wir keinem
anderen als Jesus selber. Der Messias Israels, der Sohn Gottes, er ist
zugleich der, der uns verbindet und uns trennt. Wir können, wenn wir
ihn lieben und seinen Weg gehen, ihn nicht trennen von dem Volk aus
dem er, wie Paulus sagt, „dem Fleische nach“ geboren ist (Röm 1,3).
II.
Ein lieber Mitbruder von mir, Dominikaner, langjähriger Kollege in
der Schweiz, hat bereits 1977 ein Buch herausgebracht, das mir eine
große Orientierungshilfe war. Es trägt den bescheidenen Titel: „Das
Abendmahl Jesu als Brennpunkt des Alten Testaments“. (Es ist leider
nicht mehr auf dem Buchmarkt zu haben.) In diesem Buch zeigt P. Adrian
Schenker, Professor für Altes Testament, wie sehr die Eucharistie in
allen ihren Zügen, Riten, in allem, was sie ausmacht, tiefe Bezüge zum
Alten Testament hat. Ja, er zeigt sogar, dass das Alte Testament
gewissermaßen wie in einem Brennglas sich im Abendmahl Jesu
konzentriert und verdichtet. Ein wenig möchte ich heute Abend durch
dieses Brennglas schauen. Jesus hat in der Nacht vor seinem Leiden die
Eucharistie gestiftet. Dies war, so ist zumindest die Überzeugung der
drei ersten Evangelien, ein Paschamahl. Bei diesem nächtlichen Mahl
erinnert sich das erwählte Volk wie in keiner anderen Nacht des Jahres
in Freude der Befreiung, der Rettung. Es ist die „Nacht aller Nächte“,
für uns nur vergleichbar mit der Osternacht, die ja ganz starke Bezüge
zur Nacht des jüdischen Pesach hat. In diesem Mahl ist das nächtliche
Abschiedsmahl vor der Flucht, dem Auszugs aus Ägypten lebendig. Es ist
die Nacht, in der Israel der großen Rettungstat Gottes gedenkt, der
Befreiung aus der langen der Sklaverei in Ägypten.
Der so genannte Seder, das feierliche Mahl, ist mit vielen Riten
ausgestattet. – Wir werden uns dem auch ein wenig zuwenden,
wahrscheinlich erst das nächste Mal. – Jesus hat in diesem Mahl Brot
und Wein genommen an Stellen, die in dem jüdischen Pesachmahl, im
Seder, ganz genau vorgesehen sind: am Anfang das Brot und nach dem
Sättigungsmahl den Becher mit dem Wein. Er hat darüber den Lobspruch
gesprochen, „den Lobpreis“, so sagt es der Evangelist Markus (14,22)
und dann die neuen Worte: „Nehmt, das ist mein Leib!“. Am Ende des
Mahls hat er den Becher genommen, wieder einen Spruch, ein Gebet
darüber gesprochen – Markus sagt: Er „sprach das Dankgebet“ (14,23) –
und hat dazu gesagt: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für
viele vergossen wird“ (14,24). Um es vorweg zu sagen: Die Kirche hat
diese Worte immer, durch alle Jahrhunderte, so verstanden, wie sie
gesagt wurden: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Generationen von
Gläubigen haben die Eucharistie, die Kommunion in dieser Überzeugung
empfangen: Das ist der Leib des Herrn, das ist sein Blut. Manche haben
den Leib des Herrn nicht nur empfangen, sondern sogar ausschließlich
davon gelebt, ich denke hier an die hl. Katharina von Siena (†1380)
und den hl. Bruder Klaus von der Flüe (†1487), von denen das
ausdrücklich bezeugt ist. Für sie war der Leib des Herrn das
Lebensmittel. Aber darüber werden wir später handeln. Heute möchte ich
auf die Wurzeln schauen. Es sind vor allem zwei Wurzelstränge, die es
zu betrachten gilt. Der erste ist: Was ist dieses Gebet, das Jesus da
gesprochen hat? Markus nennt es den Lobpreis und das Dankgebet. Dann
werden wir fragen: Was bedeutet es, dass Jesus das im Rahmen des
Pesachmahles gesagt, getan und eingesetzt hat (2. Katechese)?
III.
Ich möchte heute Abend über etwas Wunderschönes sprechen, das ich
leider viel zu wenig aus der Erfahrung kenne, weil ich nicht so
verwurzelt bin in der jüdischen Tradition. Aber ich habe viel darüber
gehört und gelesen: das jüdische Lob- und Dankgebet als einer der
beiden Wurzelstämme der Eucharistie. Was heißt das, wenn Markus uns
sagt: Jesus hat über das Brot das Lobgebet gesprochen? – Manchmal
werde ich auch griechische oder hebräische Wörter gebrauchen müssen,
das soll Sie nicht schrecken. – Markus sagt hier: eulogésas, er hat
die Eulogie gesprochen. Eulogie wird übersetzt: das Lobgebet. Über den
Becher, sagt Markus, habe er eucharistésas, die Eucharistie, das
Dankgebet gesprochen. Jesus hat sicher das jüdische Tischgebet
gesprochen, das auch heute noch gebetet wird. Es dürfte seit der Zeit
Jesu weitgehend unverändert sein. Damals war entweder das einfache
oder, beim Pesachmahl in der Nacht der Befreiung, das feierliche
Tischgebet üblich. Dieses Gebet hat der Eucharistie einen der Namen
gegeben.
Diese jüdischen Gebete der Danksagung und des Lobpreises haben eine
ganz eigene Spiritualität. Ich würde fast sagen, sie haben einen
eigenen „Geruch “, einen eigenen „Geschmack“. Diesem Wurzelboden gilt
es ein wenig nachzuforschen. Aus welcher geistigen Wurzel kommt die
Eucharistie? Vielleicht wird es uns gelingen hineinzuhorchen auch in
die Hochgebete, die wir Sonntag für Sonntag hören, das Römische (I.),
das kurze zweite, das längere dritte, das ganz lange vierte, sie alle
haben, wenn man in die jüdische Tradition hineinhorcht, plötzlich
einen ganz anderen Klang. Sie klingen ganz vertraut und dem jüdischen
Beten nahe. Sie sind Lob- und Dankgebete. Auf jiddisch – auch das
gehört dazu – nennt man sie die „Broche “. (Wir haben in unserer
Alltagssprache nicht wenige jiddische Worte, besonders im
Wienerischen, wenn man vom Mazel spricht, das ist das Glück, wenn man
„einen guten Rutsch“ ins neue Jahr wünscht, dann hat das nichts mit
rutschen zu tun, sondern mit Rosch Haschana, mit dem jüdischen
Neujahrsfest, „das Haupt des Jahres“. Rosch ist das Haupt, Haschana
ist das Jahr.) Broche, wie man auf jiddisch sagt, kommt vom
hebräischen Wort beraka. Es wird schwierig, wenn wir das zu übersetzen
versuchen. Eine Broche ist ein Segen. Wer zum Rabbi geht und eine
Broche erbittet, erbittet einen Segen, wie es bei uns auch üblich ist,
wenn man einen Segen erbittet. Aber das Eigenartige an diesem Wort
ist, dass es nicht nur eine Bewegung von Gott zu uns ist – Gott segnet
und wir erbitten den Segen Gottes – sondern dass es auch eine Bewegung
des Menschen zu Gott ist. Nicht nur Gott kann uns eine Broche, einen
Segen geben, sondern auch wir können Gott eine Broche sprechen, wir
können Gott segnen. Das ist für uns überraschend, aber es führt uns
tief hinein in das Geheimnis vom kostbaren Schatz, den wir in irdenen
Gefäßen tragen, die Eucharistie.
Das Gebet, das bei der Darbringung von Brot und Wein gesprochen
wird, im so genannten Offertorium, bei der Gabendarbringung, ist eine
Broche, nämlich fast ganz wörtlich jene Segnung oder Preisung (je
nachdem wie man es übersetzt), die heute noch Tag für Tag als
jüdisches Tischgebet gebraucht wird. Dort heißt es in der uns
vertrauten Übersetzung, die nicht ganz glücklich ist: „Gepriesen bist
du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die
Frucht der Erde [Papst Paul VI. hat hinzugefügt:] und der menschlichen
Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das
Brot des Lebens werde. [Alle:] Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr
unser Gott.“ Das ist ganz schlicht und einfach die Broche, das
Segensgebet über das Brot. Die hebräische Form würde übersetzt in etwa
so lauten: „Gesegnet bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt, der
du das Brot aus der Erde hervorbringst … Gesegnet bist du in Ewigkeit,
Herr, unser Gott.“ Wir trauen uns nicht zu sagen, dass wir Gott
segnen, das kommt uns etwas anmaßend vor. Aber schon im Lateinischen
(viele von uns können doch zumindest ein paar lateinische Worte) ist
das erhalten geblieben. „Benediktion“ – Segnung, „benedizieren“ –
segnen, das „Benedictus“, das im Morgengebet der Kirche täglich
gebetet wird, ist jenes Gebet, das Zacharias nach der Geburt des
Johannes des Täufers, als ihm der Mund wieder aufgegangen ist, er
wieder sprechen konnte, ganz spontan gesprochen hat (Lk 1,68-79).
Es ist ein Lobpreis, der in der lateinischen Fassung beginnt:
„Benedictus Dominus Deus Israel …“ – eine klassische Broche, ein ganz
typisches jüdisches Segnungsgebet. Zacharias segnet Gott: „Gesegnet
ist der Herr, der Gott Israels.“ Natürlich trauen wir uns nicht, das
so zu übersetzen, sondern übersetzen „gepriesen…“ Segen geht immer von
Gott aus. Alles Gute verdanken wir seinem Segen. Aber wir können Gott
gegenüber unseren empfangenen Segen verdanken und ihn gewissermaßen
zurückgeben. Im jüdischen Verständnis ist das, was ich zurück gebe an
Segen Gottes auch wieder ein Segnen. Gott segnet mich, Gott segnet uns
und wir dürfen ihn zurück segnen. Übrigens sagt man im jiddischen zum
benedizieren bentschen. Das kommt aus dem Lateinischen, wurde im
jiddischen übernommen. Die Einladung in der Synagoge zum Gebet heißt:
„Meine Herrn, lasst uns bentschen!“ Das ist dieselbe Einladung, die
der Priester zu Beginn der Präfation sagt: „Lasset uns danksagen dem
Herrn, unserem Gott!“ Genau das, was man auch in der Synagoge bis
heute tut. Wir benedizieren Gott, wir geben ihm gewissermaßen den
Segen zurück, den wir von ihm bekommen haben. Denn, und das wird uns
in das Geheimnis der Eucharistie tiefer hineinführen, der Auftrag des
Menschen ist es, als einziges unter den Geschöpfen den Segen Gottes
nicht nur zu empfangen, sondern gewissermaßen als Priester der
Schöpfung diesen Segen Gott wieder zurück zu geben mit allem, was er
auf Erden bewirkt hat.
Die Broche des Zacharias, das Benedictus beginnt: „Gepriesen sei
der Herr, der Gott Israels!“ Dann gibt er den Grund an: „denn er hat
sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen“ (Lk 1,68). Es gehört
immer zur Benediktion, zur Broche, zum Dankgebet dazu, dass man den
Grund angibt. Man preist Gott zuerst, dann nennt man den Grund, warum
man ihn preist, man erinnert sich an das, was man bekommen hat und,
das ist nicht ganz unklug, ich würde sogar sagen, das ist strategisch
ganz gut gedacht, dann erst fügt man eine Bitte an. Man hat sozusagen
zu Gott gesagt: Schau, soviel haben wir schon von dir bekommen. Jetzt
dürfen wir auch noch um etwas bitten. Man schließt die Bitte immer mit
einem neuerlichen Lobpreis: „Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr,
unser Gott“, sagen wir nach dem Offertoriumsgebet, nach der
Darbringung von Brot und Wein. In jedem jüdischen Dankgebet, in jeder
jüdischen Broche kommt am Schluss immer wieder noch einmal der
Lobpreis, mit der Gewissheit: Was ich jetzt erbeten habe, das hat Gott
zugesagt und er wird es auch geben. Deshalb kann ich ihn jetzt schon
dafür preisen.
Wie tief das im Alten Testament wurzelt, möchte ich an einem
schönen Text aus dem Buch Exodus verdeutlichen. Wir finden in der
Bibel, im Alten Testament eine Fülle von solchen Segensgebeten,
Brochen. Ich nenne nur eine als Beispiel. Es ist die Geschichte, wo
Mose nach dem Auszug aus Ägypten wieder zu seinem Schwiegervater
zurückkommt. Er hat vierzig Jahre in der Wüste gelebt, nachdem er
flüchten musste, weil er den Ägypter erschlagen hatte. Er kommt zu
seinem Schwiegervater Jitro zurück, nun nicht mehr alleine sondern mit
dem ganzen Volk, das Gott aus Ägypten und durch das Rote Meer gerettet
hat. Und jetzt heißt es im Kapitel 18 des zweiten Buches Mose, des
Buches Exodus: „Mose erzählte seinem Schwiegervater alles, was der
Herr dem Pharao und den Ägyptern um Israels willen angetan hatte.“ –
Das muss ziemlich lang gedauert haben, diese Erzählung, aber im Orient
hat man etwas mehr Zeit als bei uns. – Er erzählte „auch von allen
Schwierigkeiten, denen sie unterwegs begegnet waren“ – also die
Geschichte von den ersten Wochen des Auszugs aus Ägypten, was sie
alles da erlebt hatten – „und wie der Herr sie gerettet hatte.“ Die
Reaktion seinen Schwiegervaters: „Jitro freute sich über alles, was
der Herr an Israel Gutes getan hatte, als er es aus der Hand der
Ägypter rettete. Jitro sagte“ – jetzt übersetze ich so, wie es richtig
übersetzt sein sollte: „Gesegnet sei der Herr, der euch aus der Hand
der Ägypter und des Pharao gerettet hat. Jetzt weiß ich: Der Herr ist
größer als alle Götter. Denn die Ägypter haben Israel hochmütig
behandelt, doch der Herr hat das Volk aus ihrer Hand gerettet. Dann
holte Jitro, der Schwiegervater des Mose, Tiere für Brandopfer und
Schlachtopfer zur Ehre Gottes. Aaron und alle Ältesten Israels kamen,
um mit dem Schwiegervater des Mose vor dem Angesicht Gottes ein Mahl
zu halten“ (18,8-12). Da ist das Ganze der Eucharistie schon
vorweggenommen.
Es beginnt sozusagen mit einem langen Wortgottesdienst. Mose
erzählt dem Jitro, seinem Schwiegervater, was Gott alles getan hat,
wie unglaublich diese Rettung geschehen ist, zuerst aus Ägypten unter
vielen Schwierigkeiten, dann durch das Rote Meer und schließlich ihre
Zeit in der Wüste. Als Jitro das alles hört, ist seine Antwort darauf
ein Lobpreis. Er stimmt das Gloria an, den Dank, ja er gibt Gott
zurück im Segen, was Gott seinem Schwiegersohn Mose und dem ganzen
Volk Gutes getan hat. Und der Ausdruck dieser Dankbarkeit, dieser
Freude ist das Opfer. Sie bringen Opfer dar. Diese Opfer haben nicht
den Sinn, Gott zu besänftigen, sondern Gott zu danken. Es sind Opfer
des Lobes. Das ganze mündet in ein freudiges Mahl. Wortgottesdienst,
Opfergottesdienst und eucharistisches Mahl – vorweggenommen schon der
ganze Ablauf der Eucharistie. Was daran besonders auffällt ist, dass
hier das Hören auf die Taten Gottes der Anfang ist. Die Atmosphäre, in
der die beraka, die Broche zu Hause ist, ist der Dank dafür, der
Lobpreis dafür, dass Gott so Großes wirkt. – Wenn Sie schauen wollen,
wo man das im Alten Testament besonders schön lesen kann, dann schauen
Sie ins Buch Tobit hinein. Dort kommt immer, wenn irgendetwas ganz
besonders Schwieriges zu überwinden war, wenn Tobit und Sara die Hilfe
Gottes erfahren haben, eine Broche: „Gepriesen, gesegnet sei der Herr,
der Gott Israels“, der uns aus dieser oder jener Situation gerettet
hat, der uns seine Treue gezeigt hat, der uns nicht vergessen hat in
unserer Not. Ja, gesegnet sei der Herr, der Allmächtige (vgl. Tob
3,11-15; 8,5-8; 11,14-15). Diese Spiritualität der Broche ist
sozusagen der Mutterboten, aus dem die Eucharistie gewachsen ist.
Wenn Sie sich einmal die Zeit nehmen, das vierte eucharistische
Hochgebet herzunehmen, das lange (das man deshalb so selten hört, weil
es lange dauert und die Messe ja immer kurz sein muss), da erleben wir
genau das, was Mose dem Jitro erzählt hat. Die ganze Geschichte wird
erzählt, wie Gott am Anfang die Schöpfung gemacht hat, wie der Mensch
seine Freundschaft verloren hat und ihn Gott trotzdem nicht verlassen
hat, wie er immer wieder den Menschen seinen Bund angeboten hat, wie
er die Propheten gesandt hat, um die Menschen zu lehren, das Heil zu
erwarten, wie er schließlich seinen Sohn gesandt hat, um alle zu
retten. Darauf folgt die Antwort, der Lobpreis, das Sanctus, dann
kommt die Vergegenwärtigung des Opfers, wie wir es im Folgenden immer
wieder sehen werden. Zuerst also erinnern, das ist urbiblisch und
urjüdisch, das Gedächtnis, das Erinnern an die Taten Gottes. Wenn man
sich so erinnert, was Gott getan hat, dann wird einem bewusst, was er
früher getan hat, wird er auch in Zukunft tun, denn er ist treu und
deshalb dürfen wir vertrauen, dass er es auch jetzt tun wird.
Vergangenheit – Zukunft – Gegenwart: Genau das erleben wir immer in
der Eucharistie. Wir erinnern uns, was Gott getan hat, wir schauen auf
das, was er tun wird, bis er kommt in Herrlichkeit, und das wird jetzt
gegenwärtig. Ganz gewiss ist der Herr jetzt da. Diese Gebetsatmosphäre
ist sozusagen der Raum, der Gebetsraum, die Luft in der die
Eucharistie zu Hause ist. Es ist eine Atmosphäre tiefen Vertrauens,
nicht die Angst vor Gott, sondern die Zuversicht in die Treue Gottes.
Was den Menschen befähigt Gott zu segnen, ist, wie das Alte Testament
ständig sagt: Dieser Gott ist unglaublich nahe. Wie nahe er ist,
konnte das Alte Testament noch nicht ahnen. Erst Jesus hat uns
gezeigt, dass diese Nähe noch so viel weiter geht, viel weiter, als
man es sich vorstellen konnte, bis dahin, dass er sich uns zu essen
gibt.
IV.
Ich werde jetzt noch ein wenig aus der jüdischen
Frömmigkeitsgeschichte, aus dem jüdischen Leben über die Bedeutung der
Broche sagen. Sie ist nämlich nicht nur wichtig für die Liturgie, für
den Gottesdienst in der Synagoge, bei den großen Festtagen wie dem
Pesach, sondern gehört auch ganz in den Alltag. Ich würde sagen:
„eucharistische Frömmigkeit im Alltag“. Es gibt bei den Juden eine
Tradition, die sicher nicht von allen gelebt wird, aber doch sehr
bekannt ist. Der fromme Jude soll am Tag hundertmal Gott bentschen,
Gott eine Broche sprechen. Vom Aufwachen in der Früh bis zum
Schlafengehen bei jeder Gelegenheit, wenn er einen Goj, einen
Nichtjuden auf der Straße sieht; wenn er eine Frau sieht, soll er
sagen, dass er Gott dankt, dass er keine Frau geworden ist – es gibt
aber auch eine Broche, die die Frauen sprechen sollen, die danken
dafür, dass sie nicht ein Mann geworden sind –; wenn man ein seltsames
Phänomen sieht, eine Sternschnuppe, soll man eine bestimmte Broche
sprechen; wenn man irgendein besonderes Naturphänomen sieht, gibt es
eine eigene Broche.
Ich nenne nur so ein paar, wie sie in der jüdischen
Frömmigkeitstradition weitergegeben werden: Beim Aufwachen soll der
gläubige Jude sprechen: „Gepriesen seist du; Herr unser Gott, König
der Welt“ – so beginnt immer die Broche – „der du die Seelen ihren
sterblichen Leibern zurückgibst und so das morgendliche Erwachen
verbindest mit der Aussicht auf die Auferstehung.“ Das morgendliche
Aufstehen ist eine Erinnerung an die Auferstehung. Wenn er den ersten
Blick auf seine Umgebung wirft, soll er sagen: „Gepriesen seist du,
Herr unser Gott, König der Welt, der du die Augen der Blinden
öffnest.“ Wenn er aus seinem schwankenden Bett heraus steigt, den
festen Boden unter den Füßen findet, soll er sagen: Gepriesen seist
du, Herr unser Gott, König der Welt, der du die Erde auf den Wassern
befestigt hast.“ Und so geht es weiter, den ganzen Tag hindurch bis
zum Schlafengehen. Beim Apostel Paulus steht ein Satz, der uns von
dieser Frömmigkeit her einen ganz anderen Klang bekommt: „Alles, was
Gott geschaffen hat, ist gut, nichts ist verwerflich, wenn es mit
Preisung [im Griechischen steht hier: mit Eucharistie] genommen wird,
ist es doch geheiligt durch Gottes Wort und das Gebet“ (1 Tim 4,3-4).
Alles soll Eucharistie sein, alles soll Gott zurückgegeben werden in
der Preisung, in der Broche. Ganz ähnlich heißt es im Talmud, im
großen jüdischen Werk in vielen, vielen Bänden, in denen die jüdischen
Traditionen überliefert und festgehalten sind, in dem Traktat über das
Bentschen, über die berakot: „Es ist dem Menschen verboten,
irgendetwas von dieser Welt ohne Benediktion zu genießen“ (b Ber 35a).
Nichts sollen wir also zu uns nehmen, nichts sollen wir annehmen,
empfangen, ohne Gott zu „eucharistieren“, Gott zu preisen oder, wie
wir wörtlich sagen dürfen, Gott zu segnen.
Wenn wir in das Leben Jesu hinein schauen, merken wir, wie viele
solche Brochen, solche Benediktionen es auch bei ihm gibt. Ich nenne
nur eine ganz eindrucksvolle, die im Matthäusevangelium steht. Es
bricht so richtig aus Jesus hervor, eine jubelnde Benediktion an Gott:
„Ich preise dich [wörtlich: ich segne dich], Vater, Herr des Himmels
und der Erde, dass du dies [das Motiv, warum?] vor Weisen und Klugen
verborgen, den Unmündigen aber geoffenbart hast.“ Am Schluss, ganz
klassisch wie in jedem jüdischen Gebet, noch einmal eine lobende
Zusammenfassung: „Ja, Vater, so hat es dir gefallen “ (Mt 11,25-26).
Wir sehen, wie tief auch Jesu eigene Frömmigkeit in der Frömmigkeit
der Synagoge beheimatet ist. Persönliche und liturgische Frömmigkeit,
beide gehören eng zusammen, wie ja auch für uns das eucharistische
Beten und das persönliche Gebet ganz in einander verwachsen sein
sollen.
V.
Nun muss ich zum Abschluss eine Erklärung versuchen, warum das so
eine eigene Frömmigkeit ist. Im ersten Petrusbrief steht ein Zitat aus
dem Buch Exodus, der Apostel sagt zu den Gläubigen: „Ihr seid ein
auserwähltes Volk, ein königliches Priestertum“ (2,9). Das Volk
Gottes, des Alten und den Neuen Bundes, hat eine große Berufung, eine
priesterliche Berufung. Worin besteht die? Was tut der Priester? Er
vermittelt den Segen Gottes und gibt den Segen an Gott zurück. Genau
das ist die Aufgabe aller Getauften, ist die Aufgabe des ganzen Volkes
Gottes. Alles, was Gott uns schenkt, sollen wir im Lobpreis, in der
Eucharistie Gott zurückgeben. Das ist nicht nur eine Aufgabe der
geweihten Priester, sondern das ist Aufgabe des ganzen Volkes Gottes,
„Opfer des Lobes“ nennt das die Bibel (Ps 50,23; Hebr 13,15). Es ist
ein priesterlicher Dienst. Gott hat uns gesegnet, und er wartet
darauf, dass die Welt Gott zurückgegeben wird, dass sie ihm im
Lobopfer, in der Benediktion zurückgegeben wird. Es gibt eine
frühchristliche Diskussion zwischen einem Rabbiner und einem Christen,
aus dem 2. Jahrhundert. Der Rabbiner hieß Tryphon und der Christ
Justin, dann später als Märtyrer gestorben (†um 165). Die beiden
diskutieren miteinander über eine Stelle, die wir alle gut kennen,
weil sie im dritten Hochgebet vorkommt, das man am Sonntag sehr oft
hört: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang werde das reine Opfer
dargebracht …“ Das ist ein Wort aus dem Propheten Maleachi, der sagt:
„Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter
den Völkern, und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer
dargebracht und eine reine Opfergabe“ (1,11).
Wir kennen dieses Wort aus der Eucharistie, und wir glauben, dass
überall auf Erden, wo die Eucharistie dargebracht wird, dieses reine
Opfer dargebracht wird. Der Rabbiner sagt zum Christen: Unsere
Brochen, unsere vielen Segensgebete, die wir überall auf der Welt
sprechen, sind dieses „reine Opfer“. Auf diese Weise bringen wir die
Schöpfung Gott zurück im Lobpreis. Darauf antwortet ihm der Christ und
sagt: Nein, wir glauben, dass das die Eucharistie Jesu ist. Das ist
das reine Opfer, das überall auf Erden vom Aufgang der Sonne bis zum
Untergang Gott dargebracht wird. Jesus ist der, der die vollkommene
Broche für uns ist und für uns darbringt. Jesus ist der Segen Gottes
an die Welt. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn
für uns gegeben hat“ (Joh 3,16). Jesus ist der, der Gott die
vollkommenste Broche gesprochen hat, nicht nur durch Worte, sondern
durch sein ganzes Leben. Er ist der vollkommene Priester. Er hat alles
Gott zurückgebracht. Das ist der Sinn der Eucharistie, das vollkommene
Lobopfer. Darüber werden wir das nächste Mal weiter nachdenken, wenn
wir schauen: Wie hat nun Jesus selber das Abendmahl gefeiert und was
sagt das für den Sinn dieses kostbaren Schatzes, den wir in irdenen
Gefäßen tragen?