2. Kathechese 2003/2004
Wie hielt Jesus
das Abendmahl?
von
Kardinal Dr. Christoph Schönborn
Stephansdom, Wien
am 9. November 2003
Heute ist der Weihetag der Lateranbasilika, sie wird
„Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises“ genannt. Die Kirchweihe
wird höher angesetzt als der Sonntag. Zugleich ist heuer der 65. Jahrestag
der von den Nationalsozialisten so genannten Reichskristallnacht, jener
Nacht, in der im ganzen so genannten Dritten Reich die Synagogen brannten,
die Geschäfte der Juden zertrümmert wurden und bereits damals viele
umgebracht wurden. Es ist nicht eine x-beliebige, zufällige Liebe
meinerseits, dass ich so gerne und so nachdrücklich von den jüdischen
Wurzeln unseres Glaubens, unserer Liturgie, unseres ganzen kirchlichen
Lebens und besonders der Eucharistie spreche. Wenn wir uns heute
anschauen, wie Jesus das Abendmahl hielt, dann geht es noch einmal und
nachdrücklicher um den jüdischen Mutterboden, in dem die Eucharistie ihre
tiefen Wurzeln hat.
Natürlich kann man fragen: Muss ich das alles wissen, um an die
Eucharistie glauben zu können? Natürlich muss ich das nicht wissen. Aber
wenn ich es weiß und wenn ich es tiefer erkenne, dann kann das meinen
Glauben fördern, ihn stärken und vor allem zeigen, wie wunderbar Gott
selber in einer langen Geschichte das Geheimnis der Eucharistie
vorbereitet hat.
I.
Sehen wir uns an, wie Jesus das
Abendmahl gefeiert hat. Wir haben das letzte Mal die jüdischen Segnungen,
jene Lob-, Preis- und Dankgebete betrachtet, aus denen unsere eucharistia,
unsere eucharistischen Hochgebete erwachsen sind. So sehr die Eucharistie
im jüdischen Mutterboden wurzelt, so sehr ist doch das, was Jesus am Abend
vor seinem Leiden getan hat, etwas Neues, aber nicht etwas, das sozusagen
wie ein Stern von einer anderen Welt kommt, sondern etwas, das aus dem
Bestehenden heraus wächst und im Licht des Bestehenden auch viel tiefer
noch verständlich wird. Was Jesus an diesem Abend getan hat, hat seinen
Platz im jüdischen Wurzelboden seines Volkes. Neu ist zweifellos, was Jesu
über das Brot und den Weinbecher gesagt hat. Aber er hat es im Rahmen
eines jüdischen Mahles getan, das wohl ein Pesachmahl war, also ein
Ostermahl. Ich möchte heute Abend mit Ihnen die uns so vertrauten Berichte
anhören, die in den Evangelien von dieser Nacht, von diesem Mahl und von
dem, was Jesus in dieser Nacht getan hat, sprechen. Dann möchte ich mir
ein wenig ansehen, wie das Pesachmahl aussieht, innerhalb dessen Jesus
diese ganz neuen Worte gesprochen hat: „Das ist mein Leib.“ „Das ist mein
Blut.“ Schließlich, wahrscheinlich erst das nächste Mal, werden wir dann
diese Worte uns noch viel genauer anhören und anschauen, was sie sagen:
„Das ist mein Leib.“ „Das ist mein Blut.“
Wir haben vier Berichte über das, was
Jesus an diesem Abend getan hat, Matthäus (26,26-29), Markus (14,22-25),
Lukas (12,15-20) und beim Apostel Paulus (1 Kor 11). Ich möchte heute
Abend den Bericht des Evangelisten Lukas nehmen. Ob dieser der
ursprünglichste ist oder vielleicht der des Evangelisten Markus, ist nicht
so wichtig. Im Wesentlichen stimmen sie überein und sagen in knappen
Worten, was Jesus in der Nacht vor seinem Leiden getan hat. Wir erinnern
uns daran: Jesus hat Jünger ausgesandt, den Abendmahlsaal vorzubereiten
für das Mahl, wie das Tradition war, in einem Obergemach, im ersten Stock
eines Hauses, auf Polstern liegend, wie man damals gegessen hat, wobei der
Kern dieses Mahles dann stehend eingenommen wird. Nachdem sie das Mahl
bereitet hatten, ist Jesus mit ihnen in den ersten Stock hinaufgegangen,
in dieses Zimmer, und hat mit ihnen Pesach gehalten. Der Evangelist Lukas
sagt: „Und er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich danach gesehnt,
dieses Pascha mit euch zu essen vor meinem Leiden. Denn ich sage euch,
dass ich es nimmermehr esse, bis dass es erfüllt ist in der
Königsherrschaft Gottes. Und er ergriff einen Becher, sagte Dank und
sprach: Nehmt dies und teilt es unter euch. Denn ich sage euch, nicht
werde ich trinken von jetzt an von dem Gewächs des Weinstocks, bis die
Königsherrschaft Gottes kommt. Und er nahm Brot, sagte Dank, brach und gab
ihnen und sagte: Dies ist mein Leib, der für euch gegebene. Dies tut zu
meinem Gedächtnis. Und den Becher ebenso nach dem Mahl, wobei er sagte:
Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen
ist“ (Lk 22,15-20 Üs. Patmos-Synopse). Wir kennen Ergänzungen, etwa wenn
der Evangelist Matthäus hinzufügt: Das Blut, „das vergossen ist für viele
zur Vergebung der Sünden“ (26,28). Aber schauen wir ein wenig uns den Text
des Evangelisten Lukas an. Es ist Ihnen aufgefallen, dass da am Anfang von
einem Becher die Rede ist, bevor das Brot genommen wird. Das hat nur der
Evangelist Lukas berichtet. Wir werden gleich sehen, warum es da zwei Mal
einen Becher gibt, vorher und nachher. Aber das erste und wichtigste, was
er hier sagt, ist: „Mit Sehnsucht habe ich mich danach gesehnt, dieses
Pascha mit euch zu essen vor meinem Leiden.“ Für jeden gläubigen Juden ist
es eine große Freude, auch eine große Sehnsucht, Pesach zu feiern. Es ist
das Fest der Feste, die Nacht der Befreiung, die Nacht, in der das Volk
sich erinnert, wie es aus Ägypten auszog und aus dem Sklavenhaus befreit
wurde. Es ist ein Fest voller Erwartung und voller Freude. Auch für Jesus
ist dieses Pesach voller Erwartung, einerseits seines Leidens – er weiß,
was auf ihn zukommt – anderseits ist es für ihn klar das Abschiedsmahl vor
seinem Leiden. Gleichzeitig ist es ein Ausblick auf das, was kommen wird:
„Ich werde nicht mehr davon essen, bis es erfüllt ist in der
Königsherrschaft Gottes.“ Einmal werde ich es wieder essen, wenn das Reich
Gottes, die Königsherrschaft Gottes kommt. Dazu ergreift er einen Becher,
sagt Dank und sagt: „Nehmt und teilt ihn unter euch, ich werde nicht mehr
trinken“ – nicht nur nicht essen sondern auch nicht trinken – „vom Gewächs
des Weinstocks, bis die Königsherrschaft Gottes kommt“, ein
sehnsuchtsvoller Ausblick auf das Kommen der Königsherrschaft Gottes, des
Reiches Gottes. Erst danach kommt das, was uns aus jeder Eucharistiefeier,
aus jeder Messe so vertraut ist, dass Jesus Brot nimmt, Dank sagt, das
Brot bricht, es den Aposteln gibt und dazu das Wort spricht, das uns
seither immer und immer wieder begegnet: „Dies ist mein Leib, der für euch
gegebene. Dies tut zu meinem Gedächtnis.“ Der uns vertraute Becher kommt
nach dem Mahl. Zwischen dem Brot, das Jesus bricht, und dem Becher, den er
reicht, ist das eigentliche Abendmahl, das Pesachmahl. Am Ende dieses
Mahles nimmt er noch einmal einen Becher mit Wein und sagt das Wort:
„Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen
ist.“
II.
Was ist der Rahmen, in dem sich das
alles abspielt? Es wird ein wenig, sogar viel darüber diskutiert, ob
dieses Abschiedsmahl Jesu das Pesachmahl war oder nicht. Es ist ein wenig
schwierig mit der Chronologie, die der Apostel Johannes hat und die die
drei anderen Evangelisten haben, aber darüber sollen sich die Gelehrten
den Kopf zerbrechen. Es gibt verschiedene Deutungen. Sicher ist, dass
dieses Mahl Jesu im Rahmen des Osterfestes in Jerusalem stattgefunden hat.
An diesem Osterfest ist Jerusalem mit Pilgern erfüllt, man schätzt, dass
bis zu 100.000 Pilger in Jerusalem sein konnten, eine unvorstellbare Menge
aus ganz Israel und aus der Diaspora. Der Höhepunkt war das Pesachmahl und
dann das Osterfest im Tempel selbst, so lange er bestand. Am
Gründonnerstag wird aus dem Buch Exodus die Einsetzung des Paschafestes
gelesen (Ex 12, 1-8.11-14). Da heißt es, dass jede Familie ein
fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm haben soll, das gegen Abend
geschlachtet wird. Mit dem Blut dieses Lammes sollen die Türpfosten
bestrichen werden. In der gleichen Nacht soll man dieses Lamm essen, über
dem Feuer gebraten, zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern. Man
soll es in Eile essen und nichts davon übrig lassen (vgl. 12,5-11). „Eure
Hüften seien gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand. Esst es
hastig! Es ist die Paschafeier für den Herrn [der Vorübergang des Herrn].
In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten und erschlage in Ägypten jeden
Erstgeborenen“ (12,11-12). In dieser Nacht wurde Israel aus Ägypten
befreit. Hastig zogen sie aus, so hastig, dass sie nicht einmal Zeit
hatten, das ungesäuerte Brot zu backen. „Den Brotteig nahmen sie
ungesäuert mit, wickelten ihre Backschüsseln in die Kleider und luden sie
sich auf die Schultern“ (Ex 12,34). Sie zogen in Eile aus in dieser Nacht.
Es heißt dann weiter: „Aus dem Teig, den sie aus Ägypten mitgebracht
hatten, backten sie ungesäuerte Brotfladen; denn der Teig war nicht
durchsäuert, weil sie aus Ägypten verjagt worden waren und nicht einmal
Zeit hatten, für Reiseverpflegung zu sorgen“ (12,39). All das ist wichtig
für die Art und Weise, wie bis heute das Pesach von unseren jüdischen
Mitbürgern gefeiert wird. „Eine Nacht des Wachens war es für den Herrn,
als er sie aus Ägypten herausführte“ (12,42). Das, sagt Gott zu Mose und
Aaron, soll euch eine Regel für alle Zeiten sein. Wenn ihr dann in das
Gelobte Land gekommen seid und dann das Fest der ungesäuerten Brote feiert
und euch des Auszugs aus dem Sklavenhaus Ägypten erinnert, dann sollt ihr
es euren Kindern erzählen. An diesem Tag erzähle deinem Sohn: Das
geschieht für das, was der Herr an mir getan hat, als ich aus Ägypten
auszog.
Bis heute wird nach der jüdischen
Tradition der Seder so gefeiert. Es gibt viele Ausgaben von der
Pesach-Haggada das heißt, der Erzählung des Ritus, der Feier für Pesach,
mit all den Texte, wie man Pesach feiert (etwa die Ausgabe von Arik
Brauer). Es sind auch die Fragen, die die Kinder stellen müssen, darin:
Was bedeutet das alles? Warum tun wir das? Dann wird erzählt, warum wir
das alles feiern: weil wir uns daran erinnern, wie unsere Väter aus
Ägypten auszogen. Wenn man sich ein wenig ansieht, wie der so genannte
Seder, also der liturgische Ablauf des Pesachmahles aussieht, dann
verstehen wir plötzlich, warum der Evangelist Lukas da von einem ersten
Becher spricht. Denn der Abend beginnt mit Segenssprüchen über den ersten
Becher Wein, den so genannten Kiddusch-Becher. Mit diesem ersten Becher
verbindet Jesus am Beginn dieser Feier seinen Sehnsuchtsruf: „Wie sehr
habe ich mich gesehnt, mit euch dieses Pesach zu feiern!“ Der Ritus geht
dann weiter. Ich kann Ihnen das jetzt nicht in allen Einzelheiten
erzählen, es würde viel zu lange dauern. Es ist ein Ritus, in dem das, was
im Buch Exodus geschildert wird, nachgefeiert wird. Da gibt es die
Bitterkräuter, das ungesäuerte Brot (Mazzen, Mazzot), da gibt es einen
Ritus, der vielleicht noch nicht zurzeit Jesu gebräuchlich war, aber sehr
bedeutsam und symbolisch ist. Von dem mittleren der drei Mazzot nimmt der
Hausvater ein Stück weg und versteckt es. – Das ist für die Kinder immer
sehr interessant. Man macht das auch ein bisschen, um die Kinder wach zu
halten, weil der Abend lange dauert. – Das versteckte Stück Brot, Afikoman
[„Verborgenes“] genannt, das dann hervorgeholt wird, ist in der jüdischen
Deutung ein Symbol für den ersehnten Messias, der noch versteckt ist, aber
kommen wird. Der ganze Abend ist erfüllt von dieser sehnsuchtsvollen
Erwartung. Man blickt zurück auf das, was gewesen ist, aber man schaut
auch in die Zukunft und vor allem auf den kommenden Messias. Beim Brechen
dieser Mazzot spricht der Hausvater den Brotsegen. Und genau an dieser
Stelle, bei diesem Brotbrechen, das vor dem Mahl ist, hat Jesus die Worte
gesprochen, die uns so vertraut sind. So wie bei jedem jüdischen Mahl und
besonders beim Pesach das Brot unter den Teilnehmern des Mahles verteilt
wird, so hat Jesus das Brot unter seinen Jüngern geteilt. Wir werden noch
sehen, was das bedeutet. Dann kommt ein zweiter Becher mit Wein und dann
kommt die Erzählung. Eines der Kinder, das jüngste, stellt vier Fragen:
Was bedeutet das? Was bedeuten das ungesäuerte Brot und die Bitterkräuter?
Der Vater erzählt die Geschichte des Auszugs, warum man Bitterkräuter an
diesem Abend ist, warum man ungesäuertes Brot ist. Nach dem Austeilen der
Mazzot, der ungesäuerten Brote, beginnt erst das eigentliche Mahl. Am Ende
dieses Mahles wird der dritte Becher eingeschenkt, nach dem Mahl. Über
diesen dritten Becher hat Jesus die Worte gesprochen, die wir in jeder
Messe hören: „Das ist der Becher des Neuen Bundes in meinem Blut.“
Alles das hat seine Symbolik. Wir können
uns das jetzt nicht im Einzelnen genauer anschauen. Es lohnt sich aber
einmal darüber nachzulesen. Ich nenne nur ein paar Worte aus der
Pesach-Haggada, was die Kinder und die Erwachsenen zu hören bekommen, wenn
ihnen erklärt wird. Dort heißt es zum Beispiel: „Das Pesachopfer, welches
unsere Vorfahren gegessen, so lange der heilige Tempel bestand – warum war
es? Weil der hochgelobte Heilige in Ägypten die Häuser unserer Vorfahren
überschritten hatte; so wie es heißt: Ihr sollt sprechen: Es ist ein
Pesachopfer dem Ewigen zu Ehren, der hinwegschritt über die Häuser der
Kinder Israel in Ägypten, da er Ägypten geschlagen und unsere Häuser
verschont hatte.“ Sie haben gehört, dass in der Pesach-Haggada vom
Pesachopfer gesprochen wird. Das Mahl wird ein Opfer genannt, für uns
eigentlich selbstverständlich, aber für viele unverständlich geworden.
Warum sagen wir, dass die Messe ein Opfer ist und nicht nur ein Mahl? Das
eucharistische Mahl ist ein Opfer. Wir werden uns das noch näher
anschauen: Warum sagen wir, die Messe sei ein Opfer? Auf die Frage, was
die Mazzen bedeuten, das ungesäuerte Brot, antwortet der Vater: „Weil der
Teig unserer Vorfahren nicht Zeit hatte zu säuern, da schon der König
aller Könige, der hochgelobte Heilige sich ihnen offenbarte und sie
erlöste; denn so heißt es: Sie buken von dem Teige, den sie aus Ägypten
mitgenommen, ungesäuerte Kuchen, denn er blieb ungesäuert, da sie aus
Ägypten herausgetrieben wurden und sie sich weder aufhalten noch sonst
eine Reisekost besorgen konnten.“ Dann fragt das Kind: Und warum die
Bitterkräuter, diese Maror? „Weil die Ägypter“, so ist die Antwort, „das
Leben unserer Vorfahren verbitterten; wie es heißt: Sie verbitterten ihr
Leben durch schwere Arbeit in Lehm und Ziegeln und allerlei Arbeiten auf
dem Felde, ja allen ihren Arbeiten, die sie ihnen mit Strenge
auferlegten.“ Die Pesach-Haggada ist der Mutterboden, auf dem unsere
Eucharistie gewachsen ist.
III.
Da ist zuerst der Ritus des
„Brotbrechens“. Die frühen Christen haben offensichtlich das Brotbrechen
so stark erlebt, dass sie dieses Wort genommen haben, um die Eucharistie
zu bezeichnen. Von der Urgemeinde in Jerusalem heißt es: „Sie verharrten
in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und in
den Gebeten“ (Apg 2,42). Ein wenig später heißt es: „Sie brachen reihum in
den Häusern das Brot“ (2,46). Brotbrechen, dieser Ritus ist offensichtlich
so wichtig, dass er für die Kirche fast möchte ich sagen das erste Wort,
der erste Name der Eucharistie geworden ist. Wir erinnern uns alle an die
Szene im Emmaus, dass Jesus mit den beiden Jüngern unterwegs war. Sie
erkannten ihn nicht. Er ging mit ihnen, erklärte ihnen die Schrift, warum
es so kommen musste. Es kommt das Mahl. Er nimmt das Brot, bricht es und
in dem Moment erkennen sie ihn (Lk 24,13-35). „Sie erkannten ihn am
Brotbrechen“ (Lk 24,35).
Was steht hinter diesem Gestus des
Brotbrechens, den Jesus offensichtlich so oft getan hat, dass seine Jünger
ihn daran nach Ostern erkennen konnten? In der damaligen jüdischen
Mahlzeit war das Brotbrechen ein selbstverständlicher Gestus zu Beginn
jeder Mahlzeit. Damit wurde das Mahl eröffnet. Alle Tischgenossen bekommen
ein Stück von dem gebrochenen Brot. Ich habe das auch bei Arabern im
Orient erlebt. Das gebrochene Brot ist das Zeichen der Tischgemeinschaft.
Dadurch wird Gemeinschaft hergestellt. Durch das Brotbrechen werden die,
die ein Stück Brot bekommen und genommen haben, zu einer Gemeinschaft
zusammengeschlossen. Aber in der jüdischen Tradition hat es noch eine
tiefere Bedeutung. Es ist nicht nur Gemeinschaft bildend, es ist auch
Segen stiftend, denn über das Brot wird ein Segen gesprochen, eine Broche.
Das Segensgebet über das Brot, wir kennen es gut aus der Heiligen Messe:
„Gepriesen bist du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt. Wir danken dir für
das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Es werde für
uns das Brot des Lebens.“ Diesen Segen spricht man fast wörtlich immer
über das Brot.
Wer das Stück Brot bekommen hat, hat
Anteil an dem Segen, gehört also gewissermaßen in die Segensgemeinschaft.
Es entsteht, wie man auf Hebräisch sagt, eine Havura. – Das wienerische
Wort „Hawara“ kommt von da. Der Hawara ist der, der zu einer Havura
gehört, zu einer Gemeinschaft, der Kollege, der Freund, der Hawara eben.
Wie vieles verdanken wir unseren jüdischen Mitbürgern bis hinein in unsere
Alltagssprache in Wien. – Wir tun uns heute schwer, zu verstehen wie
wichtig die Tischgemeinschaft ist. In einer Zeit, in der man zu McDonalds
oder Burgerking – das war jetzt keine Werbung für die beiden Firmen – zum
„Quick-Food“ geht, haben wir verlernt, was die Tischgemeinschaft bedeutet.
Der Bruch der Tischgemeinschaft ist ein Verbrechen. Im Alten Testament
gilt das als einer der schlimmsten Vertrauensbrüche, wenn ein Tischgenosse
gegen einen anderen die Hand erhebt, einen verrät. Der Verrat des Judas
ist deshalb noch einmal schlimmer, weil er geschehen ist, nachdem Jesus
ihm den Bissen Brot gereicht hat, der ihm Anteil an der Gemeinschaft mit
Jesus gibt. In dem Moment geht er hinaus und verrät ihn. Aber wir
verstehen auch, warum man so Anstoß genommen hat daran, dass Jesus mit
Zöllnern und Sündern Tischgemeinschaft pflegt. Denn Tischgemeinschaft
heißt Segensgemeinschaft. Wenn Jesus sich mit Sündern an einen Tisch
setzt, dann heißt das doch, dass er Ihnen den Frieden Gottes, die
Gemeinschaft Gottes zuspricht. Genau das will Jesus, aber genau das erregt
Anstoß. Umgekehrt lesen wir in der Bibel, dass der Ausschluss von der
Tischgemeinschaft etwas ganz Schlimmes ist. Es ist sogar ein Bild für das
ewige Unheil. Wer nicht am Tisch des Reiches Gottes teilnehmen kann, ist
für ewig ausgeschlossen. So kann Jesus einmal in einem Gleichnis sagen,
dass der Bräutigam, wenn er kommt, die Tür von innen zuschließen wird. Das
Hochzeitsmahl findet statt, die Tischgemeinschaft ist gebildet. Die dann
kommen, klopfen, wollen herein und sagen: Herr, wir haben doch mit dir
gegessen und getrunken. Und er wird sagen: Ich kenne euch nicht. Ich weiß
nicht, wer ihr seid (vgl. Mt 25,10-12; Lk 13,25-27). „Selig, wer Brot
essen darf in der Königsherrschaft Gottes“, heißt es einmal (Lk 14,15
wörtl.). Das ist das Bild der vollendeten Gemeinschaft: Brot essen in der
Königsherrschaft Gottes.
Vielleicht lesen Sie einmal eine ganz
rätselhafte Stelle im Alten Testament, im Buch Exodus. Nachdem am Berg
Sinai mit dem Blut der Bund zwischen Gott und dem Volk geschlossen ist –
wir werden noch sehen was das bedeutet, das Volk und der Altar als Zeichen
Gottes wurden mit Blut besprengt – heißt es: „Dann stiegen Mose, Aaron,
[und die anderen] siebzig Ältesten Israels hinauf auf den Berg. Sie
schauten den Gott Israels. Unter seinen Füßen ein Gebilde wie aus
Saphirplatten, glänzend wie der Himmel selbst in seiner Reinheit. Er
streckte seine Hand nicht gegen die Edlen Israels aus.“ Dann heißt es:
„Sie schauten Gott, und sie aßen und tranken“ (Ex 24,9-11). Ganz knapp.
Man kann das Geheimnis der Eucharistie im Alten Testament nicht dichter
ausgedrückt finden als in diesen Worten, wie die Ältesten mit Mose und
Aaron nach dem Bundesschluss Gott schauen dürfen und in seiner Gegenwart
essen und trinken. Deshalb verstehen wir auch, dass im jüdischen und dann
auch im frühchristlichen Mahl und besonders im Herrenmahl, in der
Eucharistie die Freude vorherrscht: „Sie nahmen ihre Mahlzeiten mit Jubel“
(Apg 2,46 wörtl.). In der Gegenwart Gottes essen und trinken zu dürfen,
ist Grund zum Jubel.
IV.
Nach dem Brotbrechen folgt das
Sättigungsmahl, das eigentliche Mahl des Pesachfestes mit dem Lamm und
heute ausgeschmückt mit allerlei Kräutern, Eiern, Gemüse. Am Schluss des
Mahles gibt es ein feierliches Gebet, drei feierliche Segensgebete. Ich
würde das gerne im Einzelnen mit Ihnen anschauen. Vielleicht ist es nur
für mich so spannend, aber ich finde es so berührend festzustellen, dass
das, was heute noch unsere jüdischen Mitbürger beten, diese drei
Tischgebete, die dann am Pesachfest noch einen vierten, besonders
feierlichen Zusatz haben, diese drei Brochen, Benediktionen, Tischgebete,
Segensgebete wirklich der Wurzelboden unserer eucharistischen Gebete sind.
Wenn Sie da hineinhorchen, verstehen Sie, wo unser eucharistisches Beten
herkommt. Da tut es einem im innersten Herzen weh, wenn man immer noch,
auch unter uns Christen, ein tiefes Unverständnis für das Leben des
jüdischen Volkes feststellt, das für uns nach wie vor das erwählte Volk
ist, auch wenn nicht alle Jesus als den Messias, den Heiland angenommen
haben.
Drei Segensgebete in denen gedankt wird
für die Speisen, das Brot vor allem, für das Land, die Erde, und für
Jerusalem, die Stadt Gottes. Es ist eigenartig, wenn wir diese drei Gebete
anschauen, dann haben wir eigentlich alle Elemente, die wir später im
christlichen Gebet, in der Eucharistie wieder finden werden. Dieses Gebet
beginnt mit: „Lasst uns den Herrn preisen, von dessen Eigentum wir
gespeist wurden“ (Mischna Ber. VII,3). Ich habe schon letztes Mal daran
erinnert. Es ist genau das, was wir am Anfang des Hochgebetes bei der
Präfation sagen: „Lasst uns danken dem Herrn, unserem Gott.“ Dann kommen
drei Segensgebete. Die erste Broche ist ein Lobgebet und ein Dank für die
erhaltene Speise. Es gehört sich, dass man Gott dankt für das Essen. Und
dieses Dankgebet ist ein Gebet, in dem besonders gedankt wird für die
Vorsehung Gottes. Ich zitiere kurz daraus: „Gebenedeit bist du, Herr unser
Gott, König der Welt, der da speist die ganze Welt in seiner Güte mit
Gnade, Treue und Erbarmen. Er gibt Speise jedem Fleisch, denn ewig währet
seine Gnade.“ Dank für die Vorsehung Gottes, für seine Barmherzigkeit, die
keines seiner Geschöpfe vergisst. Dann kommt ein zweites Dankgebet für das
Land, für die Erde. Damit ist natürlich vor allem das Heilige Land, das
erwählte Land gemeint. Aber es ist auch ein Dank für alles das, was Gott
getan hat, dass er sein Volk in dieses Land geführt hat. Ich lese einen
kleinen Abschnitt daraus vor: „Wir danken dir, Herr unser Gott, weil du
unsere Väter hast erben lassen ein liebliches, gutes und weites Land, und
weil du uns geführt hast aus dem Land Ägypten und uns erlöst hast aus dem
Haus der Knechtschaft … Und für alles danken wir dir, Herr unser Gott, und
preisen dich.“ Dank für die Heilsgeschichte, die Rettung. Genau das tun
wir im eucharistischen Hochgebet: Wir danken Gott für alles, was er getan
hat, um uns zu befreien, um uns zu erlösen. Schließlich ein drittes Gebet:
Wir danken Gott für Jerusalem. Diese dritte Bitte wendet sich der Zukunft
zu. Es ist die Bitte verbunden mit dem Dank, Gott möge sich erbarmen über
sein Volk, über Jerusalem: „Erbarme dich, Herr unser Gott, über Israel
dein Volk, und über Jerusalem deine Stadt, und über Sion, die Wohnung
deiner Herrlichkeit, und über das Reich des Hauses Davids deines
Gesalbten, und über das große heilige Haus, darüber dein Name genannt
ist.“ Es ist die Sehnsucht, dass Gott sein Reich verwirklichen möge: Dein
Reich komme! Es ist die Sehnsucht, die im Pesachmahl in dem Ruf zum
Ausdruck kommt: „Dieses Jahr in der Fremde, nächstes Jahr in Jerusalem“,
immer wieder die Hoffnung: Gott wird sein Volk heimführen. In unserem
christlichen Gebet ist daraus der Sehnsuchtsruf geworden: „Deinen Tod, o
Herr, verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in
Herrlichkeit.“
Diese Sehnsucht, dass Gott sein Reich
verwirklichen möge, hat auch die Kirche nie verlassen. Was im Pesachmahl
so berührend zum Ausdruck kommt, die Sehnsucht, dass der Messias kommt,
hat Bella Chagall, die Gattin von Marc Chagall, einmal sehr schön zum
Ausdruck gebracht. In ihren Kindererinnerungen, ihren Erinnerungen an die
jüdischen Feste erzählt sie, wie beim Pesachmahl an einer Stelle das
jüngste Kind zur Tür gehen muss, die Tür aufmacht, in die dunkle Nacht
hinausschaut: Vielleicht steht der Messias vor der Tür. Diese tiefe
Sehnsucht begegnet uns im Evangelium, wenn die Menschen in Jerusalem
fragen: Glaubt ihr, dass er, Jesus, zum Pesach, zum Paschafest nach
Jerusalem kommen wird? Denn die Hoffnung ist: In dieser Nacht, in der
Osternacht wird der Messias kommen. In der Osternacht wird er sich zeigen,
denn in der Osternacht wurde Israel aus Ägypten befreit. Es gab lange bei
den frühen Christen eine ähnliche Tradition: Wenn die Christen Osternacht
feierten, das ist bezeugt bis ins 4./5. Jahrhundert, dann erwarteten sie,
dass der Messias Jesus Christus wiederkommt. Sie haben über Mitternacht
hinaus gefeiert. Und wenn der Herr gegen Morgen noch immer nicht gekommen
war, dann haben sie Eucharistie gefeiert, denn in der Eucharistie kommt er
auch, freilich verborgen, noch nicht sichtbar aber wirklich. „Maranatha!
Komm, Herr Jesus!“ (1 Kor 16,22; Offb 22,20). Dieser Sehnsuchtsruf der
frühen Christen kommt ganz aus dem Gebet der jüdischen Tradition, das die
Sehnsucht nach dem Kommen des Messias ausdrückt.
V.
Ich habe Ihnen jetzt nur ein paar kleine
Elemente aus dem jüdischen Mutterboden gezeigt. Noch einmal die Frage:
Brauchen wir denn das alles? Brauche ich das, um Messe zu feiern, um zu
glauben, dass Jesus in der Eucharistie zu mir kommt? Natürlich brauche ich
es nicht unbedingt. Aber es ist etwas Wunderbares, zu wissen wie Gott
selber vorbereitet hat, was wir heute feiern dürfen. Vor allem verstehen
wir besser, was es bedeutet, was Jesus an Neuem an diesem Abend getan hat,
wie er am Anfang des Mahles das Brot genommen, den Segen darüber
gesprochen, es gebrochen, seinen Jüngern ausgeteilt hat und alle davon
gegessen haben und er dann das Neue offenbaren konnte: „Das ist mein
Leib.“ Wie er am Ende des Pesachmahles den dritten Becher genommen hat und
wiederum das Segensgebet, eben diese drei Gebete, die wir jetzt gerade
kurz gesehen haben, gesprochen hat, dann den Becher herumgereicht hat und
dazu gesagt hat: „Das ist der neue Bund in meinem Blut.“ Wir werden uns
diese Worte im Folgenden, in der nächsten Katechese näher anschauen.
Eines möchte ich heute schon sagen. Wenn
wir uns das so anschauen, dann ist eines klar: Die Eucharistie ist nicht
einfach eine Mahlfeier. Das Brot, das gebrochen ist, der Becher, der
gesegnet ist, stehen am Anfang und am Ende des Mahles, sie sind nicht das
Sättigungsmahl. Der Apostel Paulus sagt den Korinthern: Essen könnt ihr
auch zu Hause! Er kritisiert sie ziemlich scharf: Was ihr da tut, ist
keine Feier des Herrenmahles. Die einen essen schon am Anfang und die
anderen hungern. Einige sind schon betrunken, sagt er ihnen. Das ist nicht
das Herrenmahl, denn, so sagt er, ihr könnt auch zu Hause essen. Dazu
kommt ihr nicht zusammen. Wer Hunger hat, soll zu Hause essen, sonst wird
euch die Zusammenkunft zum Gericht (vgl. 1 Kor 11,20-22.29). Nein, die
Eucharistie ist nicht ein einfaches Sättigungsmahl. Sie wird auf einem
Altar gefeiert, der auch ein Tisch ist, aber nicht nur ein Tisch. Sie ist
etwas Einzigartiges. Sie ist Opfermahl. Wie hat die Urkirche sie gefeiert?
Wie sah sie damals aus? Wir wissen noch wenig davon. Wir wissen kaum, wie
die Urkirche sie gefeiert hat. Aber eines wissen wir sicher: Sie war sehr
jüdisch. Sie war ganz geprägt vom jüdischen Beten und Feiern. Was sich
allmählich entwickelt hat und heute unsere Liturgie ist, ist nicht
verständlich ohne diese Herkunft aus dem jüdischen Beten und Feiern.
Nächstes Mal möchte ich mit Ihnen ein
wenig hineinschauen in das, was diese rätselhaften Worte über Brot und
Becher nun bedeuten, die ganz neu waren, so neu, dass sie unvergesslich
blieben und bis heute unvergessen sind. In jeder Eucharistie hören wir sie
genau so. Heute bitte ich Sie, im Gebet unserer jüdischen Mitbürger zu
gedenken. Überall finden Gedenkfeiern für die Pogrome dieser Nacht statt,
die vor 65 Jahren so Schreckliches über das jüdische Volk gebracht hat.
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