4. Katechese 2003/04 am 11. Jänner 2004
"Tut dies zu meinem Gedächtnis"
Was "Gedenken" für den Menschen und im Besonderen in der Euchristiefeier bedeutet und wie es in der frühen Kirche schon geschehen ist.
Danke für die Fragen, die ich bekommen habe. In
der letzten Katechese habe ich davon gesprochen, dass es für die Jünger ein
Schock gewesen sein musste, als Jesus ihnen gesagt hat, dass sie sein Blut
trinken sollen. Was das bedeutet, werde ich versuchen das nächste Mal zu
besprechen, wenn es um das Opfer Jesu geht, und dann noch einmal die Frage,
was heißt das: "Wer mein Fleisch ist und mein Blut trinkt, der bleibt in mir"
(Joh 6,56)? Was heißt das vor allem auch für die ersten Hörer dieses Wortes,
die Juden waren, wenn so ausdrücklich das Blut dem menschlichen Genuss
entzogen war. Danke für diese Frage, Geduld bitte, ich werde das nächste Mal
davon sprechen.
Heute möchte ich die Frage in den Mittelpunkt stellen: Was heißt es, dass
Jesus gesagt hat: "Tut dies zu meinem Gedächtnis"? Ich möchte zuerst der Frage
nachgehen: Was hat der Herr uns damit geheißen? Was ist seine Weisung: "Tut
dies zu meinem Gedächtnis"? Wenn uns noch Zeit bleibt, möchte ich ein wenig
hineinschauen in die Art und Weise, wie die frühe Kirche dieses Gedächtnis
Jesu gefeiert hat und wie sich die ersten Strukturen der Feier des
Gedächtnisses Jesu durchgehalten haben bis heute und in unserer Messe, in
unserer Eucharistie genauso noch erkennbar sind wie in den allerersten Zeiten
der frühen Kirche.
I.
Jesus hat gesagt: "Tut dies zu meinem Gedächtnis!" Ist das eine Gedenkfeier,
wenn wir Eucharistie feiern, so wie man bei einem Kriegerdenkmal der
Kriegsopfer gedenkt, wie man bei einer Gedenkfeier des 50. Jahrestags der
Gründung einer Institution gedenkt oder wie ich gestern meines 33. Primiztages
gedacht habe, oder wie man Geburtstag feiert? Ist das ein Gedenken in diesem
Sinn, was Jesus uns aufgetragen hat: Tut dies zu meinem Gedächtnis? Ist die
Eucharistie eine Gedenkfeier? Natürlich ist sie es auch. Wir gedenken eines
ganz bestimmten Ereignisses. Jedem wird das bewusst, der an einer
Eucharistiefeier teilnimmt, wenn er die Messtexte hört: "In der Nacht bevor er
ausgeliefert wurde, nahm der Herr Brot …" Es ist ein Gedenken an eine ganz
bestimmte Situation, an einen bestimmten Moment, das letzte Mahl Jesu und
daran, was danach gefolgt ist, sein Leiden und seine Auferstehung.
Aber bevor wir auf das Besondere dieses Gedenkens eingehen, möchte ich ein
wenig darüber nachdenken, welche Bedeutung überhaupt das Gedenken, die
Erinnerung, das Eingedenksein hat. Ich kannte einen Mann, den Bruder eines
Mitbruders, der bei uns im Kloster mit lebte. Er hatte durch eine Meningitis
das Gedächtnis verloren. Er hat den ganzen Tag im Haus gearbeitet, gekehrt,
geputzt. Er hatte eine genaue Liste, was zu tun war, und hat immer abgehakt,
wenn er etwas getan hat, weil er schon ein paar Minuten später nicht mehr
wusste, ob er es getan hat oder nicht. Ein Mensch, dem eine Krankheit das
Gedächtnis geraubt hat, ein Mensch ohne Erinnerung ist ein Mensch, dem etwas
Wesentliches verloren gegangen ist. Er ist sozusagen dem Moment ausgeliefert,
das Vorher und Nachher ist bedeutungslos. Er kann keinen Roten Faden in seinem
Leben beobachten. Aber gerade das macht unser Leben entscheidend aus, dass wir
uns erinnern, dass wir in der Erinnerung das Vergangene vergegenwärtigen
können. Ich kann mir gewisse Szenen aus meinem Leben in Erinnerung rufen,
gute, schlechte, negative, positive, Schuld oder Gutes, und sie werden in der
Erinnerung gegenwärtig. Ich sehe die Szene genau vor mir, kann sie sozusagen
nacherleben, sie wird gegenwärtig, als würde ich sie jetzt erleben. Es kann
auch geschehen, dass etwas plötzlich aus der Erinnerung auftaucht. Ich habe
jahrelang nicht daran gedacht, es war ganz aus meinem Gesichtsfeld, aus meiner
Erinnerung verschwunden, plötzlich ist es da, lebhaft erinnere ich mich. Ich
gedenke einer vergangenen Situation, eines Lebensmomentes und er wird
gegenwärtig.
Ohne diesen Faden in meinem Leben, diese Fähigkeit, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen, gibt es auch keine wirkliche Zukunft. Ich wäre wie ein Korken, der auf der Wasseroberfläche dahin schwimmt, wenn die einzelnen Momente in meinem Leben nicht durch die Erinnerung zu einer Lebensgeschichte verknüpft wären. Deshalb ist die Erinnerung so wichtig. Ich stelle selber fest, dass mit dem Zunehmen der Jahre – mir ist das als Jugendlicher immer etwas seltsam vorgekommen – die Erinnerung an Bedeutung gewinnt, weil einfach mehr zu erinnern da ist und weil gerade die früheren, frühen Ereignisse im eigenen Leben erstaunlicherweise präsenter, gegenwärtiger, lebhafter werden. Zur Erinnerung gehört aber immer auch die gemeinsame Erinnerung. Ich hatte vor einer Woche 40jähriges Maturatreffen. Einige Mitschüler, Kinder aus meiner Klasse habe ich seit 40 Jahren zum ersten Mal wieder gesehen. Es war etwas überraschend, ein Gesicht, grauhaarig, fast weißhaarig: Kannst du dich nicht an mich erinnern? Nein, nein, es kommt mir nicht. Ich bin doch hinter dir gesessen in der Klasse. Und plötzlich taucht aus dem nun 40 Jahre älteren Gesicht das damalige Bubengesicht auf. Erinnerung, gemeinsame Erinnerung. Man hat etwas miteinander erlebt und das verbindet. Solche gemeinsame Erinnerungen stiften Gemeinschaft. Keine Gemeinschaft kann leben ohne solche Erinnerungen. Darum ist für die Gemeinschaft der Kirche auch das Gedenken so wichtig, ob das jetzt in einer Pfarre ist, in einer Ordensgemeinschaft oder in der Kirche als ganzer. Deshalb sind Selig- und Heiligsprechungen nicht einfach nur sozusagen Jux und Tollerei, sondern haben etwas mit der Identität einer Gemeinschaft zu tun, die sich der herausragenden Mitglieder erinnert. Auch die Gesellschaft als ganze, größere oder kleinere Einheiten, lebt aus der Erfahrung, aus der Erinnerung.
Die Erinnerung stiftet Identität, stiftet das
Wissen, wo ich hingehöre. Die österreichische Geschichte ist etwa mit diesem
Dom unglaublich stark verbunden. Das schlimmste, was einer Gruppe, einer
Gemeinschaft, einer Gesellschaft geschehen kann ist, wenn sie das gemeinsame
Gedächtnis verliert. Dann hat sie auch keine Zukunft, ist entwurzelt,
heimatlos. Deshalb ist es so wichtig, zu gedenken. Gedenkfeiern haben oft
etwas Steifes, Formelles an sich. Und doch wissen wir, wie wichtig es ist,
dass sich eine Gesellschaft ihrer Wurzeln vergewissert. Die Diskussion über
die Wurzeln Europas bewegt im Moment viele Menschen auf diesem Kontinent, zu
Recht. Auch das Gedenken der Toten hat hier seinen wichtigen Platz. Der ganze
Dom ist voll von Erinnerungen an Verstorbene, die im Gedächtnis, im Gedenken
gegenwärtig bleiben.
Es gibt wohl keine Religion unter allen Religionen der Menschheit, die so sehr das Gedenken, das Gedächtnis betont, wie die jüdische. Damit sind wir wieder bei dem Mutterboden unseres christlichen Glaubens. Das jüdische Volk ist so stark mit der Erinnerung befasst, dass manchmal der Eindruck entsteht, dass es fast übersteigert ist. Aber vielleicht liegt das im Geheimnis dieses Volkes, das Gott als ein so Kleines erwählt hat und ihm einen so großen Auftrag gegeben hat: die Verheißung des Heils für die ganze Welt zu tragen. Deshalb ist das Alte Testament voll von Ermahnungen, nicht zu vergessen. "Erinnere dich!", ist ein Grundwort der Bibel, "Vergiss nicht!" "Vergiss keine seiner Wohltaten", heißt es in den Psalmen (vgl. Ps 103,2). Ich glaube in keinem Volk sind die Genealogien so wichtig, wie im jüdischen Volk. Das Alte Testament ist voller Genealogien: Wo komme ich her? Wer sind meine Vorfahren? Ich bin nicht einfach ein Korken, der auf dem Meer dahin schwimmt, sondern ich habe Wurzeln, komme aus einer langen Geschichte. Diese Geschichte ist letztlich von Gott geknüpft. Meine Vergangenheit liegt nicht in irgendeinem undurchsichtigen Nebel, sondern ist eine wahre Geschichte. Daher ist es auch so wichtig, dass wir in unserem Glauben, der schon im jüdischen Volk vorgeprägt ist, so sehr die Geschichte erzählt, nicht nur die Geschichten, sondern die Geschichte.
Die Geschichte des jüdischen Volkes wird ständig in Erinnerung gerufen, selbst in unserer Liturgie. Denken wir nur an die Osternacht, wo der großen Ereignisse der Geschichte wieder gedacht wird und wir daran erinnert werden, dass wir in diese Geschichte hinein genommen sind. Es ist nicht ein Mythos, nicht ein Märchen aus dem heraus wir unsere Herkunft deuten, sondern die Taten Gottes, ganz bestimmte, auch zeitlich festmachbare Daten: Gott hat gehandelt. Er hat dieses Volk erwählt, er hat ihm eine Verheißung gegeben, er hat ihm ein Gesetz gegeben und es gelehrt, seinen Weg zu gehen. Immer wieder muss dieser Weg, diese Geschichte in Erinnerung gerufen werden. "Gedenke dieses Tages", heißt es beim Auszug des Volkes aus Ägypten, dem großen Heilsereignis in der Geschichte des jüdischen Volkes. Auch für uns ist das die Wurzel dessen, was wir in der Eucharistie feiern. "Gedenkt des Tages, an dem ihr aus Ägypten und aus dem Haus der Knechtschaft weggezogen seid!" (Ex 13,3). Immer wieder kommt das: "Erinnert euch daran, wie Gott euch herausgeführt hat aus dem Sklavenhaus, aus Ägypten." "Mit starker Hand hat euch der Herr von dort heraus geführt", so heißt es im Buch Exodus (13,3). Deshalb heißt es immer und im jüdischen Gebet jeden Tag: "Höre Israel" (Dtn 6,4), höre und erinnere dich! Was soll der gläubige Jude, was soll der Christ? Er soll sich ständig erinnern. Im Buch Deuteronomium heißt es, bei dem berühmten schema israel: "Höre Israel, dein Gott ist ein einziger … Du sollst der Taten Gottes gedenken, zu Hause und auf Reisen, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst. Als Zeichen sollst du das Wort Gottes auf der Stirn tragen und an der Hand. Du sollst es auf den Türpfosten schreiben" (Dtn 6,4ff) – was orthodoxe Juden bis heute wörtlich so wahrnehmen.
Gedenken ist ganz zentral im Leben unseres Gottesdienstes, der Liturgie. Wir werden sehen, wie die Eucharistie, die Messe aufbaut auf diesem Gedenken. Ich erinnere nur vorweg, wenn wir die Lesungen hören aus dem Alten und Neuen Testament, auch das Evangelium, sie sind Einladungen zum Gedenken: Erinnert euch! Was hat der Herr getan? Im eucharistischen Hochgebet, in der Präfation, ständig wird gedacht, erinnert: Was hat Gott getan? Vor allem: Was hat er in Jesus getan?
Nun kommt etwas ganz besonders. Das biblische Gedenken und das Gedenken, das wir in der Liturgie tun, ist nicht einfach ein Erinnern an Vergangenes, sondern es ist ein Vergegenwärtigen. Das Vergangene ist vergangen und trotzdem, wenn wir es vor Gott in Erinnerung rufen, gegenwärtig. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Ich habe schon ausführlich über den Seder gesprochen, das jüdische Pesachmahl, die Ordnung des Mahles, das die Juden beim Osterfest halten und das Jesus gehalten hat, wo er auch die Eucharistie gestiftet hat. Da heißt es in der Feierordnung: "Jeder, der jetzt mitfeiert betrachte sich als einer, der jetzt aus Ägypten auszieht, denn es heißt: Du sollst deinem Sohne an diesem Tage sagen: Darum geschieht dieses, weil Gott mir wohlgetan, als er mich aus Ägypten führte. Nicht unsere Vorfahren allein hat der Hochgelobte Heilige erlöst, sondern er hat auch uns mit ihnen erlöst; daher heißt es: Auch uns hat er von dort hinweggeführt, um uns in das Land zu bringen, welches er unseren Urvätern zugeschworen hat" (Pesach-Haggada). Wir ziehen mit aus Ägypten aus, so sagen die gläubigen Juden beim Seder. Wir sind mit dabei.
Im Grunde tun wir nichts anderes, wenn wir
Eucharistie feiern: Wir sind im Abendmahlssaal dabei. Es gibt bei den so
genannten Sefardischen Juden, die aus der Sefardischen Tradition kommen, einen
schönen Ritus. Der Hausvater steht auf, nimmt die Mazzot, das ungesäuerte
Brot, wickelt es in ein Tuch, schlägt es über die Schultern und beginnt am
Platz zu gehen. Dazu singt er ein Lied des Auszugs. Es ist ganz anschaulich
für die Kinder, sie können sich das richtig vorstellen: Wir ziehen jetzt aus
Ägypten aus, so wie unsere Väter, nicht nur in der Erinnerung, sondern es
geschieht jetzt. Jetzt werden wir befreit. Sagen wir nicht, dass das etwas uns
völlig Fremdes ist. Wir haben vor 14 Tagen gesungen: Hodie Christus natus est
– Heute ist Christus geboren. Noch vor wenigen Tagen, am Fest der Erscheinung
des Herrn, hat es geheißen: "Heute ist die Herrlichkeit Gottes erschienen." Am
heutigen Sonntag, dem Fest der Taufe Jesu im Jordan, heißt es in der Liturgie:
"Heute ist Jesus getauft." Das ist Gegenwart. Im Erinnern sind wir nicht
einfach in der Vergangenheit, sondern das Vergangene ist gegenwärtig, wir sind
mitten in dem Ereignis, das wir erinnern.
In einem Gebet, das öfter in der Liturgie als Gebet nach der Kommunion
vorkommt, heißt es: "Sooft wir das Kreuzesopfer, in dem Christus, als
Osterlamm geopfert wurde, darbringen, vollzieht sich das Werk unserer
Erlösung" (Lumen Gentium 3, KKK 1364). Wenn wir die Messe feiern, "vollzieht
sich an uns das Werk unserer Erlösung." Heute geschieht das. Im Katechismus
der Katholischen Kirche steht: "Im Sinn der Heiligen Schrift ist das
Gedächtnis nicht nur ein Sich-Erinnern an Ereignisse der Vergangenheit,
sondern die Verkündigung der großen Taten, die Gott für die Menschen getan hat
(Vgl. Ex 13,3). In der liturgischen Feier dieser Ereignisse werden sie
gegenwärtig und wieder lebendig. Auf solche Weise versteht das Volk Israel
seine Befreiung aus Ägypten: Jedes Mal, wenn das Pascha gefeiert wird, werden
die Ereignisse des Auszugs dem Gedächtnis der Gläubigen wieder gegenwärtig
gemacht, damit diese ihr Leben diesen Ereignissen entsprechend gestalten" (KKK
1365). Jeder betrachte sich als einer, der jetzt aus Ägypten auszieht. Wir
werden das nächste Mal sehen: Was heißt es, wenn wir sagen, wir feiern den
Opfertod Jesu, wir feiern das Kreuzesopfer Jesu? Das wird jetzt in der
Eucharistie gegenwärtig.
II.
"Tut dies zu meinem Gedächtnis" hat also die Bedeutung: Erinnert euch an das,
was geschehen ist. Indem ihr gedenkt und das im Gedenken feiert, wird es
gegenwärtig. Wir werden Teilnehmer, Teilhaber. Wir sind sozusagen im
Abendmahlssaal dabei. Aber dieses Wort: "Tut dies zu meinem Gedächtnis", hat
noch eine andere Bedeutung, die wir uns jetzt anschauen müssen. Der Schächer
zur Rechten Jesu, der mit ihm gekreuzigte Verbrecher, sagt: "Jesus, gedenke
meiner, wenn du in dein Reich kommst" (Lk 23,42). Was heißt das? Wohl zuerst
einmal ganz einfach: Erinnere dich! Vergiss mich nicht! Du bist ein Gerechter,
ich bin ein Verbrecher, lass mich nicht hängen.
Wenn du "drüben" bist, erinnere dich an mich und
hole mich zu dir. Sehr oft wird diese Bitte auch an Gott gerichtet, so wie der
Schächer sie an Jesus gerichtet hat: Gedenke unser! Erinnere dich unserer Not!
Gott vergisst uns nicht. Im Buch Exodus, im 2. Buch Mose, heißt es bei der
entscheidenden Begegnung, die Mose am brennenden Dornbusch hat, wie Mose sich
nähert und dann den brennenden Dornbusch sieht und die Stimme Gottes hört:
"Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und
ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich
bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem
Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und
Honig fließen" (Ex 3,7-8). – Wäre es nur so! Wir beten und bitten um Frieden
in dem Land, das Gott seinem Volk verheißen hat, dass dort Milch und Honig und
nicht das Blut fließt. – Gott erinnert sich seines Volkes. Es gibt eine andere
Bewegung im Erinnern: Nicht nur wir erinnern uns an Gott, sondern Gott
erinnert sich an uns. "Tut dies zu meinem Gedächtnis" heißt nicht nur:
erinnert ihr euch an mich, sondern – das ist das Besondere – erinnert Gott an
mich. Das möchte ich ein wenig anschauen.
"Erinnert Gott an mich!" Im Benedictus, im Lobgesang des Zacharias betet
Zacharias: "Er hat seines heiligen Bundes gedacht, den er Abraham und seinen
Nachkommen geschworen hat" (Lk 1,72). Gott gedenkt seines Bundes. Gott
erinnert sich unser. Heißt das, wenn Jesus sagt: "Wenn ihr das Brot brecht,
wenn ihr den Segensbecher teilt, tut dies zu meinem Gedächtnis!", heißt das
dann nicht auch: Tut dies dafür, dass Gott meiner gedenkt. Das mag jetzt etwas
überraschend klingen. Natürlich denkt Gott an Jesus, erinnert sich an ihn,
denn er ist ja der Sohn Gottes. Aber was bedeutet das: Erinnert Gott an mich?
In einem Psalm heißt es einmal: "Herr gedenke des David und all seiner Mühen"
(Ps 132,1). Warum muss man Gott an David erinnern? Warum bittet man Gott:
Erinnere dich an König David? Natürlich aus dem einfachen Grund: "Gott, richte
das Königreich unseres Vaters David wieder auf!" (vgl. Am 9,11; Apg 1,6).
Richte seine Herrschaft wieder auf! Komm uns zu Hilfe! Vergiss uns nicht! Wenn
wir Jesu gedenken in der Eucharistie bitten wir Gott, dass sein Reich komme.
"Gedenke Jesu! Gedenke seiner Verheißungen! Gedenke der Verheißungen, die du
gegeben hast!"
Noch einmal komme ich auf die jüdische Liturgie
zurück. Es ist ein ganz wunderbares Gebet, dass genau an der Stelle gesprochen
wird, wo Jesus die Worte über den Becher gesprochen hat: "Das ist der neue
Bund in meinem Blut", oder: "Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird."
Genau an der Stelle, wo der dritte Becher am Ende des Pesachmahles gesegnet
wird, spricht man bei den großen Festen ein Gebet: "Unser Gott und Gott
unserer Väter, es steige auf, komme, erreiche, werde gesehen, gefalle, werde
gehört, bedacht und gedacht [von dir, Gott] das Gedenken an uns, das Bedenken
unserer (Lage) und das Gedenken an unsere Väter und das Gedenken an den
Messias, den Sohn Davids, deines Knechtes, und das Gedenken an Jerusalem,
deine Heilige Stadt und das Gedenken an dein ganzes Volk, das Haus Israel, vor
dir – zur Rettung und zum Guten …" (zit. nach J. Jeremias, Die Abendmahlsworte
Jesu, Göttingen 41967, 243). Dieses Gebet hat Jesus wahrscheinlich selber
gesprochen. Es geht sicher bis in die Zeit Jesu zurück. Was heißt das: Tut
dies zu meinem Gedächtnis? Erinnert Gott gewissermaßen an seine Verheißung,
die er durch mich gegeben hat! Plötzlich sind wir nicht mehr in der
Vergangenheit und auch nicht nur in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. Tut
dies zu meinem Gedächtnis, heißt auch: Tut dies, damit Gott seiner
Verheißungen gedenke und dass sein Reich komme.
Ich möchte Ihnen hier etwas ans Herz legen, was zutiefst in der Eucharistie,
in der Feier der Messe da ist, aber was wir vielleicht zu wenig gegenwärtig
haben, an das wir viel mehr denken sollten. Die Heilige Messe ist sozusagen
schon eine Vorwegnahme der kommenden Herrlichkeit. In jeder Messe bitten wir:
"Komm, Herr Jesus!" Wenn wir sagen: Wir tun das zu deinem Gedächtnis, dann ist
das die Bitte, dass Gott dich wieder senden möge, dass du wiederkommst in
Herrlichkeit. Jetzt erinnern wir uns an ein Wort, das uns eigentlich ganz
bekannt ist, das Paulus im ersten Korintherbrief über die Eucharistie
schreibt: "Sooft ihr dieses Brot esst und diesen Kelch trinkt, verkündet ihr
den Tod des Herrn, bis er wiederkommt" (11,26). So übersetzen wir es: Bis er
wiederkommt. Wenn man aber genau auf die Sprache hinhorcht, ist es eigentlich
nicht nur eine Zeitangabe, so lange, bis er wiederkommt, nein: "… verkündet
ihr den Tod des Herrn, damit er wiederkommt". Dieses "bis er kommt in
Herrlichkeit" ist eine sehnsuchtsvolle Bitte. Darum sagen wir ja auch nach der
Wandlung: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit", wir können genauer sagen: "damit du kommst in
Herrlichkeit". Wir wünschen uns, dass du kommst in Herrlichkeit.
Die frühen Christen haben in jeder Liturgie Maranatha gesungen: Komm, Herr.
Sie haben die Liturgie gefeiert mit der inständigen Bitte: Komm, Herr! Warum
sind unsere Kirchen Richtung Osten gebaut? Warum haben durch Jahrhunderte die
Menschen die Kirchen Richtung Osten gebaut? Weil wir dem aufgehenden Licht
gegenüber Eucharistie feiern, weil wir in jeder Messe ausschauen nach der
kommenden Herrlichkeit, weil wir bitten, dass der Herr kommt. Sooft wir den
Tod des Herrn verkünden in der Eucharistie, uns an seinen Tod erinnern, er
gegenwärtig wird wenn wir feiern, strecken wir uns aus und hoffen, dass der
Herr wiederkommt: bis du kommst in Herrlichkeit. Ich weiß nicht, wie weit uns
das beim Feiern der Messe bewusst ist, dass die Messe eigentlich immer eine
Erinnerung, eine Vergegenwärtigung aber vor allem auch ein Ausstrecken nach
dem Kommen des Herrn ist. Wir gedenken in der Eucharistie seines Kommens.
Ich darf hier noch eine kleine Erinnerung an die frühe Kirche erzählen, die
uns nicht mehr so bewusst, aber wichtig ist. Der hl. Hieronymus, einer der
vier Kirchenväter, berichtet, dass es eine alte Tradition war, in der
Osternacht die Gläubigen nicht vor Mitternacht zu entlassen. Denn in dieser
Nacht erwartet man die Wiederkunft des Herrn, ganz in der jüdischen Tradition,
die in dieser Nacht die Ankunft des Messias erwartet. – Ich habe es schon
einmal erzählt. Das jüngste Kind muss beim Seder vor die Tür gehen, die Tür
aufmachen, ins Dunkel hinausschauen, ob der Messias vor der Tür steht. – Die
Christen haben in der frühen Kirche nicht vor Mitternacht mit der
Osternachtsfeier aufgehört, denn in dieser Nacht erwarteten sie die
Wiederkunft des Herrn. Wenn dann Mitternacht vorbei war, sind sie nicht
enttäuscht nach Hause gegangen – dieses Jahr nicht, vielleicht nächstes Jahr.
– Nein, sie haben Eucharistie gefeiert, denn in der Eucharistie kommt der
Herr, verborgen in der Gestalt von Brot und Wein, aber er kommt. Er ist da,
mitten unter uns. Sie haben immerhin bis Mitternacht gewartet, ob seine
herrliche Wiederkunft vielleicht in der Osternacht stattfindet (Hieronymus,
Comm. in Matth. IV 25,6; PL 26,192).
Wenn ich also zusammenfasse: Tut dies zu meinem Gedächtnis! – Wir erinnern uns
an das, was der Herr getan hat. Erinnern Sie sich an das Gebet nach den
Wandlungsworten: "Deshalb gedenken wir deines Todes, deines Hinabsteigens zu
den Vätern, deiner Auferstehung und erwarten deine Wiederkunft" – Gedenken des
Vergangenen und Ausblick auf das Kommende. Diese Sehnsucht nach der
Wiederkunft des Herrn ist das eigentlich Treibende in der Liturgie. Da frage
ich mich, uns alle: Treibt uns diese Sehnsucht, dass der Herr kommt, in den
Gottesdienst? Dann erinnern wir uns, dass das eigentlich in der Liturgie
ständig gegenwärtig ist: "Der Herr sei mit euch." – "Der Herr kommt zu euch,
nehmt ihn auf!" Bis hin zur Kommunion, wo der Herr wirklich zu uns kommt, wenn
auch in der verborgenen Gestalt des Sakraments. – Tut dies zu meinem
Gedächtnis.
III.
Ich möchte zum Schluss kurz in die Art und Weise, wie die frühe Kirche das
getan hat, hineinblicken. Würde sich ein Christ des 2. Jahrhunderts im
Stephansdom zurecht finden, wenn er hereinkäme und hier die Messe erlebte?
Würde er merken, dass er das tut, was Jesus aufgetragen hat: Tut dies zu
meinem Gedächtnis? Er wäre wahrscheinlich etwas verwirrt, wenn er den Bischof
mit großer Mitra und Stab sähe, das gab es damals noch nicht. Petrus hat keine
Mitra getragen. Und doch bin ich überzeugt, dass es ihm so ginge, wie es uns
geht, wenn wir zum Beispiel in die Orthodoxe Liturgie gehen und die noch nie
erlebt haben.
Beim ersten Mal ist alles fremd, die Gesänge, die
Gewänder, die Riten, und man kommt sich ganz fremd vor. Wenn man dann ein
wenig genauer hinschaut und ein wenig eingeführt wird in die ostkirchliche
Liturgie, dann merken wir: Da sind alle die Elemente, die auch bei uns in der
Liturgie sind, anders ausgestaltet und doch ist es genau dieselbe
Grundstruktur. Nun haben wir das Glück, dass wir ganz frühe Beschreibungen der
Liturgie haben. Eine solche möchte ich Ihnen zum Abschluss kurz vorstellen.
Aus dem Neuen Testament selber haben wir wenige Hinweise. Wir wissen nur aus
der Apostelgeschichte von der Kirche in Jerusalem, der Urkirche: "Sie hielten
an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes
und an den Gebeten" – Brechen des Brotes war die Eucharistie. – "Tag für Tag
verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und
hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens" (Apg 2,42.46). –
Täglich haben sie Brot gebrochen, Eucharistie gefeiert. Es scheint vieles
dafür zu sprechen. Sicher haben sie es am ersten Tag der Woche getan. – Eine
kleine Nebenbemerkung: Bitte gewöhnen wir uns ab, vom Wochenende zu sprechen.
Ich weiß, es ist schwierig, auch ich spreche meist vom Wochenende.
Aber für die Christen ist der Sonntag der erste Tag der Woche und der Samstag der letzte. Vielleicht haben Sie eine gute Idee, wie man das formulieren kann, ohne vom Wochenende zu sprechen. – Wie sah das aus? Ich lese kurz vor: "An dem nach der Sonne benannten Tage findet die Zusammenkunft von allen, die in Städten oder auf dem Lande herum weilen, an einem gemeinsamen Ort statt." Das schreibt Justin, der Märtyrer und Philosoph, um das Jahr 155. Er erklärt dem römischen Kaiser was "diese bösen Christen" tun, die man so verfolgt und von denen man schlimme Dinge vermutet. Was tun sie, wenn sie zusammenkommen: "Es werden die Aufzeichnungen der Apostel und die Schriften der Propheten vorgelesen, soweit es die Zeit erlaubt." – Wortgottesdienst, Altes Testament, Evangelien, Briefe der Apostel. – "Wenn dann der Vorleser aufgehört hat, hält der Vorsteher eine Ansprache, in der er ermahnt und auffordert, diesen schönen Lehren und Beispielen nachzufolgen." – Schon damals hat der Vorsteher, Bischof, Priester, gepredigt. – "Sodann stehen wir alle zusammen auf und schicken Gebete zum Himmel für uns selbst ... und für alle anderen auf der ganzen Welt, auf dass wir würdig werden, ... auch in Werken als gute ... Menschen und als Beobachter der Gebote befunden zu werden, um so das ewige Heil zu erlangen." – Fürbitten. Auch das ist uns vertraut. – "Nachdem wir die Gebete beendet haben, grüßen wir einander mit einem Kusse." – Den Friedensgruß gab es schon um 155. Er ist immer noch dort in der Ostkirche, nach den Fürbitten. Bei uns ist er kurz vor der Kommunion. – "Dann wird dem Vorsteher der Brüder [und Schwestern] Brot gebracht und ein Becher mit einer Mischung von Wasser und Wein. Dieser nimmt es, sendet durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes Lob und Preis zum Vater aller Dinge empor und verrichtet eine lange Danksagung [gr. "eucharistia"] dafür, dass wir dieser Gaben von ihm gewürdigt wurden." – Das ist das Hochgebet. – "Ist er mit den Gebeten und der Danksagung zu Ende, stimmt das ganze anwesende Volk ein, indem es spricht: Amen." – Am Schluss des Hochgebetes sprechen alle Amen. – "Nachdem der Vorsteher die Dankhandlung vollbracht und das ganze Volk eingestimmt hat, reichen die Diakone, wie sie bei uns heißen, jedem Anwesenden vom dankgesegneten [eucharistierten] Brot und vom mit Wasser vermischten Wein zum Genuss dar und bringen davon auch den Abwesenden."
– Das ist die Kommunion (Justin, Apologia 1,65 und
67; KKK 1345). Auch damals hat schon etwas nicht gefehlt, was uns allen
vertraut ist: "Wer die Mittel und guten Willen hat, gibt nach seinem Ermessen,
was er will, und das, was da zusammenkommt, wird beim Vorsteher hinterlegt.
Dieser kommt damit Waisen und Witwen zu Hilfe, solchen, die wegen Krankheit
oder aus sonst einem Grunde bedürftig sind, den Gefangenen und den
Fremdlingen, die in der Gemeinde anwesend sind; kurz, er ist allen, die in der
Not sind, ein Fürsorger" (Justin, Apologia 1,67,6; KKK 1351). – Auch die
Kollekte hat schon damals nicht gefehlt, das Sammeln des Geldes.
Ganz zum Schluss, damit schließen wir für heute: Weil dieses Brot und dieser
Wein – nach einem alten Ausdruck – "eucharistiert" wurden, "nennen wir diese
Nahrung Eucharistie." – Das Brot und der Becher werden "eucharistiert", sagt
Justin. – "Niemand darf daran teilnehmen, als wer unsere Lehren für wahr hält,
das Bad zur Vergebung der Sünden und zur Wiedergeburt empfangen hat" – wer
getauft ist – "und nach den Weisungen Christi lebt" (Justin, apol. 1,66, 1–2;
KKK 1355). So weit die Beschreibung der Messe um das Jahr 155. Tut dies zu
meinem Gedächtnis. Wir tun es bis heute.