Eucharistie und Bußsakrament
von Kardinal Dr. Christoph Schönborn
10. Kathechese 1999/2000 am 18. Juni 2000



Lasst uns beten:
Heiliger, dreifaltiger Gott! Du bist unser Ursprung und unser Ziel. Sei auch unser Weg, sei mit uns auf dem Weg. Führe uns auf dem rechten Weg, damit auch wir unser Ziel erlangen, zu dem Du uns berufen und bestimmt hast. Amen.

Liebe Brüder uns Schwestern, es ist heute der Beginn des Eucharistischen Weltkongresses in Rom. Um 18 Uhr war die Eröffnung, er wird bis kommenden Sonntag dauern und stellt zweifellos einen der Höhepunkte des Heiligen Jahres dar. Denn der Heilige Vater wollte, dass das Heilige Jahr ganz besonders unter dem Zeichen der Eucharistie steht. Da ich am kommenden Freitag beim Eucharistischen Kongress eine der Katechesen halten darf, auf Italienisch, möchte ich heute sozusagen einen „Probelauf“ auf Deutsch machen und mit Ihnen über das Geheimnis der Eucharistie, das im Herzen des Heiligen Jahres ist, nachdenken, aber speziell unter der Hinsicht des Bußsakramentes. Denn auch dieses gehört ins Herz des Heiligen Jahres. Eucharistie und Buße sind sozusagen die beiden Pole dieses Heiligen Jahres. Und viele Menschen, die die Wallfahrt des Heiligen Jahres machen, suchen sehr bewusst auch das Bußsakrament. Heute aber möchte ich ein wenig ansehen, wie die beiden eigentlich zusammenhängen.

Denn es war zumindest in meiner Kinderzeit so - viele erinnern sich daran - dass man relativ häufig zur Beichte ging und doch recht selten zur Kommunion. An vielen Orten war es üblich, nur dann zur Kommunion zu gehen, wenn man vorher gebeichtet hatte. Und vor wenigen Wochen in Rumänien, in der orthodoxen Kirche, ist mir das wieder begegnet, diese Praxis, dass man sich auf den Empfang der Kommunion vorbereitet durch das Bußsakrament. Es kommt darin die tiefe Ehrfurcht vor der Eucharistie, vor der Kommunion zum Ausdruck. Und ich erinnere mich an die Lebensgeschichte einer Spanierin, deren Seligsprechungsprozess eröffnet ist, die davon erzählt, wie sie als Kind, wie es damals üblich war, gelegentlich zur Kommunion ging: Dann war das ein Festtag in der Familie. Man hat sich Tage vorher darauf vorbereitet. Und sie erinnert sich, wie sie als Kind dann nach der Messe nach Hause kam und wie das Frühstück feierlich gedeckt war und wie sie von den Eltern umarmt wurde, denn sie war jetzt bei der Kommunion gewesen. Nun ist das zweifellos heute anders geworden, und die häufige Kommunion ist uns eine liebe und vertraute Gewohnheit geworden. Und zweifellos auch eine gute, eine in sich wünschenswerte und richtige. Freilich müssen wir uns fragen: Was ist aus dem Bußsakrament geworden? Das soll heute Abend ein wenig in den Blick kommen, auch im Blick auf das Heilige Jahr und die Gnade, die das Heilige Jahr uns schenken will. Eucharistie und Sündenvergebung liegen ganz nahe zusammen beim Ostergeheimnis. Jesus hat unmittelbar vor seinem Pascha, vor seinem Leiden, Sterben und Auferstehen, die Eucharistie gestiftet in der Nacht vor seinem Leiden, und unmittelbar nach seiner Auferstehung, sozusagen als erste Gabe des Auferstandenen, hat er den Aposteln die Vollmacht der Sündenvergebung geschenkt. Wenn das beides so eng mit dem Ostergeheimnis zusammenhängt, dann hat uns das wohl etwas zu sagen über den inneren Zusammenhang von Bußsakrament und Eucharistie. Beide kommen aus dem innersten Herzen Gottes selbst, aus dem Herzen der Heiligsten Dreifaltigkeit. Wir feiern heute den Dreifaltigkeitssonntag und feiern damit das Geheimnis des lebendigen, wahren, einen und dreifaltigen Gottes, aus dessen Herzen alles Leben kommt. Jesus will, dass wir das Leben haben und es in Fülle haben. Und dieses Leben ist nichts anderes, als dass wir teilnehmen am Leben des dreifaltigen Gottes. „Gott ist in sich unendlich, vollkommen und glücklich” heißt das allererste Wort des Katechismus (KKK 1). Und Er hat uns dazu geschaffen, dass wir auch unendlich glücklich werden (vgl. KKK 1). Es gibt kein Glück ohne Teilnehmen, Teilhabe am Leben des lebendigen Gottes. Wie die Rebzweige am Weinstock alleine Frucht bringen können (vgl. Joh 15, 1-6). Nun, die Eucharistie ist offensichtlich das Geschenk, das Jesus uns hinterlassen hat, das Jesus uns gestiftet hat, damit wir an seinem Leben teilhaben. In der Synagoge von Kafarnaum sagt Jesus: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben... Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben” (Joh 6, 54a.57). Wir müssen Ihn essen, um zu leben. „Diese Rede ist hart!” haben einige in Kafarnaum gesagt, die Ihn gehört haben (vgl. Joh 6, 59-60). Ich erinnere mich an ein kleines Mädchen, das noch nicht bei der ersten Kommunion gewesen war und das aus Versehen von einem Priester, der das nicht wusste, die Kommunion bekommen hat. Und dann ist sie ganz aufgeregt zu ihrer Mutter nach hinten gelaufen und hat gesagt: „Mama, ich habe den Gott gegessen!” - Wer mich isst, der wird durch mich leben. Diese Rede ist hart. Man hat sich über sie lustig gemacht, man hat sie missdeutet, man hat den Christen in früheren Jahrhunderten vorgeworfen, sie seien Anthropophagen, also Menschenfresser. (vgl. Carsten Peter Thiede, Ein Fisch für den Kaiser... ) Manche Theologen haben früher, aber auch bis in unsere Zeit versucht, diese Worte symbolisch zu deuten, weil sie zu widerständig, zu schwer zu „schlucken” sind. Die Worte Jesu meinten symbolisches Essen, aber nicht wirkliches Essen. Und doch hat die Geschichte der Kirche immer wieder gezeigt, dass die ganz realistische Deutung dieser Worte Jesu in der Synagoge in Kafarnaum: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm” (Joh 6, 56), dass sich das auch in der Lebenserfahrung als wahres Wort bestätigt. Sicher nicht an jedem von uns, aber beispielhaft an einzelnen Gestalten, ich erinnere etwa an die hl. Catharina von Siena oder an den hl. Nikolaus von der Flüe, die jahrelang nur von der Eucharistie gelebt haben, sich auch körperlich nur vom Brot des Lebens ernährt haben: „Mein Fleisch ist wirklich eine Speise“ (Joh 6, 55a). Ein ganz besonders eindrucksvolles Beispiel ist in unserer Zeit ein einfaches französisches Bauernmädchen, Marthe Robin, sie war auch stigmatisiert, die 50 Jahre lang ausschließlich als Nahrung die Eucharistie hatte.

Nun: Die ganze Fülle des göttlichen Lebens will Jesus uns mitteilen. Und das bevorzugte Instrument dafür, könnten wir sagen, ist die Eucharistie, das Brot des Lebens. Aber die Kommunikation des Lebens ist zwischen uns und Gott gestört. Nicht von Ihm aus, sondern von uns her. Sie ist behindert. Wir sind nicht offen für diesen Strom des Lebens, der uns offen steht. Nicht Gott will uns hindern, sondern wir selber hindern uns. Es ist die Sünde, die uns hindert zu empfangen, was Gott uns schenken will. Die Sünde ist in ihrem Innersten Kommunikationsstörung zwischen uns und Gott, zwischen uns und unserem Nächsten, und letztlich auch in uns selber. Sie macht uns zu Zerrissenen, zu Friedlosen, Unzufriedenen. Und die Sünde zieht auch immer noch einen „Hang zur Sünde” nach sich (KKK 1865), sie schafft „sündige Strukturen” (KKK 1869), wie die neuere Soziallehre der Kirche sagt. Also Strukturen, die wiederum zum Bösen verleiten. Am deutlichsten wird das am Beispiel der Korruption, die ja so viele Länder innerlich verwüstet und ein gerechtes Verhalten fast unmöglich macht, den sozialen Fortschritt völlig unterminiert.

Nun hat der Herr am Ostersonntag ein zweites Geschenk gemacht, er hat ihnen mit der Gabe des Heiligen Geistes die Vollmacht gegeben, Sünden zu vergeben (bzw. auch, die Sündenvergebung nicht zu geben - „wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert” (Joh 20, 23) - dort, wo die Voraussetzungen für die Vergebung fehlen). Beide also, Eucharistie und Sündenvergebung, sind sozusagen die „Früchte” des Ostergeheimnisses, des Leidens und Sterbens und Auferstehens Jesu. Aber wie verhalten sie sich zueinander? Hat uns nicht Jesus ein für alle Mal mit Gott versöhnt? Sind wir nicht grundsätzlich am Kreuz mit Gott versöhnt worden? Hat Jesus nicht am Vorabend seines Leidens den Becher genommen und gesagt: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für die Vielen (also für alle Menschen) vergossen wird zur Vergebung der Sünden” (Mt 26, 28). Ist das nicht ein für alle Mal geschehen? Wieso dann noch ein spezieller Auftrag der Sündenvergebung, wenn die Sünden uns doch schon vergeben sind? Hat Jesus nicht selber am Kreuz gebetet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun” (Lk 23, 34)? Und in dieser Vergebungsbitte hat er ja wohl nicht nur die gemeint, die ihn unmittelbar gekreuzigt haben, sondern uns alle, die wir ihn ja auch durch unsere Sünden kreuzigen (vgl. KKK 598). Wieso bedarf es dann noch eines eigenen Sakraments der Sündenvergebung, wenn wir doch ein für alle Mal versöhnt worden sind?

Nun hilft uns hier sicher weiter, wenn wir fragen, warum der Herr den Auftrag gegeben hat, die Eucharistie zu feiern. Denn auch die, so könnten wir sagen, ist ein für alle Mal geschehen. Und doch hat er gesagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis” (Lk 22, 19; 1Kor 11, 24f.). Und wenn wir die Eucharistie feiern, dann feiern wir den Tod und die Auferstehung Jesu für unsere Sündenvergebung. Dann wird das, was Jesus damals getan hat, jetzt für uns gegenwärtig. Der hl. Ambrosius hat in seinen Katechesen das einmal sehr schön gesagt, warum wir immer wieder der Vergebung der Sünden durch das Gedächtnis des Kreuzes und der Auferstehung Jesu in der Eucharistie bedürfen. Er sagt: „Sooft wir ihn empfangen, verkünden wir den Tod des Herrn (vgl. 1Kor 11, 26). Wenn wir den Tod des Herrn verkünden, verkünden wir die Vergebung der Sünden. Falls sein Blut jedesmal, wenn es vergossen wird, zur Vergebung der Sünden vergossen wird, muss ich es stets empfangen, damit es stets meine Sünden nachläßt. Ich, der ich immer sündige, muß immer ein Heilmittel haben” (De Sacramentis 4, 28; zitiert im KKK 1393).

Die Eucharistie ist also unser Heilmittel: „Pharmakon der Unsterblichkeit” nennt es der heilige Ignatius von Antiochien - das Medikament der Unsterblichkeit. Weil Christus für meine, für unsere Sünden gestorben ist, weil wir seines Todes gedenken und Er gegenwärtig wird in der Eucharistie, deshalb wird auch die Sündenvergebung jedesmal gegenwärtig in der Eucharistie für uns. Also sind wir jedesmal mit dem Heilmittel gegen unsere Sünden beschenkt, wenn wir die Eucharistie empfangen. Und so haben es die Christen immer verstanden: Wir empfangen den Leib des Herrn, den Leib und das Blut Christi als Heilmittel für unser Leben. Gegen unser Sünden und Fehler, für das Gute in unserem Leben, für die Stärkung im Guten.

Wenn man das bedenkt, dann ist es eigentlich klar, dass wir mit allen unseren Sünden, Fehlern, Lasten, Sorgen zu Jesus in der Eucharistie kommen dürfen. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt” (Mt 11, 28a). Ist die Eucharistie nicht der Ort, wo wir Jesus berühren können, wo Er uns berührt, so wie Er die Kranken berührt hat in seinen Heilungsgesten und Heilungsworten? Jesus also heilt uns, heiligt uns, wenn Er zu uns kommt in der Eucharistie. Und das war wohl auch der Grund, warum es Menschen gedrängt hat, häufiger zur Kommunion zu gehen, als es vielfach in früheren Jahrhunderten üblich war, wenn man zu allen heiligen Zeiten einmal zur Kommunion gegangen ist; eben vielfach nur einmal im Jahr zur österlichen Zeit. Die häufige Kommunion kam ja aus dem Wunsch, eben das Heilmittel, die Heilung, die Stärkung durch die Eucharistie, durch Christus selber zu empfangen.
Wieso brauchen wir dann noch ein eigenes Bußsakrament? Manchmal will es so scheinen, dass wir uns so daran gewöhnt haben, dass die Eucharistie unser Heilungssakrament ist, dass wir das andere vernachlässigen, ja, vergessen. Nun habe ich gehört, dass im Heiligen Jahr in Rom der Andrang zur Beichte über alles Erwarten hinaus hoch ist, dass viel mehr Menschen zur Beichte gehen, als man es in den Vorausplanungen des Heiligen Jahres erwartet hat. Und wir stellen auch etwas Ähnliches fest an den Orten, wo kirchliche Erneuerung sichtbar wird. Dort ist eigentlich immer auch eine Wiederentdeckung des Bußsakramentes sichtbar, spürbar. Und das geht meistens Hand in Hand: Eine tiefere Liebe zur Gegenwart Christi in der Eucharistie und eine Sehnsucht nach der Gnade des Bußsakraments.
Wir sehr diese beiden Sakramente, diese beiden Ostergeschenke Jesu zusammengehören, sehen wir wieder an großen Heiligengestalten. Ich nenne nur zwei: Der hl. Pfarrer von Ars und der selige Padre Pio. Wenn man ihr priesterliches Leben anschaut, so kann man sagen, es kreist ganz um die zwei Brennpunkte der Ellipse, um die Eucharistie und das Bußsakrament. Ich durfte einmal Padre Pio erleben, wie er die heilige Messe gefeiert hat - beichten konnte ich nicht bei ihm, weil ich damals nicht Italienisch konnte - es war ein unvergesslicher Eindruck, wie er die heilige Messe gefeiert hat. Ich habe das nie mehr so gesehen, so erlebt, dass man den Eindruck hat, hier ist alles unbedingt wirklich. Das, was wir durch den Schleier der Zeichen des Sakraments nur wie tastend wahrnehmen, das ist da ganz greifbar, spürbar Wirklichkeit. Auch beim Pfarrer von Ars muss es so gewesen sein. Die Menschen waren tief beeindruckt, ihn zu erleben, wenn er die Messe gefeiert hat oder wenn er beim Tabernakel gekniet ist. Man liest in einer Lebensbeschreibung: „Oft kam er in seinen Belehrungen auf das Glück zu sprechen, das wir durch die Gegenwart Jesu Christi in der hl. Eucharistie besitzen: Er sprach davon mit soviel Andacht und Glück, dass sein Herz oft so gerührt wurde, dass er nicht zu Ende sprechen konnte: seine Tränen ersetzten seine Worte” (Nodet, S. 138). Und einmal sagt er selber in einer Katechese: „O meine Kinder! Was macht unser Herr im Sakrament seiner Liebe? Er hat sein gutes Herz mitgenommen, um uns zu lieben. Aus diesem Herzen dringen Zärtlichkeit und Barmherzigkeit, um die Sünden der Welt zu ertränken” (Nodet, S. 133). Obwohl also beide, Padre Pio und der Pfarrer von Ars, eine solche innige Liebe zur Eucharistie hatten und auch die Eucharistie als den Ort der Barmherzigkeit Gottes erfahren haben, gelebt haben, haben sie trotzdem täglich viele, viele Stunden im Beichtstuhl verbracht. Der Pfarrer von Ars ist schon um ein Uhr Früh in den Beichtstuhl gegangen und dann stundenlang dort gesessen. Die Menschen kamen von weither, bei Padre Pio aus der ganzen Welt, um bei ihm zu beichten.

Was ist die gemeinsame Erfahrung in der Liebe zur Eucharistie und in der Liebe zum Bußsakrament? Beides hat zu tun mit der grenzenlosen Barmherzigkeit Gottes. „Er hat uns zuerst geliebt” (1Joh 4, 19). Dass uns in diesen beiden Sakramenten die Liebe des Vaters entgegenkommt, auf uns wartet, sich uns schenken will. Der hl. Pfarrer von Ars sagt einmal: „Es ist nicht der Sünder, der zu Gott zurückkehrt, um Ihn um Verzeihung zu bitten, sondern Gott selbst ist es, der hinter dem Sünder herläuft und ihn zu sich zurückführt” (Nodet, S. 161). In beiden Sakramenten kommt die Liebe Gottes auf uns zu. „Nicht wir bitten Gott, sondern Gott bittet uns. Nicht von uns aus ergeht die Bitte an Gott um Erbarmen, sondern der barmherzige Vater läßt uns bitten, Sein Erbarmen mit uns anzunehmen“ (Johannes Schneider, Laßt euch versöhnen! Johannes Verlag Einsiedeln, 1990, S. 11). Paulus sagt es ganz ausdrücklich: „Wir bitten euch an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen“ (2Kor 5, 20)”. Paulus bittet an Christi statt: „Lasst euch mit Gott versöhnen!“ Aber bedürfen wir denn der Versöhnung? Wenn man den Rückgang der Beichtpraxis bei uns sieht - in Afrika war ich beeindruckt, als ich in Onitsha in den Dom ging, an einem ganz gewöhnlichen Wochentag die vielen Beichtenden zu sehen, die dort bei den Beichtstühlen gewartet haben - dann müssen wir uns fragen: Ist bei uns das „Sündenbewusstsein” verloren gegangen? Nun kann man natürlich einwenden: Im strengen Sinn ist das Bußsakrament ja nur notwendig bei den sogenannten „schweren Sünden“, also bei Sünden, die uns von Gott und von der Kirche getrennt, in einen wirklichen Bruch mit Gott und der Kirche gebracht haben. Diese Sünden bedürfen der ausdrücklichen sakramentalen Versöhnung und Wiedergutmachung (vgl. KKK 1856). Die sogenannten „lässlichen Sünden“ bedürfen ja nicht unbedingt des Bußsakramentes (vgl. KKK 1863). Hier genügt die Gesinnung der Reue, hier genügt das Gebet um Vergebung der Sünden, wie wir es zu Beginn der heiligen Messe sagen, der Bußakt, das Kyrie; die Gebete vor der hl. Kommunion bitten ja ausdrücklich um Vergebung aller unserer Sünden, um die Befreiung von allem Übel und um die Versöhnung mit Gott und untereinander. Genügt das nicht für die lässlichen Sünden? Nun sagt die Kirche uns: Grundsätzlich genügt es - grundsätzlich. Aber: Wir sind immer in Gefahr, dass unser Gewissen abstumpft, und deshalb ist die Beichte auch dann, wenn wir nicht schwere Sünden zu beichten haben, sinnvoll. Weil sie uns hilft, gegen die Verhärtung des Herzens anzukämpfen. Weil sie uns wachhält. Weil sie unser Gewissen schärft, weil sie uns vor allem selber barmherziger macht, wenn wir häufig, regelmäßig die Barmherzigkeit Gottes erfahren. (Vgl. KKK 1458)

Eigentlich müssten die Heiligen, die ja sicher weniger sündigen als die Unheiligen - wir sind alle Heilige nach Paulus, aber die einen sind unheilige Heilige und die anderen heilige Heilige, oder sagen wir weniger heilige und mehr heilige Heilige - aber warum beichten gerade die Heiligen häufiger? Warum, etwa bei einem hl. Filipp Neri, dieses Bedürfnis, bis hin zur täglichen Beichte? Ist das Übertreibung? Ist das Fanatismus? Versuchen wir, das in dem zweiten Teil der Katechese ein wenig aufzuspüren: Was bewegt die Heiligen zu Beichte?

Beginnen wir mit einer kleinen Szene beim Evangelisten Lukas: Zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu gibt es das Wunder des Fischfangs. Petrus und seine Gefährten haben sich die ganze Nacht vergeblich gemüht, am Morgen sagt ihnen Jesus: „Werft die Netze aus!“ Und sie sagen: „Auf Dein Wort hin wollen wir es wagen“, obwohl sie die ganze Nacht nichts gefangen haben. Und dann diese riesige Menge Fische (vgl. Lk 5, 4b-6). Und als Simon Petrus das sah, sagt Lukas, „fiel er Jesus zu Füßen und sagte: ‚Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder’” (Lk 5, 8). Was ist das für eine Erfahrung? Petrus begegnet der Heiligkeit Gottes. Und im Angesicht der Heiligkeit Gottes ist seine Reaktion: „Ich bin ein Sünder!“ Das ist genau die Reaktion, die die Propheten gehabt haben, wenn ihnen Gott begegnet ist in der Berufung: „Wehe mir, ich bin ein sündiger Mensch. Ich bin unwürdig.“ Wenn die Heiligkeit Gottes aufleuchtet, dann erkennt der Mensch seine Armseligkeit, seine Sündhaftigkeit. Und das ist immer wieder die Erfahrung der biblischen Menschen. Sie sehen ihre Sündhaftigkeit deutlicher, wenn ihnen die Heiligkeit Gottes bewusst wird. Wir kennen alle die Geschichte vom römischen Hauptmann in Kafarnaum, der für seinen Knecht bittet, und als Jesus zu ihm ins Haus kommen will, lässt er Ihm sagen: „Herr, bemüh dich nicht! Denn ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst... Sprich nur ein Wort, dann muss mein Diener gesund werden” (Lk 7, 6c. 7b). Wir kennen dieses Wort von der Vorbereitung auf die Kommunion: „O Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund”. Was ist in diesem Wort zum Ausdruck gebracht? Je mehr uns bewusst wird, wer das eigentlich ist, der in der Eucharistie zu uns kommt, desto deutlicher wird uns unsere Unwürdigkeit bewusst. „Ich bin ein sündiger Mensch“, „Herr, ich bin nicht würdig“. Je tiefer wir im Glauben erfassen, wie groß, wie unbegreiflich groß Gottes Erbarmen mit uns ist, umso größer wird auch das Gespür für unsere eigene Unwürdigkeit. Aber gerade - und das ist jetzt sozusagen die Gegenbewegung, Petrus sagt in einer ersten Reaktion: „Geh weg von mir, ich bin ein Sünder” - aber gerade aus dieser ersten Reaktion heraus kommt dann ein großes Vertrauen: Ich bin vor Dir, Herr, nicht nur ein unwürdiger Sünder, ich kann Dir auch alles sagen. Alles, was mich belastet. Ich kann Dir offen all mein Versagen und meine Sünde bekennen. Ich brauche mich vor Dir nicht zu verbergen, wie ich es vor den Menschen tue und auch vor mir selber. Ich brauche vor Dir keine Maske zu tragen, denn Du kennst mich bis ins Innerste meines Inneren. Du kennst mich besser als ich mich kenne, Herr. Und obwohl Du bis in die tiefsten Abgründe meines Herzens schaust und meine Schuld kennst, verurteilst Du mich nicht, sondern richtest mich auf und vergibst mir und machst einen Neuanfang möglich. „Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!” sagt Jesus zur Ehebrecherin (Joh 8, 11). Ich glaube, das ist die Erfahrung des christlichen Lebens: Je tiefer wir in die Liebe Christi hineinschauen dürfen, desto schmerzlicher, desto klarer wird uns unsere eigene Sündhaftigkeit und Unvollkommenheit bewusst. Aber dieser Schmerz, diese Erkenntnis, führt uns nicht weg von Gott, sondern hin zu ihm. Was Sünde ist, erkennen wir wirklich erst, wenn wir die Liebe Gottes kennen lernen. Natürlich brauchen wir Gebote und Verbote, die 10 Gebote, die Kirchengebote, wir brauchen ganze Listen von Geboten und Verboten wegen unserer Schwachheit. Gewissermaßen als Signaltafeln auf unserem Weg. Aber was Sünde wirklich ist, das begreifen wir erst, wenn uns wirklich die Liebe Gottes begegnet. Petrus hat wohl nie in seinem Leben so tief begriffen, wie tief seine Sünde des Verrats Jesu war, wie in dem Augenblick, als Jesus ihn angeblickt hat. Wir wissen nicht, was dieser Blick war, aber wir können es ahnen, es ist wohl ein Blick gewesen, in dem Petrus dieses „Ich verurteile dich nicht“ in ganz einziger, ganz persönlicher Weise erkannt hat. Gerade der Blick der Liebe, mit dem Jesus ihn angeblickt hat, hat ihn die Tiefe seiner Sünde erkennen lassen. Und die Reaktion ist ein tiefer Schmerz. Aber nicht mehr ein Schmerz über die Enttäuschungen über uns selber, sondern der Schmerz, die Liebe nicht geliebt zu haben. Nicht auf die Liebe Gottes geantwortet zu haben. Dieser Schmerz führt zum Bekenntnis. Die Reue, wie wir diesen Schmerz auch nennen, drängt dazu zu bekennen.

Ich habe vor vielen, vielen Jahren bei Prof. Asperger Vorlesungen gehört in der Kinderpsychiatrie. Das Phänomen der autistischen Kinder, das er so eindrucksvoll studiert hat, mit so viel Einfühlung. Und eines der Elemente, das da immer wieder zur Sprache kam, war dies: Wenn ein Kind sich nicht angenommen weiß, kann es sich nicht öffnen. Wenn ein Kind von seinen Eltern sich nicht angenommen weiß, dann kann es auch nicht seinen Eltern gegenüber Fehler eingestehen. Wenn ein Kind sich von der Mutter geliebt weiß, sich ganz und gar angenommen weiß, dann wird es auch, wenn es einen Fehler gemacht hat, vertrauensvoll zur Mutter laufen und ihr bekennen, was es angestellt hat. Nur in den Raum des Angenommen-Seins hinein kann das Bekenntnis der Sünde wirklich geschehen. Sonst ist es Bloßstellung, sonst ist es eine Enthüllung, die den Menschen in unverantwortbarer Weise bloßstellt. Das Bekenntnis der eigenen Schuld ist die Folge der Erkenntnis, dass wir von Gott geliebt sind, dass Er uns nicht verurteilt. Wir stellen es uns oft umgekehrt vor und glauben, zuerst müssen wir bekennen, und dann werden wir geliebt. Ich glaube, es ist umgekehrt: Weil wir der Liebe Gottes begegnen, diesem unglaublichen Angenommen-Sein, deshalb können wir alles Ihm bekennen. Nun kommt freilich ein Schritt dazu, der nicht ganz einfach ist, wir wissen es alle, es ist der Schritt zur Beichte. Gott gegenüber ja, Vertrauen. Aber einem Menschen gegenüber, der an Christi statt (vgl. 2Kor 5, 20) den Dienst der Versöhnung (vgl. 2Kor 5, 18) wahrnimmt, dem Priester gegenüber? Es ist doch eine Schwelle der Scham, die uns schwer zu überwinden ist, sich einem Mitmenschen zu öffnen und ihm unsere Sünden zu bekennen. Aber der heilige Hieronymus sagt einmal sehr schön: „Wenn sich ... der Kranke schämt, dem Arzt seine Wunde zu entblößen, so heilt die Arznei nicht, was sie nicht kennt” (Zit. in KKK 1456). Welche Kraft der Befreiung liegt im Bekenntnis! Aber Voraussetzung ist der geschützte, geborgene Raum der Beichte mit der Gewissheit des Beichtsiegels. Wir erleben heute genau das Gegenteil mit der Bloßstellung, Zur-Schau-Stellung von allen möglichen Intimitäten in den „Talk-Shows“, wo Menschen sich über ihre Lebensprobleme bis in die Intimsphäre hinein „outen“, wie man heute sagt. Dieser Exhibitionismus ist zweifellos kein Weg zur Heilung. Hier kann nicht innere Heilung geschehen. Es bedarf des geborgenen Raums der Beichte, damit der Schritt des Bekenntnisses zu einer wirklichen Heilung führt. Denn die Beichte, das Bekennen meiner Schuld vor einem Priester, der an Christi statt den Dienst der Versöhnung wahrnimmt, das Bekennen meiner Schuld vor einem Menschen will ja nicht einfach bloßlegen, bloßstellen, sondern es will heilen. Und wie jedes Sakrament, so ist auch das Bußsakrament ein Sakrament der Wandlung. Es will uns wandeln. Und hier liegt nun eine eigenartige Parallele zur Eucharistie. Auch in der Eucharistie steht in der Mitte eine Wandlung. Die Lossprechung, die Worte, die der Priester im Namen Christi spricht: „Ich spreche dich los von allen deinen Sünden“, haben etwas ganz Verwandtes mit der Wandlung in der Messe. Diese ganz schlichten Worte: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“ wandeln die unscheinbaren, zerbrechlichen Gestalten von Brot und Wein in den Leib, in die Substanz des wahren, auferweckten und verherrlichten Leibes Christi. Und bei der Lossprechung geschieht etwas Ähnliches. Durch diese ganz schlichten Worte: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“, ist der Mensch gewissermaßen die Materie, der Stoff, der gewandelt wird. Er wird aus der zerbrechlichen und zerbrochenen Gestalt des Sünders hineingenommen, hineinverwandelt in die Gestalt des Leibes Christi, er wird wieder lebendiges Glied am Leib Christi. Und so kann man sagen, dass durch das Bußsakrament, durch die Wandlung, die in der Lossprechung geschieht, wir gewissermaßen wieder lebendige Glieder am Leib Christi und damit Kirche werden. Die Kirche nimmt wieder Gestalt an. (vgl. Johannes Schneider, op. cit. 110)

Was Christus mit der ganzen Kirche tut, in seinem Leiden, in seinem Kreuz - Paulus sagt es: „Er hat sie geliebt und sich für sie hingegeben, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche heilig vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos” (Eph 5, 25-27). Das geschieht für uns auch in der Lossprechung. Er will auch uns neu machen, heilig sollen wir sein, makellos vor ihm. Diese Wandlung durch die Lossprechung, die den Menschen zu einem lebendigen Glied Christi macht, lässt ihn auch wieder hintreten zum Tisch des Herrn. Denn wenn wir nicht selber Verwandelte sind, dann kann auch die Eucharistie, das Festmahl Christi, uns nicht voll aufnehmen. Dann können wir aber, wenn wir Versöhnte sind, hintreten zum Festmahl der Versöhnten.

Jetzt möchte ich zum Schluss noch einmal versuchen zu schauen, wie das ist: Warum gibt es dieses eigene Sakrament der Sündenvergebung, wie steht es nun tatsächlich zur Eucharistie? Nun, in der alten Kirche war es so, dass man nach der Taufe, nach der Erwachsenentaufe zum allerersten Mal an der Eucharistie teilnehmen durfte. Die Taufkandidaten durften ja nur beim Wortgottesdienst dabei sein, nicht bei der Eucharistie. Jetzt, wo ihnen alle Sünden vergeben worden sind durch die Taufe ... [Tonbandseite zu Ende] ... bei der Erwachsenentaufe. Eine gewisse Erinnerung daran ist lebendig in der Überzeugung, dass es gut und richtig ist, wenn die Kinder vor der ersten Kommunion das Bußsakrament empfangen. Denn die Kommunion, die Eucharistie, ist das Sakrament der vollen Kirchengemeinschaft (vgl. KKK 1395). Die Sünde trennt uns von Gott und voneinander, oder zumindest entfernt sie uns. Wir müssen uns erst mit Gott und miteinander versöhnen, bevor wir zum Tisch des Herrn treten. Jesus sagt es selber in der Bergpredigt: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe” (Mt 5, 23f.). Unversöhnt zum Tisch des Herrn zu gehen, das kann auch zum Gericht werden. Paulus sagt es ganz ausdrücklich: „Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt.” Und er fügt eine seltsame Bemerkung hinzu: „Deswegen sind unter euch viele schwach und krank...” (1Kor 11,29f.). Das gibt uns schon zu denken. Haben wir bei unserem häufigen Kommunizieren nicht doch ein wenig den Blick darauf verloren, dass die Vorbereitung auf den Gang zum Tisch des Herrn notwendig ist? Sicher muss es nicht immer die Beichte sein, aber immer bedarf es der Vorbereitung. Wenn wir die Beichte zu sehr vernachlässigen, besteht freilich die Gefahr, dass wir uns an unsere vielen kleinen und gewöhnlichen Fehler gewöhnen. Dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Dass unser Herz langsam hart wird und dass die Liebe erkaltet. Wenn wir uns bewusst sind, was das Sakrament der Liebe Christi ist, wenn Er uns sich selber schenkt in der Eucharistie, dann müsste es uns eigentlich drängen, seine Barmherzigkeit auch immer wieder ausdrücklich im Bußsakrament zu empfangen.

Ganz zum Schluss eine Erinnerung an Mutter Theresa. Mutter Theresa wollte (und hat es auch durchgeführt) - ich glaube, ich habe es schon gelegentlich erwähnt - dass in ihren Gemeinschaften überall, in jeder Kapelle auf der ganzen Welt, neben dem Kreuz das Wort Jesu am Kreuz steht: „Mich dürstet!” - „I thurst!“ (Joh 19, 28). Es dürstet den Herrn nach unserer Liebe, deshalb will er sich uns in der Eucharistie selber schenken. Und Er will, dass unsere Fähigkeit zu lieben größer und weiter wird, je mehr wir Ihn empfangen. Er will, dass diese Liebe weitergeschenkt wird. Er will, dass die beiden Ostergeschenke, die uns in der Eucharistie und im Bußsakrament gegeben sind, uns zu „Missionaren der Liebe” machen. Jesus hat vor 2000 Jahren gesagt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12, 49-50) Dieses Feuer ist der Heilige Geist. Jesus will, dass dieser Geist, dieses Feuer des Heiligen Geistes in der Welt und in den Herzen brennt. Und darum hat Er uns diese beiden Ostergeschenke gegeben, damit unsere Herzen nicht erkalten, nicht verhärten, sondern lebendig bleiben. So dürfen wir in diesem Heiligen Jahr ganz besonders darum bitten, Eucharistie und Bußsakrament neu und tiefer und mit ganzem Herzen zu entdecken.

Ich wünsche eine gute Sommerzeit und darf daran erinnern oder darauf hinweisen, dass die erste Katechese im September schon sehr früh ist, schon am 3. September, sozusagen gleich mit Schulbeginn. Also, herzlich willkommen am 3. September zur ersten Katechese im Herbst!

Gelobt sei Jesus Christus!

 



 

 
  









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