I.
"Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige", sagt der Herr zu
seinen Jüngern, als er die 72 aussendet. "Bittet daher den Herrn der
Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende." Dann fügt er hinzu:
"Geht, siehe ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe" (Mt
10,16; Lk 10,3)
Es ist keine sehr gute Werbung, die der Herr da für die Mission macht.
Einerseits sagt er, wir sollen den Herrn der Ernte um Arbeiter für die
Ernte bitten, denn sie sei riesengroß, aber dann sagt er: "Ich sende
euch wie Schafe mitten unter die Wölfe." Keine gute Werbung für
Mission. Ist es verantwortbar vom Herrn, unter diesen Bedingungen
Menschen auszusenden, in diese Situation hinein, die, man stelle es
sich plastisch vor, eine tödliche Situation ist? Aber der Herr hat
selber seine Mission mit diesem Bild bezeichnet. Er hat sich im
biblischen Bild des Lammes gesehen. Das Schicksal dieses Lammes hat
der Prophet Jeremia vorgezeichnet: Es wird zur Schlachtbank geführt,
also ein Bild, das im Leben Jesu blutiger Ernst wurde. Dass es vielen
seiner Jünger so gegangen ist und bis heute so geht, das zeigt nicht
nur die ganze Kirchengeschichte sondern im besonderen die Geschichte
des 20. Jahrhunderts, das man das "Jahrhundert der Wölfe" genannt hat.
Tatsächlich, wie viele, Tausende, Millionen Menschen, sind wie Schafe
unter diese Wölfe geraten. Aber Jesus fügt dann hinzu: "Seid klug wie
die Schlangen und einfältig wie die Tauben" (Mt 10,16). Er schickt sie
also nicht einfach blindlings hinein, sozusagen auf ein
Himmelfahrtskommando, sondern er rät ihnen zugleich, klug zu sein und
auch behutsam, vorsichtig, umsichtig. Was ist also die Situation des
Missionsauftrags Jesu? Das möchte ich in der heutigen Katechese
ansprechen.
Ich muss gestehen, je näher man sich den Missionsauftrag Jesu
anschaut, desto verwirrender wird das Bild, desto vielfältiger,
vielleicht sogar unübersichtlicher. Ich hoffe, dass die Katechese
heute nicht zur Verwirrung beiträgt, sondern eher dazu, unser Bild zu
weiten, was alles im Sinn Jesu zu seiner Mission gehört und wie viele
wissend oder sogar unwissend an seiner Sendung teilnehmen. Wenn wir
nach dem Missionsauftrag fragen, den Jesus seinen Aposteln, seiner
Kirche gegeben hat, denken wir natürlich sofort an Mt 28, den Schluss
des Matthäusevangeliums, wo Jesus den Elf – es sind ja nur mehr Elf,
Judas ist ausgefallen – auf dem Berg in Galiläa begegnet und ihnen
sagt: "Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum
geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern. Tauft sie auf den
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt
sie, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe. Siehe, ich bin
bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 18,18-20 vgl. KKK 849).
Es ist klar, dieser Missionsauftrag ist universal: Ihm ist alle Macht
gegeben, sie sollen zu allen Völkern gehen, sie sollen alle Menschen
zu Jüngern Jesu machen und er ist bei ihnen alle Tage – ganz
umfassend.
Aber wie soll das geschehen? Was heißt dieser Auftrag konkret? An wen
richtet er sich? Wem gilt er? Hier richtet er sich an die Elf. Heißt
das, dass nur die Apostel beauftragt mit der Mission sind? Aber die
Apostel sind gestorben. Hat dann der Auftrag aufgehört? Nein, denn
Jesus sagt: "Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit." Also
gilt dieser Auftrag auch über den irdischen Tod der Apostel hinweg.
Deshalb lehrt die Kirche, dass die Bischöfe, als die Nachfolger der
Apostel, diesen Auftrag weiterführen, bis der Herr wiederkommt. Alle
Tage ist er bei ihnen, auch bei ihren Nachfolgern. Das heißt
zweifellos, die Bischöfe als Nachfolger der Apostel haben den
Missionsauftrag. Haben nur sie diesen Auftrag? Haben alle anderen ihn
nicht? Das kann es wohl nicht sein, denn es gibt viele Stellen in der
Heiligen Schrift, wo von einer Mission auch anderer gesprochen wird,
etwa die Stelle, die ich eben zitiert habe aus dem Lukasevangelium
(10,1-16), wo er die 72 aussendet, also nicht nur die Zwölf, sondern
einen weiteren Kreis von Jüngern. Aber anderseits stellen wir fest,
schon im Neuen Testament, es sind nicht alle Missionare geworden. Es
sind nicht alle aufgebrochen, haben Haus, Familie, Besitz und alles
verlassen, um mit Jesus als Missionare zu ziehen. Was ist mit den
anderen, die zu Hause bleiben? Das ist der Großteil auch derer, die an
Jesus glauben, bis heute. Sind sie nicht Missionare? Sind die
sozusagen "sitzen geblieben" daheim, während "die wahren" die sind,
die aufgebrochen sind? Das Bild wird sich sehr differenzieren, wenn
wir näher hinschauen.
II.
Vollmissionare im Sinne der aktiven, hinausgehenden, verkündenden
Mission war sicher nur ein kleiner Prozentsatz schon damals, die
Zwölf, die 72, die mit den Zwölf hinausgegangen sind, die eben auf
Mission unterwegs waren. Heißt das, dass der Missionsauftrag nur für
die Spezialisten da ist? Versuchen wir das ein wenig auseinander zu
legen und zu schauen, wie sich das von Jesu eigener Absicht her
darstellt. Wie engagierte er andere in seine Mission, in seine
Sendung?
Zuerst hat Jesus nicht zur Mission aufgerufen, sondern zur Bekehrung.
Der erste Ruf Jesu ist der Ruf zur Umkehr, der letzte Ruf wird der zur
Mission sein. Im ersten Kapitel bei Markus lesen wir, dass Jesus nach
der Taufe und der Versuchung in der Wüste in Galiläa auftritt und mit
den Worten beginnt: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe
gekommen. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15). Fragen
wir also eher: Wie kommt das Reich Gottes nahe? Was heißt das: "Das
Reich Gottes ist nahe gekommen"? Worum beten wir, wenn wir im
Vaterunser beten: "Dein Reich komme"? Ist das der Weltuntergang, das
Ende der Zeit? Sind das die apokalyptischen Ereignisse, von denen in
der geheimen Offenbarung die Rede ist? Sicher ist das auch ein Aspekt.
Aber Jesus sagt einmal: "Schaut nicht dahin oder dorthin, denn das
Reich Gottes ist mitten unter euch" (Lk 17,21). Jesu Mission, Jesu
Sendung war, das Reich Gottes mitten unter uns zu bringen. Das Reich
Gottes soll Wurzel fassen, es soll wachsen, wie die Gleichnisse immer
wieder sagen, es soll wie ein Baum werden, der den Vögeln des Himmels
Platz gibt. Das Reich Gottes ist schon da, "mitten unter euch".
Wo ist das Reich Gottes? Ganz einfach: dort wo Jesus ist. Wo er ist,
ist Gottes Reich, ist Gottes Herrschaft gekommen. Wo er ist, ist Gott
am Werk. Deshalb geht es darum, dass Menschen sich um ihn sammeln. Er
ist die Mitte des Reiches Gottes. Sie haben den Auftrag, das Reich
Gottes zu pflanzen, zu verkünden, zu befestigen durch nichts anderes
als dadurch, dass sie Menschen zu Jesus führen. Eintreten in das Reich
Gottes heißt nichts anderes, als mit Jesus in Verbindung treten.
Katechese hat keinen anderen Sinn, als Menschen dazu zu helfen, dass
sie mit Jesus in Verbindung treten. Das ist die Mission: Einladung zum
Festmahl des Reiches Gottes, wie Jesus es gerne in Gleichnissen sagt.
Was ist dieses Festmahl? Er ist der Bräutigam – so nennt er sich
selber. Es ist sein Festmahl, das er uns bereitet hat. Das heißt:
Tretet ein, kommt dazu, kommt in Gemeinschaft mit mir! Aber was heißt
das: in Gemeinschaft mit Jesus treten? Das heißt mit ihm leben oder,
wie er immer wieder sagt, ihm nachfolgen. "Wenn einer mir nachfolgen
will, dann nehme er sein Kreuz auf sich" (vgl. Mt 16,24), heißt es zum
Beispiel.
"Macht alle Völker zu meinen Jüngern", bringt sie mit mir in
Verbindung! Wie wird man sein Jünger? Wozu sollen die Boten Jesu, die
Missionare einladen? Wir können es noch mit einem anderen Bild sagen,
das Jesus gerne gebraucht. Einmal stehen seine Mutter und seine
Verwandten vor der Tür, viele Leute sind da, man kann nicht herein zu
ihnen. Jemand sagt Jesus: "Draußen stehen deine Mutter und deine
Brüder." Jesus antwortet aufs erste gesehen sehr barsch: "Wer ist
meine Mutter, und wer sind meine Brüder?" Er zeigt auf die, die um ihn
sitzen und sagt: "Wer den Willen meines Vaters tut, der ist mir Bruder
und Schwester und Mutter" (Mt 3,32-35*). Jesus lädt also ein, wenn er
ins Reich Gottes einlädt, in seine Familie einzutreten, ihm Bruder und
Schwester und Mutter zu werden, so wie er Gott seinen Vater nennt. In
diese Familie Jesu einzutreten, das ist die Einladung der Mission. Dem
möchte ich heute ein wenig nachgehen: Wie kommt man in die Familie
Jesu? Wer gehört da eigentlich dazu?
Wenn wir ein wenig ins Neue Testament schauen, dann fällt auf, dass
Jesus seiner eigenen Familie gegenüber nicht immer sehr charmant war,
sie ihm gegenüber auch nicht. Markus ist hier besonders ausdrücklich:
"Als er nach Hause kam" – Kapharnaum – "lief wiederum das Volk
zusammen, so dass sie nicht einmal essen konnten." – Das Essen ist ja
immer das wichtigste. – "Als die Seinen davon hörten, zogen sie aus,
um sich seiner zu bemächtigen, denn sie sagten: Er ist von Sinnen" (Mk
3,20-21). Jetzt spinnt er völlig, jetzt hat er nicht einmal mehr Zeit
zum Essen. Sie wollen sich seiner bemächtigen, das heißt ihn
zurückholen in die Familie, dass er wieder ein ordentliches Leben
führt. Ein wenig später heißt es, eben die Stelle, die ich gerade
zitiert habe: "Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?" – "Das
sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, ist mir
Bruder, Schwester und Mutter." Jesus hat offensichtlich eine andere
Familie im Sinn, jene Familie, die sich um den Willen des Vaters
sammelt. Diese Familie will er bilden, das ist seine Mission.
Es ist interessant, dass dieses Bild für die Kirche, Familie Gottes,
bei uns nicht so vertraut ist. Aber in Afrika haben die Bischöfe
gesagt, es gibt kein Bild, das so treffend das Wesen der Kirche
ausspricht wie das Bild der Familie, vielleicht in Afrika besonders
spürbar, wo die Familie eine so starke Wirklichkeit ist. Diese neue
Wirklichkeit, die Familie Jesu, soll sichtbar werden in der Welt.
Durch das, was die Brüder und Schwestern Jesu leben. Das ist der Sinn
der Mission: zur Familie Jesu einzuladen. Aber noch einmal: Wie kommt
man in diese Familie? Wer gehört dazu? Hier zeigt sich ein
verwirrendes Bild. Wir lieben Klarheit, aber das Evangelium hilft uns
da nicht unbedingt. Offensichtlich gibt es verschiedenste
Zugehörigkeiten zur Familie Jesu und damit auch verschiedenste Formen
von Jüngerschaft, von Beziehung zu Jesus und dementsprechend natürlich
auch verschiedenste Formen von Mission. Das wird uns im Folgenden
beschäftigen: wie groß diese Bandbreite der Familie Jesu ist. Dazu
gehören sicher sozusagen die "Intensivjünger", der enge Jüngerkreis,
die Zwölf, aber auch die Frauen, die Jesus begleiten, die ihn mit
ihrem Geld unterstützen. Dazu gehört ein Freundeskreis, ein Kreis von
Sympathisanten wie Nikodemus oder die Freunde in Betanien, Lazarus,
Maria, Marta, dazu gehören aber auch ganz offensichtlich "anonyme"
Familienmitglieder, die es gar nicht wissen, wenn Jesus in Mt 25, im
großen Weltgericht, sagt: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan
habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Wer sind sie, diese Brüder:
die Nackten, die Kranken, die Gefangenen, die Obdachlosen? – Jesu
Familie.
III.
Was heißt das, wenn wir an die Stadtmission denken? Heißt das nicht,
dass es die unterschiedlichsten Wege der Jüngersuche gibt, der
Mission, dass es nicht einfach nur eine Straße gibt, auf der Mission
sich abspielt, sondern dass es eine erstaunliche Vielfalt von
Zugehörigkeiten zu Jesus gibt und damit auch von Wegen, dazu zu
kommen? Schauen wir uns die ein wenig an. Beginnen wir bei dem engsten
Jüngerkreis. Petrus hat einmal zu Jesus gesagt: "Herr, wir haben alles
verlassen und sind dir nachgefolgt." Und er hat hinzugefügt: "Was
werden wir dafür bekommen?" (Mt 19,27). Es gibt zweifellos einen ganz
engen Kreis von Jüngern, die Jesus selber gerufen hat und die ihren
bisherigen Lebensraum, alles verlassen haben, Familie, Beruf, Besitz,
um Jesus nachzufolgen in einer Lebensform, die der Lebensform Jesu
selber gleicht. Sie haben das oft unter heftigem Widerstand getan,
Widerstand ihrer eigenen Familien, wie man bei Jesus sieht. Sicher war
Zebedäus nicht glücklich, als seine beiden Söhne plötzlich aufbrachen,
die Fischer, die Taglöhner mit dem Vater zurückließen und einfach mit
Jesus weggingen. Sie führten ein Wanderleben mit Jesus in Armut. Es
hungerte sie, demnächst hören wir dieses Evangelium, wie sie am Sabbat
Ähren rupften, nicht aus Zerstreutheit, sondern weil sie wirklich
hungerten, wie Jesus selber sagt (Mk 2,23-28), oder wenn wir erfahren,
dass sie als einzigen Proviant für ihre Reise, für mehrere Tage waren
sie unterwegs, fünf Brote und zwei Fische hatten. Was ist das, für
zwölf erwachsene Männer, dreizehn mit Jesus? Sie kannten Armut. Sie
lebten von der Hand in den Mund, vom Vertrauen auf die Vorsehung. Ganz
real baten sie: "Gib uns unser tägliches Brot heute." Und sie lernten
mit Jesus, in seiner Gemeinschaft, dass sie bis zu 77mal am Tag dem
Bruder verzeihen sollen – eine ganz andere Lebensweise als sie bisher
gewohnt waren – und vor allem, dass sie dienen sollen, so wie Jesus
sich zum Diener gemacht hat. Diese kleine Familie Jesu ist
gewissermaßen der Grundstock, die Kernfamilie. Jesus hat diese
Kernfamilie, diesen Grundstock ausgewählt aus einer größeren Schar von
Jüngern, von Menschen, die von ihm fasziniert waren und ihm
nachgefolgt sind. Diese Zwölf sind ganz bewusst gewählt als
Wiederherstellung der zwölf Stämme Israels, ein Zeichen für sein Volk,
dass jetzt die Zeit ist, Israel wiederherzustellen, das Volk Gottes
wieder aufzurichten. Diese Zwölf haben einen besonderen Auftrag und
unter ihnen noch einmal Petrus, der erste, von dem Jesus sagt: "Du
bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen" (Mt
16,18).
Wie kommt es zur Wahl dieser Zwölf? Nicht sie haben ihn gesucht,
sondern er hat sie sich ausgesucht. Markus sagt es uns sehr
eindrucksvoll: "Jesus stieg auf den Berg hinauf und rief die zu sich,
die er selbst wollte" (Mk 3,13) – nicht die, die ihn ausgesucht haben,
sondern er ruft sie. Bis heute ist es so geblieben. So sehr Berufungen
dieser speziellen Art natürlich auch bedingt oder geprägt sein mögen
von familiären Voraussetzungen, von einer guten Gemeinde, von
Menschen, die zu einer solchen Berufung ermutigen, alles das, was die
Berufungspastoral macht, wenn sie sich bemüht, geistliche Berufungen
zu wecken. Alle diese menschlichen Elemente gibt es, aber im tiefsten
ist Berufung etwas souverän von Gott, von Jesus Ausgehendes. "Komm,
folge mir nach!" – Dieser Ruf trifft Levi an der Zollstelle (Mk 2,14),
Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes als souveräne Verfügung Jesu.
Warum tut Jesus das? Wozu beruft er diese Zwölf? Markus sagt es uns:
"Dass sie mit ihm seien" (Mk 3,14), dazu ruft er sie. Ist das nicht
etwas wirklich Berührendes, dass der Herr, der immer mit dem Vater
ist, doch einfach Menschen um sich haben will, "dass sie mit ihm
seien"? Er sucht Gemeinschaft und er ist immer in Gemeinschaft. Man
sieht Jesus eigentlich nie alleine, entweder ist er mit dem Vater oder
mit Menschen umgeben, so sehr, dass er sie dann auch Freunde nennt.
Wie schön und berührend ist es, dass Jesus diese Freundschaft sucht
und Menschen dazu einlädt. Er ist der Sammelpunkt dieser Gemeinschaft,
dieser Familie, die sich um ihn bildet. Wie schmerzlich berührt es,
dass gerade diese Kernfamilie Jesu ihn verlässt in der Stunde der
Bedrängnis, der Passion. Was der Jünger Jesu braucht ist zuerst und
allem vorweg: mit ihm sein. Ich glaube, wenn wir an die Stadtmission
denken, ist das schlichtweg das Wichtigste, dass sich viele bereit
finden, mit Jesus zu sein, im Gebet, in der Anbetung, in der
Verbundenheit mit ihm, in seiner Vertrautheit. Dann erst folgt: "und
damit er sie aussende" (Mk 3,14), zuerst damit sie "mit ihm seien" und
dann "damit er sie aussende". An erster Stelle steht "mit ihm sein".
Aus diesem "mit Jesus sein" heraus kann er sie dann senden. Aber auch
auf ihrer Mission, auf ihrer Sendung werden sie mit ihm sein und er
wird mit ihnen sein: "Ich bin bei euch, alle Tage" (Mt 28,20).
IV.
Was ist der Auftrag, den er ihnen gibt für die Sendung? Zwei Dinge:
dass sie verkündigen und dass sie Vollmacht haben, Dämonen
auszutreiben. Beides ist Urauftrag Jesu: verkündigen, also ihn bekannt
zu machen, seine Botschaft bekannt zu machen – wir werden das nächstes
Mal beim Apostel Paulus sehen, der nicht Augenzeuge Jesu war aber
Apostel und der diesen Auftrag sich so zu Herzen genommen hat, dass er
gesagt hat: "Wehe mir, wenn ich nicht evangelisiere, wenn ich nicht
das Evangelium verkünde" (1 Kor 9,16). Der zweite Auftrag: Vollmacht
Dämonen auszutreiben – im Wirken Jesu nicht wegzudenken. Kann man sich
Jesus vorstellen ohne diesen Kampf gegen die Dämonen, ohne sein Wirken
als Exorzist, als der, der die Dämonen austreibt? Diese Vollmacht hat
er ausdrücklich den Zwölf gegeben. Die Kirche muss diesen Dienst bis
heute ernst nehmen, denn es gehört zum Dienst Jesu, zu seiner Sendung,
dass er uns "aus der Macht der Finsternis befreit" (vgl. Kol 1,13).
Diesen Auftrag hat die Kirche. Aber gerade an diesem letzten Beispiel
stellt sich die Frage: Haben alle diesen Auftrag? Oder haben nur ein
paar diesen Auftrag? Wer hat die Sendung Jesu? Die Bischöfe? Alle
Gläubigen? Die Praxis der Kirche sagt uns: Dämonen austreiben, das ist
im ganz strikten Sinne des Exorzismus Auftrag des Bischofs bzw.
dessen, den der Bischof damit beauftragt. Es gibt, natürlich auch in
unserer Diözese, beauftragte Exorzisten. Es ist eine Realität, das ist
ein Dienst, den wir vom Herrn selber bekommen haben und vor dem wir
uns nicht drücken dürfen. Aber heißt das, dass nur ein paar wenige
diese Sendung haben, und Sie alle nicht? Jeder, der zur Familie Jesu
gehört, hat den Auftrag gegen das Böse zu kämpfen, gegen den Bösen.
Jeder von uns betet im Vaterunser um die Befreiung von dem Bösen.
Petrus sagt in seinem ersten Brief: "Euer Widersacher, der Teufel,
geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen
kann. Ihm widersteht tapfer im Glauben" (1 Petr 5,8-9). Das ist
Auftrag an alle, auch wenn nicht alle die Vollmacht haben, im Namen
Jesu Dämonen auszutreiben. Alle sind gerufen in die Familie Jesu. Alle
sind gerufen zu verkünden, nicht alle haben denselben feierlichen
Auftrag, den die Zwölf bekommen haben. Nicht alle haben die Vollmacht
zum Exorzismus wie die Zwölf. Aber alle haben den Auftrag, zur Familie
Jesu zu gehören, die Einladung dazu, und damit Zeugnis von Jesus zu
geben und gegen die Macht des Bösen zu kämpfen.
Wie ist das im Leben Jesu selber? Hat er selber differenziert zwischen
den verschiedenen Berufungen? Ganz offensichtlich. Der Zöllner Levi,
Matthäus, später Evangelist, wird von der Zollstelle weggerufen.
"Folge mir nach!" Er steht auf, lässt seinen Beruf, hinterlässt
wahrscheinlich seine Familie und folgt Jesus nach. Ein anderer
Zöllner, Zachäus, bleibt in seinem Beruf. Er wird als Bekehrter in
seinem Beruf das Evangelium leben. Er wird das Unrecht wieder gut
machen und wird obendrein ein gerader und gerechter Zöllner sein. Zu
den engsten Freunden Jesu gehören Lazarus, Maria und Marta, diese drei
Geschwister, die ihm nicht nachgefolgt sind, die zu Hause geblieben
sind, die auch ihren Besitz behalten haben – sie dürften eher
wohlhabend gewesen sein, aber Jesus wird dort einkehren und ausrasten.
Er wird bei ihnen ein bergendes Zuhause finden, fast möchte ich sagen
so etwas wie einen "Stützpunkt" für seine Mission. Wenn wir schauen,
wie oft Jesus davon spricht, dass die Missionare sich in den Häusern,
in denen sie aufgenommen werden, aufhalten sollen, dann denkt man
unwillkürlich daran: Da gibt es ein weiteres Netz, nicht nur die
unmittelbaren Missionare, sondern die vielen, die bereit sind, ganz
praktisch die Missionare aufzunehmen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu
geben. Da heißt es in der Aussendungsrede: "Wenn ihr in ein Haus
eintretet, so sprecht zuerst: Friede diesem Haus. Ist dort ein Sohn
des Friedens, so wird euer Friede auf ihm ruhen. Wenn aber nicht, wird
er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus. Esst und trinkt, was
man euch gibt, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert" (Lk 10,5-7).
Es hat schon im Leben Jesu offensichtlich solche Stützpunkte gegeben,
wir würden sagen Sympathisanten der Mission, die mitgeholfen haben,
dass die Missionare tätig sein können. Sie sind in dieser Weise auch
Missionare, aber sie sind nicht gerufen mitzugehen. Ein ganz
berührendes Beispiel dafür ist der Besessene von Gerasa im Heidenland,
den Jesus aus einer schweren, schrecklichen Besessenheit geheilt,
befreit hat. Als die Leute Jesus drängen wieder wegzufahren von ihrem
Ort, da bittet dieser von der Legion Dämonen befreite, er möge mit
Jesus mitfahren dürfen und bei ihm bleiben dürfen, wörtlich ist es
genau dasselbe Wort, das es von den Aposteln geheißen hat, "damit er
mit ihm sei" (Mk 5,18). Dieser Geheilte möchte nachfolgen. Er möchte
sozusagen wie die Apostel mit Jesus mitgehen, in der Mission Jesu
dabei sein. Überraschend: Jesus lässt ihn nicht mitgehen. Er sagt:
"Kehre nach Hause zurück zu den Deinen und berichte" – das Wort im
Griechischen ist fast dasselbe wie Evangelium: verkünde, berichte –
"das, was der der Herr dir getan hat" (Mk 5,19). Das wird er eifrig
tun. Mission, die darin besteht einfach zu Hause zu bleiben und
Zeugnis zu geben von dem, was sich in seinem Leben durch die Begegnung
mit Jesus geändert hat.
V.
Ziehen wir einige Schlüsse für die Mission daraus. Allen Menschen gilt
der Ruf umzukehren, "denn das Reich Gottes ist nahe". Aber nicht allen
Menschen gilt der Ruf, ihm so nachzufolgen, wie es die Zwölf tun.
Allen gilt der Ruf, ihr Leben zu ändern und durch ein geändertes Leben
missionarisch zu sein, aber nicht unbedingt durch die direkte Mission,
sondern indem sie Salz der Erde und Licht der Welt sind. Ein Leben,
das nach dem Evangelium gelebt wird, das sich vom Evangelium verändern
lässt, das wird leuchten, das wird sichtbar sein, wie eine Stadt auf
dem Berg. Was heißt das für die Mission bei uns? Mission besteht nicht
nur darin, dass möglichst viele ausschwirren und missionieren, sondern
zuerst einmal, dass ich lebe, was ich erfahren habe, dass mein Glaube
mein Leben verändert. Ein Beispiel aus dem Leben des hl. Pachomius,
ein früher Christ, ein früher Mönchsvater, er war Heide, Bauernsohn:
Die römischen Soldaten haben unter den Bauern in Ägypten, unter den
jungen Männern Soldaten zwangsrekrutiert und diese armen Rekruten
wurden eingepfercht in ein Gefängnis und haben dort elend auf ihren
Abtransport nach Rom gewartet. Am Abend kommen Leute und bringen
diesen armen, ausgehungerten Burschen zu essen und zu trinken und
reden mit ihnen. Pachomius fragt: Wer sind die? Man sagt ihm: Das sind
die Christen. So wurde er selber ein Christ. Das war im 3.
Jahrhundert. Die gelebte Caritas ist Mission, auch wenn sie nicht
missionarisch tätig ist.
Ein letzter Einwand: Aber es gibt doch viele Menschen, die nicht
Christen sind und doch, sagen wir, das Evangelium leben, die
Bergpredigt. Das stimmt und das macht die Frage der Mission noch
verwirrender. Denn Jesus zögert nicht, solche Menschen als seine
Brüder und Schwestern zu bezeichnen. Gehören die also auch zur Familie
Jesu? Braucht man die dann überhaupt zu bekehren, wenn sie das, was
wir vom Evangelium her leben sollen, längst schon leben? Ich denke,
dass Jesus uns hier zu einer sehr weitherzigen und großherzigen Sicht
einlädt. Es gibt eine kleine Episode im Evangelium, die ich zum
Schluss kurz nennen möchte, auch wenn sie verwirrend ist. Johannes,
der Apostel, kommt zu Jesus und sagt: "Wir haben einen gefunden, der
in deinem Namen Dämonen austrieb; und wollten es ihm verbieten."
Daraufhin sagt Jesus: "Lasst ihn gewähren. Denn wer in meinem Namen
Wunder wirkt, wird nicht so schnell schlecht von mir reden." Und er
fügt hinzu: "Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns" (Mk 9,38-40).
Auch die gehören zur Familie Jesu.
Hier gäbe es noch viel zu sagen. Ich denke etwa an die vielen
nichtkatholischen Missionare, die nicht zu uns gehören, die nicht zur
Katholischen Kirche gehören, aber die sehr wohl im Namen Jesu tätig
sind. Jesus lädt uns ein zu sagen: Auch die gehören zu meiner Familie,
auch die sind nicht gegen mich. Paulus wird es uns sagen, wir werden
es das nächste Mal hören: "Wenn nur Christus verkündigt wird".
Aber es gibt einen noch weiteren Kreis von Menschen, die vielleicht
gar nichts wissen von Jesus, vom Evangelium, und die es doch leben.
Das sind die, von denen Jesus im großen Gerichtsgleichnis spricht:
"Ich war nackt und du hast mich bekleidet. Ich war im Gefängnis und du
hast mich besucht. Ich war hungrig und du hast mir zu essen gegeben. –
Wann, Herr, haben wir dich gesehen? – Was ihr dem geringsten meiner
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,35-40*). Also
gehören die auch zur Familie Jesu, die im weitesten Sinne "anonyme"
Familienmitglieder sind. Wenn wir missionarisch sein wollen, dann rät
uns Jesus und stößt uns darauf hin zu sehen, wie viele Menschen mit
dem Licht des Evangeliums im Herzen, ohne es vielleicht zu kennen,
unterwegs sind. Wenn wir dann fragen: Worum geht es eigentlich in der
Mission? Dann müssen wir sagen: Es geht doch nicht darum, Menschen zu
indoktrinieren, ihnen irgendetwas aufzuzwingen, eine Lehre, eine
Doktrin, eine Weltanschauung. Es geht doch darum, dass genau das
passiert, was uns vielleicht bei der eigenen Umkehr immer wieder
passiert und was wir vorhin im Lied gesungen haben, dass uns
aufleuchtet: Ja, das ist doch wahr, das ist doch richtig, das stimmt
doch, was du uns sagst. Das Evangelium ist das Licht, das ich gesucht
habe.
Hat die Mission nicht letztlich den Sinn, dass das Licht Christi in
einem Menschen aufleuchtet, vielleicht ein Licht, das er längst schon
gekannt hat? Denn, so sagt uns Johannes: Jesus ist das Licht, das
jeden Menschen erleuchtet. Es ist das Licht der Wahrheit, dieses Licht
der Liebe, das in so vielen Menschenherzen brennt und leuchtet, ohne
dass sie wissen wo es herkommt, Jesus sagt: Diese sind meine Brüder
und Schwestern. So ist Mission sicher nicht das Vergrößern einer
Sekte, das Indoktrinieren von Menschen mit seltsamen Lehren, sondern
dass sie das Licht der Frohbotschaft ausdrücklich erkennen, dass sie
den finden, dem sie vielleicht schon längst auf der Spur waren, den
sie vielleicht ein Leben lang gesucht haben, dass sie dann sagen
können: Du bist der, den ich immer schon gesucht habe, und dass sie
erkennen können: Du bist der, der mich schon längst gefunden hat, noch
lange bevor ich dich gekannt habe. Wenn wir Mission so sehen, dann
wird sie sehr spannend, weil wir selber dann immer wieder neu Jesus
begegnen, überraschend, wo wir es gar nicht vermutet hätten.
(Kardinal Christoph Schönborn) |