In unseren Katechesen zur Stadtmission
kann einer nicht fehlen, der Missionar schlechthin, der Apostel
Paulus. Er sagt einmal: "Die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt
haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist
aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben,
sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde" (2 Kor
5,14-15). Die Liebe Christi drängt mich, heute zu Ihnen über den
Apostel Paulus zu sprechen. Er ist der Missionar schlechthin. Wir
sehen in ihm wie in keinem anderen das Bild des Missionars, die
Wirklichkeit der Mission. Wir wollen fragen: Was hat ihn bewegt? Wie
kam er dazu? Was ist mit ihm geschehen, dass er zu so einem großen
Missionar wurde? Was ist mit ihm geschehen auf dem Weg nach Damaskus?
Seine Erkenntnis: Er, Christus ist für mich gestorben und
auferstanden. Also kann ich nur mehr für ihn leben, der für mich
gestorben und auferstanden ist. Das ist der tiefste Grund, warum
Paulus Christus verkündigt. Mission kann nichts anderes sein als
Christus verkündigen.
Diese Liebe Christi drängt ihn, möglichst vielen zu sagen, was er
erfahren hat, sie zu der Erkenntnis und zu der Liebe Christi zu
führen, und zwar, wie er ganz ungeniert immer wieder sagt, nach seinem
Vorbild: "Ahmt mich nach!" (Phil 3,17; 4,9; 1 Kor 1,11; 4,16). Ahmt
mich nach, weil ich Christus nachahme! Schaut auf mich, wie ich auf
Christus schaue! Diesen Missionar also möchte ich heute mit Ihnen
betrachten. Was sagt er uns für unseren missionarischen Auftrag? Wie
können wir ihn nachahmen, wozu er uns ja auch ausdrücklich auffordert?
Ich möchte beginnen mit der Frage, wer überhaupt dieser Paulus war und
wie es dazu kam, dass er zum Missionar wurde. Und wohl erst das
nächste Mal wird es dann um die Frage gehen: Wie hat Paulus das
praktisch gemacht? Wie hat seine Mission ausgeschaut? Und wie hat er
andere dazu aufgefordert und eingeladen? Dann, in einem dritten
Schritt möchte ich schauen: Wie hat Paulus die Früchte der Mission
eingebracht, dass es nicht ein Strohfeuer bleibt, dass es nachhaltig
wirkt? Warum hat er Gemeinden gegründet, Gemeinschaften? Warum hat er
Menschen in der Liebe Christi zu Gemeinschaften zusammengebracht?
I.
Ich muss gestehen, ich habe vor dieser Katechese einen ziemlichen
"Bammel", weil es nicht leicht ist, über einen so großen wie Paulus zu
sprechen. Es geht mir ein bisschen wie Paulus, als er zu den
Korinthern kam, wo er sagte: "Ich kam zu euch nicht mit gewandter
Rede, sondern in Schwäche und mit Furcht und Zittern. Ich wollte unter
euch nur Christus kennen und zwar Christus, den Gekreuzigten" (1 Kor
2,1-2). Also will ich auch versuchen, über den Apostel Paulus zu
sprechen, und sicher genügen die Worte alleine nicht. Aber ich bin
sicher, dass der Heilige Geist am Werk ist, wenn der Apostel zu Wort
kommt. Wir werden ihn immer wieder zu Wort kommen lassen. Seiner
geliebten Gemeinde in Korinth, mit der er auch so viel Sorgen hatte,
wie er überhaupt mit seinen Gemeinden an frischbekehrten Gläubigen
viele, viele Sorgen hatte, schreibt er: "Als ich zu euch kam, Brüder,
kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen,
sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich
entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar
als den Gekreuzigten" (1 Kor 2,1-2).
Bevor wir fragen, wer der Apostel ist, muss ich eine Vorbemerkung
machen. Nicht alle lieben diesen Apostel. Er hat bei manchen Christen
eine schlechte Presse und auch außerhalb der Kirche, des Christentums.
Manche betrachten ihn als den großen Störenfried, der eigentlich alles
verfälscht hat, Jesus habe eine viel einfachere Lehre gehabt. Es
stimmt, die Briefe des Apostels sind manchmal schon recht schwierig
und kompliziert. Das hat schon der Apostel Petrus gemeint, als er
davon sprach, dass "unser Bruder Paulus" in seinen Briefen manchmal
recht schwierige Dinge sagt (1 Petr 3,15-16). Manche haben behauptet,
der Apostel Paulus habe überhaupt das Christentum verfälscht.
Eigentlich sei Jesus ein ganz einfacher Prediger gewesen, der in
Galiläa und in Judäa von Gott Vater und seiner Liebe gesprochen hat,
und Paulus habe daraus eine ganze komplizierte Lehre gemacht.
Manche meinen, er sei eigentlich der
"Verursacher" des Christentums. Das sehen sie negativ und kritisieren
es. Natürlich stimmt es, dass Paulus kein einfacher Charakter war. –
Ein ganz starker Trost für alle schwierigen Charaktere: Man kann ein
Heiliger werden, auch mit einem schwierigen Charakter, siehe den hl.
Hieronymus, der sicher ein furchtbar schwieriger Charakter war. –
Natürlich ist es nicht einfach, mit seiner Lehre umzugehen. Was will
er wirklich sagen? Was ist eigentlich der Kern der Lehre des Apostels
Paulus? Für mich war es als junger Student ein großer Schock, als ich
zum ersten Mal dieser Kritik am Apostel Paulus begegnet bin. Ich kann
mich noch gut erinnern, ein katholischer Alttestament-Professor, ist
nach Strich und Faden über Paulus hergezogen. Ich war sehr schockiert
darüber. Es hat Jahre gedauert, bis ich diesen gewissen Verdacht, der
einem da gegen den Apostel eingeimpft wurde, überwinden konnte. Immer
wieder war es vor allem die ansteckende Leidenschaft für Christus, die
einen bei Paulus mitreißt.
Ich möchte zu Beginn ein Wort eines großen, großen Liebhabers des hl.
Paulus vorlesen. Der hl. Johannes Chrysostomus, der Goldmund, wie man
ihn nannte, wirklich ein begnadeter Prediger, auch viel verfolgt, ein
leidenschaftlicher Liebhaber des Apostels Paulus, dessen Briefe er in
seinen Predigten ausführlich kommentiert hat, schreibt einmal über
ihn: "Immer, wenn ich eine Lesung aus den Briefen des hl. Paulus höre,
wöchentlich zweimal, dreimal ja viermal, wenn wir nämlich das
Gedächtnis der Märtyrer feiern" – damals hat man offensichtlich bei
diesen Gelegenheiten die Apostelbriefe gelesen – "dann freue ich mich
an dem Klang dieser geistlichen Posaune. Ich gerate in Begeisterung
und empfinde ein heißes Verlangen.
Wenn ich die liebe Stimme vernehme, meine
ich fast, ihn vor mir zu sehen und seine Erklärungen zu hören. Aber es
bedrückt und schmerzt mich, dass nicht alle diesen Mann so kennen, wie
er es verdient. Manche wissen so wenig von ihm, dass sie nicht einmal
die genaue Anzahl seiner Briefe wissen." – Ich frage jetzt nicht, ob
wir auswendig können, was wir im Religionsunterricht gelernt haben:
RoKoKoGalEphPhi und so weiter, wie man sich die Briefe des Apostels
merkt. – "Das kommt nicht von geistiger Unfähigkeit, sondern sie
versäumen, sich mit seinen Schriften unablässig zu beschäftigen. Auch
ich verdanke was ich weiß, wenn ich etwas weiß, nicht einer besonderen
Begabung oder Geistesschärfe. Sondern ich liebe diesen Mann und
beschäftige mich dauernd mit seinen Schriften. Wer jemand liebt, weiß
mehr von ihm, als alle anderen, eben weil er ihm wichtig ist"
(Lektionar zum Stundenbuch I/4, 10-11). Chrysostomus liebt den
Apostel, deshalb befasst er sich so mit ihm. Man wird Paulus nicht
schätzen, wenn man ihn nicht liebt. Und wer diesen leidenschaftlichen
Liebenden Christi, der seine Gemeinden in so vorbildlicher Weise
geliebt hat, nicht kennt, der kann ihn auch nicht lieben. Aber je mehr
man ihn kennen lernt, desto mehr liebt man ihn auch.
II.
Wer also war dieser Paulus? Ein Jude aus der Diaspora, aus Tarsus in
Zilizien in der heutigen Türkei. Er sagt von sich selber: "Ich wurde
am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk Israel, vom Stamm
Benjamin" – darum heißt er wahrscheinlich Saul, von seinen Eltern so
genannt, weil König Saul ein Benjaminit war –, "ein Hebräer von
Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer
die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz
vorschreibt" (Phil 3,5-6). Nicht anders heißt es in der
Apostelgeschichte in einer Rede des Paulus: "Ich bin ein Jude, geboren
in Tarsus in Zilizien, hier in dieser Stadt [in Jerusalem] erzogen, zu
Füßen Gamaliëls genau nach dem Gesetz der Väter ausgebildet, ein
Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid" – so sagt er damals in
Jerusalem seinen Anklägern – "Ich habe den Weg bis auf den Tod
verfolgt" – mit diesem Wort "Weg" bezeichnet er das Christentum, so
hat die christliche Gemeinschaft sich am Anfang bezeichnet, "der Weg"
– , "habe Männer und Frauen gefesselt und in die Gefängnisse
eingeliefert" (Apg 22,3-4). Den Galatern schreibt er: "Ihr habt doch
gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst,
wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte.
In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten
Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich
mich für die Überlieferungen meiner Väter ein" (Gal 1,13-14). Paulus
ist also ein überzeugter, gläubiger, leidenschaftlicher Jude.
Was brachte diesen maßlosen Eiferer für Gesetz und Überlieferungen der
Väter dazu, seinen Blickwinkel völlig zu ändern? Es muss etwas ganz
Radikales geschehen sein, eine Blickwende, die ihm plötzlich alles in
einem neuen Licht erscheinen ließ und zwar so, dass das, was ihm
vorher zum Widerspruch wurde, was ihn zur Verfolgung und zur radikalen
Ablehnung gereizt hat, ihm jetzt plötzlich als ganz richtig und ganz
sinnvoll erscheint. Wir nennen das eine radikale Bekehrung. Was ist da
bei Paulus passiert? Ich hatte einen Lehrer in der Heiligen Schrift,
ich glaube, ich haben ihn schon gelegentlich erwähnt, er ist im Jahr
2000 verstorben, Paul Dreyfus, ein Jude der Herkunft nach, er war mein
Professor für Neues Testament. Er hat immer wieder davon gesprochen,
dass man selber Jude sein muss, um zu begreifen, was für eine radikale
Wende das bei Paulus war, vor allem der Anspruch Jesu, nicht nur der
Messias, sondern der Sohn Gottes zu sein. Das geht doch nicht zusammen
mit dem Glauben an den einen Gott. Das muss einem gläubigen Juden als
Gotteslästerung erscheinen. So sah es Paulus, und so sehen es wohl
auch viele seiner Glaubensgenossen bis heute. Ja es war überhaupt die
größte Gotteslästerung, dass ein Mensch zu Gott gemacht wird, dass
Jesus Gottes Sohn sein soll. Plötzlich leuchtet das dem Paulus ein. Es
wird für ihn sinnvoll, stimmig: Ja, so ist es. Nicht nur in einer
blinden Zustimmung, sondern mit der ganzen Zustimmung seiner Vernunft
und seines Herzens kann er sagen: Ja, so ist es, das ist die Wahrheit
und sie ist herrlich und schön. Es stimmt mit dem Leben überein. Was
ist da passiert? Warum stellen wir überhaupt diese Frage? Ist sie so
wichtig? Ich glaube, sie ist deshalb so wichtig, weil dadurch
beleuchtet wird, was in der Mission geschieht. Wir nennen diesen
Vorgang Bekehrung. Vor wenigen Tagen war das Fest der Bekehrung des
Apostels Paulus, am 25. Jänner. Für die Vorbereitung unserer
Stadtmission ist es eine ganz wichtige Frage, zu schauen: Wie geht
das? Wie kommen Menschen zum Glauben? Wie ist ein Paulus dazu
gekommen? Bei ihm kann man es gewissermaßen wie in einem Brennglas
oder wie in einem Vergrößerungsglas besonders deutlich sehen.
III.
Es fällt auf, wenn man in die Geschichte der Bekehrung des Apostels
hineinschaut, dass sie nicht die Frucht einer direkten
Missionsbemühung war. Da waren nicht irgendwelche Missionare unterwegs
und haben den Paulus sozusagen erwischt. Ich habe sogar den Verdacht,
dass die Jerusalemer Christengemeinde, dieses kleine Häuflein von
Christen, gar nicht daran gedacht hat, Paulus zu bekehren, sie haben
ihn ja gefürchtet. Sie haben ihn gefürchtet, als einen ausdrücklichen
Feind der Christen (Apg 9,13.26). Er hat den Weg "wutschnaubend",
heißt es einmal, verfolgt (Apg 26,11). Und die Gefahr bis heute bei
uns ist, dass wir bei solchen entschiedenen Gegnern des Glaubens von
vorn herein sagen: Da ist nichts zu machen, ja im Gegenteil, dass man
sich da sogar abwendet und gar nicht daran denkt, dass vielleicht Gott
mit gerade diesem Menschen einen besonderen Plan hat, dass er gerade
die, die so leidenschaftlich dagegen sind, besonders ins Herz
geschlossen hat. Paulus war gefürchtet und wahrscheinlich haben die
meisten in der Urgemeinde gar nicht daran gedacht, dass das möglich
sein könnte, dass er sich bekehrt und dass er selber Christ wird. Ich
lade ein dazu, einmal darüber nachzudenken, ob uns dieser Gedanke
vielleicht auch vertraut ist, oder dass wir es unbewusst so machen,
dass wir gar nicht daran denken, dass es diese Möglichkeit gibt,
gerade dort, wo es uns unmöglich erscheint.
Etwas ganz Wichtiges folgt daraus: Die Bekehrung des Apostels ist
reine Gnade. Das hat er selber immer so gesehen und er hat das
verteidigt. Seine Bekehrung war nicht das Werk seiner eigenen
Klugheit, nicht seines eigenen Nachdenkens, sondern die Gnade hat ihn
getroffen, Christus hat ihn erfasst. Es war Gottes Werk in seinem
Leben. Das ist natürlich ganz wichtig auch für die Frage der
Stadtmission. Die Initiative zu einer Bekehrung liegt eindeutig bei
Gott. Bekehrungen produziert man nicht. Heißt das, dass wir die
Stadtmission abblasen sollen, dass wir sagen: Also wenn das so ist,
dann tun wir gar nichts? Sicher nicht, wie wir gleich noch am Fall
Paulus sehen werden. Bekehrung lässt sich nicht produzieren. Sie ist
nicht machbar, aber sie wird vorbereitet. Sie wird von Menschen
vorbereitet, natürlich auch wieder unter der Führung der Gnade.
Menschen sind Werkzeuge der Bekehrung, oft ohne es zu wissen, aber es
bedarf solcher Werkzeuge. Gott bedient sich der Werkzeuge, um sein
Werk zu tun. Letztlich werden wir erst "drüben", hinter dem Vorhang
des Todes, sehen, was alles dazu beigetragen hat, dass uns die Gnade
des Glaubens geschenkt wurde. Aber ahnen können wir jetzt schon
manches. Ich möchte drei Elemente herausgreifen, von denen ich glaube,
dass sie die Bekehrung des Paulus vorbereitet haben.
1. Das erste ist sein eigener Eifer. Wir haben vorhin gehört, im
Philipperbrief sagt er selber von sich, er sei "untadelig in der
Gerechtigkeit" gewesen (Phil 3,6). "Untadelig in der Gerechtigkeit",
das ist keine Anmaßung. Paulus hat als Eiferer für den Glauben gelebt
und hat sicher ein vorbildliches Leben geführt. Pharisäer, das heißt
ja nicht Heuchler. Jesus kritisiert die Pharisäer sehr oft wegen der
Gefahr der Heuchelei. Aber er sagt nirgendwo, dass das Gute, das sie
tun, Heuchelei ist. Sie sind immer wieder in Gefahr, sich auf ihre
Gerechtigkeit etwas einzubilden. Aber es gibt diese Geradheit, diese
Gutheit im Leben, und Paulus ist ein solcher. Er ist ein Eiferer für
das Gesetz. Das ist sicher nicht negativ zu verstehen, sondern etwas
Schönes, etwas Freudiges. Paulus hat ordentlich gelebt – sagen wir es
ganz einfach – und das mit Eifer. Dass Jesus eine Freude an solchen
Menschen hatte, das sehen wir beim reichen Jüngling. Als dieser reiche
junge Mann zu Jesus kommt und ihn fragt: "Meister, was muss ich tun,
um das Leben zu haben?", sagt Jesus zu ihm: "Halte die Gebote." –
"Welche?" – Dann zählt sie Jesus auf. Dann sagt dieser junge Mann:
"Das habe ich alles von Jugend an praktiziert." – Jetzt könnte man
denken, Jesus sagt zu ihm: Du Heuchler, in Wirklichkeit hast du böse
Gedanken gehabt. – Nein: Jesus blickt ihn liebevoll an. Markus sagt es
ausdrücklich: "Jesus liebte ihn" (Mk 10,17-21). Es ist etwas
Wunderschönes darin. Paulus ist sicher für seine Bekehrung dadurch
vorbereitet worden, dass er die Gebote gehalten hat. Es ist kein
Zufall, dass Paulus in jedem seiner Briefe einen langen Abschnitt über
die Tugenden hat, über ein anständiges Leben. Man nennt das die
"Paränese", die sittliche Ermahnung des Apostels. Er weiß von sich
selber, wie wichtig das als Grundlage für seine Bekehrung war. Das
heißt natürlich nicht, dass Gott durch seine Gnade nicht auch Menschen
aus dem Laster heraus, aus tiefer Sünde heraus retten kann. Aber die
Bekehrung des Apostels Paulus war sicher auch vorbereitet durch sein
Tugendleben.
Ich habe eine für mich sehr berührende Erfahrung gemacht mit einer
Bekehrung. Am 9. Oktober 2002 am Abend, vor der Priesterweihe unserer
Germaniker, es war schon halb zwölf Uhr Nacht, sprach mich am
Petersplatz ein junger Mann an, er möchte beichten. Ich war etwas
grantig und habe ihm gesagt: Morgen Früh gibt es Beichtgelegenheit im
Petersdom, nicht jetzt um halb zwölf Uhr Nacht. Obendrein, wer weiß,
ich hatte Zweifel, ob das ernst war, und ging weiter. Dann habe ich
mich umgedreht und doch gedacht: Vielleicht ist es ernst, bin noch
einmal zurückgegangen und habe gefragt: Wollen Sie wirklich beichten?
Das wollte er, hat gebeichtet. Es war ganz offensichtlich ein ganz
wichtiger Moment in seinem Leben.
Am Schluss habe ich ihm gesagt: Jetzt hast
du gebeichtet, gehe doch morgen zur Kommunion, Jesus empfangen, und
habe ihn eingeladen zum Weihegottesdienst. Tatsächlich kam er und hat
kommuniziert. Ich erzähle das, weil ich vor wenigen Tagen einen Anruf
von ihm bekommen habe aus Mexiko. Er hat mir erzählt, wie sehr das für
ihn ein Gnadenmoment war, wo wirklich eine Wende in seinem Leben
geschehen ist. Er hat mir erzählt, das wusste ich nicht, dass er an
diesem 9. Oktober, wo er in Rom herumgeirrt ist, sehr verzweifelt war
und nicht wusste, wie sein Leben weitergehen soll, einer alten Frau
geholfen hat, die irgendetwas Schweres getragen hat. Das hat ziemlich
lange gedauert, deshalb kam er so spät auf den Petersplatz. So haben
wir uns so spät getroffen dort und es kam zu dieser Begegnung. Dann
habe ich ihm gesagt: Siehst du, die gute Tat an diesem 9, Oktober am
Nachmittag, das war die Vorbereitung für die Gnade Gottes. Ich denke,
sehr oft geschehen Bekehrungen dadurch, dass jemand einen einfachen
Schritt hin zum Guten tut. Das bereitet den Boden für die Gnade. Ich
denke, bei Paulus war es so. Sein Eifer für das Gute, für die
Tugenden, für ein gerechtes und gerades Leben war Vorbereitung für
seine Bekehrung.
2. Ein zweites Element der Vorbereitung. Paulus war ein Schüler des
Gamaliël. Gamaliël, ein berühmter Rabbiner in Jerusalem, ein weiser
Mann, hat im Hohen Rat den berühmten Rat gegeben, man solle doch die
Apostel gehen lassen. "Da erhob sich im Hohen Rat ein Pharisäer namens
Gamaliël, ein beim ganzen Volk angesehener Gesetzeslehrer; er ließ die
Apostel für kurze Zeit hinausführen. Dann sagte er: Israeliten, seht
euch vor, was ihr mit diesen Leuten anfangen wollt." Und er erzählt
einige Beispiele von Aufständen oder von begeisterten Volksführeren,
die einige Leute verführt haben, aber nach kurzer Zeit, haben sich die
Anhänger wieder verlaufen. "Darum rate ich euch jetzt: Lasst ab von
diesen Leuten und gebt sie frei; denn stammt dieses Vorhaben oder
dieses Werk von Menschen, so geht es von selbst zu Grunde, stammt es
aber von Gott, so könnt ihr es nicht zerstören. Ihr könntet sonst als
Widersacher Gott gefunden werden. Sie gaben ihm recht" (Apg
5,34-35.38-39). Die Apostelgeschichte sagt uns nicht, was Paulus von
diesem Rat gehalten hat. Er war Schüler des Gamaliël. Ich stelle mir
die Frage: Was hat sich Paulus dabei gedacht, als er von diesem Rat
gehört hat, denn sicher war er damals in Jerusalem, sicher hat er
davon gehört. Gamaliël rät dazu, sich zurückzuhalten: Schau, ob das
von Gott ist oder nicht! Eine weise Haltung: Ist es von Gott, wird es
sich bewähren, falls nicht, wird es vergehen.
Aber Saulus lässt sich nicht mit diesem Rat abspeisen. Ich glaube, das
muss bei Paulus die Frage verschärft haben: Ist jetzt Jesus der
Messias oder nicht? Ist er es oder nicht? Die Frage war ja da.
Gamaliël hat geraten: Weicht der Frage aus, überlasst es Gott. Saulus
war radikal. Und er war überzeugt: Das kann nicht stimmen. Das kann
nicht von Gott sein. Vielleicht hat Paulus sich die Frage gestellt:
Ist der alte Gamaliël schwach geworden, mein früherer Lehrer, den ich
so verehrt habe, zu dessen Füßen ich gesessen bin? Ist Gamaliël
schwach geworden? Ich werde nicht schwach werden. Ich werde diesem
Galiläer, und seinen Jüngern nicht auf den Leim gehen. Nein, ich
bleibe fest. Ich werde nicht schwach werden und mich von diesem
Irrlehrer Jesus aus Nazaret nicht betören lassen. Gegen den Rat des
Gamaliël bleibt oder wird sogar Paulus ein radikaler Verfolger. – Ich
muss gestehen, das ist mir erst vor kurzem zum ersten Mal bewusst
geworden, dass das ein eigenartiger Konflikt ist. Seinem Lehrer will
Paulus nicht vertrauen. Er will radikal bleiben, so radikal, dass er
beginnt, wild um sich zu schlagen. Ich habe den Eindruck, dass in
dieser Radikalität bei Paulus der Angelhaken Gottes schon in seinem
Herzen sitzt. Ist das nicht oft die Dynamik der Verfolger? Den Lauen
ist das alles "wurscht" – Paulus war es nicht "wurscht". Paulus hat
sich auch nicht zurücklehnen können in der sehr weisen aber doch sehr
liberalen Haltung des Gamaliël: Schauen wir einmal. Nein, Paulus
wollte wissen. Es kann nicht ungeklärt bleiben. Wenn das wirklich eine
Sekte ist, dann muss man sie bekämpfen. Damit steckt natürlich schon
der Stachel in seinem Herzen, dass es vielleicht doch wahr ist. Aber
er kämpft dagegen, mit aller Energie. Und ich denke an das Wort, das
Jesus dem Johannes in Patmos gesagt hat über die eine Gemeinde [von
Laodizea], dass "du heiß wärst oder kalt, aber da du lau bist … bin
ich daran, dich auszuspeien" (Offb 3,15-16). Paulus war sicher nicht
ein Lauer.
Ich glaube, das ist ein zweites, ganz wichtiges Kriterium für die
Mission: Die Lauen sind schwierig. Die Brennenden, die kann Gott
erreichen. Oft ist es bei den Verfolgern so, dass sie im Grunde schon
die Frage im Herzen haben: Vielleicht ist es doch wahr. Ich denke mir
das bei manchem der scharfen Kirchenkritiker, an denen wir manchmal
auch leiden, die oft ungerecht sind, aber wenn man tiefer fragt: Wo
kommen sie her?, dann ist es doch sehr oft auch die Frage: Es kann
doch nicht wahr sein – vielleicht ist es doch wahr.
3. Eine dritte Vorbereitung auf die Bekehrung des Paulus ist sicher
Stephanus, und da wieder zwei Aspekte. Stephanus war jung, in Wien
würde man sagen, er war fesch, er hatte ein strahlendes Gesicht, sein
Antlitz "leuchtete, wie das eines Engels", sagt die Apostelgeschichte
(6,15). Er war sehr begabt, blitzgescheit. Er konnte gut
argumentieren, genau alles das, was Paulus auch kann. Paulus war auch
jung, sagt die Apostelgeschichte ausdrücklich, ein "junger Mann namens
Saulus" (7,58), er war blitzgescheit, leidenschaftlich. Da ist jetzt
dieser Stephanus und macht genau das Gegenteil von dem, was Paulus
macht. Er macht es nicht mit einem griesgrämigen Gesicht, sondern
strahlend und mit einer hinreißenden Kraft der Überzeugung. In der
Apostelgeschichte wird über Stephanus gesagt: Er war "voll Gnade und
Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk" (6,8). Dann
entsteht der Streit um ihn, und er wird vor den Hohen Rat geführt.
Dann heißt es: "Und alle, die im Hohen Rat saßen, richteten ihren
Blick auf ihn und sahen sein Antlitz leuchten wie das eines Engels"
(Apg 6,15).
Wie muss es dem Paulus gegangen sein, als er diesen Stephanus erlebt.
Stephanus hält dann eine große Bekehrungspredigt, eine sehr radikale,
sehr zu Herzen gehende, die damit endet, dass er seinen eigenen
Volksgenossen sagt: "Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen
und Ohren, gleich wie eure Väter widersteht auch ihr dem Heiligen
Geist." – Man muss sich vorstellen: Das hört Paulus alles. – "Wo war
ein Prophet, den eure Väter nicht verfolgt haben? Sie haben jene
getötet, die die Ankunft des Gerechten weissagten, dessen Verräter und
Mörder ihr jetzt geworden seid, ihr, die ihr das Gesetz durch die
Vermittlung von Engeln empfangen, aber nicht gehalten habt." Dann
heißt es: "Als sie das vernahmen, packte sie die Wut und sie
knirschten mit den Zähnen" gegen Stephanus (Apg 7,51-54). Es kommt zum
Martyrium des Stephanus. Man schleift ihn hinaus vor die Stadt und
steinigt ihn. "Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen
Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus; er aber
betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in
die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!"
(Apg 7,58-60).
Der unmittelbare Anlass für die Steinigung war, dass Stephanus gesagt
hat: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten
Gottes stehen" (Apg 7,56). Wie muss es dem Paulus gegangen sein,
dieser junge, begeisterte, überzeugende Jude, der sagt: Dieser Jesus
von Nazaret, den du, Paulus, verfolgst, ich sehe ihn zur Rechten
Gottes stehen. Natürlich, der Blasphemie-Vorwurf ganz massiv: Du hast
Gott gelästert, du musst sterben! Aber eines sitzt tief im Herzen des
Saulus: diese strahlende, überzeugende Kraft des Stephanus. Irgendwo
muss in seinem Herzen da schon der Stachel gesessen haben: Dieser
Stephanus sieht eine Wirklichkeit, die ich nicht sehe. Später wird
Paulus selber sagen, dass seine Worte nicht menschliche Klugheit und
schlaue Reden sind, sondern "Erweis von Geist und Kraft" (1 Kor 2,4),
genau das, was er bei Stephanus erlebt hat.
Dann diese Fürbitte des Stephanus: "Herr, rechne ihnen diese Sünde
nicht an!" (Apg 7,60). Ich glaube, diese beiden Elemente, das Zeugnis
des Stephanus und seine Fürbitte, sind ganz entscheidend zur
Vorbereitung für die Bekehrung. Es gibt keine größere Vorbereitung der
Mission als die Hingabe des eigenen Lebens. Das heißt jetzt nicht,
dass wir alle Märtyrer werden müssen. Aber das Geheimnis der Bekehrung
des Paulus ist sicher entscheidend bestimmt durch die Lebenshingabe
des Stephanus, die Sühnehingabe, dass Stephanus sein Leben als Sühne
für seine Feinde hingegeben hat: "Herr Jesus, rechne ihnen diese Sünde
nicht an!" Ich gebe mein Leben für die, die jetzt etwas so Böses tun.
Paulus wird das zutiefst begreifen. Das wird die entscheidende
Verkündigung bei Paulus, die Kraft des Kreuzes. Das wird die Mitte
seiner Predigt, wenn er etwa im 2. Korintherbrief sagt: "Die Liebe
Christi drängt uns …" – ich habe es am Anfang zitiert – "Einer ist für
alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle
gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für
den, der für sie starb und auferweckt wurde" (2 Kor 5,14-15). – Einer
ist für alle gestorben.
An Stephanus hat er es gesehen, nachher
hat er es begriffen. Stephanus hat sein Leben gegeben wie Jesus. Das
ist der Kern der Mission. An Stephanus hat Paulus gesehen und später
auch begriffen, was das Geheimnis Jesu ist. Darum konnte er später
immer sagen, fast könnte man sagen im Blick auf Stephanus: "Ahmt mich
nach!", so wie er an diesem jungen Mann gesehen hat, was Jesus will,
was es heißt, sein Jünger zu sein. Stephanus ist Vorbild der Nachfolge
Christi für Paulus. Hier hat Paulus den Schlüssel bekommen für das,
was Mission ist, natürlich viel Aktivität, viel Verkündigung, viel
Bemühen, Begegnungen, aber im Innersten diese Teilhabe am Kreuz Jesu,
Hingabe mit Jesus.
IV.
Wie kam es also zur Wende im Leben des Saulus? Ich möchte wiederholen,
was in der Apostelgeschichte über die Bekehrung des Paulus geschrieben
ist. Drei Mal wird davon berichtet. Wir kennen alle den Bericht über
seine Bekehrung, wie er am Weg nach Damaskus von einem Licht
überwältigt wird, eine Stimme hört und Jesus zu ihm sagt: "Saul, Saul,
warum verfolgst du mich? … Ich bin Jesus, den du verfolgst" (Apg
9,4-5; 22,7-8; 26,14-15). Wir haben ja Gott sei Dank das Zeugnis des
Apostels selber, wie er von seiner Bekehrung spricht, wie er das
selber erlebt hat. Es gibt eine ganz kurze Variante, wo er sagt: "Ich
habe Jesus gesehen" (1 Kor 9,1). Und dann zählt er die Erscheinungen
Jesu auf, Kephas (Petrus), dann die Zwölf, dann mehr als 500 Brüder
auf einmal, von denen einige schon gestorben sind, danach Jakobus,
dann alle Apostel, und dann sagt er: "Zuletzt von allen ist er auch
mir erschienen, gleichsam einer Fehlgeburt. Ich bin der geringste der
Apostel … denn ich habe die Kirche verfolgt" (1 Kor 15,5-8). Er hat
Jesus gesehen und gehört. Jesus ist plötzlich für ihn der geworden,
den Stephanus gesehen hat, nicht ein Lügner, ein Betrüger, sondern der
Sohn Gottes. An dieser Stelle gebraucht Paulus ein seltsames Wort. Er
sagt: "Jesus hat sich sehen lassen". Er hat sich gezeigt, dem Kephas
und den anderen. "Am Schluss hat er sich mir gezeigt", sichtbar
gemacht. Ganz klar: Die Initiative liegt bei Jesus. Aber wir haben
gesehen: Der Boden ist vorbereitet. Ich denke, für die Mission ist das
ganz wichtig, beides zusammen zu sehen: Die Gnade ist immer voraus.
Nicht wir machen es. Aber es gibt Vorbereitungen.
Was ist der innerste Kern dieses Geschehens? Was ist mit Paulus
passiert? Wir können es in ein Wort fassen: Er ist von Christus
ergriffen. Warum er Missionar geworden ist, warum er Jesus verkündigt
hat, hat nur einen Grund: Er ist von Christus ergriffen. Die Liebe
Christi hat ihn erfasst. Wir werden in der nächsten Katechese schauen,
wie die Mission konkret gelaufen ist, wie er das gemacht hat. Aber
heute geht es zuerst und vor allem um das, was die Mitte ist, die
leidenschaftliche Liebe des Paulus zu Jesus. Ich denke, es war ähnlich
wie bei Maria von Magdala zu Ostern, sie erinnern sich, wie sie ihn
sucht, das Grab ist leer, sie dreht sich um, glaubt, es ist der
Gärtner, fragt ihn: Wo hast du ihn hingelegt? Dann spricht er sie an
und sagt nur: "Maria". Da erkennt sie ihn (Joh 20,15-16). Jesus hat
ihn angesprochen: "Saulus!" Ich glaube, das ist das innerste Geheimnis
der Bekehrung. Jesus hat ihn beim Namen gerufen. So wie Petrus für
sein Leben ein Bekehrter war, weil Jesus ihn nach dem Verrat
angeschaut hat, so muss es für Paulus gewesen sein, dass Jesus auch
ihn angeschaut hat: "Ich habe den Herrn gesehen." Gehört und gesehen,
er hat ihn angesprochen und er hat ihn angeschaut. Das ist der Grund,
warum sein Leben ein grundlegend anderes geworden ist. "Die Liebe
Christi erkennen, die alles Erkennen übersteigt", sagt er einmal (Eph
3,19), darum geht es. Anderswo sagt er: "Ich lebe, doch nicht mehr ich
lebe, Christus lebt in mir. So weit ich jetzt noch im Fleisch lebe" –
also im irdischen Leben – "lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der
mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Gal 2,19-20). Weil ihn
das erfasst hat, deshalb will er es allen weitersagen. Das ist der
Grund der Mission. |