Paulus schreibt an die Gemeinde in
Philippi: "Was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi
Willen als Verlust erkannt. Ja noch mehr: ich sehe alles als Verlust
an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft.
Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um
Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene
Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene,
die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott
aufgrund des Glaubens schenkt. Christus will ich erkennen und die
Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein
Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den
Toten zu gelangen. Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder dass
ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen,
weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin" (Phil 3,7-12).
I.
Warum ich ein zweites Mal Paulus thematisiere in diesen Katechesen
über die Mission? Aus einem ganz einfachen Grund, weil ich letztes Mal
nicht fertig geworden bin. Aber es liegt auch daran, dass es über
Paulus als Missionar so viel zu sagen gibt, so viel kennen zu lernen
gilt, dass auch die zweite Katechese kaum reichen wird. Was will ich
mit dieser Katechese? Paulus hat es oft und oft gesagt: "Ahmt mich
nach" (Phil 3,17), wie auch ich Christus nachahme! Ahmt mich nach.
Aber wenn wir Paulus nachahmen sollen, dann müssen wir ihn kennen. Man
kann nur nachahmen, was man kennt. Ihn besser kennen zu lernen, das
ist das Anliegen dieser Katechese. Nicht dass Sie ihn nicht kennen,
aber vielleicht hilft die Katechese, das eine oder andere noch
deutlicher zu sehen und vor allem, dass das Verlangen wächst, ihn
nachzuahmen. Denn es gibt wohl keinen besseren und stärkeren Patron
für unsere Stadtmission als den großen Missionar, den Apostel Paulus.
"Weil ich von Christus ergriffen worden bin", das ist die feste
Überzeugung, das ist sozusagen der Impetus, von dem Paulus ausgeht,
der ihn bewegt. Die Liebe Christi drängt ihn, weil er von Christus
ergriffen ist. Diese Gewissheit kommt immer wieder zum Ausdruck, so
etwa in der großen Stelle im Römerbrief, wo er seine Gewissheit uns
sagt, dass nichts, nichts uns scheiden kann von der Liebe Christi:
"Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns,
wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont,
sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht
alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist
es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der
gestorben ist, mehr noch: der auferweckt worden ist, sitzt zur Rechten
Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns scheiden von der Liebe
Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte,
Gefahr oder Schwert? … All das überwinden wir durch den, der uns
geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel
noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der
Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von
der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm
8,31-35.37-39). Die Liebe Christi drängt uns also zur Mission. Sie
drängt uns, anderen zu sagen, wie groß die Liebe Christi zu allen
Menschen ist. Aber diese Liebe hat eine ganz konkrete Gestalt. Paulus
will nicht irgendeine abstrakte Liebe verkünden, sondern die
gekreuzigte Liebe. Den Korinthern sagt er, dass er unter ihnen
niemanden anderen, nichts anderes kennen will, "als Christus und zwar
den Gekreuzigten" (1 Kor 2,2). Aber was heißt das für die Mission,
wenn der Gekreuzigte die Mitte ist? Paulus liegt das so am Herzen,
dass er einmal den Philippern sagt, dass es "unter euch einige gibt,
die als Feinde des Kreuzes Christi leben". Paulus sagt, er spricht
davon "unter Tränen" (Phil 3,18). Er hat große Sorge, dass das Kreuz
nicht entleert wird, dass das Wort vom Kreuz nicht die Mitte ist. Er
weiß natürlich, es ist den Juden ein Ärgernis, den Heiden, den
Griechen, eine Torheit (1 Kor 1,23). Er weiß selber, wie sehr ihm das
Kreuz ein Ärgernis war. Aber er hat erkannt, dass das Kreuz Gottes
Kraft und Weisheit ist (1 Kor 1,24). Deshalb will er unter den
Korinthern und unter uns allen nur Jesus Christus als den Gekreuzigten
kennen. Aber was heißt das für die Mission? Was heißt das für unsere
Stadtmission? Bei den Volksmissionen wurde früher immer das
Volksmissionskreuz mit einem Datum versehen, wann die letzte
Volksmission stattgefunden hat. Wir wollen heute versuchen, bei Paulus
nachzufragen, was das bedeutet für ihn, das Kreuz in der Mitte.
Irgendwie hat man den Eindruck, dass ist ja nicht eine Perspektive,
die die Menschen einfach begeistert, wenn man mit dem Kreuz kommt. Und
doch, ohne das Kreuz wäre Paulus nicht der, der er ist.
II.
So möchte ich beginnen mit einer großen Vision. Wie hat Paulus seine
Mission verstanden? Sicher nicht als privates Anliegen, etwas was nur
er betreibt, was seine Idee ist, sondern er hat es in der großen
Vision des Alten Testaments gesehen, der Propheten, vor allem des
Propheten Jesaja. Als Paulus auf dem Weg nach Damaskus Christus
begegnet ist, dem Licht Christi, dem Licht des Messias, da ist ihm
aufgeleuchtet, dass die großen Prophetien des Alten Testaments sich
jetzt verwirklichen. Und er hat selber gesehen, dass er mitten hinein
gestellt ist in diese große Vision der Propheten. So lesen wir etwa
bei dem Propheten Jesaja, zwei Texte, die wir immer wieder hören, vor
allem im Advent, einen vom Anfang des Propheten Jesaja und einen vom
Schluss, beide mit einer ganz großen Vision der Mission. Im zweiten
Kapitel heißt es: "Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit
dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge." - Der
Zionsberg ist gemeint. - "Er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle
Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir
ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er
zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von
Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort. Er spricht
Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann
schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus
ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und
übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen
unsere Wege gehen im Licht des Herrn" (Jes 2,2-5).
Paulus dürfte in diesem großen Text, in dieser großen Vision des
Propheten eine Ankündigung dessen gefunden haben, was die Mission für
ihn selber und für die Kirche bedeutet. Zweierlei wird da gesagt:
Erstens ist das jüdische Volk das erwählte Volk aber nicht für sich
alleine, sondern für alle Völker, einmal werden alle Völker
zusammenströmen und im Licht des Herrn, im Licht seiner Weisung
wandeln. Schon zu Abraham hatte Gott gesagt: "Durch dich werden alle
Völker, alle Geschlechter der Erde Segen erlangen" (Gen 12,3). Die
Weltmission ist also nicht erst mit den Christen gekommen, sondern sie
ist Auftrag des alttestamentlichen Gottesvolkes, des erwählten Volkes,
das von Anfang an für alle Völker da war. Die christliche Mission ist
nur zu verstehen, wenn man sie in dieser großen Vision des Propheten
im Alten Testament sieht. Dieses kleine Volk, dieses unscheinbare
kleine Volk soll Bote Gottes für alle Völker sein. Vom Zion geht die
Weisung aus für alle Völker. Gottes Licht geht durch dieses Volk an
alle Völker. Nur von daher verstehen wir, dass Jesus anknüpfend an
diese große Vision seinen Aposteln den Auftrag gegeben hat: "Geht zu
allen Völkern und macht alle Völker zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Die
Mission ist also nicht eine neue Idee, sondern sie bekommt eine neue
Mitte in Jesus Christus. Aber Paulus wusste schon vom Alten Testament
her, dass einmal alle Völker von Gott versammelt werden sollen durch
das eine erwählte Volk.
Ein zweites: Das jüdische Volk wusste sehr gut, und die Propheten
haben es ihm immer in Erinnerung gerufen: Wenn ihr diese universale
Sendung habt, dann müsst ihr auch dieser Sendung gemäß leben. "Ihr vom
Haus Jakob kommt, wir wollen unseren Weg gehen im Licht des Herrn",
sagt der Prophet (Jes 2,5). Leben nach der Weisung Gottes, nach seinem
Gesetz, das ist Teil der Mission. Das jüdische Volk hat das schon sehr
früh erfahren, als es begonnen hat, zerstreut zu werden unter die
Völker. Die so genannte Diaspora bedeutet, nicht mehr nur im Heiligen
Land zu leben, sondern unter die Völkern zerstreut. Israel hat den
Auftrag bekommen, den Namen Gottes unter die Völker zu tragen, dass
der Name Gottes allen Völkern bekannt wird. Die jüdische Diaspora und
die vielen jüdischen Gemeinden, in Ost und West, in Nord und Süd,
waren bereits ein Teil dieser großen Missionsvision der Propheten. Der
Name Gottes sollte unter die Völker gebracht werden durch die Juden,
die unter den Völkern leben. Nicht so sehr, dass sie direkt
missionarisch waren, sicher nicht so missionarisch, wie die
christlichen Gemeinden es dann waren, aber sie haben doch Menschen
angezogen. Wir hören immer wieder von den so genannten Proselyten, die
angezogen waren von der Lebensweise der jüdischen Gemeinden, die Gott
durch das Leben der Juden kennen gelernt haben und sich dann selber
zum jüdischen Glauben bekehrt haben. Oder es gab um die jüdischen
Gemeinden die so genannten "Gottesfürchtigen", die Heiden blieben aber
gewissermaßen Sympathisanten waren. Im Grunde ist das bis heute so
geblieben. Unsere christlichen Gemeinden leben heute gerade in der
Großstadt mehr und mehr in einer Art Diaspora, kleine Minoritäten in
der großen Stadt. Die erste und grundlegendste Form der Mission ist,
wie damals schon im Alten Testament, einfach das Dasein dieser
Gemeinden und das Zeugnis, das sie geben durch ihr Leben. Das
erfordert freilich, dass sie sich dessen bewusst sind, dass wir als
christliche Gemeinden die Verantwortung haben, dass der Name Gottes
bekannt wird, dass Christus bezeugt wird durch unser Leben. Diese
universale Perspektive war also schon im Alten Testament und schon für
den jüdischen Glauben vertraut. Sie ist im innersten des jüdischen
Glaubens: Gott will sein Licht, seine Offenbarung, seine Weisung zu
allen Völkern bringen durch das eine erwählte Volk.
Der zweite Text, wieder vom Propheten Jesaja, steht ganz am Schluss
des Jesaja-Buches, im allerletzten Kapitel. Diesen Text hatte Paulus
im Herzen, als er sich selber aufmachte, um Missionar zu werden. Dort
heißt es: "Ich komme" - spricht Gott - "um die Völker aller Sprachen
zusammenzurufen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen.
Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die
entronnen sind, zu den übrigen Völkern …" Dann kommt eine lange Liste
von Völkern, zu denen Gott seine Boten schicken wird, bis "zu den
fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit
noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den
Völkern verkünden." Jetzt achten Sie auf dieses Wort, dass der hl.
Paulus aufgreifen wird: "Sie werden aus allen Völkern eure Brüder als
Opfergabe für den Herrn herbeiholen auf Rossen und Wagen, in Sänften,
auf Maultieren und Dromedaren, her zu meinem heiligen Berg nach
Jerusalem, spricht der Herr" (Jes 66,18b-20).
Es mag etwas befremdlich klingen, aber Paulus sagt etwas ganz
Ähnliches. Auch er bekommt Weisung für sein Leben gleich nach seiner
Bekehrung, in der Apostelgeschichte lesen wir das. Hananias in
Damaskus ist ganz erschrocken: Dieser Saulus verfolgt uns doch und
jetzt soll ich zu ihm hingehen und ihm die Hände auflegen? Da sagt
Jesus zu Hananias in einer Vision: "Dieser Mann [Saulus] ist mein
auserwähltes Werkzeug: Er soll meinen Namen vor Völker und Könige und
die Söhne Israels tragen. Ich werde ihm auch zeigen, wie viel er für
meinen Namen leiden muss" (Apg 9,15-16). Paulus soll also den Namen
Jesu vor Völker und Könige tragen. Genau so hat Paulus sofort seinen
Dienst verstanden, ist nicht in Damaskus oder in Jerusalem sitzen
geblieben, sondern nach einer Zeit der Prüfung, nach einer Zeit des
Zuwartens ist er hinaus und wirklich zu allen Völkern in die damalige
Welt gegangen, um den Namen Jesu vor Völker und Könige zu bringen.
Paulus hat also diese große Vision, dass sein Verkündigungsdienst,
seine Mission den Namen Jesu zu allen Völkern bringen soll. Am Ende
des Römerbriefs nimmt Paulus dieses Wort vom Propheten Jesaja auf und
sagt: "Mir ist die Gnade von Gott gegeben worden, damit ich als Diener
Christi Jesu" - wörtlich sagt er: als "Liturge Christi Jesu" - "für
die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte,
denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt,
geheiligt im Heiligen Geist" (Röm 15-16). Diese Vision mag uns ein
bisschen fremd und seltsam erscheinen, aber horchen wir ein wenig
hinein.
III.
Was Paulus macht mit seiner Verkündigung, wenn er das Evangelium
hinausträgt, das ist wirklich Gottesdienst. Wenn er Menschen zum
Glauben führt, dann ist es genau das, was der Prophet Jesaja geschaut
hat: dass die Völker wie eine Opfergabe zu Gott gebracht werden, dass
Menschen wie eine Gabe zu Gott gebracht werden durch den
priesterlichen Dienst des Apostels. Paulus hat also, wenn man sich das
vorstellt, eine ungeheure Hoffnung, eine Hoffnung, die eigentlich
menschlich gesehen ganz unmäßig ist. Wie soll dieses kleine Volk der
Juden alle Völker erreichen? Und erst recht: Wie soll dieser Apostel
zu allen Völkern und Nationen gehen und dort den Namen Jesu
hinbringen, um die Völker dann Gott zurückzubringen als Opfergabe?
Aber wir müssen noch ein Stück tiefer hinein gehen in diese aufs erste
gesehen befremdliche Vision, denn sie steht für Paulus ganz eng in dem
Zusammenhang mit dem tiefen Schmerz über sein eigenes Volk. Paulus hat
tief darunter gelitten, dass seine Volksgenossen, die Juden, nicht wie
er Jesus als Messias erkannt haben, dass sie ihn abgelehnt haben, so
wie Paulus es ja selber getan hat, entschieden und kämpferisch. Es
stellt sich ihm die Frage: Was ist da geschehen? Warum hat das
jüdische Volk, warum hat mein Volk die Stunde nicht erkannt, die Gott
ihm geschenkt hat, mit Jesus seinem Sohn? Als Paulus auf dem Weg nach
Damaskus Jesus begegnet war, da brannte in ihm die Frage: Warum haben
die anderen diese Gnade nicht? Warum sind die Herzen vieler meiner
Volksgenossen verblendet und verhärtet gegenüber Jesus, dem Christus?
Er hat eine Antwort gefunden. Diese Antwort erklärt uns, warum Paulus
ein so leidenschaftlicher Missionar geworden ist. Im Römerbrief sagt
er: "Ihr sollt dieses Geheimnis wissen, Brüder: Verstockung liegt auf
einem Teil Israels, so lange, bis die volle Zahl der Heiden das Heil
erlangt hat. Dann wird auch ganz Israel gerettet werden" (Röm
11,25-26).
Paulus hat also die Hoffnung, dass sich diese große Vision erfüllt,
einmal werden alle Völker kommen, werden Gott erkennen. Und jetzt weiß
er nicht nur: Sie werden Gott erkennen, sie werden Jesus Christus
erkennen, und dann, wenn das geschehen ist, wird auch "mein Volk", das
jüdische Volk, schließlich und endlich Jesus als den Messias erkennen.
Eine ungeheure Hoffnung bewegt Paulus. In dieser Hoffnung fängt er an,
durch Kleinasien, dann durch Europa und schließlich will er bis nach
Spanien gehen, bis an die damaligen Grenzen der Erde, um überall den
Heiden Jesus zu verkünden, damit die Heiden zu Gott finden und dann
schließlich, wenn alle Heiden zu Gott gefunden haben, zu Christus,
dann werden auch die Juden, seine Volksgenossen heimkehren zum
Messias, zu Christus.
Das mag alles etwas überraschend klingen, aber es ist wirklich die
Vision, die der Apostel hat. Und mir wäre das ganze nicht so brennend
im Herzen, wenn ich nicht selber in den letzten Jahren und vor allem
in den letzten Wochen und Tagen dieser Wirklichkeit in ganz neuer
Weise begegnet wäre durch die Wirklichkeit, die immer deutlicher wird:
die Messianischen Juden. Es gibt im jüdischen Volk, ich sage es mit
großer Behutsamkeit, weil es wirklich geheimnisvoll ist, im wachsenden
Maß Juden, Tausende, Zigtausende, die sich zu Jesus als Messias
bekennen, die zur Erkenntnis kommen, dass wirklich Jesus von Nazaret
der Messias, der Sohn Gottes ist. Ich hatte immer wieder in den
letzten Jahren Gelegenheit mit solchen jüdischen Brüdern und
Schwestern zu reden und ihr Zeugnis zu hören, wie sie Christus
begegnet sind. Man kann, wenn man diese Erfahrungen hört, ein wenig
ahnen, welche ungeheure Sehnsucht im Herzen des Paulus gelebt hat,
sozusagen möglichst schnell allen Heiden das Evangelium zu bringen,
damit möglichst schnell auch sein eigenes Volk den Messias erkennt.
IV.
Eine große Vision kann natürlich leicht eine Illusion sein, eine
Täuschung, eine Phantasie. Deshalb die Frage: Wie hat den Paulus das
konkret umgesetzt? Wie hat Paulus das in seinem Alltag gelebt? Das
muss ja übersetzt werden in die Wirklichkeit. Wie ist er also
hinausgegangen um zu missionieren? Gleich nach seiner Bekehrung heißt
es: "Sogleich verkündete [Saulus] Jesus in den Synagogen und sagte: Er
ist der Sohn Gottes" (Apg 9,20). Paulus dürfte einige Zeit in Arabien
verbracht haben, wie er selber sagt (Gal 1,17); wir wissen nichts über
diese Zeit: War es eine Zeit der Stille, der Zurückgezogenheit, der
Verborgenheit?; dann einige Zeit in Tarsus, in seiner Heimat.
Schließlich holt ihn Barnabas nach Antiochia und dort beginnt seine
große Missionstätigkeit, dort, wo die Jünger Jesu zum ersten Mal
Christen genannt wurden (Apg 11,25-26). Wie hat Paulus missioniert?
Ich möchte drei Elemente nennen, natürlich viel zu kurz und
zusammengefasst. 1) Er hat immer einen Anknüpfungspunkt gesucht. Das
ist bis heute so. Bei der Mission muss man einen Anknüpfungspunkt
haben. Der normale Anknüpfungspunkt für ihn waren die jüdischen
Gemeinden, die es überall damals gab, in vielen Städten und größeren
Gemeinden. Dieses Netz der jüdischen Gemeinden war ein erster
Anknüpfungspunkt. Dort konnte er seine Botschaft zuerst einmal in den
Kreis seiner jüdischen Volksgenossen bringen, etwa wenn es von seiner
ersten Missionsreise nach Zypern heißt: "Als sie in Salamis angekommen
waren, verkündeten sie das Wort Gottes in den Synagogen der Juden"
(Apg 13,5). Wie sah das konkret aus? Paulus ist ausgegangen vom Wort
Gottes, das gelesen wurde, hat es ausgelegt und gezeigt, dass diese
Verheißungen des Alten Testaments in Jesus ihre Erfüllung bekommen
haben. Was geschieht? Sein Wort löst Zustimmung und Widerspruch aus.
Es kommt überall, wo er hinkommt, zur Scheidung. Das wird sein großes
Kreuz, sein großes Leid sein. Er ist ein Zeichen, dem widersprochen
wird. Überall, wo er Christus verkündet, kommt es zur Zustimmung,
Leute schließen sich ihm an, bilden mit ihm Gemeinden. Und die, die es
ablehnen, werden sehr oft seine Verfolger, bis hin zu Steinigung,
Schlägen, Gefängnis und schweren Verfolgungen. Was macht Paulus, wenn
er sich den Heiden zuwendet? Da ist die Frage: Wo hat er eine
gemeinsame Basis? Es gibt eine köstliche aber auch dramatische Szene,
wie Paulus mit seinem Begleiter Barnabas in eine Stadt namens Lystra
kommt. Sie heilen dort einen Gelähmten und die heidnische Bevölkerung
glaubt, die Götter sind unter sie gekommen, Zeus und Hermes. Sie
wollen ihnen Opfer darbringen. Paulus ist entsetzt, springt unter die
Menschen und sagt: Um Gottes willen, wir sind nur Menschen wie ihr,
wir sind keine Götter (Apg 14,8-15). Was tut er? Er sagt kein Wort
über Jesus. Auffallend in diesem 14. Kapitel der Apostelgeschichte:
kein Wort von Jesus, nur: Glaubt an Gott, den Schöpfer -
Anknüpfungspunkt, ich glaube auch heute. Vielfach ist das Neuheidentum
so stark, dass man die Verkündigung Jesu Christi gar nicht beginnen
kann, wenn nicht zuerst der einfache Glaube an Gott da ist. Erst wenn
der Glaube an Gott da ist, kann auch Christus verkündigt werden.
Eine weitere Erfahrung macht Paulus ein wenig später in Athen. Dort
versucht er, nicht beim Schöpfer anzuknüpfen sondern bei der Kultur,
auch das eine Erfahrung, die wir heute durchaus kennen. In Athen macht
er so etwas wie Straßenmission. Auf dem Markt von Athen spricht er die
Leute einfach an. Weil man in Athen interessiert ist an allen
Neuigkeiten, lädt man ihn ein und sagt, er soll auf den Marktplatz,
auf die Agora kommen und dort erzählen, was er denn für eine Lehre zu
verbreiten hat. Paulus versucht, ihnen ausgehend von ihrer Kultur zu
sagen, was er ihnen zu sagen hat. Aber der Erfolg ist sehr gering,
denn als es ernst wird, als er ihnen sagt, worum es wirklich geht,
nämlich dass Jesus gestorben und auferstanden ist, da lachen die Leute
über ihn und sagen: "Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hören"
(Apg 17,16-34; Zitat V. 32).
Was ich jetzt ganz kurz zusammengefasst habe, drei Anknüpfungspunkte:
Bei denen, die das Wort Gottes als Grundlage haben, kann von der Bibel
ausgegangen werden, bei den Juden; bei denen, die nicht einmal an Gott
glauben, geht Paulus von einer ganz einfachen Verkündigung des
Schöpfers aus, "an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde" zu
glauben; und in Athen versucht er es mit der damaligen Kultur,
ausgehend von den Dichtern, den Philosophen der Griechen, Menschen für
das Evangelium aufzuwecken. Wenn man sich das näher anschaut, dann
stellt man fest: Wirklich erfolgreich war nur die Verkündigung des
Kreuzes. Als Paulus von Athen wegging, dort hatte er wirklich wenig
Erfolg, ein paar Leute nur haben sich ihm angeschlossen, ging er nach
Korinth. Er hatte aus dieser Erfahrung gelernt: "Unter euch wollte ich
nichts anderes wissen als Jesus Christus und zwar den Gekreuzigten" (1
Kor 2,2). Er sagt ausdrücklich: Die Torheit des Kreuzes will ich euch
verkünden, das ist die Weisheit Gottes. In Korinth ist eine große
Gemeinde entstanden, in Athen nicht.
Das macht uns nachdenklich auch für die Frage, wie wir Mission zu
verstehen haben. Anknüpfungspunkte sind wichtig, aber noch wichtiger
ist die Torheit des Kreuzes, das Evangelium sozusagen in seiner
starken und zu Herzen gehenden Form, die Verkündigung der Liebe
Christi, die bis zum Kreuz geht. Von daher verstehen wir auch, warum
Paulus als den innersten Kern seiner Mission eben die Liebe Christi
genommen hat. Nicht die Methode ist wichtig, sondern die Liebe
Christi. Er sagt es den Korinthern in einem wunderbaren Wort: "Ich
habe mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu
gewinnen. Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen;
denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter
dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen,
die unter dem Gesetz stehen. Den Gesetzlosen war ich sozusagen ein
Gesetzloser - nicht als ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an
das Gesetz Christi -, um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen
wurde ich ein Schwacher, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich
alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich
um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben" (1 Kor
9,19-23). Für mich ist dieses Wort: "Allen bin ich alles geworden, um
möglichst viele zu gewinnen", die Art und Weise, wie Paulus anknüpft.
Das ist die richtige Anpassung, nicht eine Gleichmacherei, sondern die
Liebe drängt Paulus, zu jedem dorthin zu gehen, wo er steht. Es ist
keine schlaue List, sondern von Herzen kommende Zuwendung: "Die Liebe
Christi drängt mich."
2) Ein zweites gehört wesentlich zur Mission. Auch das macht uns ein
wenig Kopfzerbrechen. Paulus sagt immer wieder: "Das, woran man den
Apostel erkennt, wurde mit großer Ausdauer unter euch vollbracht:
Zeichen, Wunder, machtvolle Taten" (2 Kor 12,12). Paulus hat sein Wort
durch Zeichen bestätigt, oder genauer: Gott hat sein Wort durch
begleitende Zeichen bestätigt. Paulus hat Wunder gewirkt, er hat Tote
auferweckt, Kranke geheilt, einen Gelähmten, wir haben es eben in
Lystra gesehen, einen dramatischen Schiffbruch hat er erlebt und da
sind manche Wunder geschehen. Immer wieder wird von Heilungen
berichtet. Wie steht es mit solchen Zeichen heute? Ich glaube, wenn es
heute nicht solche Zeichen gäbe, dann wäre unsere Verkündigung nicht
glaubwürdig. Diese Zeichen sind zwar nicht ein Beweis für den Glauben,
aber wenn es sie nicht gäbe, dann wäre doch die Glaubwürdigkeit des
Evangeliums sehr in Frage gestellt. Für jede Heiligsprechung braucht
es Wunder, und es gibt sie. Nicht nur in Lourdes, es gibt sie auch in
Wien, die stillen, die weniger bekannten, verborgenen Wunder der
Gnade. Ohne solche Erfahrungen wäre die Verkündigung, die Mission wohl
nicht wirklich glaubwürdig.
3) Mission ist untrennbar verbunden mit dem Kreuz. Paulus hat immer
wieder seinen Gemeinden von seiner Leidenserfahrung gesprochen, nicht
um sie zu bestürzen, nicht um ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen,
sondern um ihnen zu sagen, wie intensiv seine Teilnahme am Weg, am
Leiden, am Leben Christi ist. Ich möchte Ihnen das kurz vorlesen, die
so genannte Narrenrede, wo Paulus sagt, was er alles auf sich genommen
hat, um des Evangeliums willen. Den Korinthern, mit denen er so viele
Sorgen und so viele Nöte gehabt hat, schreibt er: "Womit aber jemand
prahlt - ich rede jetzt als Narr -, damit kann auch ich prahlen. Sie
[die Gegner] sind Hebräer - ich auch. Sie sind Israeliten - ich auch.
Sie sind Nachkommen Abrahams - ich auch. Sie sind Diener Christi -
jetzt rede ich ganz unvernünftig -, ich noch mehr: Ich ertrug mehr
Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in
Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Hiebe;
dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich
Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. Ich war
oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber,
gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in
der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet
durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte
viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und
Blöße. Um von allem andern zu schweigen, weise ich noch auf den
täglichen Andrang zu mir und die Sorge für alle Gemeinden hin. Wer
leidet unter seiner Schwachheit, ohne dass ich mit ihm leide? Wer
kommt zu Fall, ohne dass ich von Sorge verzehrt werde? Wenn schon
geprahlt sein muss, will ich mit meiner Schwachheit prahlen. Gott, der
Vater Jesu, des Herrn, er, der gepriesen ist in Ewigkeit, weiß, dass
ich nicht lüge" (2 Kor 11,21b-31).
Das Kreuz im Leben des Paulus, viel wäre darüber zu sagen: das Leiden
an den Konflikten, wie viele Konflikte hat Paulus durchzustehen
gehabt; die Verdächtigungen, weil er doch ehemals ein Verfolger war;
der Neid auf seinen Erfolg als Missionar; die Konflikte bis hinein in
den engsten Kreis mit Petrus, damals in Antiochien (Gal 2,11-21), mit
Barnabas, von dem er sich trennt in einem sehr schmerzlichen Konflikt
(Apg 15,36-41); und vor allem die Sorge um die Gemeinden. In jedem der
Briefe spürt man, wie Paulus brennt vor Sorge für seine Gläubigen, die
frisch Bekehrten, die oft noch so schwach auf ihren Beinen stehen und
denen er das Abc des christlichen Lebens erst beibringen muss.
Es wäre jetzt schön, wenn wir noch etwas über die Gemeinden sagen
könnten, wie Paulus seine Mission verstanden hat als das Bilden von
Gemeinden. Denn nachhaltig wird die Mission erst, wenn Gemeinden
entstehen. Wie sehr er um die Gemeinden gesorgt hat, zeigen die
Briefe, wenn er etwa den Thessalonichern sagt: "Wie eine Mutter für
ihre Kinder sorgt, so waren wir euch zugetan und wollten euch nicht
nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem
eigenen Leben" (2 Thess 2,7-8).
Kommen wir zum Schluss. Hat Paulus seine Vision verwirklicht, diese
große Vision, dass die Völker durch ihn das Evangelium bekommen? Als
er im Gefängnis in Rom war, musste er feststellen, dass vieles
Stückwerk geblieben ist. Seinem Schüler Timotheus sagt er: "Die Zeit
meines Aufbruchs ist nahe." Bald werde ich aufgelöst, das heißt
sterben. Aber, fügt er hinzu: "Ich habe den guten Kampf gekämpft, …
den Glauben bewahrt. Jetzt harrt meiner der Siegeskranz" (2 Tim
4,6-7). Am Schluss steht nicht Enttäuschung, dass das, was er gemacht
hat, so Stückwerk geblieben ist, sondern am Schluss steht die
Überzeugung: Das letzte und größte, was er für die Mission tun kann,
ist die Hingabe seines Lebens. Wir glauben als Christen, die größte
Fruchtbarkeit der Mission ist das Martyrium. Die Märtyrer haben die
Kirche weitergebracht, obwohl es menschlich schien, dass sie
gescheitert sind.
Wir sind letztes Mal vom 2. Korintherbrief ausgegangen von der Stelle,
wo Paulus sagt: "Die Liebe Christi drängt uns." Warum drängt ihn die
Liebe Christi? Er sagt es: "Einer ist für alle gestorben. Er ist für
alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich, sondern für
den leben, der für sie starb und auferweckt wurde" (2 Kor 5,14-15).
Aus dieser Gewissheit hat Paulus seine Mission betrieben: Die Liebe
Christi drängt uns. Wenn auch alles Stückwerk geblieben ist und er nur
kleine Gemeinden gründen konnte, so hat er doch die Liebe Christi in
gewisser Weise in die ganze Welt hinausgetragen, letztlich durch die
Hingabe seines Lebens mit Christus. Das gilt wohl auch für unsere
Stadtmission. Wir werden nicht die ganze Stadt umkrempeln, aber wenn
die Liebe Christi uns drängt, dann wissen wir, sie gilt jedem
Menschen, jedem Menschen in dieser Stadt. Sie wird sicher auch zu
jedem Menschen kommen, durch uns oder auf anderen Wegen. Sicher ist
die Liebe Christi jedem Menschen in dieser Stadt zugesagt. In dieser
Gewissheit dürfen wir auch das Stückwerk der Mission auf uns nehmen,
auch wenn nicht alles so gelingen wird, wie wir es vielleicht in einer
großen Vision uns erhoffen. |