I.
Am 22. Oktober 2003 wird es 25 Jahre her sein, dass Papst Johannes
Paul II. sein Amt als Bischof von Rom, als Nachfolger des Apostels
Petrus begonnen hat. Der 22. Oktober 1978 war in diesem Jahr der
"Weltmissionssonntag" - Zufall oder himmlische Regie? Der Papst hat
darin die himmlische Regie gesehen. Er hat gleich zu Beginn seines
Pontifikats, an diesem 22. Oktober 1978, folgendes gesagt: "Gerade
heute feiert die gesamte Kirche den Weltmissionssonntag. Sie betet,
betrachtet, handelt, damit Christi Worte des Lebens alle Menschen
erreichen und sie von ihnen aufgenommen werden als Botschaft der
Hoffnung, des Heils, der totalen Befreiung" (Wort und Weisung, 1978,
77). Rein von außen gesehen hat der Papst dieses Programm unglaublich
erfüllt, wenn wir in die Tiefe blicken noch mehr. Rein äußerlich
gesehen:
Zur Zeit befindet sich der Papst mit
seinen bald 83 Jahren auf seiner 99. Auslandsreise in Spanien, zum
Pfingstfest will er seine 100. Auslandsreise nach Kroatien
unternehmen. Dann folgt am 22. Juni die 101. Auslandsreise nach Banja
Luka in Bosnien, wo er übrigens eine ganz wunderbare Gestalt, einen
wahren christlichen Europäer selig sprechen wird. Dr. Ivan Merz, hieß
der junge Mann, 1928 32jährig gestorben, eine jüdische ungarische
Mutter, ein tschechischer Vater, in Banja Luka geboren, in Wien
studiert und dann in Paris, an der Sorbonne sein Doktorat gemacht, hat
er in Kroatien, vor allem in Zagreb, die Katholische Jugend aufgebaut,
starb mit 32 Jahren, durchaus vergleichbar der so faszinierenden
Gestalt des sel. P. Giorgio Frasati oder des sel. Frédéric Ozanam. Das
wird am 22. Juni sein. - Ich denke, das sei nebenbei gesagt aber gar
nicht nebensächlich, wir sollten uns diese Gestalt des Ivan Merz näher
ansehen, der in Wien, hier an unserer Universität studiert hat und der
so eine überaus leuchtende Gestalt, ein wirklicher Europäer und ein
wirklicher, vorbildlicher junger Christ war. - Im übrigen will der
Heilige Vater dann im Sommer, im August in die Mongolei reisen. Im
September will er in die Slowakei, ganz in unsere Nachbarschaft,
kommen. Er ist unermüdlich.
Übrigens hat der Papst immer wieder begründet, warum er das macht.
Manche meine, das sei einfach Reiselust. Wenn man ihn heute bei seinen
Reisen sieht, ist es sicher nicht mehr einfach Reiselust. Es macht ihm
aber Freude in einem tieferen Sinn. Es ist eine ganz offensichtliche
tiefe geistliche Freude für ihn, bei allen Strapazen, die es bedeutet,
das auf sich zu nehmen. Ich lese Ihnen ein Text aus dem Jahr 1981 vor,
aus seinem dritten Papstjahr, wo er schon einige Reisen hinter sich
hatte, viel weniger als heute, wo er sehr genau definiert, was für ihn
Mission ist und warum diese Reisen in seinem Missionskonzept so eine
wichtige Rolle spielen. Er sagte damals, am Weltmissionssonntag 1981:
"Es ist die Aufgabe des Papstes, alle seine Brüder und Schwestern in
Christus an diese missionarische Verpflichtung zu erinnern. Als
oberster Hirte einer insgesamt missionarischen Kirche muss er selbst
der erste Missionar sein, muss sich bemühen, das Beispiel Christi, des
'ersten und größten Künders des Evangeliums’ (Evangelii nuntiandi 7)
nachzuahmen und sich der Führung des Heiligen Geistes, der
‚Hauptantriebskraft der Evangelisation’ (ebd. 75) zu unterstellen."
Klares Programm: Der Papst muss in einer missionarischen Kirche der
erste Missionar, der erste Künder des Evangeliums sein unter der
Leitung Christi und des Heiligen Geistes. Dann sagt er: "Von Beginn
meines Pontifikats an habe ich über die Worte des II. Vatikanischen
Konzils nachgedacht, das dem Nachfolger Petri ‚das hohe Amt, den
christlichen Namen auszubreiten, in besonderer Weise übertragen ist’
(Lumen gentium 23; vgl. Evangelii nuntiandi 67).
Dem Beispiel meines Vorgängers Paul VI.
folgend, habe ich mich auf Reisen begeben, um zahlreiche Länder zu
besuchen, darunter einige, in denen Christus kaum bekannt oder die
missionarische Verkündigung des Evangeliums noch nicht vollendet ist."
- Denken Sie an seine Reise nach Aserbaidschan 2002 oder seine Reise
nach Khartum im Sudan, mitten in islamisches Gebiet, oder nach
Marokko, auf Einladung des Königs, wo er vor 80.000 jungen Moslem
gesprochen hat.
- Er sagt weiter: "Meine Reisen nach
Lateinamerika, Afrika und Asien hatten ‚eine eminent religiöse und
missionarische Zielsetzung’. … Ich wollte selbst das Evangelium
verkünden und in gewisser Weise zum reisenden Katecheten werden. Und
ich wollte alle ermutigen, die im Dienst des Evangeliums stehen, ob
sie nun aus den betreffenden Ländern selbst kommen oder aus anderen,
um sich in den Dienst einer Ortskirche zu stellen. […] Der Kontakt mit
den Massen von Menschen, die Christus noch nicht kennen, hat mich noch
mehr als zuvor von der Dringlichkeit der Verkündigung des Evangeliums
überzeugt. Die Welt braucht Christus so sehr!" (Botschaft zum
Weltmissionssonntag 1981; Wort und Weisung, 1981, 567f.).
So möchte ich in dieser letzten Katechese vor der Stadtmission mit der
Betrachtung Johannes Pauls II. als Missionar abschließen, nachdem wir
Maria, die Apostel, Paulus und die kleine hl. Theresia als Missionare
betrachtet haben, alle in der Nachfolge des einen und ersten
Missionars, den der Vater gesandt hat, Jesus Christus. Ich möchte auch
versuchen, ein wenig das Geheimnis zu ergründen, warum die Wirksamkeit
des Papstes, seine Initiativen, seine Sicht der Evangelisierung
offensichtlich eine solche Strahlkraft haben und das bis heute
unvermindert, unbeschadet des Alters, der Gebrechlichkeit.
Er ist zweifellos ein unvergleichlich
missionarischer Papst. Ich möchte die Katechese in zwei Teile
einteilen. Im ersten Teil möchte ich sieben Motive nennen, die den
"ersten Verkünder des Evangeliums", den Missionar der Missionare
bewegen, seine Pilgerreisen, Missionsreisen,
Evangelisierungsbemühungen zu unternehmen. Dann möchte ich in einem
zweiten Teil ein wenig hineinschauen in die große Missionsenzyklika,
die er am 7. Dezember 1990 veröffentlicht hat, Redemptoris missio -
die Sendung des Erlösers.
II.
Beginnen wir mit den Motiven. Was bewegt den Papst, diese
unglaublichen, unermüdlichen Initiativen der Mission, der
Evangelisierung zu setzen? (Ich gebrauche jetzt die Worte Mission und
Evangelisierung ein bisschen durcheinander, man müsste sie genauer
unterscheiden, aber es fließt doch beides ineinander über.)
1. Der Papst will die Ortskirchen stärken. Schon 1980 hat er gesagt:
"Diese Reisen sind Besuche bei den einzelnen Ortskirchen und dienen
dazu, den Platz aufzuzeigen, den diese im Gesamtraum der Kirche
innehaben, und die besondere Rolle zu unterstreichen, die diese
Ortskirchen beim Aufbau der Weltkirche, der Universalität der Kirche
besitzen … jede Reise [ist] eine echte Pilgerfahrt zum lebendigen
Heiligtum des Volkes Gottes." Was heißt das für uns, für die
Stadtmission? Was heißt es, dass der Papst dreimal schon Pilgerfahrten
nach Österreich unternommen hat? Ich sehe die Stadtmission in dieser
Perspektive: Stärkung, Ermutigung der Ortskirche. Aber gleichzeitig,
wie der Papst sagt, macht es uns bewusster, dass wir auch in der
Weltkirche eine Rolle haben, dass man nie nur für seine Ortsgemeinde
Christ ist, immer in Verbindung mit der Weltkirche.
Das wird sich sehr eindrucksvoll beim
Kongress zeigen, der am 23. Mai 2003 beginnt. Sogar aus Australien hat
sich eine ganze Delegation gemeldet, natürlich aus den drei
europäischen Hauptstädten, die mit in das Projekt eingebunden sind,
Paris, Lissabon, Brüssel, die nach uns die Stadtmission in ihren
Städten machen wollen, aber auch aus unseren Nachbarländern, aus
Slowenien, Kroatien, Slowakei, Ungarn, überall haben sich Teilnehmer
gemeldet. Ortskirche - Weltkirche, das ist von Anfang an ein Anliegen
des Papstes. Seit 25 Jahren erleben wir das, wie er immer eine
Ortskirche durch seinen Besuch, durch seinen Dienst als Missionar, als
Verkündiger stärkt und sie gleichzeitig stärker einbindet in die große
Gemeinschaft der Weltkirche.
2. Er sagt, die Reisen geben ihm die Gelegenheit, eine Art
"Wanderkatechese" zu unternehmen, "zur Verkündigung der Frohbotschaft
in der allseitigen Fortsetzung des Evangeliums und des apostolischen
Lehramtes" in der heutigen globalisierten Welt - Wanderkatechet. Wenn
man überlegt, wie viele Katechesen er auf einer solchen Reise hält,
dann gibt das ein unglaubliches Werk der Verkündigung durch die
vergangenen 25 Jahre. So sagt er einmal: "Es sind Reisen der Liebe,
des Friedens, der universalen Brüderlichkeit … Es ist die apostolische
Methode: Es ist die Methode des Petrus und noch mehr die des Paulus"
(L’ Osservatore Romano dt. Ausgabe 1998, Nr. 32-33, 10). Was heißt das
für uns, Wanderkatechese?
Ein wenig ist der Gedanke der vier
aufeinander folgenden Stadtmissionen ähnlich: Wanderkatechese durch
ein Europa, das das Evangelium neu entdecken soll, seine alten Wurzeln
neu finden soll, durch ein Europa, das entgegen allen Aussagen, dass
es heutzutage gar nicht mehr gehe, erstaunlich offen ist für die neue
Evangelisierung. Aber diese Wanderkatechesen des Papstes sind nicht
abgehoben. Sie haben sehr konkrete Verwurzelungen, sie sind sozusagen
"down to earth", sie sind ganz am Boden.
Ich möchte vor allem drei Dimensionen nennen, die bei den Papstreisen
immer sehr stark zum Tragen kommen und die sein Verständnis von
Evangelisierung und Mission prägen. Seine Katechese, seine
Evangelisierung ist sehr politisch, sie ist stark orientiert an den
Schwachen und Armen und sie richtet sich besonders an die Jugend.
Schauen wir diese drei Elemente ein wenig an und auch, was sie für die
Stadtmission bedeuten.
3. Papst Johannes Paul II. ist eminent politisch, aber nicht im Sinne
der Parteipolitik, die durchaus auch berechtigt ist. Es ist sicher
keine Rückkehr zu politischen Katholizismus, die ihm vorschwebt. Wohl
aber ist dieser Papst, den man als Bischof in Krakau von
kommunistischer Seite für eher harmlos gehalten hat, unpolitisch,
philosophisch, ein bisschen mystisch, gerade darin eminent politisch.
Er hat gezeigt, dass das Evangelium eine ungeheure Kraft der Hoffnung
darstellt und dass diese Kraft der Hoffnung das Antlitz eines Landes,
ja eines ganzen Kontinentes verändern kann. Seine politische Kraft ist
sein Vertrauen in das christliche Menschenbild. Seine politische Kraft
ist letztlich seine tiefe, unerschütterliche Überzeugung, dass
Christus der Herr der Geschichte ist. Johannes Paul II. hat ein
unvergleichliches politisches Erdbeben ausgelöst, nicht durch Waffen,
auch nicht durch wirtschaftliche Macht, sondern einfach durch die
Kraft der Hoffnung, die er repräsentiert, die er lebt und die er
vermittelt.
Als er zum ersten Mal in seine polnische
Heimat fuhr im Juni 1979, diese neun Tage haben die Weltgeschichte
verändert. Die Kommunisten haben das sehr klar gespürt. Breschnew hat
vom polnischen Partei- und Regierungschef verlangt, dass man dem Papst
die Reise nach Polen nicht erlaubt. Es war nicht möglich, die
Kommunisten konnten sich nicht dagegen stellen. Einfach seine Präsenz,
die Ausstrahlung seines Glaubens, das Zeugnis seiner Hoffnung hat den
Ostblock zutiefst erschüttert. Diese Reise, die Tatsache, dass er er
ist, dieser Mensch mit dieser Glaubens- und Hoffnungskraft als
Nachfolger Petri, als Vicarius Christi, als Bischof von Rom, hat das
Ende des Kommunismus eingeläutet, denn die Menschen haben die Angst
verloren. Er hat ihnen die Geschichte und die Wurzeln ihrer Geschichte
zurückgegeben. Sie haben ihre Würde wieder gefunden. Das war eminent
politisch, ohne Politik zu machen. Die Antwort darauf war der 13. Mai
1981, das Attentat und der Kriegszustand in Polen im Dezember des
selben Jahres 1981.
Was ist die politische Wirkung des Papstes, seine politische Mission?
Vor allem die Freiheit, die Wahrheit zu sagen, dieses tiefe,
unerschütterliche Vertrauen, dass die Wahrheit frei macht, ohne
Hinsichten und Rücksichten. Damit verbunden die Gewissheit, dass wir
dem Gewissen folgen müssen, die Freiheit, dem Gewissen zu folgen, die
Freiheit, die Würde des Menschen über alle anderen Erwägungen zu
stellen. Diese Kraft des Glaubens, diesen Mut zur Wahrheit, zum Hören
auf das Gewissen, diese Unerschrockenheit gegenüber den Anfeindungen
um der Würde des Menschen willen hat dem Papst durch 25 Jahre die
Kraft gegeben, weltweit Widerstand zu leisten gegen das, was er eine
"Kultur des Todes" nennt. So wurde der Papst weltweit zum Sprecher der
Menschenwürde und der Menschenrechte, eine unvergleichliche moralische
Autorität, sicher auch durch dieses Amt, das er inne hat, aber darüber
hinaus durch seine Unbestechlichkeit, seine Glaubwürdigkeit.
Wir wollen beim Missionskongress dieser Frage ein wenig weiter
nachgehen in vielen Arbeitskreisen und auch Grundsatzvorträgen, hier
im Stephansdom am Dienstag, 27. Mai, mit Erwägungen über die Frage
"Evangelium und Politik", über die Kraft des Evangeliums im heutigen
Europa, in der heutigen Öffentlichkeit. Ich konnte Bundeskanzler
Schüssel gewinnen, dass er zu dieser Frage sprechen wird und Frau
Prof. Gerl-Falkowitz, die bekannte Philosophin aus Dresden. Eine Fülle
von Arbeitskreisen werden sich damit befassen.
4. Johannes Paul II. ist aber auch Missionar in der ganz besonderen
Weise, dass er Stimme der Armen, der Wehrlosen, der Unterdrückten und
Rechtlosen ist, Stimme der Schwachen. Ob das die Not der Landarbeiter
in Brasilien ist, die Untaten der Mafia in Sizilien, die Rechte der
Solidarnosc in Polen, ob es der stumme Schrei der Ungeborenen ist,
immer war und ist er Sprachrohr, Stimme der Sprachlosen. Überall auf
der Welt drängen sich die Armen um ihn, unvergleichlich. Sie spüren
bei ihm, dass er aus der Kraft seines Glaubens und seiner Liebe heraus
mitleidet mit dem Leid der Armen, die Not im Herzen mitträgt, dass er
selber solidarisch ist mit ihnen. Das ist besonders stark und
ausdrücklich geworden in den letzten Jahren durch seine Krankheit. Wie
viele behinderte, kranke und alte Menschen in der ganzen Welt sehen in
ihm den großen Bruder, der für sie einsteht und für sie Vorbild ist.
Wir wollen bei der Stadtmission diesem Thema einen ganz besonderen
Akzent geben, der 26. Mai, Montag in der Missionswoche, soll dem
Nächsten, besonders den Armen und Notleidenden gewidmet sein. P. Georg
Sporschil SJ wird Hauptredner sein und Andrea Riccardi, der Gründer
von S. Egidio, der großen Gemeinschaft, die inzwischen weit über Rom
hinaus bekannt ist.
5. Schließlich ist der Papst in ganz besonderer Weise Missionar für
die Jugend. Dass er schon in Polen als junger Priester und auch als
sehr junger Bischof mit der Jugend gut konnte, ist vielleicht nicht so
verwunderlich, aber dass er als 83jähriger immer noch diese
unvergleichliche Anziehungskraft für weltweit viele junge Menschen
hat, das ist schon ein Geheimnis. Ich glaube, das zeigt vor allem
zweierlei, einerseits dass der Ruf Jesu an junge Menschen genauso
aktuell geblieben ist, wie er damals am Jordan war, als die ersten
zwei sich umgedreht haben von Johannes dem Täufer und Jesus
nachgegangen sind, die Faszination Jesu ist unvermindert groß auch
heute. Anderseits stimmt es einfach nicht, dass die Jugend unserer
säkularisierten, verweltlichten vor allem westlichen Welt vom
Evangelium unerreichbar sei.
Die Weltjugendtage haben hier vielen
Skeptikern zumindest große Fragen gestellt. Was geschieht da? Es
begann, wenn ich mich recht erinnere, 1980 im Parque de Princes in
Paris, dem größten Fußballstadion von Paris, erster Papstbesuch in
Frankreich, ein Stadion voll mit jungen Menschen, und es entstand
etwas, was seither immer wieder und immer wieder geschehen ist, ein
unglaublicher Kontakt zwischen dem Papst und diesen Tausenden, damals
80.000, jungen Menschen - die Überraschung: Was ist da los? Etwas, was
man in der Generation der kritischen 68er nicht für möglich gehalten
hat, dass junge Menschen heute so vom Evangelium, von einem Zeugen des
Evangeliums angesprochen werden können. Die Weltjugendtage seither
gehen von Überraschung zu Überraschung: Tschenstochau hätte man noch
als "Heimspiel" für den Papst bezeichnen können, da ist er zu Hause
und in Polen jubeln ihm alle zu. Aber dann Denver, Colorado, eine
völlig westliche, säkularisierte Großstadt, im Rückblick auf diesen
Besuch in Denver 1993 sagte der Papst selber: "Es war nicht das erste
Mal, dass die Jugendlichen mit solchem Nachdruck ihren Wunsch
aussprachen, das Evangelium in das neue Jahrtausend hineinzutragen.
Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben […]. Wie kann man da
noch behaupten, sie liebten Schlagworte wie: "Christus ja - Kirche
nein"? Viele von ihnen folgen vielmehr einem Weg gegen den Strom, was
die antichristliche Propaganda angeht.
Das hat natürlich einige
Kommunikationsmedien erstaunt und auch verwirrt, die sich darauf
vorbereitet hatten, einen großen Protest zu erleben. Es war sogar eine
Überraschung für den amerikanischen Episkopat, der festgestellt hat,
dass er bei seinem missionarischen Auftrag nicht alleine steht,
sondern vor allem auf das Mitmachen der Jugendlichen, der Baumeister
der Zukunft, zählen kann." (G. Weigel, Zeuge der Hoffnung 721-722). So
sagte der Papst 1993 im Rückblick auf die Erfahrung von Denver. 1997
war das Weltjugendtreffen in Paris. Kardinal Lustiger, der Erzbischof
von Paris, der auch bei uns sein wird in der Woche des Kongresses, hat
damals nach dem Weltjugendtreffen in Paris den Interviewern im
Fernsehen gesagt: Sie gehören einer Generation an, "die 1968 ihren
Glauben verloren habe und seither sozusagen ständig mit ihren Eltern
streite. Die jungen Menschen von heute, fuhr Lustiger fort, seien
'ohne Sinn' aufgewachsen. Jetzt hätten sie Christus entdeckt und
wollten erforschen, was das wirklich bedeute."
Er mahnte die Interviewer, sie sollten
nicht mit ihren Maßstäben messen. Die Jugendlichen "seien der
Auffassung, dass Christ sein und ein tätiger, intelligenter,
mitfühlender, engagierter Mensch zu sein, sich nicht gegenseitig
ausschließen." Christ sein und engagiert, intelligent, mitfühlend,
solidarisch sein schließt sich nicht gegenseitig aus. "In der
Hauptstadt [in Paris] einer besonders skeptischen und antiklerikalen
Aufklärung wurde eine neue kulturelle Aufklärung verkündet, die fähig
war, die Grundlagen der freien Gesellschaft wiederherzustellen" (ebd.
840-841). So kam es schließlich zum Weltjugendtreffen in Rom, im
Heiligen Jahr 2000.
Was ist das Geheimnis dieses Erfolges? Das Charisma des Papstes ist
zweifellos groß. Aber entscheidend ist die Wurzel dieses Charismas. Es
kommt aus seiner bedingungslosen Liebe und Hingabe zu Christus. Aus
der lebt der Papst und sie ist der Hauptinhalt seiner
Wanderkatechesen. Ich darf Ihnen etwas zitieren aus dem, was der Papst
in Rom damals den Jugendlichen gesagt hat: "Christus allein kann die
tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Herzens stillen. […] Ja, liebe
Freunde, Christus hat uns gern, und er liebt uns immer! Er liebt uns
auch dann, wenn wir ihn enttäuschen, wenn wir nicht dem entsprechen,
was er von uns erwartet. Er umarmt uns immer in seiner Barmherzigkeit.
Müssen wir diesem Gott nicht dankbar sein, dass er uns erlöst hat? […]
Liebe Jugendliche! Ist es schwer, im Jahr 2000 zu glauben?" So fragt
er und beantwortet es selber: "In der Tat: Es ist schwer. Das darf man
nicht verschweigen. Aber Christus, der die ganze conditio humana -
einschließlich Angst und Zweifel verwandelt hat, wartet auf euch. […]
Es ist Jesus, den ihr sucht, wenn ihr vom Glück träumt. Er ist es, der
auf euch wartet, wenn euch nichts anderes zufrieden stellt. Er ist die
Schönheit, die euch anzieht, er ist es, der euch provoziert mit jenem
Durst nach Erfüllung, der euch keine Anpassung an den Kompromiss
erlaubt. Er ist es, der euch dazu drängt, die Masken eines falschen
Lebens abzulegen. Er ist es, der in euren Herzen die echten
Entscheidungen liest - die Entscheidungen, die andere zu ersticken
versuchen. Jesus ist es, der in euch etwas entfacht: die Sehnsucht,
aus eurem Leben etwas Großes zu machen." Am Schluss sagte er: "Wenn
ihr seid, was ihr sein sollt, dann werdet ihr Feuer auf der ganzen
Erde entzünden" (ebd. 929-930). Ich glaube, das ist das tiefste Motiv,
warum der Papst Missionar ist. Am Mittwoch in der Woche des
Missionskongresses hat Kardinal Lustiger zugesagt, am Vormittag auf
Fragen junger Menschen einzugehen, auch aus der Erfahrung, die er mit
dem Weltjugendtag in Paris gemacht hat.
6. Kehren wir zurück zu dem entscheidenden Motiv: Weil Jesus der vom
Vater Gesandte ist, deshalb, sagt der Papst, muss er Missionar sein.
In einer Leprakolonie in Brasilien hat der Heilige Vater einmal diese
Worte gesagt: "Ich komme zu euch als Missionar, der durch den Vater
und durch Jesus beauftragt ist, fortzufahren, das Reich Gottes zu
verkünden, das in dieser Welt beginnt, aber sich erst in der Ewigkeit
verwirklicht" (L´ Osservatore Romano, dt. Ausgabe 1980, Nr. 30, 11).
Letztlich ist es die Sendung des Vaters, der Auftrag Gottes, den der
Sohn Gottes verwirklicht hat, der uns zur Mission verpflichtet.
7. Das hat wiederum zur Folge, dass das wirklich allen Menschen gilt.
Bereits im Jahr 1978, in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis hat
der Heilige Vater gesagt: "Jeder Mensch ohne jede Ausnahme ist von
Christus erlöst worden. Christus ist mit jedem Menschen, ohne
Ausnahme, in irgendeiner Weise verbunden, auch wenn sich der Mensch
dessen nicht bewusst ist: 'Christus, der für alle gestorben und
auferstanden ist, schenkt dem Menschen’ - jedem einzelnen und allen
zusammen - fortwährend Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er
seiner höchsten Berufung entsprechen kann" (Nr. 14). Das ist im Grunde
das Missionsprogramm des Papstes, warum er so viel reist. Er will
wirklich alle Menschen erreichen, weil das der Wille Christi ist.
III.
So komme ich zum Schluss, zur Enzyklika des Heiligen Vaters über die
Mission Redemptoris missio. Wir haben ein ganzes Jahr über die Mission
nachgedacht, aber ich denke, es ist auch an der Zeit, dass wir uns vom
Herrn selber in die Pflicht nehmen lassen. Der Heilige Vater schreibt
in der Enzyklika das wichtige Wort, dass die Mission nur möglich ist,
wenn es Missionare gibt. Es gibt kein Zeugnis ohne Zeugen, es gibt
keine Mission ohne Missionare. Warum der Papst diese Enzyklika
geschrieben hat sehr einfache Gründe. Seit dem Konzil ist etwas
Eigenartiges in der Kirche passiert. Der Elan der Mission ist vielfach
erlahmt, vor allem mit zwei Begründungen. Erstens hat man gesagt,
Mission ist Kolonialismus, deshalb müssen wir vor allem von den
anderen Religionen lernen. Das ist richtig, aber zu wenig.
Zweitens war ein Argument, es ist eine
Abwertung der anderen Religionen, wenn man als Missionar zu ihnen
kommt. Dieses Argument hat der Papst sehr eindrucksvoll widerlegt,
indem er gesagt hat: Wo Christus hinkommt, wird niemandem etwas
weggenommen (Redemptoris missio 3). Es ist eine Bereicherung und nicht
ein Mangel, wenn Christus in ein Land kommt. Gleichzeitig erleben wir,
während bei den Katholiken der Missionsgeist stark zurückgegangen ist,
dass weltweit die evangelikalen Gruppierungen, die so genannten
Freikirchen, missionarisch ungeheuer aktiv sind, leider auch die
Sekten, und ebenso der Islam. Es ist deshalb eine ganz vitale Frage,
die der Papst der Kirche stellt, ob sie bereit ist, ihre
missionarische Grundberufung zu leben.
Ich möchte nur einen Schlüsselsatz herausgreifen, der mir für die
Stadtmission besonders wichtig scheint. Der Papst sagt in der
Enzyklika: "Durch die Mission wird die Kirche tatsächlich erneuert,
Glaube und christliche Identität werden bestärkt und erhalten neuen
Schwung und neue Motivation." Dann in einer Kurzformel: "Der Glaube
wird stark durch Weitergabe" (ebd. 2).
Aber diese Motivation ist sozusagen mehr eine innere. Die tiefere
Motivation ist eine andere, ich habe sie schon genannt: Weil Jesus
Christus der einzige Erlöser ist, weil er der Erlöser der Menschen
ist, deshalb muss sein Name allen Menschen bekannt gemacht werden,
deshalb kann man sich nicht damit zufrieden geben, dass der Name Jesu
ein Name unter vielen anderen ist.
Er ist der Erlöser. "Die grundlegende
Aufgabe der Kirche ist es", sagt der Papst, "den Blick der Menschen
auf das Geheimnis Christi zu richten" (ebd. 4; Redemptor hominis 10)
Deshalb heißt es so schön am Schluss der Enzyklika, wir haben das dort
fast abgeschrieben: "Öffnet die Tore für Christus!" Wo Christus
hinkommt, wird den Menschen nichts weggenommen (Redemptoris missio 3,
39). Und der Papst betont ganz nachdrücklich: Das Angebot des Glaubens
ist ein Angebot an die Freiheit. Es wird niemandem aufgedrängt, es
wird niemand gezwungen im vollen Respekt der Gewissens- und
Religionsfreiheit muss der Name Christi angeboten werden. Aber der
Papst fügt hinzu: "Er muss angeboten werden, weil alle Menschen das
Recht haben, über das Geheimnis Christi zu erfahren" (ebd. 7). Sie
haben ein Anrecht darauf. Deshalb haben wir eine Pflicht, ihnen dieses
Anrecht nicht vorzuenthalten.
Ganz am Schluss der Enzyklika sagt der Heilige Vater: "Das
Wesensmerkmal jedes echten missionarischen Lebens ist die innere
Freude, die aus dem Glauben kommt. In einer von so vielen Problemen
verängstigten und bedrängten Welt, die zum Pessimismus neigt, muss der
Verkünder der Frohbotschaft ein Mensch sein, der in Christus die wahre
Hoffnung gefunden hat" (ebd. 91). Ich wünsche Ihnen allen, dass wir in
dieser Zeit der Stadtmission die Erfahrung machen, dass wir Grund zur
Hoffnung haben, und dass wir freudig davon Zeugnis geben. |