Lasset uns beten! O Gott, komm all unserm
Denken und Tun mit deiner Gnade zuvor und begleite es, damit alles,
was wir tun, bei dir seinen Anfang nehme und mit deiner Hilfe auch
vollendet werde. Darum bitten wir dich durch Christus unsern Herrn.
Amen.
Die heutige Katechese handelt von einer
ganz elementaren und gleichzeitig recht schwierigen Frage: Was macht
eigentlich ein menschliches Tun, eine menschliche Handlung zu einer
guten oder einer schlechten Tat? Da das menschliche Handeln eine
unendliche Vielfalt hat an Möglichkeiten, an Situationen, an
Umständen, ist es nicht leicht, genau zu bestimmen, was eigentlich
eine sittliche Tat ausmacht und was nicht. Aber viele vor uns haben
versucht darüber nachzudenken und darin auch Klarheit zu finden. Ich
möchte mich ein wenig in ihre Fußstapfen begeben, um, vielleicht etwas
stammelnd, das nachzuzeichnen, was uns die großen Meister zu dieser so
wichtigen aber auch so schwierigen Frage sagen.
I.
Im Katechismus steht (KKK 1749) sozusagen
als Leitwort über dieser ganzen Frage folgendes: „Die Freiheit macht
den Menschen zu einem sittlichen Subjekt. Wenn er bewusst handelt, ist
der Mensch sozusagen der Vater seiner Handlungen. Die eigentlich
menschlichen, das heißt aufgrund eines Gewissensurteils gewählten
Handlungen können sittlich bewertet werden. Sie sind entweder gut oder
böse.“ Ich glaube, ich muss das etwas verdeutschen. Wir haben in der
vorletzten Katechese über die Freiheit gesprochen. Ohne Freiheit gibt
es keine Verantwortung. Die Steine hier im Dom sind nicht
verantwortlich für den Halt des Domes, wohl aber die Baumeister, die
diese Steine zum Dom gefügt haben, weil sie freie und daher auch
verantwortliche Subjekte sind. Nur der Mensch kann deshalb auch Vater
seiner Handlungen genannt werden, das heißt, er bringt sie selber
hervor. So wie Eltern Kinder hervorbringen, so sind die Taten unsere
Kinder. Wir sind verantwortlich für das, was wir an Taten in die Welt
setzen. Nicht jede menschliche Handlung ist schon eine sittlich
bedeutsame Handlung. Wenn ich mich am Bart kratze – ich habe keinen
sehr sichtbaren – dann kann das einfach ein Reflex sein, weil mich
etwas juckt. Das ist noch nicht eine Handlung, die gut oder böse ist,
sondern das ist ein Reflex. Es gibt viele Verhalten in unserm
menschlichen Dasein, die einfach solche Reflexe sind. Für die werden
wir nicht zur Rechenschaft gezogen, wohl aber für das, was wir frei
und, wie der Katechismus sagt, aufgrund eines Gewissensurteils tun.
Wir haben letztes Mal über das Gewissen
gesprochen, diese innere Stimme, diesen inneren Kompass, der uns sagt:
Tu das, oder lass das!, der uns Kritik sagt, wenn etwas nicht gut war,
oder Zustimmung, wenn es gut war (vgl. KKK 1776). Die eigentlich
menschlichen Handlungen sind also die, die aus unserer Freiheit kommen
und die wir vor unserm Gewissen verantworten. Dann können sie entweder
gut oder böse sein.
Aber was ist gut oder böse? Ist das so
einfach festzustellen? Es gibt eine so unendliche Bandbreite von
Möglichkeiten. Wann ist etwas wirklich gut, wann ist etwas schlecht?
Nun kommt hier vielleicht eine Schwierigkeit dazu, die im Deutschen
nicht so groß ist, wie in andern Sprachen, dass wir unterscheiden,
zwischen dem Übel und dem Bösen. Es gibt manche Handlungen, manche
Ereignisse, die wohl ein Übel sind, aber die nicht etwas Böses sind.
Eine Krebserkrankung ist ein Übel, aber sie ist nicht etwas sittlich
Böses. Eine Naturkatastrophe ist ein Übel, aber sie ist nicht etwas
sittlich Böses. Die Frage stellt sich: Was ist eigentlich der
Unterschied zwischen den Übeln, die es zahlreich in der Welt gibt und
deren unausweichlichstes der Tod ist, und dem, was wir das Böse
nennen?
Wenn wir auch hier in den Katechismus hineinschaun, dann sagt uns die
Lehre der Kirche, dass es so etwas gibt wie das Übel, das Gott in der
Welt zugelassen hat, das mit der Welt gegeben ist, einfach damit, dass
wir nicht in einer vollkommenen Welt leben, sondern in einer Welt, die
im Werden und im Vergehen ist, in der es das Kommen und Gehen gibt,
die gewaltigen Entwicklungen des Kosmos vom Urknall angefangen,
Entstehen und Vergehen der Sterne, der Galaxien, bis hin zum Entstehen
und Vergehen des Lebens auf dieser Erde. Gott hat die Welt geschaffen
als eine, die unterwegs ist, und daher gibt es in dieser Welt auch das
Kommen und Gehen, den Aufbau und den Abbau und auch den natürlichen
Tod in der Lebenswelt der Pflanzen, der Tiere. Wenn wir hier auf die
Marmorsteine schauen, dann finden wir wahrscheinlich Verkrustungen von
Schnecken aus den Jahrmillionen, in denen diese Steine aus dem
Meeressand entstanden sind. Da gab es schon den Tod der Lebewesen.
Die Glaubenslehre nennt das das physische
Übel, das Übel, das es in der Natur gibt und das uns schon als solches
vor große Rätsel stellt. Warum gibt es so viel Grausamkeit in der
Natur? Warum gibt es dieses Kommen und Gehen? Aber der Katechismus
sagt uns: „Solange die Schöpfung noch nicht zur Vollendung gelangt
ist“, wird es dieses Kommen und gehen und auch „das physische Übel“
geben (KKK 310). Aber etwas ganz anderes ist das moralische Übel, das
sittliche Übel, das aus der menschlichen Freiheit kommt. Und das, so
sagt der Katechismus, „unvergleichlich schlimmer ist als das physische
Übel“ (KKK 311). Eine Krankheit ist ein Übel. Aber unvergleichlich
schlimmer ist die Sünde. Deshalb hat Jesus zuerst die Sünde vergeben,
bevor er die Krankheit geheilt hat. Das moralische Übel kommt in die
Welt durch die Freiheit, des Engels, der sich von Gott abwendet, und
des Menschen, der nein sagt zu Gott.
II.
Gott lässt dem Menschen die Freiheit, gut
zu handeln oder auch böse zu handeln. Ein großes Rätsel, und wir
wollen uns ein wenig dieser Frage zuwenden, was es auf sich hat mit
dem Guten und dem Bösen im menschlichen Handeln. Auch hier sagt uns
der Katechismus drei ganz einfache Dinge. Sie sind eigentlich, wenn
man sie sich genauer anschaut, sehr einleuchtend. Was macht die
sittliche Qualität unseres Tuns aus? Drei Dinge, sagt der Katechismus.
Erstens der „Stoff“ unserer Handlungen, also das, was wir tatsächlich
tun, zweitens die Absicht unseres Handelns, das, was wir tun wollen,
das Ziel, das wir verfolgen, wenn wir etwas tun, und drittens die
Umstände, unter denen wir etwas tun. Wir wollen uns das ein wenig
anschaun.
Zuerst einmal der „Stoff“ unseres Tuns.
Wenn wir das menschliche Handeln anschaun, begegnet uns zuerst einmal
nicht die Absicht, die können wir nicht sozusagen auf der Nasenspitze
des Nächsten ablesen, die ist oft in seinem Herzen verborgen. Wir
sehen nur äußere Handlungen. Die Umstände kennen wir manchmal,
meistens kennen wir nur einen Teil der Umstände, sie können eine
Situation erschweren oder erleichtern. Aber zuerst geht es darum,
einmal eine Handlung, ein Tun als solches sich näher anzuschaun. Wenn
wir hier auf die Sprache horchen, dann ist sie uns eine große Hilfe,
und natürlich immer der „Hausverstand“, unser guter, einfacher
Hausverstand, den wir bitte nicht bei der Gardarobe abgeben sollen,
wenn wir über etwas nachdenken.
Nehmen wir ein Beispiel. Am Naschmarkt ist
eine ältere Frau mit ihrer Handtasche. Plötzlich kommt ein Bursche,
reißt dieser Frau die Handtasche weg und rennt davon. Ich erinnere
mich an eine köstliche Geschichte aus dem „Heiteren Bezirksgericht“ –
vielleicht gehört das nicht in den Stephansdom – wo eine Marktfrau vom
Naschmarkt vom Richter gefragt wird: „Frau Voprschalek, was haben sie
eigentlich gedacht, als sie gesehen haben, wie dieser Bursche dieser
Frau die Tasche weggerissen hat?“, sagt Frau Voprschalek: „Herr
Richter, das kann ich Ihnen ganz genau sagen, wissen sie was ich
gedacht hab? Ich hab mir gedacht: ‚eieieieieiei‘, hab ich mir
gedacht.“ Nun, was hier passiert ist, was dieser Bursche hier getan
hat, das nennen wir nicht „stibitzen“. Er hat nicht etwas stibitzt auf
dem Marktstandl, er hat auch nicht gestohlen, sondern er hat geraubt.
Unsere Sprache ist da ganz genau. Wir unterscheiden zwischen
‚stibitzen‘, ‚stehlen‘ und ‚rauben‘.
Die Handlung, um die es hier geht, nennen
wir Raub. Es ist ein ganz spezifisches Verbrechen: gewaltsam,
unrechtmäßig jemandem ein Eigentum wegnehmen. Das ist ein Raub. Jeder
normal denkende sagt: Das ist eine Tat, die in sich verwerflich ist,
sie ist unsittlich, sie ist in sich eine böse Tat. Nun können noch
Umstände dazukommen, die diese Tat erschweren. Wenn diese alte Frau
auch noch behindert war, dann empfinden wir diese Tat als noch
schlimmer. Wenn dieser Raub mit einer Körperverletzung verbunden war,
dann ist die Tat noch schlimmer. Wenn es gar ein Raubmord war, dann
ist es eben nicht mehr nur ein Raub, sondern dann steht die Tötung im
Vordergrund und dann qualifizieren wir den Täter nicht mehr einfach
als Räuber, sondern als Mörder. Die Frage nach der Absicht, wie es
dabei um seine Absicht gestanden hat, ist sicher eine Frage. Aber
sicher ist, dass es keine gute Absicht gewesen sein kann. Selbst wenn
wir annehmen würden, es wäre eine gute Absicht dahinter gewesen, dann
würde das trotzdem niemals eine solche Tat rechtfertigen. Das Gericht
wird hier nicht auf die Absicht schauen, sondern auf die Tat und
sagen, dass das Raub war und im schlimmsten Fall vielleicht sogar
Raubmord. Objektiv sagen wir: Diese Tat ist verwerflich.
Ich nehme ein zweites Beispiel. In den
heutigen sittlichen Diskussionen, ethischen Diskussionen besteht die
Gefahr, dass man versucht, durch harmlose Worte die Dinge zu
verschleiern. Man spricht zum Beispiel von Euthanasie. Eu-thanatos,
das heißt „der gute Tod“, ein liebevoller, sanfter Tod für einen
leidenden Menschen. Ein Mitschüler von mir, der Primarius in einem
Spital ist, hat mir folgendes erzählt: Es kamen zu ihm die Enkelkinder
einer schwer krebskranken Frau, die sehr gelitten hat, und haben ihn
gebeten, ob er ihr nicht - „Sie wissen schon, Herr Primarius, ein
bisserl das Leiden abkürzen, könnten Sie ihr nicht eine Spritze
geben?“ Er hat darauf geantwortet: „Bringt doch eure Großmutter selber
um!“ Mit diesem nüchternen Satz war plötzlich das sprachliche
Verschleiern weggerissen.
Worum geht es? Einen Menschen zu töten. –
Sagen wir’s, nennen wir’s beim Namen! Es geht um willentliche Tötung.
Er als Arzt sagt: Wieso erwartet ihr von mir, dass ich eure Großmutter
töte? Natürlich stellt sich auch hier die Frage: Können nicht die
Umstände so sein, dass sie dieses Ansinnen der Enkel rechtfertigen?
Kann hier nicht eine ehrliche Absicht sein zu helfen? Dennoch müssen
wir ganz klar sagen: Auch die beste Absicht kann aus dieser Tat als
solcher keine gute Tat machen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die
Dinge beim Namen nennen, im Guten wie im Bösen. Eine Lüge ist eine
Lüge. Auch wenn ich aus Angst gelogen habe, so habe ich doch gelogen.
Ein Ehebruch ist ein Ehebruch, auch wenn er aus Leidenschaft begangen
wird oder aus Verzweiflung über die eigene Ehe.
Nun sagt der Katechismus etwas sehr
Wichtiges aber auch Schwieriges. Diese klare Sprache, dieses klare
Benennen von Handlungen als gut oder bös geschehe, ich zitiere, „gemäß
dem Urteil der Vernunft.“ Die Vernunft, unser Verstand erkennt „die
Regeln der Sittlichkeit“, weil, so sagt der Katechismus, „die
vernunftgemäße Ordnung des Guten und des Bösen“ darin zum Ausdruck
kommt (KKK 1751). Wie ist das mit der vernunftgemäßen Ordnung? Stimmt
das wirklich? Ist uns verstandesmäßig, von der Vernunft her
einsichtig, was wirklich gut und was böse ist? Oder, wie die
katholische Tradition es auch immer sagt: Das Gute ist das, was der
Natur gemäß ist, und das Böse ist das, was der Natur widerspricht. Was
der menschlichen Natur entsprechend ist, ist gut, was ihr
widerspricht, ist schlecht.
Aber was ist das, die menschliche Natur?
Und wissen wir so genau, was uns die Vernunft sagt? Ist unser Verstand
nicht geprägt von vielen Vorstellungen, die einfach aus unserer Kultur
da sind, aus unserer Umwelt, in denen wir erzogen sind, aufgewachsen
sind und die in anderen Kulturen vielleicht ganz anders aussehen?
Wandeln sich diese nicht? Was früher als ganz unschicklich galt, ist
heute völlig harmlos. Was früher verworfen wurde, wird heute vielfach
einfach akzeptiert.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel, wie schwer
es ist zu sagen, was eigentlich wirklich der Vernunft entspricht. In
Frankreich hat ein Höchstgericht ein Urteil gesprochen. Es ging um
folgenden Fall: Ein Arzt hat nicht erkannt, dass ein Kind im
Mutterschoß behindert ist und hat auch keine Abtreibung vorgenommen
oder dazu geraten. Nun ist das Kind geboren, es ist behindert und die
Eltern haben den Arzt auf Schadenersatz geklagt. Das Höchstgericht hat
den Eltern recht gegeben. Offensichtlich haben diese Richter die
Überzeugung gehabt, das Ansinnen dieser Eltern ist vernünftig. Es ist
doch nicht einzusehen, warum ein behindertes Kind auf die Welt kommen
soll, wenn man es verhindern kann.
Das scheint offensichtlich vielen Menschen
heute, selbst Höchstrichtern in einem höchst zivilisierten Land wie
Frankreich, vernünftig zu sein. Irgendwie stellt sich dann für uns die
Frage: Sind wir jetzt verrückt, wenn wir das anders empfinden? Sind
die Behindertenorganisationen, die gegen dieses höchstgerichtliche
Urteil protestiert haben vielleicht hinterwäldlerisch? Sind sie hinter
der Zeit her, unvernünftig? Oder vertreten sie vielleicht den
menschlichen Standpunkt und die Höchstrichter einen sehr
unmenschlichen Standpunkt?
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Ich habe
dieser Tage für die Wiener Ärztezeitschrift („doktorinwien“ 01/2002)
einen Artikel geschrieben über die pränatale Diagnostik, also die
vorgeburtlichen Untersuchungen, die heute schon mit großer Genauigkeit
selbst mit der Ultraschalluntersuchung das sogenannte Downsyndrom
feststellen können, also ob ein Kind mongoloid ist oder nicht. Ich
habe in diesem Artikel gesagt, das was hier beginnt, was hier bei uns
schon stattfindet, ist eine „vorgeburtliche Rasterfahndung“ nach
Behinderten. Was die Folge davon sein wird, ist, dass es als unsozial,
als unverantwortlich und damit als unvernünftig dasteht, Kinder mit
Behinderungen zur Welt zu bringen. Es kann einem dann ein Zweifel
kommen: Ist es nicht vernünftiger, menschlicher, natürlicher einem
Behinderten die Mühen eines behinderten Lebens zu ersparen? Ist es
nicht viel barmherziger, ihm ein Leben in Leiden zu ersparen? Diese
Zweifel werden heute massiv verbreitet und sie stellen oft große
Gewissenskonflikte für die betroffenen Eltern da. Es kommt allmählich
zu einem sozialen Klima, in dem Eltern, die ein behindertes Kind
haben, in Gefahr sind, als unsozial betrachtet zu werden. Die
Verschleierung der Sprache – „barmherzig“ – die Verwirrung der Gefühle
und schließlich die Verdrehung der Tatsachen fördern eine große
Unklarheit. Daher ist es so notwendig und dringend, dass wir mit
großer Nüchternheit diese Dinge sehen und beim Namen nennen, in der
Sprache nicht schwindeln. Nichts hilft uns mehr zu einer Klarheit und
Nüchternheit in der Vernunft als der Glaube.
Denn der Glaube macht nicht unvernünftig,
sondern er macht klarsichtig. Wer Christus nachfolgt, wer im Licht des
Glaubens lebt, der wird klarsichtig auch über die einfachsten Dinge
des Alltags. Er wird auf die Lügen der Täuschung und auch der
Selbsttäuschung nicht hereinfallen. Er wird sie durchschauen und wird
sehen, was die Wirklichkeit ist. Der Glaube macht klarsichtig für die
Wirklichkeit. Aber das erfordert, dass wir selber durch ein Leben aus
dem Glauben uns befreien von Selbsttäuschungen, von Leidenschaften,
die uns blenden, von Lügen, die uns auf Irrwege führen.
Ich möchte nur zu diesem Beispiel der
pränatalen Diagnostik kurz vier Punkte nennen, einfach als
Gegenargumente, schlichte, einfache Gegenargumente: 1) Diese pränatale
Diagnostik, das können auch Fehldiagnosen sein. Ich bin dieser Tage
einer Mutter begegnet, die mir erzählt hat, dass der Arzt ihr gesagt
hat, ihr Kind hat ein Downsyndrom, wird mongoloid sein. Sie hat das
Kind trotzdem zur Welt gebracht und es war ganz gesund. Der Arzt kann
sich irren. 2) Ein behindertes Kind, das sicher auch eine schwere
Belastung ist für die Familie, ist auch ein Segen, kann ein großer
Segen sein. Eine mir befreundete Familie hat als sechstes und letztes
Kind ein mongoloides Kind bekommen. Sie sagen einhellig: Dieses Kind
ist unser Sonnenschein. Ich bin dieser Tage einer Familie begegnet,
die auf den Weg des Glaubens gekommen ist durch ihr behindertes Kind,
weil es den Materialismus und die Erfolgsorientiertheit ihres
bisherigen Lebens in Frage gestellt hat. Gott hat durch dieses
behinderte Kind die Familie zum Glauben geführt. 3) Eine Frage: Welche
Barmherzigkeit soll denn im Töten eines behinderten Kindes liegen? 4)
Wer sind wir, dass wir von vorn herein erklären wollen, was dieses
Menschenkind glücklich oder unglücklich macht, dass wir, der Arzt oder
die Eltern, entscheiden wollen, ob ihm das „Unglück“ eines behinderten
Lebens erspart bleiben soll? Jean Vanier, einer der großen Zeugen des
Evangeliums in unseren Tagen, der Gründer der Arche-Bewegung, die
heute in der ganzen Welt Häuser hat, hat vor vielen Jahren, vor
Jahrzehnten entdeckt, welcher Reichtum es ist, mit Behinderten
zusammen zu leben, wie viel wir von Behinderten empfangen können.
Trotzdem bleibt es wahr, dass es eine
Bürde ist. Aber rechtfertigt eine Bürde die Tötung? Es geht hier nicht
zuerst um die Frage: Werden wir es schaffen? – eine ganz verständliche
und menschlich durchaus anzunehmende Frage, die sich Eltern stellen,
wenn sie vor diese Wirklichkeit gestellt sind. Werden wir es schaffen?
Wie wird das sein? Wird das gehen? Natürlich bedrängen solche Fragen.
Aber hier geht es ja um eine ganz konkrete Handlung. Darf man dieses
vielleicht behinderte Kind töten lassen? In sich ist diese Handlung
nicht richtig. Bitte, damit kein Missverständnis entsteht, wenn es
trotzdem dazu kommt: Gottes Barmherzigkeit wird niemanden
ausschließen, der erkennt, dass er oder sie schuldig geworden sind.
Gottes Barmherzigkeit ist nie am Ende, auch wenn wir die größten
Fehler gemacht haben. Aber Gottes Barmherzigkeit erspart uns nicht zu
erkennen, dass es ein Fehler war, eine Sünde.
III.
Schauen wir uns das zweite Element der
sittlichen Handlung an, die Absicht. Nicht nur was jemand äußerlich
tut gilt es zu beurteilen, sondern was die innere Absicht ist. Das ist
sozusagen die persönliche Seite der menschlichen Handlungen. Mit jedem
menschlichen Tun verfolgen wir eine Absicht, ein Ziel, einen Zweck.
Ich möchte heute Abend noch aufs Land hinaus fahren, um morgen eine
stillen Tag zu verbringen. Diese Handlung hat einen bestimmten Zweck.
Ich hoffe, es ist ein guter Zweck. Ich möchte einen stillen Tag
verbringen und dazu setze ich einzelne konkrete Schritte. Es ist immer
der Wille, der unser Tun bewegt auf ein Ziel hin. Wenn dieser Wille
gut ist, dann ist auch das, was wir tun, gut. Wenn dieser Wille
schlecht ist, dann ist auch das, was wir tun, schlecht. Der Wille wird
immer von einem Ziel bewegt. Ohne eine solche Absicht, einen Zweck,
ein Ziel tun wir gar nichts. Manchmal tun wir Dinge auch zunächst
absichtslos, lassen sozusagen die Beine und die Seele baumeln. Aber
normalerweise, ob es eine Tätigkeit in der Küche ist, am Schreibtisch
eine Arbeit oder auch eine Urlaubsbeschäftigung, immer tun wir etwas
um etwas willen, auf ein Ziel hin. Warum bin ich Priester geworden?
Ich bin Priester geworden, um Christus nachzufolgen und den Menschen
zu dienen. Ich glaube, das kann jeder sagen, der diesen Weg gewählt
hat. Aber stimmt das wirklich? Habe ich wirklich aus so reinen Motiven
heraus gehandelt? Habe ich nicht auch andere Absichten damit verfolgt?
Ist es nicht so, dass in fast allen
unseren Handlungen immer ein ganzes Bündel von Absichten und Motiven
mitspielt? Selbst in der Berufungsgeschichte der Apostel gibt es
Nebenmotive. Vielleicht war es auch ein bisschen Abenteuerlust, dass
sie alles verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind. Vielleicht war
es einfach auch Neugierde – „Meister, wo wohnst du?“ – „Kommt und
seht!“ (Joh 1,38f). Vielleicht hat auch ein bisschen das Verlangen
nach einer Karriere mitgespielt, denn wenn er der Messias ist, dann
haben wir vielleicht „einen guten Posten“, ganz in seiner Nähe. Alles
das hat mitgespielt. Aber als die Apostel dann alle, einer nach dem
anderen, ihr Leben für Christus gegeben haben als Märtyrer, da war
ihre Absicht, ihr Ziel so geläutert im Feuer der Prüfung, dass sie
wirklich sagen konnten wie Petrus es zu Jesus nach Ostern sagt: „Herr,
du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe“ (Joh 21,17).
Trotz aller dieser vielen Motive, die
mitspielen in unseren Handlungen – es gibt auch die ganz lautere
Absicht. Gestern bin ich Feuerwehrleuten begegnet in der Buckligen
Welt. Wenn ein Feuerwehrmann ausrückt in einer Notsituation, es brennt
oder es war ein schwerer Unfall, dann dürfen wir annehmen, er tut das
einfach und gerade um zu helfen. Da spielt keine Eitelkeit mit, da
spielen keine Nebenmotive mit, auch wenn er vielleicht zur Feuerwehr
gegangen ist, um einfach einem Brauch Folge zu leisten, weil eben alle
im Dorf zur Feuerwehr gehen. Aber es gibt im menschlichen Handeln die
lautere Absicht, die lautere Tat. Das ist etwas Wunderschönes. Es ist
etwas Wunderschönes, wenn wir der lauteren Tat begegnen, in der die
äußere Handlung und die innere Absicht wirklich zusammenpassen.
Wenn jemand aus reinem Herzen, aus
lauterer Absicht etwas Gutes tut. Das hat eine ausstrahlende
Schönheit. Wenn ich zum Naschmarkt zurückkommen darf. Ein anderer Mann
hat gesehen, dass dieser Bursche die Frau angreift und ihr die Tasche
wegreißen will, er stürzt hin und beschützt diese Frau vor dem
Angreifer. Er hat schnell, unmittelbar zugreifend, zupackend gehandelt
und das Richtige getan. Er hat diese alte Frau beschützt. Wir finden
eine solche Tat durchaus lobenswert. Er hat mutig und entschieden
gehandelt, vielleicht sogar sich selber in Gefahr gebracht, sein Leben
aufs Spiel gesetzt, um diese Frau zu retten. Zurecht zollen wir
solchen „Helden des Alltags“ unsere Anerkennung. Es gibt die lautere
Tat aus lauterer Absicht.
Aber wie kommt ein Mensch dazu, im rechten
Moment das Richtige zu tun? Da ist wahrscheinlich mehr als nur diese
momentane Tat, da steckt mehr dahinter. Wahrscheinlich steht diese
einzelne richtige, überzeugende Tat in einem größeren Zusammenhang.
Diese spontane Hilfe mit dem Risiko, sein Leben in Gefahr zu bringen,
hat eine Vorgeschichte. Und der andere, der weggeschaut hat – „das
geht mich nichts an“ – sich abwendet und sich aus dem Staub macht,
auch diese Handlung hat eine Vorgeschichte, denn beides hat zu tun mit
der Ausprägung des sittlichen Charakters oder mit dem Mangel an
Ausprägung des sittlichen Charakters.
Der sittliche Charakter. Die Absicht
unseres Handelns wird sehr stark davon bestimmt, wie sozusagen unsere
sittliche Persönlichkeit aussieht, wie sie im ganzen ausgeprägt ist.
Je deutlicher diese Persönlichkeit ausgeprägt ist, desto gerader und
desto richtiger wird auch die einzelne Handlung dann ausfallen, desto
gerader wird auch die Absicht sein, desto mehr kommen auch die
verschiedensten Lebensbereiche gewissermaßen zusammen in einer
Grundausrichtung. Es gibt so etwas wie eine Gesamtausrichtung des
Lebens. Wenn diese Gesamtausrichtung stimmt und allmählich immer
deutlicher wird, dann werden auch die einzelnen Handlungen an Klarheit
und an Schönheit gewinnen. Dann wird das einzelne Tun gewissermaßen
von der Gesamthaltung des Lebens geprägt.
Wenn unser Leben immer deutlicher
ausgerichtet ist auf das letzte Ziel, wenn wir auf Gott ausgerichtet
sind, auf seinen Willen, wenn also unser ganzes Leben ausgerichtet
ist: „Dein Wille geschehe!“, dann bekommt es eine inner Klarheit.
Diese Grundausrichtung ist wie ein Magnet, der die Eisenspäne ordnet
und sie auf die selbe Richtung ausrichtet. Dann bekommt unser Leben
Zusammenhalt, Festigkeit und auch sittliche Schönheit. Das prägt sich
aus bis in den Alltag, in die kleinen Dinge des Alltags, wie wir
unsern Alltag leben. Das heißt natürlich nicht, dass alles immer,
unmittelbar und ganz auf Gott bezogen ist, dass das Rühren im Kochtopf
oder das Schreiben auf dem Computer unmittelbar immer auf Gott bezogen
ist. Aber alles, was wir tun, bekommt eine innere Klarheit und
Lauterkeit, eben die Qualität, die wir bei geraden Menschen bewundern.
Wenn ich von einem geraden Menschen rede,
dann kommt mir immer unser alter Hausmeister im Kloster in Fribourg in
den Sinn, für mich der Inbegriff des geraden Menschen. Er war auch
körperlich gerade. Er hat eine wunderbar gerade Haltung gehabt, bis zu
seinem hohen Alter ein Mensch ohne Falsch. Was er gemacht, ob er
getischlert hat oder um das Haus herum gekehrt hat, ob er bei Tisch
bedient hat oder an der Pforte gesessen ist, ob er einen Schnaps
getrunken hat oder sich seine kleine Zigarre angezündet hat, es hat
alles eine Stimmigkeit gehabt – ein gerader Mensch.
Diese innere Ausrichtung kann in zwei
Richtungen auseinanderklaffen und die seien zum Schluss genannt. Wir
sind natürlich ständig im Kampf, in der Auseinandersetzung um diese
innere Ausrichtung zu gewinnen und auch in unserem äußeren Handeln zu
leben. Es kann eine äußerlich richtige Handlung durch eine verquerte
Absicht zu einer schlechten Handlung werden. Ein Beispiel, Jesus nennt
es in der Bergpredigt: beten, fasten, Almosen geben – sicher etwas
Gutes. Aber wenn wir es tun, um von den Menschen gesehen zu werden,
aus Eitelkeit, aus dem Wunsch nach Anerkennung, dann, sagt Jesus ganz
klar, dann ist das wertlos, ja dann wird es sogar etwas Schlechtes.
Eine objektiv gute Handlung kann durch eine schlechte Absicht
innerlich verfaulen, zu einer schlechten Handlung werden. Umgekehrt,
wenn man etwas an sich Schlechtes in guter Absicht tut, wird es
trotzdem nicht etwas Gutes. Wenn ich stehle, um den Armen zu helfen,
dann bleibt es trotzdem Diebstahl und wird keine gute Tat. Wenn ich
lüge, um jemand aus der Klemme zu helfen, dann bleibt es trotzdem eine
Lüge. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
IV.
Damit sind wir beim letzten Punkt: die
Umstände. Alles, was wir tun, geschiet in einem Umfeld, mit unendlich
vielen Umständen. Traditionellerweise nennt man sie nach einigen
Fragen: Wer? Womit? Was? Wo? Warum? Wie? und Wann? Umstände können
eine an sich gute Handlung in einem konkreten Fall zu einer schlechten
werden lassen. Beispiel: Rosenkranz beten ist etwas Gutes. Aber wenn
wir zu einem Verkehrsunfall kommen und statt dem Verletzten zu helfen
Rosenkranz betend herum gehen, dann tun wir etwas Strafbares (Vgl. R.
Spaemann, Einleitung zu Thomas v. Aquin, Über sittliches Handeln
[Reclam 18162], Stuttgart 2001, 15). Sicher ist ein Unterschied
zwischen einem kleinen und einem großen Diebstahl. Der kleine
Diebstahl ist weniger schwerwiegend als der große Diebstahl, aber
beide sind Diebstahl. Wenn ich aus Todesangst lüge, ist die Schuld
sehr gering, auch wenn es eine Lüge bleibt. „Mildernde Umstände“
können das sein. Die Fülle der Umstände können eine Situation
abmildern oder auch erschweren, aber an sich bleibt die Handlung das,
was sie ist.
Was folgt daraus für unser Leben? Unser
Glauben sagt zu uns: „Sucht zuerst das Reich Gottes, und alles andere
wird euch dazu gegeben“ (Mt 6,33). Was von uns erwartet ist, ist die
Grundausrichtung. Wer sein Leben nach dem Willen Gottes auszurichten
versucht, der wird auch im einzelnen, in den einzelnen Taten und
Handlungen immer deutlicher sehen, wie sich das Gute im einzelnen
ausprägt. Das erfordert aber, dass wir Ordnung in unsere Absichten
bringen. Deshalb möchte ich nächstes Mal, am 13. Jänner 2002, über die
Leidenschaften sprechen. Ordnung bringen in unsere Leidenschaften,
damit das Herz in Ordnung kommt, damit unsere Grundausrichtung stimmt
und damit die einzelnen Taten sich auch richtig ausprägen. Das wird
dann das Thema das übernächste Mal sein: die Tugenden, das heißt die
Haltungen, die es mir möglich machen, dass ich im einzelnen das
Richtige treffe. Der junge Mann, der helfend eingesprungen ist und der
dieser Frau beigestanden ist, hatte offensichtlich in seinem Leben die
Tugend der Tapferkeit ausgeprägt um im rechten Moment das richtige zu
tun. Ohne Tugenden gibt es kein richtiges einzelnes Handeln. Sie sind
gewissermaßen die Stütze für die Geradheit unseres Lebens.
Damit habe ich Ihnen sozusagen das Menü
für die nächsten Male angekündigt. Am 13. Jänner über das Thema: Wie
ordnen wir unsere Leidenschaften, damit die Herzensausrichtung
stimmt?, und in der Katechese am 17. Februar dann über die Tugenden
als die, die uns helfen, unser Leben in Ordnung zu bringen. Ich
wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und viel Segen im Neuen
Jahr.
(Kardinal Christoph Schönborn) |