Gütiger Gott, lass Deine Gnade mächtig
werden in unseren Herzen, damit wir imstande sind, unsere eigenen
Begierden zu meistern und den Anregungen deines Geistes zu folgen.
Darum bitten wir Dich durch Christus unsern Herrn. Amen (Tagesgebet
vom Freitag der 3. Fastenwoche).
I.
Jahr für Jahr werden in der Erzdiözese
Wien etwa 10.000 junge Menschen gefirmt. Bei jeder Firmung betet der
Bischof oder der von ihm beauftragte Firmspender ein Gebet um den
Heiligen Geist. Er breitet dazu über den Firmlingen die Hände aus und
betet: "Allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus, du hast
diese jungen Christen in der Taufe von der Schuld Adams befreit, du
hast ihnen aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben
geschenkt. Wir bitten dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist, den
Beistand. Gib ihnen den Geist der Weisheit und der Einsicht, des
Rates, der Erkenntnis und der Stärke, den Geist der Frömmigkeit und
der Gottesfurcht. Durch Christus unsern Herrn" (Gebet zur Firmung).
Wenn ich dieses Gebet immer wieder über die vielen Firmkandidaten
bete, stelle ich mir natürlich die Frage: Verstehen sie, was da über
sie gebetet wird? Verstehe ich es selber? Weiß ich, wissen wir, wissen
unsere, meist vierzehnjährigen, Firmkandidaten was es mit den sieben
Gaben des Heiligen Geistes auf sich hat?
Bei der Firmung trage ich meistens die
Mitra, die mir Weihbischof Moser am Sterbebett vererbt hat und die ich
in Erinnerung an ihn eben besonders bei den Firmungen trage, die
sieben Flammen dargestellt zeigt. Gelegentlich versuche ich dann, die
Katechese für die Firmlinge an diesen sieben Flammen anzuknüpfen.
Heute habe ich diese Mitra zwar nicht auf, aber ich möchte über die
sieben Gaben des Heiligen Geistes auch mit Ihnen nachdenken. Wissen
wir, was es eigentlich heißt: "Die sich vom Geist Gottes leiten
lassen, die sind Söhne Gottes", wie der Apostel Paulus sagt (Röm
8,14)? Wissen wir überhaupt Bescheid über den Heiligen Geist? Ist er
nicht weithin der große Unbekannte unter uns Christen? Gilt nicht ein
wenig von uns Christen, was der Apostel Paulus in Ephesus erlebt hat,
als er dort einer Gruppe von Jüngern begegnete, die zwar die Taufe
empfangen hatten, aber als Paulus sie fragte: "Habt ihr bei der Taufe
auch den Heiligen Geist empfangen?", da antworteten sie: "Wir haben
nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt" (Apg 19,2).
Anderseits bezeugen uns die Heilige Schrift und das Leben der Kirche
in aller Klarheit, dass es ohne den Heiligen Geist gar nicht geht, ein
christliches Leben zu führen und es auch zu einem guten Ziel zu
führen. "Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehen,
kann nichts heil sein noch gesund", heißt es in dem Veni Sancte
Spiritus (Pfingstsequenz, Gotteslob Nr. 244).
Auf der einen Seite scheint er sehr
unbekannt zu sein, auf der andern Seite bin ich sicher, wenn wir jetzt
eine große Austauschrunde machen könnten, könnten viele,
wahrscheinlich die meisten, vielleicht alle von Ihnen sagen, wie Sie
doch den Heiligen Geist in ihrem Leben erfahren, vielleicht ohne viel
darüber zu reden, mit einer gewissen Scheu, denn der Heilige Geist
liebt die Diskretheit, die Verborgenheit. Aber sicher haben viele von
Ihnen auch eine ausdrückliche innere Vertrautheit mit dem Heiligen
Geist. Dulces hospes animae, du süßer Gast der Seele, wie es in dem
selben Lied heißt. Der Heilige Geist also als Lenker, Tröster unseres
Lebens. Sicher könnten Sie manches darüber bezeugen, auch und gerade
aus dem Alltag, den kleinen Schritten des Lebens, wo die Führung durch
den Heiligen Geist besonders erfahrbar wird.
In der heutigen Katechese soll also im
Rahmen der Frage nach dem rechten menschlichen Handeln, nach der
christlichen Sittlichkeit, die Frage gestellt werden, wie das
eigentlich ist mit der Führung des Heiligen Geistes, noch konkreter
mit den Gaben des Heiligen Geistes. Ziel dieser Katechese ist es, uns
alle zu ermutigen, mich inbegriffen, diese innere Führung viel
nachdrücklicher und ausdrücklicher zu suchen, sich wirklich in allem
und für alles dem Heiligen Geist anzuvertrauen. Wie wäre es, wenn wir
vor jeder wichtigen Besprechung, vor jeder wichtigeren Arbeit mit
einem fast selbstverständlichen Instinkt um die Führung des Heiligen
Geistes bitten würden? Vielleicht unausdrücklich tun wir es sowieso,
weil wir spüren und aus dem Glauben wissen, dass wir ohne ihn nicht
den guten Weg gehen können.
II.
"Die sich vom Geist leiten lassen, die
sind Söhne Gottes", sagt Paulus (Röm 8,14), Söhne, in dem Sinn, dass
sie dem Sohn Gottes ähnlich werden, dass sie ihm gleichgestaltet
werden. Denn was es heißt, sich vom Geist leiten zu lassen, das sehen
wir ja am deutlichsten an Jesus selber. Er erscheint uns in seinem
ganzen Leben als der, der sich ganz vom Geist leiten lässt. "Sich vom
Geist leiten lassen", sagt der Apostel Paulus. Er hat hier
offensichtlich auch eine ganz starke Erfahrung gemacht, sich vom Geist
leiten lassen, das heißt wirklich frei werden. So sagt er im zweiten
Korintherbrief: "Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit" (2 Kor
3,17). Das heißt umgekehrt, wo der Geist des Herrn nicht am Werk ist,
ist Unfreiheit. Aber wie soll das gehen? Sich vom Geist leiten lassen,
das soll Freiheit heißen? Wenn ich mich von einem andern leiten lasse,
bin ich dann frei? Heißt Freiheit nicht zuerst Selbstbestimmung? Wenn
ein anderer mich leitet, dann bin ich fremdbestimmt. Aber wie ist das,
wenn ich mich selber leite? Wir haben ja die Aufgabe, unser Leben
selber zu leiten, Verantwortung für unser Leben zu tragen, unser Leben
in die Hände zu nehmen. Aber gelingt es mir wirklich, mein Leben in
die Hand zu nehmen? Sind wir dann nicht oft eher von unseren
Leidenschaften geleitet, von unseren Trieben?
Der Apostel Paulus spricht das in einem
ganz dramatischen Text an, im 7. Kapitel des Römerbriefes. Er merkt,
er wird gar nicht von sich selber geleitet. Da sagt er: "Ich begreife
mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was
ich hasse. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erkenne ich an,
dass das Gesetz gut ist. Dann aber bin nicht mehr ich es, der so
handelt, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich weiß, dass in mir, das
heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist bei mir
vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich
tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht
will" (Röm 7,15-19). Dann sagt er etwas weiter: "Ich unglücklicher
Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?"
(Röm 7,24). Paulus erlebt dramatisch diese Zerrissenheit. Er möchte
sein Leben in die Hand nehmen und merkt: Da ist etwas anderes in mir,
das mich leitet, obwohl ich gar nicht davon geleitet sein will, das
Böse oder die Sünde, er nennt es auch das Fleisch, ein anderes Gesetz
(Röm 7,23). Aber ganz am Schluss sagt er dann, das bricht richtig aus
seinem Herzen hervor: "Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren
Herrn! Es ergibt sich also, dass ich mit meiner Vernunft dem Gesetz
Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde" (Röm 7,25).
"Dank sei Gott durch Jesus Christus", der ihn befreit hat. Aus dieser
Erfahrung wird Paulus gewiss: Frei wird er erst, wenn der Geist Gottes
ihn leitet, wenn Jesu Heiliger Geist sein Leben führt. Er weiß also,
dass in seinem innersten nicht das Gesetz der Sünde, nicht das Gesetz
des Bösen, sondern der Heilige Geist die Führung übernehmen muss. Dazu
bedarf er gewissermaßen der Übergabe des Steuers seines Lebens an den
Heiligen Geist. Erst dann wird er frei sein. Solange der Heilige Geist
nicht das Steuer übenommen hat, bleibt er, bleiben wir Getriebene,
auch wenn wir glauben frei zu sein, Getriebene der eigenen
Leidenschaften und damit eben unfrei.
In der letzten Katechese haben wir über
die Tugenden gesprochen. Die Tugenden sollen ja uns gerade das
ermöglichen, dass wir selber unser Leben leiten können, dass wir es
wirklich von innen heraus zum Guten führen können. Denn was sind die
Tugenden? Sie sind Haltungen, die uns zum rechten Tun bereit und
geneigt machen. Die Tugenden sind Dispositionen, Geneigtheiten, das
Richtige zu tun, aus einer gewissen Spontaneität heraus, nicht
aufgestülpt, nicht aufgesetzt. Sondern es ist uns zur zweiten Natur
geworden. Es ist uns innerlich und selbstverständlich geworden. Wer
die Tugend der Freundlichkeit erworben hat, vielleicht durch lange
Kämpfe, durch immer wiederholtes Bemühen, dem geht gewissermaßen die
Freundlichkeit leicht vom Herzen, leicht von der Hand. Sie ist nicht
eine immer neue Mühe, sondern sie ist ihm zur zweiten Natur geworden;
oder die Geduld oder die Tapferkeit, das Maßhalten oder die
Gerechtigkeit, eben das, was wir Tugenden nennen, was uns "intus"
geworden ist, wirklich zu eigen geworden ist, eine gewisse
Selbstverständlichkeit, ein gewisses Gespür, das dazu führt, das
Richtige zu tun, gerade auch in Momenten, wo man nicht viel Zeit hat
zum Überlegen, wo man vielleicht von einer Situation überfallen ist,
in der es schnell zu handeln gilt, wo dann hervortritt, was in uns
wirklich vorhanden ist. Da zeigt sich, dass die Tugenden es uns leicht
machen, spontan das Richtige zu tun. Sie machen uns geneigt, aus dem
Herzen und aus unserer ganzen Haltung heraus richtig zu handeln. Oder,
wir können es ganz kurz zusammenfassen: Die Tugenden machen den, der
sie hat, gut. So sagt der hl. Thomas in einer ganz kurzen Definition.
Nun haben die alten Meister, die Klassiker
der Sittlichkeit, Platon, Aristoteles, Sokrates in seiner Art, doch
irgendwie geglaubt, dass der Mensch durch Übung, Disziplin, durch
Willensanstrengung diese Geradheit wirklich erreichen, ein gerader und
guter Mensch werden kann. Wir haben aber gesehen, dass der Apostel
Paulus da eine andere Sicht hat. Er sieht das Leben des Menschen viel
dramatischer, vielleicht gerade deshalb, weil er Gott durch den
Glauben näher gekommen ist, ist ihm deutlicher geworden, was es alles
in seinem innersten, in seinem Herzen, in seinem Leben gibt, was noch
nicht geläutert ist, was nicht gerade ist. Er entdeckt dieses andere
Gesetz in sich selber, das ihn auch immer wieder zum Bösen verleitet.
Paulus kommt also zur Überzeugung: Ohne die Hilfe Gottes, ohne den
Heiligen Geist kann der Mensch nicht gerade sein. "Ohne dein
barmherzig Walten" ist nichts im Menschen gerade. Hier setzt genau die
Lehre von den Sieben Gaben des Heiligen Geistes an. Mit dieser möchte
ich mich heute Abend befassen, schaun, was bedeutet das, die Lehre von
den sieben Gaben des Heiligen Geistes.
III.
Der hl. Thomas war überzeugt, dass wir
ohne die sieben Gaben des Heiligen Geistes gar nicht zum Heil gelangen
können. Das heißt, ohne die Führung des Heiligen Geistes kann der
Mensch nicht selig werden. Auch bei der größten eigenen Anstrengung
verfehlen wir unser Lebensziel ohne diese Hilfe. Aber schaun wir uns
an, wo kommt eigentlich überhaupt die Lehre von den sieben Gaben des
Heiligen Geistes her. Wir erinnern uns aus der Adventszeit an die
Lesung aus dem Propheten Jesaja. Im 11. Kapitel, in der Verheißung des
Davidsprosses, des Messias, der aus Davids Geschlecht kommen wird,
heißt es: "Aus Isais Stumpf sprosst ein Reis, ein Sprössling bricht
hervor aus seinem Wurzelstock. Auf ihm ruht der Geist des Herrn: der
Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der
Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht" (Jes 11,1-2).
Das ist der Wurzeltext, den die ganze Überlieferung weitergedacht,
weiter meditiert hat. In der griechischen und der lateinischen
Übersetzung kam dann noch eine siebte Gabe des Heiligen Geistes dazu,
die Gottesfurcht wurde geteilt in die Gabe der Gottesfurcht und der
Frömmigkeit.
Auch Jesus selber bezieht sich auf diesen
prophetischen Text, wenn er in der Synagoge in Nazaret, zu Hause, die
Schriftrolle aufrollt und daraus eine Stelle aus dem Propheten Jesaja
vorliest. Dort heißt es: "Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der
Herr hat mich gesalbt" (Lk 4,18; Jes 61,1). Nun betont das Evangelium,
besonders der hl. Lukas, immer wieder, dass Jesus alles, was er tut,
im Heiligen Geist tut. Der Geist treibt ihn in die Wüste, der Geist
führt ihn zurück nach Galiläa. In den verschiedensten Momenten des
Lebens Jesu heißt es immer wieder: Der Geist führte ihn. Und er will,
dass seine Jünger auch vom Geist geführt werden. Das erste, was er
macht nach Ostern, nach der Auferstehung, ist, so berichtet Johannes,
er haucht sie an und sagt: "Empfangt den Heiligen Geist!" (Joh 20,22).
Die ganze Geschichte der frühen Kirche ist eine intensive Erfahrung
der Führung durch den Heiligen Geist. Das christliche Leben ist ein
Leben im Heiligen Geist. Das geht durch die ganze christliche
Tradition bis hin zum Katechismus der Katholischen Kirche, wo der
ganze Moralteil, der dritte Teil unter dem Titel steht: Die Berufung
des Menschen: Das Leben im Heiligen Geist. Christliches Leben ist
einfach Leben im Heiligen Geist. Über die Katechese der zehn Gebote
des christlichen Lebens heißt es noch einmal im Katechismus, sie sei
eine "Katechese des Heiligen Geistes. Dieser ist der innere Lehrer des
christusgemäßen Lebens, der liebende Gast und Freund, der dieses Leben
beseelt, es lenkt, berichtigt und stärkt" (KKK 1697).
Ist das wirklich so in unserm Leben? Wie
weit ist bei uns bewusst, dass das christliche Leben ein Leben im
Heiligen Geist ist, dass ein Leben nach den Geboten Gottes ein Leben
nach dem Heiligen Geist ist? Noch einmal, der hl. Thomas von Aquin,
der große Meister der christlichen Tugendlehre, sagt: So wichtig alle
Tugenden sind, ohne den Heiligen Geist führen sie nicht zum Leben.
Deshalb sagt er ganz ausdrücklich: Die Gaben des Heiligen Geistes sind
zum Heil notwendig. Das heißt, das ist nicht eine Elitegeschichte für
einige wenige auserwählte, mystisch begnadete Seelen, sondern das ist
für jeden Menschen heilsnotwendig. Ohne die Gaben des Heiligen Geistes
kommen wir nicht zum Hafen, zum Ziel, zum ewigen Leben. Was heißt das
anderes, als dass alleine durch unsere Anstrengung unser Leben nicht
gelingen kann? Man kann zwar in vieler Hinsicht zu einem guten,
anständigen, in vieler Hinsicht auch gelungenen Leben kommen durch die
eigene Anstrengung des Willens und der Vernunft, aber zum Ziel kommt
das Leben so nicht.
IV.
Wie führt der Heilige Geist? Wie merkt man
überhaupt, ob der Heilige Geist in unserm Leben am Werk ist? Ich
möchte zuerst noch einmal auf die Frage zurückkommen: Warum sind die
Gaben des Heiligen Geistes lebensnotwendig, heilsnotwendig, dass wir
ohne sie gar nicht gerettet werden können? Dann möchte ich fragen: Wie
bemerkt man die Gaben des Heiligen Geistes? Gibt es irgendwie
Kennzeichen, an denen ich spüren kann, ob der Heilige Geist in meinem
Leben wirkt, ob ich mich von ihm führen lasse.
Zur ersten Frage: Warum sind sie
unerlässlich, die Gaben des Heiligen Geistes? Ich komme noch einmal
auf die Tugenden zurück. Die Tugenden, haben wir gesehen, sind
Haltungen, die wir erwerben, die uns vielleicht geschenkt werden,
Haltungen, die uns geneigt machen, das Richtige, das Gute zu tun. Ich
muss mich nicht jedesmal neu entscheiden für das Gute in diesem oder
jenen Bereich, sondern ich tue es gewissermaßen aus einem, fast möchte
ich sagen, Instinkt heraus, aus einer mir eigen gewordenen Haltung.
Aber so sehr das genügt für eine praktische Lebensorientierung
zumindest aufs erste gesehen, so sehr wird deutlich, dass das Leben
als ganzes auf diese Weise noch nicht gelingen kann. Denn vieles von
dem, was ich brauche zu meiner Lebensorientierung, kann ich gar nicht
im einzelnen erkennen und wissen. Es ist da wirklich, wie ein
berühmter Spruch eines österreichischen Politikers ausdrückt: Es ist
alles sehr kompliziert. Es ist wirklich sehr kompliziert. Wie will ich
mich mit der bloßen Antenne meiner Vernunft, meiner Klugheit, meiner
Einsichten im Leben orientieren, dass ich wirklich sicher zum Ziel
komme? Aber es gibt noch einen radikaleren Grund, warum meine eigene
Vernunft, meine eigenen Tugenden nicht genügen. Jesus spricht in der
Bergpredigt von einer Gerechtigkeit, die größer ist als die der
Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 5,20). Immer wieder spricht er von
dieser größeren Gerechtigkeit. Er sagt nicht, dass die Gerechtigkeit
der Pharisäer und Schriftgelehrten schlecht ist, aber sie genügt
nicht. Er sagt: Wenn ihr nur diese Gerechtigkeit habt, sozusagen die
vernünftige menschliche Gerechtigkeit, dann kommt ihr nicht in das
Himmelreich. Das genügt nicht. Es bedarf der größeren Gerechtigkeit,
die mehr ist als Anständigkeit und guter Wille. Diese sind gut, aber
sie genügen nicht.
Nehmen wir die acht Seligpreisungen in der
Bergpredigt (Mt 5,3-12). Sie sprechen von einer Gerechtigkeit, die
größer ist als das, was wir landesüblich unter uns Menschen als
anständig bezeichnen. Wenn wir weiterschaun in der Bergpredigt, wo
Jesus sagt: Wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als ‚Liebe deine
Freunde und hasse deine Feinde‘, dann könnt ihr nicht in das
Himmelreich kommen (Mt 5,43-48); seine Worte über die Versöhnung (Mt
5,23-26); dass man die andere Backe hinhalten soll (Mt 5,39): Das ist
die größere Gerechtigkeit. Aber können wir das von uns aus? Oder die
Unmöglichkeit der Feindesliebe, und doch sagt Jesus: Wenn wir unsere
Feinde nicht lieben, können wir nicht in das Himmelreich eingehen (Mt
5,46-48; Lk 6,32-36). Oder alles das, was er fordert über die
Verborgenheit unseres Tuns, dass wir nicht Almosen geben, um gesehen
zu werden, dass wir uns nicht zur Schau stellen sollen (Mt 6,2-4);
dass es nicht darauf ankommt, was die Menschen über uns sagen, sondern
dass "unser Vater ins Verborgene sieht" (Mt 6,4.6.18) und dass es
darauf ankommt. Das alles ist die größere Gerechtigkeit. Oder, dass
wir die Lilien des Feldes, die Vögel des Himmels als Vorbild nehmen
sollen in ihrem Vertrauen, dass Gott um sie sorgt (Mt 6,26-31), diese
radikale Hingabe an die göttliche Vorsehung, bringen wir das fertig?
All das, was in der Bergpredigt steht und
was Jesus die größere Gerechtigkeit nennt, das ist notwendig, um ins
Himmelreich zu gelangen. Billiger gibt er uns das Himmelreich nicht.
Zugleich sehen wir, das ist mehr als natürliche Tugenden. Das ist mehr
als Gutsein und Anständigsein, so gut und anständig es ist, so zu
sein. Ein Leben nach der Bergpredigt, das heißt ein Leben, von dem
Jesus selber sagt: Wer so lebt, der hat nicht auf Sand gebaut (Mt
7,24-27), dessen "Lebenshaus" wird nicht von den Stürmen und den
Fluten niedergerissen. Also wer sein Lebenshaus auf den Felsen Christi
gebaut hat, der allein wird ins Leben eingehen. Das kann nur gelingen,
wenn wir unser Leben vom Geist Gottes führen lassen durch die Gaben
des Heiligen Geistes.
V.
Was heißt das? Was sind die Gaben des
Heiligen Geistes? Die größere Gerechtigkeit gelingt uns nicht, wenn
wir uns selbst von unseren guten Instinkten leiten lassen. Sie gelingt
nur, wenn der Instinkt des Heiligen Geistes uns leitet, wenn Gott uns
bewegt. Die Gaben des Heiligen Geistes sind den Tugenden ähnlich. Sie
machen uns auch geneigt, das Gute zu tun, aber nicht aus eigener
Kraft. Sondern es ist mit den Gaben des Heiligen Geistes so, als würde
der Geist selber uns neigen, uns geneigt machen zu Dingen, die größer
sind als die menschliche Gutheit und Gerechtigkeit.
Ich möchte das an einem Beispiel
verdeutlichen. Der hl. Dominikus hat 1216 mit seinem Orden begonnen,
er hat die ersten Brüder gesammelt in Toulouse, und sie waren - glaube
ich - nicht mehr als sechzehn, als Dominikus eine völlig verrückte
Entscheidung fällt. Er schickt sie, diese Handvoll erster Brüder, mit
denen er knapp ein Jahr zusammen gelebt hat, nach ganz Europa in
Gruppen und sagt: Geht, verkündet das Evangelium und gründet Klöster,
Konvente. Er schickt sie nach Madrid, nach Paris, nach Bologna, nach
Rom, und eine Gruppe bleibt in Toulouse. Menschlich gesehen ein
völliger Wahnsinn, unklug, eine so kleine Schar von Brüdern nach so
kurzer Zeit auszusenden, das geht über die menschliche Klugheit
hinaus. Aber offensichtlich hatte Dominikus eine starke Anregung des
Heiligen Geistes. Er war überzeugt, er muss so handeln, das ist ein
Antrieb Gottes, dem er folgen muss.
Nur wie soll man unterscheiden, ob das
eine Verrücktheit ist oder ein Antrieb des Heiligen Geistes? Nicht
alles, was wir tun und wovon andere sagen, das ist verrückt, ist
deshalb schon vom Heiligen Geist. Hier kann man sagen, Dominikus hat
Erfolg gehabt, oder hatte so gute Brüder, dass sie Erfolg hatten mit
dieser gewagten Aktion. Sie haben tatsächlich in kürzester Zeit nicht
nur viele neue Mitbrüder gewonnen, der Orden ist ungeheuer schnell
gewachsen, sondern sie haben auch tatsächlich Konvente gebildet an
allen diesen Orten. Es ist nicht zur Katastrophe, sondern zu einem
Erfolg geworden.
Wenn wir in die Lebensgeschichte der
Heiligen hinein schauen, haben wir zahllose Beispiele dieser Art.
Teresa von Àvila hätte sicher nicht ihre Klosterreform durchführen
können ohne ein gewisses Maß an Übermaß, das über die menschliche
Klugheit hinausgeht, aber eben doch nicht einfach verrückt war. Nicht
jeder, der im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes ein großes
finanzielles Risiko eingeht, hat damit schon einem Instinkt des
Heiligen Geistes Folge geleistet. Es kann auch schlicht und einfach
anmaßende Unklugheit sein. Wie unterscheiden wir, ob ein Antrieb des
Heiligen Geistes da ist, der uns über das normale Maß hinausführt, von
Unklugheit und anmaßender Selbstüberschätzung?
Ist es nicht in jedem christlichen Leben
so, auch im Kleinen, dass es ständig eine Einladung zu etwas Größerem
gibt, als dem normalen guten menschlichen Maß? Schritte, die oft als
unvernünftig beurteilt werden und die doch eine tiefere Vernünftigkeit
haben, die Vernünftigkeit des Heiligen Geistes? Wenn ein Ehepartner
gegen alle scheinbare Vernunft und menschliche Klugheit dem anderen
Partner vergibt und damit eine neue Chance eröffnet, oder wenn jemand
- das ist jetzt ein Beispiel, das ich tatsächlich vor einiger Zeit
gehört habe - gegen alle Vernunft dessen, was heute üblich ist, was
man ganz selbstverständlich in unserer Gesellschaft tut, darauf
verzichtet, in eine gut bezahlte Frühpension zu gehen, die dadurch
möglich wäre, und das hat man ihm auch empfohlen von ganz offizieller
Seite, dass er sich ein, natürlich nicht ehrliches aber nützliches,
ärztliches Attest besorgt, um mit diesem dann in die Frühpension zu
gehen. Wenn jemand darauf verzichtet das zu tun, aus christlicher
Überzeugung, weil er nicht die Gesellschaft, die anderen betrügen will
und lieber in Kauf nimmt, weniger zu verdienen und mit einer
schlechteren Pension schließlich auszusteigen, dann ist das menschlich
gesehen in der gängigen Logik vielleicht verrückt. Aber hat jemand,
der so handelt, nicht entsprechend der Gabe der Stärke gehandelt, die
der Heilige Geist uns gibt?
Kommen wir zurück zum hl. Dominikus. Wie
soll man unterscheiden, ob solche Taten und Schritte Taten des
Leichtsinns, der Verantwortungslosigkeit sind, oder wirklich
Kennzeichen des Antriebs des Heiligen Geistes? Der hl. Dominikus war
überzeugt, er handelt aus dem Antrieb des Heiligen Geistes, auch wenn
es Einspruch und Widerspruch und Widerstand dagegen gab.
Offensichtlich braucht es, um so dem Heiligen Geist zu folgen,
gewissermaßen Antennen, die wahrnehmen können, was der Heilige Geist
uns an Anregungen gibt. Ich glaube, es ist eine sehr anschauliche
Definition dessen, was die Gaben des Heiligen Geistes sind. Ich habe
sie bei einem geistlichen Meister gefunden und sie hat mich sehr
angesprochen. Er sagt: Die Gaben des Heiligen Geists sind
gewissermaßen Antennen, durch die wir empfänglich werden für den
Anspruch, den Zuspruch, die Einsprechung des Heiligen Geistes. Wir
brauchen also solche Antennen. Ohne solche Antennen kann der Heilige
Geist uns nicht führen, ohne "GPS" sozusagen, für die, die sich
technisch auskennen. - Ich habe jetzt im Auto so ein GPS, und das ist
sehr spannend, wenn eine Stimme satellitengesteuert einem sagt: Nach
dreihundert Meter rechts fahren und dann einen Kilometer gerade
fahren, das ist schon sehr beeindruckend. Aber es bedarf, um das GPS
zum Funktionieren zu bringen, eines Empfangsgerätes. Natürlich gibt es
einen wesentlichen Unterschied zum GPS, dass die Gaben des Heiligen
Geistes uns eben nicht von außen steuern, sondern sie werden innere
Antennen. Sie machen es möglich, dass wir aus dem Herzen heraus, aus
unserem Innersten heraus uns vom Heiligen Geist führen lassen. Das ist
keine Fremdbestimmung, sondern das kommt dann wirklich aus einem
inneren Gespür heraus. Deshalb nennen wir sie Gaben des Heiligen
Geistes. Sie werden uns zu eigen gegeben. So wie die Tugenden uns zu
eigen geworden sind, werden die Gaben des Heiligen Geistes uns zu
eigen, werden uns zu einem Gespür, einem Instinkt für das Wirken des
Heiligen Geistes, gewissermaßen für das, was nach dem Heiligen Geist
"schmeckt". Das sicherste Kennzeichen, dass eine innere Anregung vom
Heiligen Geist kommt, ist, dass sie Freude und Frieden bringt. Daran
kann man sie sicher erkennen.
Nur so erklärt sich eine Grunderfahrung
des Christentums, dass so viele einfache Menschen, die nicht studiert
haben, nicht Universitätsstudien gemacht haben, ein ganz sicheres
Gespür dafür haben, was der Antrieb des Heiligen Geistes ist, und dass
sie wirklich Werke tun, die der größeren Gerechtigkeit entsprechen,
der größeren Gerechtigkeit der Bergpredigt. Es ist etwas Wunderbares,
dieses Wirken des Heiligen Geistes im Leben von Menschen wahrzunehmen,
die vom Geist geleitet und belehrt sind und da heraus auch
bewundernswerte Schritte über das normale Maß hinaus tun, Schritte der
Barmherzigkeit, der Güte, der Versöhnung, der Weisheit, auch der
Stärke.
Noch ein anderes Bild, das auch die
geistlichen Meister gerne gebrauchen, um den Unterschied von den
Tugenden zu den Gaben des Heiligen Geistes zu zeigen. Die Tugenden
sind gewissermaßen wie "Ruderboote". Wer mit einem Ruderboot über
einen großen See fahren will, muss sich schon sehr anstrengen. Er kann
es schaffen, aber er muss sehr kräftig sein und es darf kein heftiger
Gegenwind sein. Es ist fast nicht zu schaffen. Aber wenn in so einem
Boot ein Segel gehisst werden kann und der Wind dann das Segel bläht,
dann geht die Fahrt ganz leicht und geschwind dahin. So sei es, sagen
die geistlichen Meister, mit den Gaben des Heiligen Geistes. So lange
ich mich selber anstrenge, bin ich wie einer, der rudert, ich komme
voran, mühsam. Aber wenn ich die Gaben des Heiligen Geistes habe, dann
ist mein Lebensboot wie mit einem Segel, das gehisst ist und das der
Windhauch des Heiligen Geistes blähen kann, und das Boot meines Lebens
fährt leicht bewegt dahin. Ein solches Leben hat unweigerlich eine
Strahlkraft, eine Leuchtkraft, eben diese Freudigkeit und
Leichtigkeit, die immer das Kennzeichen des Heiligen Geistes ist.
In wenigen Minuten beginnt die Gedenkmesse
für Msgr. Toni Berger, der genau gestern vor einem Jahr verstorben
ist. Alle, die ihn gekannt haben, werden dieses an ihm gespürt haben,
und vielleicht ist es nach seinem Tod noch viel bewusster geworden,
eben diese Antennen für Gottes Anregungen, die Segel, die den
Windhauch Gottes auffangen können. Bei aller menschlichen Schwäche ist
ein solches Leben doch ein Leben, dass eine große Strahlkraft hat.
Es wäre jetzt natürlich an der Zeit, etwas
über die sieben Gaben des Heiligen Geistes selbst zu sagen, aber ich
habe versprochen, die heutige Katechese früher aufzuhören, weil eben
heute, jetzt um 21 Uhr die Gedenkmesse für Toni Berger ist, die er
fast dreißig Jahre gehalten hat und die für viele Menschen wirklich
Heimat in der Kirche war. Möge sie es auch weiterhin sein. So sage ich
zum Schluss zu den sieben Gaben zusammenfassend nur dieses eine: Jede
dieser Gaben ist eine Verstärkung unserer natürlichen Begabungen. Die
Weisheit, die Erkenntnis, die Stärke, die Gottesfurcht, die Gabe des
Rates - bei jeder dieser Gaben können Sie sich Menschen vorstellen,
die sie kennen, bei denen sie etwas von dieser Gabe auch wahrnehmen.
Sie kennen sicher Menschen, die die Gabe des Rates haben, die,
vielleicht ohne viel studiert zu haben, aus einer inneren Begabung
heraus die Gabe haben, treffenden Rat zu geben, nicht nur menschliche
Weisheit, sondern göttlichen Rat, göttliche Inspiration. Alles
zusammenfassend ist es die Liebe, denn die Liebe ist die Gabe des
Heiligen Geistes, die alle Gaben zusammenfasst. Wenn wir die Katechese
in einem Wort zusammenfassen wollen, dann ist es: Von der Liebe sich
leiten lassen, ist das sicherste Zeichen, dass wir vom Geist geleitet
sind. Aber wir brauchen die Antennen. Der Geist kann uns nur
inspirieren, wenn wir seine Inspiration aufnehmen können. Nicht
umsonst beten wir immer wieder um die sieben Gaben des Heiligen
Geistes. Bei den Firmlingen, um bei ihnen zu schließen, denen wir
Firmspender die sieben Gaben des Heiligen Geistes erbitten: Was wissen
wir, ob durch dieses Gebet und das Sakrament der Firmung nicht
tatsächlich ihnen Antennen sozusagen eingebaut werden für ein ganzes
Leben, die dann mehr oder weniger betätigt werden, mehr oder weniger
sich entfalten, aber sie sind da. Sie sind in jedem von uns da seit
der Taufe. So bitten wir um die Gaben des Heiligen Geistes auch in
unserem Leben.
(Kardinal Christoph Schönborn) |