"Sich vom Geist leiten lassen ..." (Röm 8,14) - Die Gaben des Geistes
Kardinal Schönborn
7. Katechese vom 10. März 2002

 

Bei jeder Firmung betet der Bischof ein Gebet, in dem er die sieben Gaben des Heiligen Geistes für die Firmkandidaten erbittet. Wissen wir, wissen unsere, meist vierzehnjährigen, Firmkandidaten was es mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes auf sich hat?

 

Gütiger Gott, lass Deine Gnade mächtig werden in unseren Herzen, damit wir imstande sind, unsere eigenen Begierden zu meistern und den Anregungen deines Geistes zu folgen. Darum bitten wir Dich durch Christus unsern Herrn. Amen (Tagesgebet vom Freitag der 3. Fastenwoche).

I.

Jahr für Jahr werden in der Erzdiözese Wien etwa 10.000 junge Menschen gefirmt. Bei jeder Firmung betet der Bischof oder der von ihm beauftragte Firmspender ein Gebet um den Heiligen Geist. Er breitet dazu über den Firmlingen die Hände aus und betet: "Allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus, du hast diese jungen Christen in der Taufe von der Schuld Adams befreit, du hast ihnen aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt. Wir bitten dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist, den Beistand. Gib ihnen den Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, den Geist der Frömmigkeit und der Gottesfurcht. Durch Christus unsern Herrn" (Gebet zur Firmung). Wenn ich dieses Gebet immer wieder über die vielen Firmkandidaten bete, stelle ich mir natürlich die Frage: Verstehen sie, was da über sie gebetet wird? Verstehe ich es selber? Weiß ich, wissen wir, wissen unsere, meist vierzehnjährigen, Firmkandidaten was es mit den sieben Gaben des Heiligen Geistes auf sich hat?

Bei der Firmung trage ich meistens die Mitra, die mir Weihbischof Moser am Sterbebett vererbt hat und die ich in Erinnerung an ihn eben besonders bei den Firmungen trage, die sieben Flammen dargestellt zeigt. Gelegentlich versuche ich dann, die Katechese für die Firmlinge an diesen sieben Flammen anzuknüpfen. Heute habe ich diese Mitra zwar nicht auf, aber ich möchte über die sieben Gaben des Heiligen Geistes auch mit Ihnen nachdenken. Wissen wir, was es eigentlich heißt: "Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, die sind Söhne Gottes", wie der Apostel Paulus sagt (Röm 8,14)? Wissen wir überhaupt Bescheid über den Heiligen Geist? Ist er nicht weithin der große Unbekannte unter uns Christen? Gilt nicht ein wenig von uns Christen, was der Apostel Paulus in Ephesus erlebt hat, als er dort einer Gruppe von Jüngern begegnete, die zwar die Taufe empfangen hatten, aber als Paulus sie fragte: "Habt ihr bei der Taufe auch den Heiligen Geist empfangen?", da antworteten sie: "Wir haben nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt" (Apg 19,2). Anderseits bezeugen uns die Heilige Schrift und das Leben der Kirche in aller Klarheit, dass es ohne den Heiligen Geist gar nicht geht, ein christliches Leben zu führen und es auch zu einem guten Ziel zu führen. "Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehen, kann nichts heil sein noch gesund", heißt es in dem Veni Sancte Spiritus (Pfingstsequenz, Gotteslob Nr. 244).

Auf der einen Seite scheint er sehr unbekannt zu sein, auf der andern Seite bin ich sicher, wenn wir jetzt eine große Austauschrunde machen könnten, könnten viele, wahrscheinlich die meisten, vielleicht alle von Ihnen sagen, wie Sie doch den Heiligen Geist in ihrem Leben erfahren, vielleicht ohne viel darüber zu reden, mit einer gewissen Scheu, denn der Heilige Geist liebt die Diskretheit, die Verborgenheit. Aber sicher haben viele von Ihnen auch eine ausdrückliche innere Vertrautheit mit dem Heiligen Geist. Dulces hospes animae, du süßer Gast der Seele, wie es in dem selben Lied heißt. Der Heilige Geist also als Lenker, Tröster unseres Lebens. Sicher könnten Sie manches darüber bezeugen, auch und gerade aus dem Alltag, den kleinen Schritten des Lebens, wo die Führung durch den Heiligen Geist besonders erfahrbar wird.

In der heutigen Katechese soll also im Rahmen der Frage nach dem rechten menschlichen Handeln, nach der christlichen Sittlichkeit, die Frage gestellt werden, wie das eigentlich ist mit der Führung des Heiligen Geistes, noch konkreter mit den Gaben des Heiligen Geistes. Ziel dieser Katechese ist es, uns alle zu ermutigen, mich inbegriffen, diese innere Führung viel nachdrücklicher und ausdrücklicher zu suchen, sich wirklich in allem und für alles dem Heiligen Geist anzuvertrauen. Wie wäre es, wenn wir vor jeder wichtigen Besprechung, vor jeder wichtigeren Arbeit mit einem fast selbstverständlichen Instinkt um die Führung des Heiligen Geistes bitten würden? Vielleicht unausdrücklich tun wir es sowieso, weil wir spüren und aus dem Glauben wissen, dass wir ohne ihn nicht den guten Weg gehen können.

II.

"Die sich vom Geist leiten lassen, die sind Söhne Gottes", sagt Paulus (Röm 8,14), Söhne, in dem Sinn, dass sie dem Sohn Gottes ähnlich werden, dass sie ihm gleichgestaltet werden. Denn was es heißt, sich vom Geist leiten zu lassen, das sehen wir ja am deutlichsten an Jesus selber. Er erscheint uns in seinem ganzen Leben als der, der sich ganz vom Geist leiten lässt. "Sich vom Geist leiten lassen", sagt der Apostel Paulus. Er hat hier offensichtlich auch eine ganz starke Erfahrung gemacht, sich vom Geist leiten lassen, das heißt wirklich frei werden. So sagt er im zweiten Korintherbrief: "Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit" (2 Kor 3,17). Das heißt umgekehrt, wo der Geist des Herrn nicht am Werk ist, ist Unfreiheit. Aber wie soll das gehen? Sich vom Geist leiten lassen, das soll Freiheit heißen? Wenn ich mich von einem andern leiten lasse, bin ich dann frei? Heißt Freiheit nicht zuerst Selbstbestimmung? Wenn ein anderer mich leitet, dann bin ich fremdbestimmt. Aber wie ist das, wenn ich mich selber leite? Wir haben ja die Aufgabe, unser Leben selber zu leiten, Verantwortung für unser Leben zu tragen, unser Leben in die Hände zu nehmen. Aber gelingt es mir wirklich, mein Leben in die Hand zu nehmen? Sind wir dann nicht oft eher von unseren Leidenschaften geleitet, von unseren Trieben?

Der Apostel Paulus spricht das in einem ganz dramatischen Text an, im 7. Kapitel des Römerbriefes. Er merkt, er wird gar nicht von sich selber geleitet. Da sagt er: "Ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erkenne ich an, dass das Gesetz gut ist. Dann aber bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will" (Röm 7,15-19). Dann sagt er etwas weiter: "Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?" (Röm 7,24). Paulus erlebt dramatisch diese Zerrissenheit. Er möchte sein Leben in die Hand nehmen und merkt: Da ist etwas anderes in mir, das mich leitet, obwohl ich gar nicht davon geleitet sein will, das Böse oder die Sünde, er nennt es auch das Fleisch, ein anderes Gesetz (Röm 7,23). Aber ganz am Schluss sagt er dann, das bricht richtig aus seinem Herzen hervor: "Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Es ergibt sich also, dass ich mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde" (Röm 7,25). "Dank sei Gott durch Jesus Christus", der ihn befreit hat. Aus dieser Erfahrung wird Paulus gewiss: Frei wird er erst, wenn der Geist Gottes ihn leitet, wenn Jesu Heiliger Geist sein Leben führt. Er weiß also, dass in seinem innersten nicht das Gesetz der Sünde, nicht das Gesetz des Bösen, sondern der Heilige Geist die Führung übernehmen muss. Dazu bedarf er gewissermaßen der Übergabe des Steuers seines Lebens an den Heiligen Geist. Erst dann wird er frei sein. Solange der Heilige Geist nicht das Steuer übenommen hat, bleibt er, bleiben wir Getriebene, auch wenn wir glauben frei zu sein, Getriebene der eigenen Leidenschaften und damit eben unfrei.

In der letzten Katechese haben wir über die Tugenden gesprochen. Die Tugenden sollen ja uns gerade das ermöglichen, dass wir selber unser Leben leiten können, dass wir es wirklich von innen heraus zum Guten führen können. Denn was sind die Tugenden? Sie sind Haltungen, die uns zum rechten Tun bereit und geneigt machen. Die Tugenden sind Dispositionen, Geneigtheiten, das Richtige zu tun, aus einer gewissen Spontaneität heraus, nicht aufgestülpt, nicht aufgesetzt. Sondern es ist uns zur zweiten Natur geworden. Es ist uns innerlich und selbstverständlich geworden. Wer die Tugend der Freundlichkeit erworben hat, vielleicht durch lange Kämpfe, durch immer wiederholtes Bemühen, dem geht gewissermaßen die Freundlichkeit leicht vom Herzen, leicht von der Hand. Sie ist nicht eine immer neue Mühe, sondern sie ist ihm zur zweiten Natur geworden; oder die Geduld oder die Tapferkeit, das Maßhalten oder die Gerechtigkeit, eben das, was wir Tugenden nennen, was uns "intus" geworden ist, wirklich zu eigen geworden ist, eine gewisse Selbstverständlichkeit, ein gewisses Gespür, das dazu führt, das Richtige zu tun, gerade auch in Momenten, wo man nicht viel Zeit hat zum Überlegen, wo man vielleicht von einer Situation überfallen ist, in der es schnell zu handeln gilt, wo dann hervortritt, was in uns wirklich vorhanden ist. Da zeigt sich, dass die Tugenden es uns leicht machen, spontan das Richtige zu tun. Sie machen uns geneigt, aus dem Herzen und aus unserer ganzen Haltung heraus richtig zu handeln. Oder, wir können es ganz kurz zusammenfassen: Die Tugenden machen den, der sie hat, gut. So sagt der hl. Thomas in einer ganz kurzen Definition.

Nun haben die alten Meister, die Klassiker der Sittlichkeit, Platon, Aristoteles, Sokrates in seiner Art, doch irgendwie geglaubt, dass der Mensch durch Übung, Disziplin, durch Willensanstrengung diese Geradheit wirklich erreichen, ein gerader und guter Mensch werden kann. Wir haben aber gesehen, dass der Apostel Paulus da eine andere Sicht hat. Er sieht das Leben des Menschen viel dramatischer, vielleicht gerade deshalb, weil er Gott durch den Glauben näher gekommen ist, ist ihm deutlicher geworden, was es alles in seinem innersten, in seinem Herzen, in seinem Leben gibt, was noch nicht geläutert ist, was nicht gerade ist. Er entdeckt dieses andere Gesetz in sich selber, das ihn auch immer wieder zum Bösen verleitet. Paulus kommt also zur Überzeugung: Ohne die Hilfe Gottes, ohne den Heiligen Geist kann der Mensch nicht gerade sein. "Ohne dein barmherzig Walten" ist nichts im Menschen gerade. Hier setzt genau die Lehre von den Sieben Gaben des Heiligen Geistes an. Mit dieser möchte ich mich heute Abend befassen, schaun, was bedeutet das, die Lehre von den sieben Gaben des Heiligen Geistes.

III.

Der hl. Thomas war überzeugt, dass wir ohne die sieben Gaben des Heiligen Geistes gar nicht zum Heil gelangen können. Das heißt, ohne die Führung des Heiligen Geistes kann der Mensch nicht selig werden. Auch bei der größten eigenen Anstrengung verfehlen wir unser Lebensziel ohne diese Hilfe. Aber schaun wir uns an, wo kommt eigentlich überhaupt die Lehre von den sieben Gaben des Heiligen Geistes her. Wir erinnern uns aus der Adventszeit an die Lesung aus dem Propheten Jesaja. Im 11. Kapitel, in der Verheißung des Davidsprosses, des Messias, der aus Davids Geschlecht kommen wird, heißt es: "Aus Isais Stumpf sprosst ein Reis, ein Sprössling bricht hervor aus seinem Wurzelstock. Auf ihm ruht der Geist des Herrn: der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht" (Jes 11,1-2). Das ist der Wurzeltext, den die ganze Überlieferung weitergedacht, weiter meditiert hat. In der griechischen und der lateinischen Übersetzung kam dann noch eine siebte Gabe des Heiligen Geistes dazu, die Gottesfurcht wurde geteilt in die Gabe der Gottesfurcht und der Frömmigkeit.

Auch Jesus selber bezieht sich auf diesen prophetischen Text, wenn er in der Synagoge in Nazaret, zu Hause, die Schriftrolle aufrollt und daraus eine Stelle aus dem Propheten Jesaja vorliest. Dort heißt es: "Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt" (Lk 4,18; Jes 61,1). Nun betont das Evangelium, besonders der hl. Lukas, immer wieder, dass Jesus alles, was er tut, im Heiligen Geist tut. Der Geist treibt ihn in die Wüste, der Geist führt ihn zurück nach Galiläa. In den verschiedensten Momenten des Lebens Jesu heißt es immer wieder: Der Geist führte ihn. Und er will, dass seine Jünger auch vom Geist geführt werden. Das erste, was er macht nach Ostern, nach der Auferstehung, ist, so berichtet Johannes, er haucht sie an und sagt: "Empfangt den Heiligen Geist!" (Joh 20,22). Die ganze Geschichte der frühen Kirche ist eine intensive Erfahrung der Führung durch den Heiligen Geist. Das christliche Leben ist ein Leben im Heiligen Geist. Das geht durch die ganze christliche Tradition bis hin zum Katechismus der Katholischen Kirche, wo der ganze Moralteil, der dritte Teil unter dem Titel steht: Die Berufung des Menschen: Das Leben im Heiligen Geist. Christliches Leben ist einfach Leben im Heiligen Geist. Über die Katechese der zehn Gebote des christlichen Lebens heißt es noch einmal im Katechismus, sie sei eine "Katechese des Heiligen Geistes. Dieser ist der innere Lehrer des christusgemäßen Lebens, der liebende Gast und Freund, der dieses Leben beseelt, es lenkt, berichtigt und stärkt" (KKK 1697).

Ist das wirklich so in unserm Leben? Wie weit ist bei uns bewusst, dass das christliche Leben ein Leben im Heiligen Geist ist, dass ein Leben nach den Geboten Gottes ein Leben nach dem Heiligen Geist ist? Noch einmal, der hl. Thomas von Aquin, der große Meister der christlichen Tugendlehre, sagt: So wichtig alle Tugenden sind, ohne den Heiligen Geist führen sie nicht zum Leben. Deshalb sagt er ganz ausdrücklich: Die Gaben des Heiligen Geistes sind zum Heil notwendig. Das heißt, das ist nicht eine Elitegeschichte für einige wenige auserwählte, mystisch begnadete Seelen, sondern das ist für jeden Menschen heilsnotwendig. Ohne die Gaben des Heiligen Geistes kommen wir nicht zum Hafen, zum Ziel, zum ewigen Leben. Was heißt das anderes, als dass alleine durch unsere Anstrengung unser Leben nicht gelingen kann? Man kann zwar in vieler Hinsicht zu einem guten, anständigen, in vieler Hinsicht auch gelungenen Leben kommen durch die eigene Anstrengung des Willens und der Vernunft, aber zum Ziel kommt das Leben so nicht.

IV.

Wie führt der Heilige Geist? Wie merkt man überhaupt, ob der Heilige Geist in unserm Leben am Werk ist? Ich möchte zuerst noch einmal auf die Frage zurückkommen: Warum sind die Gaben des Heiligen Geistes lebensnotwendig, heilsnotwendig, dass wir ohne sie gar nicht gerettet werden können? Dann möchte ich fragen: Wie bemerkt man die Gaben des Heiligen Geistes? Gibt es irgendwie Kennzeichen, an denen ich spüren kann, ob der Heilige Geist in meinem Leben wirkt, ob ich mich von ihm führen lasse.

Zur ersten Frage: Warum sind sie unerlässlich, die Gaben des Heiligen Geistes? Ich komme noch einmal auf die Tugenden zurück. Die Tugenden, haben wir gesehen, sind Haltungen, die wir erwerben, die uns vielleicht geschenkt werden, Haltungen, die uns geneigt machen, das Richtige, das Gute zu tun. Ich muss mich nicht jedesmal neu entscheiden für das Gute in diesem oder jenen Bereich, sondern ich tue es gewissermaßen aus einem, fast möchte ich sagen, Instinkt heraus, aus einer mir eigen gewordenen Haltung. Aber so sehr das genügt für eine praktische Lebensorientierung zumindest aufs erste gesehen, so sehr wird deutlich, dass das Leben als ganzes auf diese Weise noch nicht gelingen kann. Denn vieles von dem, was ich brauche zu meiner Lebensorientierung, kann ich gar nicht im einzelnen erkennen und wissen. Es ist da wirklich, wie ein berühmter Spruch eines österreichischen Politikers ausdrückt: Es ist alles sehr kompliziert. Es ist wirklich sehr kompliziert. Wie will ich mich mit der bloßen Antenne meiner Vernunft, meiner Klugheit, meiner Einsichten im Leben orientieren, dass ich wirklich sicher zum Ziel komme? Aber es gibt noch einen radikaleren Grund, warum meine eigene Vernunft, meine eigenen Tugenden nicht genügen. Jesus spricht in der Bergpredigt von einer Gerechtigkeit, die größer ist als die der Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 5,20). Immer wieder spricht er von dieser größeren Gerechtigkeit. Er sagt nicht, dass die Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten schlecht ist, aber sie genügt nicht. Er sagt: Wenn ihr nur diese Gerechtigkeit habt, sozusagen die vernünftige menschliche Gerechtigkeit, dann kommt ihr nicht in das Himmelreich. Das genügt nicht. Es bedarf der größeren Gerechtigkeit, die mehr ist als Anständigkeit und guter Wille. Diese sind gut, aber sie genügen nicht.

Nehmen wir die acht Seligpreisungen in der Bergpredigt (Mt 5,3-12). Sie sprechen von einer Gerechtigkeit, die größer ist als das, was wir landesüblich unter uns Menschen als anständig bezeichnen. Wenn wir weiterschaun in der Bergpredigt, wo Jesus sagt: Wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als ‚Liebe deine Freunde und hasse deine Feinde‘, dann könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen (Mt 5,43-48); seine Worte über die Versöhnung (Mt 5,23-26); dass man die andere Backe hinhalten soll (Mt 5,39): Das ist die größere Gerechtigkeit. Aber können wir das von uns aus? Oder die Unmöglichkeit der Feindesliebe, und doch sagt Jesus: Wenn wir unsere Feinde nicht lieben, können wir nicht in das Himmelreich eingehen (Mt 5,46-48; Lk 6,32-36). Oder alles das, was er fordert über die Verborgenheit unseres Tuns, dass wir nicht Almosen geben, um gesehen zu werden, dass wir uns nicht zur Schau stellen sollen (Mt 6,2-4); dass es nicht darauf ankommt, was die Menschen über uns sagen, sondern dass "unser Vater ins Verborgene sieht" (Mt 6,4.6.18) und dass es darauf ankommt. Das alles ist die größere Gerechtigkeit. Oder, dass wir die Lilien des Feldes, die Vögel des Himmels als Vorbild nehmen sollen in ihrem Vertrauen, dass Gott um sie sorgt (Mt 6,26-31), diese radikale Hingabe an die göttliche Vorsehung, bringen wir das fertig?

All das, was in der Bergpredigt steht und was Jesus die größere Gerechtigkeit nennt, das ist notwendig, um ins Himmelreich zu gelangen. Billiger gibt er uns das Himmelreich nicht. Zugleich sehen wir, das ist mehr als natürliche Tugenden. Das ist mehr als Gutsein und Anständigsein, so gut und anständig es ist, so zu sein. Ein Leben nach der Bergpredigt, das heißt ein Leben, von dem Jesus selber sagt: Wer so lebt, der hat nicht auf Sand gebaut (Mt 7,24-27), dessen "Lebenshaus" wird nicht von den Stürmen und den Fluten niedergerissen. Also wer sein Lebenshaus auf den Felsen Christi gebaut hat, der allein wird ins Leben eingehen. Das kann nur gelingen, wenn wir unser Leben vom Geist Gottes führen lassen durch die Gaben des Heiligen Geistes.

V.

Was heißt das? Was sind die Gaben des Heiligen Geistes? Die größere Gerechtigkeit gelingt uns nicht, wenn wir uns selbst von unseren guten Instinkten leiten lassen. Sie gelingt nur, wenn der Instinkt des Heiligen Geistes uns leitet, wenn Gott uns bewegt. Die Gaben des Heiligen Geistes sind den Tugenden ähnlich. Sie machen uns auch geneigt, das Gute zu tun, aber nicht aus eigener Kraft. Sondern es ist mit den Gaben des Heiligen Geistes so, als würde der Geist selber uns neigen, uns geneigt machen zu Dingen, die größer sind als die menschliche Gutheit und Gerechtigkeit.

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Der hl. Dominikus hat 1216 mit seinem Orden begonnen, er hat die ersten Brüder gesammelt in Toulouse, und sie waren - glaube ich - nicht mehr als sechzehn, als Dominikus eine völlig verrückte Entscheidung fällt. Er schickt sie, diese Handvoll erster Brüder, mit denen er knapp ein Jahr zusammen gelebt hat, nach ganz Europa in Gruppen und sagt: Geht, verkündet das Evangelium und gründet Klöster, Konvente. Er schickt sie nach Madrid, nach Paris, nach Bologna, nach Rom, und eine Gruppe bleibt in Toulouse. Menschlich gesehen ein völliger Wahnsinn, unklug, eine so kleine Schar von Brüdern nach so kurzer Zeit auszusenden, das geht über die menschliche Klugheit hinaus. Aber offensichtlich hatte Dominikus eine starke Anregung des Heiligen Geistes. Er war überzeugt, er muss so handeln, das ist ein Antrieb Gottes, dem er folgen muss.

Nur wie soll man unterscheiden, ob das eine Verrücktheit ist oder ein Antrieb des Heiligen Geistes? Nicht alles, was wir tun und wovon andere sagen, das ist verrückt, ist deshalb schon vom Heiligen Geist. Hier kann man sagen, Dominikus hat Erfolg gehabt, oder hatte so gute Brüder, dass sie Erfolg hatten mit dieser gewagten Aktion. Sie haben tatsächlich in kürzester Zeit nicht nur viele neue Mitbrüder gewonnen, der Orden ist ungeheuer schnell gewachsen, sondern sie haben auch tatsächlich Konvente gebildet an allen diesen Orten. Es ist nicht zur Katastrophe, sondern zu einem Erfolg geworden.

Wenn wir in die Lebensgeschichte der Heiligen hinein schauen, haben wir zahllose Beispiele dieser Art. Teresa von Àvila hätte sicher nicht ihre Klosterreform durchführen können ohne ein gewisses Maß an Übermaß, das über die menschliche Klugheit hinausgeht, aber eben doch nicht einfach verrückt war. Nicht jeder, der im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes ein großes finanzielles Risiko eingeht, hat damit schon einem Instinkt des Heiligen Geistes Folge geleistet. Es kann auch schlicht und einfach anmaßende Unklugheit sein. Wie unterscheiden wir, ob ein Antrieb des Heiligen Geistes da ist, der uns über das normale Maß hinausführt, von Unklugheit und anmaßender Selbstüberschätzung?

Ist es nicht in jedem christlichen Leben so, auch im Kleinen, dass es ständig eine Einladung zu etwas Größerem gibt, als dem normalen guten menschlichen Maß? Schritte, die oft als unvernünftig beurteilt werden und die doch eine tiefere Vernünftigkeit haben, die Vernünftigkeit des Heiligen Geistes? Wenn ein Ehepartner gegen alle scheinbare Vernunft und menschliche Klugheit dem anderen Partner vergibt und damit eine neue Chance eröffnet, oder wenn jemand - das ist jetzt ein Beispiel, das ich tatsächlich vor einiger Zeit gehört habe - gegen alle Vernunft dessen, was heute üblich ist, was man ganz selbstverständlich in unserer Gesellschaft tut, darauf verzichtet, in eine gut bezahlte Frühpension zu gehen, die dadurch möglich wäre, und das hat man ihm auch empfohlen von ganz offizieller Seite, dass er sich ein, natürlich nicht ehrliches aber nützliches, ärztliches Attest besorgt, um mit diesem dann in die Frühpension zu gehen. Wenn jemand darauf verzichtet das zu tun, aus christlicher Überzeugung, weil er nicht die Gesellschaft, die anderen betrügen will und lieber in Kauf nimmt, weniger zu verdienen und mit einer schlechteren Pension schließlich auszusteigen, dann ist das menschlich gesehen in der gängigen Logik vielleicht verrückt. Aber hat jemand, der so handelt, nicht entsprechend der Gabe der Stärke gehandelt, die der Heilige Geist uns gibt?

Kommen wir zurück zum hl. Dominikus. Wie soll man unterscheiden, ob solche Taten und Schritte Taten des Leichtsinns, der Verantwortungslosigkeit sind, oder wirklich Kennzeichen des Antriebs des Heiligen Geistes? Der hl. Dominikus war überzeugt, er handelt aus dem Antrieb des Heiligen Geistes, auch wenn es Einspruch und Widerspruch und Widerstand dagegen gab. Offensichtlich braucht es, um so dem Heiligen Geist zu folgen, gewissermaßen Antennen, die wahrnehmen können, was der Heilige Geist uns an Anregungen gibt. Ich glaube, es ist eine sehr anschauliche Definition dessen, was die Gaben des Heiligen Geistes sind. Ich habe sie bei einem geistlichen Meister gefunden und sie hat mich sehr angesprochen. Er sagt: Die Gaben des Heiligen Geists sind gewissermaßen Antennen, durch die wir empfänglich werden für den Anspruch, den Zuspruch, die Einsprechung des Heiligen Geistes. Wir brauchen also solche Antennen. Ohne solche Antennen kann der Heilige Geist uns nicht führen, ohne "GPS" sozusagen, für die, die sich technisch auskennen. - Ich habe jetzt im Auto so ein GPS, und das ist sehr spannend, wenn eine Stimme satellitengesteuert einem sagt: Nach dreihundert Meter rechts fahren und dann einen Kilometer gerade fahren, das ist schon sehr beeindruckend. Aber es bedarf, um das GPS zum Funktionieren zu bringen, eines Empfangsgerätes. Natürlich gibt es einen wesentlichen Unterschied zum GPS, dass die Gaben des Heiligen Geistes uns eben nicht von außen steuern, sondern sie werden innere Antennen. Sie machen es möglich, dass wir aus dem Herzen heraus, aus unserem Innersten heraus uns vom Heiligen Geist führen lassen. Das ist keine Fremdbestimmung, sondern das kommt dann wirklich aus einem inneren Gespür heraus. Deshalb nennen wir sie Gaben des Heiligen Geistes. Sie werden uns zu eigen gegeben. So wie die Tugenden uns zu eigen geworden sind, werden die Gaben des Heiligen Geistes uns zu eigen, werden uns zu einem Gespür, einem Instinkt für das Wirken des Heiligen Geistes, gewissermaßen für das, was nach dem Heiligen Geist "schmeckt". Das sicherste Kennzeichen, dass eine innere Anregung vom Heiligen Geist kommt, ist, dass sie Freude und Frieden bringt. Daran kann man sie sicher erkennen.

Nur so erklärt sich eine Grunderfahrung des Christentums, dass so viele einfache Menschen, die nicht studiert haben, nicht Universitätsstudien gemacht haben, ein ganz sicheres Gespür dafür haben, was der Antrieb des Heiligen Geistes ist, und dass sie wirklich Werke tun, die der größeren Gerechtigkeit entsprechen, der größeren Gerechtigkeit der Bergpredigt. Es ist etwas Wunderbares, dieses Wirken des Heiligen Geistes im Leben von Menschen wahrzunehmen, die vom Geist geleitet und belehrt sind und da heraus auch bewundernswerte Schritte über das normale Maß hinaus tun, Schritte der Barmherzigkeit, der Güte, der Versöhnung, der Weisheit, auch der Stärke.

Noch ein anderes Bild, das auch die geistlichen Meister gerne gebrauchen, um den Unterschied von den Tugenden zu den Gaben des Heiligen Geistes zu zeigen. Die Tugenden sind gewissermaßen wie "Ruderboote". Wer mit einem Ruderboot über einen großen See fahren will, muss sich schon sehr anstrengen. Er kann es schaffen, aber er muss sehr kräftig sein und es darf kein heftiger Gegenwind sein. Es ist fast nicht zu schaffen. Aber wenn in so einem Boot ein Segel gehisst werden kann und der Wind dann das Segel bläht, dann geht die Fahrt ganz leicht und geschwind dahin. So sei es, sagen die geistlichen Meister, mit den Gaben des Heiligen Geistes. So lange ich mich selber anstrenge, bin ich wie einer, der rudert, ich komme voran, mühsam. Aber wenn ich die Gaben des Heiligen Geistes habe, dann ist mein Lebensboot wie mit einem Segel, das gehisst ist und das der Windhauch des Heiligen Geistes blähen kann, und das Boot meines Lebens fährt leicht bewegt dahin. Ein solches Leben hat unweigerlich eine Strahlkraft, eine Leuchtkraft, eben diese Freudigkeit und Leichtigkeit, die immer das Kennzeichen des Heiligen Geistes ist.

In wenigen Minuten beginnt die Gedenkmesse für Msgr. Toni Berger, der genau gestern vor einem Jahr verstorben ist. Alle, die ihn gekannt haben, werden dieses an ihm gespürt haben, und vielleicht ist es nach seinem Tod noch viel bewusster geworden, eben diese Antennen für Gottes Anregungen, die Segel, die den Windhauch Gottes auffangen können. Bei aller menschlichen Schwäche ist ein solches Leben doch ein Leben, dass eine große Strahlkraft hat.

Es wäre jetzt natürlich an der Zeit, etwas über die sieben Gaben des Heiligen Geistes selbst zu sagen, aber ich habe versprochen, die heutige Katechese früher aufzuhören, weil eben heute, jetzt um 21 Uhr die Gedenkmesse für Toni Berger ist, die er fast dreißig Jahre gehalten hat und die für viele Menschen wirklich Heimat in der Kirche war. Möge sie es auch weiterhin sein. So sage ich zum Schluss zu den sieben Gaben zusammenfassend nur dieses eine: Jede dieser Gaben ist eine Verstärkung unserer natürlichen Begabungen. Die Weisheit, die Erkenntnis, die Stärke, die Gottesfurcht, die Gabe des Rates - bei jeder dieser Gaben können Sie sich Menschen vorstellen, die sie kennen, bei denen sie etwas von dieser Gabe auch wahrnehmen. Sie kennen sicher Menschen, die die Gabe des Rates haben, die, vielleicht ohne viel studiert zu haben, aus einer inneren Begabung heraus die Gabe haben, treffenden Rat zu geben, nicht nur menschliche Weisheit, sondern göttlichen Rat, göttliche Inspiration. Alles zusammenfassend ist es die Liebe, denn die Liebe ist die Gabe des Heiligen Geistes, die alle Gaben zusammenfasst. Wenn wir die Katechese in einem Wort zusammenfassen wollen, dann ist es: Von der Liebe sich leiten lassen, ist das sicherste Zeichen, dass wir vom Geist geleitet sind. Aber wir brauchen die Antennen. Der Geist kann uns nur inspirieren, wenn wir seine Inspiration aufnehmen können. Nicht umsonst beten wir immer wieder um die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Bei den Firmlingen, um bei ihnen zu schließen, denen wir Firmspender die sieben Gaben des Heiligen Geistes erbitten: Was wissen wir, ob durch dieses Gebet und das Sakrament der Firmung nicht tatsächlich ihnen Antennen sozusagen eingebaut werden für ein ganzes Leben, die dann mehr oder weniger betätigt werden, mehr oder weniger sich entfalten, aber sie sind da. Sie sind in jedem von uns da seit der Taufe. So bitten wir um die Gaben des Heiligen Geistes auch in unserem Leben.

(Kardinal Christoph Schönborn)



 


 

 
  









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