Was heißt
göttliche Vorsehung?
Gottes Güte und das Böse
von Kardinal Dr.
Christoph Schönborn
3/4.
Kathechese 2000/2001Stephansdom, Wien,am 3. Dezember 2001
Komm heiliger Geist! Komm unserm Denken und Handeln mit deiner Gnade zuvor
und begleite es, damit alles, was wir beginnen, bei dir seinen Anfang
nimmt und durch dich vollendet werde. Amen.
Liebe Brüder und Schwestern!
Die letzte Katechese ist, wie Sie vielleicht sich erinnern, ausgefallen.
Angesichts der dramatischen Ereignisse am Kitzsteinhorn am 11. November
haben wir dann hier am 12., am Sonntag Abend, einen Trauergottesdienst,
ein Requiem gehalten, und sind anschließend in Stille noch im Gebet
geblieben. Ich hatte eine Katechese vorbereitet und es war sehr bewegend
für mich selber, diese Katechese vorzubereiten, gerade an diesem Tag, in
diesem Zusammenhang, denn als Thema der Katechese war angekündigt die
Vorsehung Gottes. Wie soll man angesichts dieser Katastrophe von Kaprun
von Gottes Vorsehung sprechen?
Die heutige Katechese Der gute Gott und das Böse handelt noch einmal von
demselben Thema, von der großen Frage: Wie wirkt Gottes gütige Hand auch
in dem, was uns als Übel oder gar als Böses begegnet? Wenn Gott gut ist,
wieso gibt es dann das Böse? Wenn Gott uns liebt, warum lässt er uns dann
leiden? Hat das Böse in Seiner Vorsehung einen Platz? Hat das Böse in
Gottes Plan einen Platz? Und wenn ja: welchen Platz? Ist es Strafe? Ist es
Strafe Gottes, wenn uns Unheil trifft? Oder, wenn doch alles in Seiner
Hand liegt: Ist es Fügung Gottes, dass Unglücke und Katastrophen
geschehen?
I.
Bevor wir auf diese Fragen näher eingehen,
möchte ich vier Worte aus der Heiligen Schrift heranziehen, die uns
einstimmen sollen auf das Thema. Denn wenn es eine Antwort gibt auf das
Thema, dann müssen wir sie im Wort Gottes suchen, in dem, was Gott uns zu
dieser so rätselhaften, vielleicht der rätselhaftesten aller Fragen gesagt
hat. Das erste Wort der Heiligen Schrift ist genommen aus Jesaja, dem
Propheten, im Kapitel 45. Da sagt Gott durch den Propheten: “Ich bin der
Herr, und sonst niemand; außer mir gibt es keinen Gott ... Ich erschaffe
das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das
Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt” (Jes 45,5-7). In einer
sehr absoluten Weise wird hier alles, Licht und Dunkel, Heil und Unheil in
Gottes Hand gelegt, in Gottes Hand gesehen.
Eine zweite Stelle, auch aus dem Alten Testament: Hanna, die Mutter des
Samuel, die unfruchtbar war und im Haus Gottes, bei Eli, dem Priester,
ihren Schmerz Gott ausgeweint hat und die dann ein Jahr später wiederkommt
mit einem Kind, mit einem Sohn, mit Samuel im Arm. Und da singt sie ein
Loblied, ein Danklied auf den Herrn, in dem es heißt: “Der Herr macht tot
und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch wieder herauf.
Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt, und er erhöht” (1 Sam
2,6-7). Wir hören die Anklänge an das Magnificat, das Loblied Mariens, die
auf Hanna, auf ihr Loblied zurückgreift, wenn sie Gott preist: “Er stürzt
die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen” (Lk 1,52). Die Heilige
Schrift schreibt also alles Gott zu. Alles kommt aus seiner Hand: Leben
und Tod, Glück und Leid. Aber in der Heiligen Schrift ist das nicht ein
Fatalismus und erst recht nicht der Glaube an ein blindes Schicksal.
Vielmehr hat sowohl der Prophet Jesaja wie Hanna, die Mutter des Samuel,
in diesen Worten ein tiefes Vertrauen ausgedrückt, Gottvertrauen. Alles
ist in seiner Hand.
Der dritte Text, der uns das bezeugen soll, ist aus dem Buch Ijob (Hiob),
Ijob, ein Heide, der Israel vor Augen gestellt wird als ein gerechter
Mann. Es trifft ihn unvorstellbares Unglück: Alles, sein ganzer Reichtum,
seine ganze Familie, alles wird ihm genommen. Und als das alles geschehen
war, sagt er: “Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt
kehre ich dorthin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen;
gelobt sei der Name des Herrn” (Ijob 1,21). Und als dann in einer zweiten
Welle ihm sogar noch die leibliche Gesundheit genommen wird und er mit
Geschwüren bedeckt dasitzt und seine Frau ihm sagt: “Fluche Gott!” Da sagt
er ihr: “Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das
Böse annehmen?” Und es wird hinzugefügt: “Bei all dem sündigte Ijob nicht
mit seinen Lippen” (Ijob 2,9-10). Wir stehen hier vor dem Vorbild eines
Menschen, der alles aus Gottes Hand annimmt: Dein Wille geschehe!
Der vierte Text aus dem Neuen Testament, Jesu eigene Haltung. Jesus hat in
Getsemani, in der Todesangst die letzte Hingabe an den Willen des Vaters
ausgesprochen: “Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von
mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst soll geschehen” (Mk
14,36). Und der Wille des Vaters war, dass Jesus nicht aus dieser Stunde
gerettet wird, ja dass er den “bitteren Kelch” seines Leidens bis zur
Neige austrinkt, bis hin zu dem lauten Ruf: “Eli, Eli, lama sabachtani!” -
“Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mk 15,34, vgl. Ps
22,2).
Die Botschaft der Bibel ist also: Füge dich in den Willen Gottes! Gottes
Willen, auch wenn er dunkel und unbegreiflich ist, ist gut für uns. “Dein
Wille geschehe!”, so haben wir vorhin im Vater Unser gebetet. Dieses
Vertrauen, dieses völlige sich dem Willen des Vaters Anvertrauen, ist dann
auch das letzte Wort, dass Jesus am Kreuz spricht: “Vater, in deine Hände
lege ich meinen Geist” (Lk 23,46).
II.
Das sagt uns also der Glaube. Das sagt uns
auch die Erfahrung so vieler Menschen, die aus diesem Glauben gelebt
haben. Ich habe in Salzburg den Pfarrer von Kaprun getroffen, konnte ein
wenig mit ihm sprechen. Er hat gesagt, wie bedeutend es für ihn war, das
Zeugnis des Glaubens von Menschen zu erfahren, zu erleben, die diese so
schweren Stunden im Glauben durch getragen haben. Doch bleibt ein großes
Rätsel. Ich komme noch einmal auf den 11. November, den Martinstag,
zurück. Die Katechese, die ich damals vorbereitet hatte, möchte ich heute
noch einmal aufgreifen. Es ist gewiss jetzt schon etwas Abstand, und doch:
Die großen Fragen bleiben. So darf ich noch einmal zurückkommen auf die
Frage, der wir nicht ausweichen können: Hat Gott das zugelassen? Hat das
in Gottes Plänen einen Platz, eine solche Katastrophe?
Eines können wir sicher sagen: Es war sicher nicht einfach Schicksal. Es
war nicht etwas, das sozusagen in den Sternen stand und das blindlings
hereingebrochen ist. Aber die Frage: Hat Gott das zugelassen, oder war es
einfach Zufall? - Wie geht es denen, die zufällig zu spät kamen und nicht
in der Bahn mitfahren konnten, jener Frau, die ihre Handschuhe vergessen
hatte und noch einmal zurück ging, um sie zu holen und so nicht in der
Bahn war; jene, die unglücklich darüber waren, dass sie an diesem Tag
nicht Schifahren gehen konnten, zu Hause bleiben mussten; oder jene, die
es gerade noch geschafft haben, in diese Bahn hinein zu kommen, um früher
oben zu sein und so in den Tod gefahren sind? Ist hinter all dem ein Plan
oder ist es Schicksal, ist es Zufall? Und wenn es nicht einfach Schicksal
oder Zufall ist, wie kann man dann dahinter eine liebende Hand Gottes
sehen? Aber wenn es keine Vorsehung gibt, dann läuft einfach unser Leben
ab nach blinden Gesetzen, nach blinder Willkür.
Ich möchte, bevor wir näher auf diese Frage eingehen, zwei sehr nüchterne
Vorbemerkungen machen. Für die Betroffenen stellt sich die Frage nicht
abstrakt, sondern ganz konkret und ganz persönlich: Ein Mensch, der ihnen
lieb ist, oder sogar mehrere, wird plötzlich durch den Tod aus dem Leben
gerissen. Die Frage ist ebenso persönlich wie die Trauer. Die Frage: Mein
Gott, warum? Warum hast du das zugelassen? Sie ist eine persönliche Frage
wie auch die Frage, die sich die stellen, die zufällig nicht in diesem
Unglückswagen waren: Warum ich nicht? Warum bin ich gerettet? Wie oft
haben wir diese Frage gehört in der Kriegsgeneration: Warum habe ich
überlebt? Warum sind meine Kameraden gefallen? Da wird es wieder nur sehr
persönliche Antworten geben, denn jedem stellt sich die Frage nach der
Vorsehung Gottes ganz persönlich. Führt Gott mein Leben? War das damals,
an diesem Wendepunkt in meinem Leben, wo mir das widerfahren ist, was mein
ganzes künftiges Leben bestimmt hat, war das Zufall, oder hat Gott das
gefügt, zugelassen?
Die Frage wird noch schwieriger, wenn wir eine Unterscheidung einführen,
die sehr wichtig ist. Sie klingt etwas philosophisch, aber sie ist ganz
lebensnahe. Die Theologie und die Philosophie unterscheiden zwischen dem
physischen und dem moralischen Übel, zwischen dem physischen Übel, das uns
begegnet in Naturkatastrophen aber auch in der Krankheit und ganz
allgemein im Werden und Vergehen. Wir leben in einer Welt, in der alles im
Werden und im Vergehen ist. Nichts hat Bestand, und alles Vergehen ist
immer auch verbunden mit Sterben, mit Beseitigtwerden, und das ist ein
Übel, aber es ist kein sittliches Übel. Es ist der Lauf der Natur, dass
jetzt die Blätter abgefallen sind, dass der Tod in der Natur sein Werk tut
und im Frühjahr wieder neues Leben kommen wird. Das gehört zum Lauf der
Dinge. Gott hat die Welt so geschaffen, dass sie eben nicht eine ewige und
nicht eine bereits vollendete ist, sondern unterwegs ist. Deshalb wird es,
solange es diese Welt gibt, das Werden und Vergehen, das Wachsen und das
Sterben geben. Etwas ganz anderes und unvergleichlich schwerer Wiegendes
ist das sittliche Übel, das, was es nur in der Welt des Menschen und in
der Welt der Engel gibt, der Geschöpfe mit freiem Willen, die sich für
oder gegen das Gute entscheiden können aus Freiheit, und die daher Böses
wirken und verursachen können oder auch Gutes. Wir werden auf diese
Unterscheidung später noch zurückkommen, aber eines können wir schon jetzt
sagen, und das ist uns vielleicht heute zu wenig bewusst: Das sittliche
Übel, das Böse ist unvergleichlich schwerwiegender als das physische Übel.
Das sittlich Böse ist viel schlimmer als eine Krankheit, auch wenn eine
Krankheit ein Übel ist.
Die große Frage, das große Rätsel ist nicht nur die Frage, warum Gott das
physische Übel, Krankheit und Tod, Werden und Vergehen, zulässt in seiner
Schöpfung, sondern, wie es mit dem Bösen steht. Hat Gott es gewollt? -
Sicher nicht. Lässt er es zu? Warum lässt er es zu?
Doch kehren wir zurück zur Frage dieses Unglücks. Eines wissen wir sicher,
auf dieses große Rätsel: Warum hat Gott dieses Unglück zugelassen mit den
ganz persönlichen Folgen in den Lebensgeschichten der betroffenen und
ihrer Angehörigen und Freunde?, die Antwort darauf werden wir sicher
endgültig erst drüben finden. Deshalb ist es so hilfreich auf die
Definition zu schauen, die der Katechismus über die Vorsehung gibt. Was
heißt das eigentlich: Vorsehung Gottes? Dort lesen wir im Katechismus:
“Wir nennen die Fügungen, durch die Gott seine Schöpfung der Vollendung
entgegenführt, die ‘göttliche Vorsehung’” (KKK 302). Gott führt die Welt,
Gott führt jeden von uns auf das ewige Ziel hin. Und diese Fügungen und
Führungen nennen wir seine Vorsehung.
Noch eine zweite Vorbemerkung. Als im 18. Jahrhundert in Lissabon das
schreckliche Erdbeben 170.000 Menschen hinweggerafft hat, eine der größten
Katastrophen in der Geschichte, da gab es eine große Diskussion im ganzen
damaligen Europa über die Vorsehung Gottes. Hat Gott das zugelassen?
Voltaire, der große Spötter, hat sich lustig gemacht über den Glauben an
die Vorsehung Gottes. Aber der weise alte Philosoph Kant hat etwas sehr
Nüchternes gesagt: Man darf diese Katastrophe nicht Gott als Schuld
anrechnen, wenn Menschen eine Stadt an einen Ort bauen, der in einer
Erdbebenzone liegt. Viele Katastrophen haben menschliches Versagen als
Ursache, Leichtsinn, Unachtsamkeit oder einfach zufälliges Versagen.
Tschernobyl ist entstanden durch eine Folge von unbeschreiblichen
leichtfertigen Schlampereien.
Die vielen Erdbebenopfer in der Türkei wurden
weitgehend dadurch verursacht, dass die Bauwirtschaft so korrupt ist und
man schlechte, nicht erdbebensichere Häuser gebaut hat. Und die
Katastrophe mit der Concorde im vergangenen Sommer geht wahrscheinlich
zurück auf ein kleines Metallstück, das auf der Piste lag, den Reifen zum
Platzen brachte, dieser wiederum Gummistücke in den Motor fliegen ließ,
und so kam es zu der Explosionskatastrophe, die 133 Menschen in den Tod
riss.
Was schließen wir daraus? Gottes Vorsehung ersetzt nicht menschliches
Versagen. Aber Gottes Vorsehung verlässt uns nicht, wenn wir Menschen
versagen. Auch dort, wo menschliches Versagen sich schlimm, ja
katastrophal auswirkt, verlässt Gott uns nicht. Was also ist die Vorsehung
Gottes? Noch einmal die Definition von vorhin: “Wir nennen die Fügungen,
durch die Gott seine Schöpfung der Vollendung entgegenführt, die
‘göttliche Vorsehung’” (KKK 302). Am Ende werden wir sehen, am Ende werden
wir begreifen, wie Gott alles gefügt hat, dann, “wenn Gott alles in allem
ist” (1 Kor 15,28), wenn “Gott alle Tränen abwischen wird” von unseren
Augen, “wenn der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage,
keine Mühsal” (Offb 21,4), dann wird Gottes Liebe siegen. Das ist die
Glaubensgewissheit, die wir haben, wenn wir an die göttliche Vorsehung
glauben. Durch die Auferstehung Jesu ist sie uns zur Gewissheit geworden.
Gott hat den Tod besiegt, so wie Christus zu Julian of Norwich, der
Mystikerin des Mittelalters, gesagt hat: “Du wirst sehen, es wird alles,
alles gut werden” (Revelation of divine love 32; KKK 313) .
III.
Nun kommen wir aber zur Frage: Wie wirkt Gott
seine Führungen und Fügungen? Wie führt er denn die Schöpfung und unser
Leben zur Vollendung? Wenn wir wieder ins Evangelium schauen, so ist das
erste, was Jesus uns in der Bergpredigt sagt: Gottes Führungen und
Fügungen sind ganz konkret und unmittelbar. “Selbst die Haare eures
Hauptes sind gezählt” (Mt 10,30), sagt Jesus. “Es fällt kein Spatz vom
Dach ohne den Willen eures himmlischen Vaters” (Mt 10,29). “Macht euch
keine Sorgen, ihr seid mehr wert, als viele Spatzen” (Mt 10,31). Das ist
nicht gegen die Tierliebe gesagt, sondern das ist ein Hinweis auf die
sichere, feste Führung Gottes. Anderswo sagt Jesus: “Wenn ein Kind seinen
Vater um Brot bittet, wird der Vater ihm dann einen Stein geben? Um wie
viel mehr wird euer Vater euch geben, worum ihr ihn bittet!” (Mt 7,9).
Jesu ganze Predigt geht dahin, uns das Vertrauen in Gottes Vatergüte ins
Herz zu legen.
Glauben an die Vorsehung, das ist zuerst das Vertrauen, dass Gott bis in
die kleinsten Dinge meines Lebens hinein mein Leben führt. Nichts entfällt
seiner gütigen Hand. Dieses tiefe Vertrauen soll sich auch in den
schweren, ja in den schwersten Stunden bewähren. Ich erinnere mich an ein
Begräbnis, ein junger Mann, der tödlich verunfallt war, rundherum viele
Tränen. Die einzigen, die wirklich gefasst waren, waren seine Eltern. Mich
hat das so beeindruckt, die Haltung dieser Eltern, die aus dem Glauben
heraus diese schwere, schwere Prüfung angenommen haben.
Gottes Vorsehung wirkt direkt und konkret. Aber sie bedient sich auch
unsrer Vorsehung: Die Retter, die sich bemühen, im Katastrophenfall zu
helfen; die Menschen, die sich einsetzen, die trösten, bergen, die da sind
- das ist Gottes Vorsehung durch das Herz und die Hände von Menschen. Wir
haben es sehr beeindruckend in Kaprun gesehen, wie viele Menschen Stunden,
Tage, Nächte ihre Herzen und ihre Hände, ihre ganze Kraft zur Verfügung
gestellt haben. Auch das ist Vorsehung Gottes.
Wenn die Eltern für ihre Kinder sorgen, ist
das Gottes Vorsehung durch die Umsicht, die Sorgfalt der Eltern. Wenn
Kinder, einmal groß geworden, für ihre Eltern sorgen, ist das Gottes
Vorsehung durch Menschenvorsehung. Wenn wir unsere Arbeit gut machen,
ordentlich, sauber und pflichtbewusst, vorsorgen für uns und für andere,
dann ist das Gottes Vorsehung durch Menschenvorsehung. Aber gleichzeitig
bekennen wir: Auch diese menschliche Vorsicht und Umsicht, dieses Sorgen
für die anderen und für uns selber, auch das ist von Gott gewirkt. Denn
Gott bewegt ja mein Herz, zu helfen und mitzufühlen. Und Gott gibt mir die
Kraft der Vernunft, zu sehen, was zu tun ist, und die Kraft des Willens,
es zu tun und durchzustehen. Und auch so wirkt Gottes Vorsehung immer
direkt und unmittelbar, auch wenn wir wirken.
Sehr oft geschieht das unbewusst. Oft sind wir Instrumente der Vorsehung
Gottes ohne es zu wissen. In meinem Lebensweg war ein Telephonanruf ganz
entscheidend. Da hat sich eine Weggabelung entschieden. Ich habe das im
Moment nicht gemerkt, heute weiß ich: Da war Gottes Fügung. Ich hab es
nicht selber bewusst wahrgenommen, ich habe nicht bewusst mitgewirkt am
Plan Gottes. Aber wir können auch bewusste Mitarbeiter Gottes werden,
durch unser Tun, das Tun des Guten, das Tun unserer Pflicht, durch unsere
Vorsorge, wir können es auch durch das Leiden, durch das Tragen von Leid
können wir mitwirken an der Vorsehung Gottes. Paulus sagt es ganz
eindeutig: “Ich ergänze an meinem Leib, was an den Leiden Christi
aussteht” (Kol 1,24). Und wir können mitwirken durch unser Gebet. Wir
können helfen, an Gottes Plan mitwirken, an Seiner Vorsehung, indem wir
Ihn bitten zu tun, was Sein Wille ist, zu verwirklichen, was Sein Plan
ist, indem wir mit unseren Bitten an Seinem Wirken mitwirken.
IV.
Die große Frage bleibt: Wie ist das mit dem
Übel und mit dem Bösen. Ich erinnere noch einmal an die Unterscheidung
zwischen dem physischen Übel und dem moralischen Übel. Gott lässt das
physische Übel zu. Er hat eine Welt geschaffen, die unvollkommen ist, in
der es immer Leid, Krankheit und Tod geben wird, solange sie besteht.
Deshalb können wir sagen, dass Leid und Krankheit und auch der Tod in
Gottes Schöpfungsplan seinen Platz hat. Nicht gewollt und in keinster
Weise von Gott verursacht ist das sittliche Böse. Der Katechismus sagt es
ausdrücklich: “Gott ist auf keine Weise, weder direkt noch indirekt, die
Ursache des moralischen Übels” (KKK 311). Gott will nicht, dass wir Böses
tun. Er wirkt auch nicht das Böse in uns, auch wenn er uns die Freiheit
gibt, die wirkt er, die Freiheit, Böses zu tun. Gott gibt uns die
Vernunft, den Willen und die Kraft und damit auch die Möglichkeit, sie zu
missbrauchen. Aber er wirkt nicht diesen Missbrauch. Gott ist nicht
Ursache unserer Sünden. Aber er zieht in geheimnisvoller Weise selbst aus
unseren Sünden Gutes. Selbst aus unseren Sünden kann er Gutes wirken,
wodurch unsere Sünden nicht etwas Gutes werden.
Der Katechismus nennt ein Beispiel aus der Bibel, die Josefsgeschichte.
Was die Brüder des Josef im Alten Testament getan haben, sie waren
eifersüchtig auf ihn, sie haben beschlossen ihn zu töten, dann haben sie
den Plan geändert und haben ihn in eine Zisterne geworfen und schließlich
an Händler verkauft, die ihn als Sklaven nach Ägypten gebracht haben, das
war zweifellos sittlich böse. Gott hat in keinster Weise dieses sittlich
Böse gewollt. Sie haben gegen Gottes Gebot gehandelt und haben ihren
eigenen Bruder verkauft und ihren Vater angelogen, indem sie behauptet
haben, ein Tier hätte ihn gerissen. Und doch, aus diesem sittlich Bösen
ist Gutes entstanden. Josef ist in Ägypten durch die Leiden seiner
Sklavenzeit aufgestiegen zum Wesir des Pharao und schließlich konnte er
auf diese Weise seine Brüder, seine ganze Familie vor dem Hungertod
retten.
Und deshalb heißt es im Buch Genesis dann, am
Schluss der Josefsgeschichte, als Josef sich zu erkennen gibt: “Nicht ihr
habt mich hierher geschickt”, sagt Josef zu seinen Brüdern. “sondern Gott
... Ihr habt Böses gegen mich im Sinn gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes
im Sinn ... um ... viel Volk am Leben zu erhalten” (Gen 45,8; 50,20; KKK
312). Gott kann das Übel zum Guten wenden, selbst unsere Sünden. Der
heilige Augustinus sagt es einmal sehr schön: “Der allmächtige Gott ...
könnte in seiner unendlichen Güte unmöglich irgend etwas Böses in seinen
Werken dulden, wenn er nicht dermaßen allmächtig und gut wäre, dass er
auch aus dem Bösen Gutes zu ziehen vermöchte” (Enchiridion 11,3; KKK 311).
In der Osternacht singen wir von der “felix culpa” von der “seligen Schuld
des Adam”, die uns diesen Retter verdient hat (Osterlob). Damit ist nicht
gesagt, dass die Sünde selig ist, dass die Sünde gut ist, aber dass Gott
in seiner unbegreiflichen Güte selbst aus der Sünde Gutes wirkt.
V.
Und wenn wir jetzt noch einen Schritt
weitergehen: Hat es jemals eine größere Sünde gegeben, ein größeres
sittliches Übel, als die Ermordung des Sohnes Gottes? Und der Katechismus
sagt uns ganz klar: Wir alle haben ihn umgebracht, nicht nur die Juden,
die ihn damals ausgeliefert haben, wir alle durch unsere Sünden haben ihn
umgebracht, haben ihn ans Kreuz gebracht. Durch die Sünden aller Menschen
ist die Verwerfung, die Kreuzigung, der Tod des Sohnes Gottes verschuldet
worden (KKK 598). Und aus diesem größten aller sittlichen Übel hat Gott
den größten Segen, das größte aller Güter gewirkt: unsere Erlösung.
Freilich wird damit nicht das Böse zum Guten. Aber Gott wirkt selbst aus
dem Bösen, das wir tun, Gutes in seiner Güte. Der hl. Paulus sagt: “Wir
wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt” (Röm
8,28). Das ist das Vertrauen in die göttliche Vorsehung. Freilich, eines
müssen wir ganz festhalten. Wir können nicht Gott so in die Karten
schauen, dass wir seine Vorsehung ganz genau begreifen. Warum er dies so
und so gefügt hat, das werden wir erst begreifen am Ende, drüben, wenn
Gott alles in allem ist und wenn wir ihn von Angesicht zu Angesicht
schauen werden. Jetzt bleibt es immer bruchstückhaft. Hüten wir uns davor,
zu sagen, das Unglück von Kaprun sei Gottes Vorsehung gewesen. Gott hat es
zugelassen. Aber was dieses Unglück im Leben der Einzelnen bedeutet, das
können wir nur im Glauben, im Vertrauen annehmen.
Ich möchte schließen mit einem Wort aus dem Lukasevangelium, das uns sehr
zu denken gibt, wenn wir noch einmal an die Katastrophe von Kaprun denken.
Im 13. Kapitel bei Lukas heißt es: “Zu dieser Zeit kamen einige Leute zu
Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern
umbringen ließ, so dass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte”
(Lk 13,1) - Eine Katastrophenmeldung der damaligen Zeit, Schlagzeile:
Pilatus, der grausame Statthalter des römischen Reiches hat einige
Galiläer im Tempel umbringen lassen, während sie das Opfer dargebracht
haben, eine schreckliche Bluttat. Man schildert das Jesus und fragt ihn
damit: Was soll das bedeuten? Warum ist so was passiert? Da sagt Jesus zu
ihnen: “Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit
ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? Nein, im Gegenteil:
Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt” (Lk
13,2-3). Und dann fügt Jesus eine andere Geschichte hinzu, auch eine
Schlagzeile von damals, eine Katastrophe.
Der Turm Schiloach ist eingestürzt und
hat achtzehn Menschen unter sich begraben. Jesus sagt: “Oder jene achtzehn
Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden _
meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen
Einwohner von Jerusalem aber nicht?” Und wieder die Antwort: “Nein, im
Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt”
(Lk 13,4-5). Ist das vielleicht die ganz persönliche Frage, die auch
Kaprun uns zu stellen hat?
Gelobt sei Jesus Christus!
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