Die Erbsünde
von Kardinal Dr.
Christoph Schönborn
4. Kathechese
1999/2000, Stephansdom, Wien, am 12. Dezember 1999
Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit, Amen! Beginnen wir mit einem Gebet
um den Heiligen Geist:
Komm Heiliger Geist, Geist des Vaters und des Sohnes, Geist der Wahrheit
und der Liebe. Erleuchte unseren Verstand, stärke unseren Willen, wohne
ein unserem Gedächtnis, führe uns ein in alle Wahrheit, zu Christus
unserem Herrn. Amen!
Vier Tage nach dem Fest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria
möchte ich die Frage der Erbsünde oder auch der Urschuld und der Erbsünde
thematisieren. Eine Frage, die immer wieder auftaucht, die sehr kontrovers
ist, umstritten, und die doch - wie wir hoffentlich sehen werden - in das
Herz unseres Glaubens führt. Ich möchte beginnen mit einem Wort aus der
Ostervigil, aus der Osternacht, dem Exsultet, dem Lob der Osterkerze, das
hier gesungen wird. Und dort heißt es: “Oh glückliche Schuld, die uns
einen solchen Erlöser verdient hat!” Wie kann man sagen, daß eine Schuld
glücklich ist, Schuld ist doch ein Unglück, und je größer die Schuld,
desto größer das Unglück. Wie kann Schuld Glück bringen? Um was für eine
Schuld handelt es sich da? Es geht um die Schuld Adams, um die Schuld
unserer Stammeltern, von der uns die Glaubenslehre sagt, daß sie uns in
das Unglück gestürzt hat. Das ganze Menschengeschlecht trägt die Folgen
dieser Urschuld.
Aber wieso wird sie dann glücklich genannt im Lob der
Osterkerze? Nun, vorweg können wir sagen, Gott läßt Böses nur zu, weil er,
und er alleine, auch aus dem Bösen Gutes wirken kann, weil er in seiner
Barmherzigkeit selbst aus dem Bösen Gutes hervorbringen kann. Aus sich
bringt kein Böses Gutes hervor. Und es ist deshalb auch nie erlaubt, Böses
zu tun, um irgendein Gutes hervorzubringen. Der gute Zweck heiligt nicht
die bösen Mittel, aber Gott selber kann aus dem Bösen, das wir tun, Gutes
wirken. Das kann er, weil er barmherzig ist, und das kann er, weil seine
Gnade, seine Güte immer größer ist als alle menschliche Schuld. Selbst die
größte menschliche Schuld wäre nicht größer als Gottes Barmherzigkeit.
Die
hl. Katharina von Siena sagt einmal: “Es gibt nur eine Schuld, die Gott
nicht vergeben kann: zu glauben, daß unsere Schuld größer ist als seine
Barmherzigkeit.” Selbst das größte Übel, die Tötung seines Sohnes, die wir
alle mitverursacht haben durch unsere Sünden - und es gibt kein größeres
Übel, keine größere Sünde in der Menschheitsgeschichte als die Ermordung
des Sohnes Gottes -, aus dieser größten Schuld hat Gott in seiner
Barmherzigkeit das größte Gut hervorgebracht, unsere Erlösung, unser Heil.
Und das tut er, weil er uns liebt. Aber es gibt noch einen anderen Grund,
warum Gott aus dem Bösen Gutes wirken kann. Im Unterschied zum Guten, das
absolut sein kann - Gott ist absolut gut, in Ihm ist nur Gutes, kein
Schatten vom Bösen -, gibt es kein absolut Böses.
Alles Böse ist -
zumindestens in der Tatsache, daß der, der Böses tut, existiert, daß es
ihn gibt - auch ein Gutes. Selbst der Teufel ist nicht absolut böse, er
ist ein Geschöpf, ein Geschöpf Gottes, und das ist etwas Gutes. Selbst die
schlimmsten, bösen Taten der Menschen, unsere bösen Taten, sind nicht
absolut böse, während Gott absolut gut ist. Deshalb kann er aus dem Bösen,
das wir tun, Gutes wirken. Wir haben es sicher auch schon erfahren, oft zu
unserer Beschämung, zu unserer Freude, zu unserem Trost, daß Gott auch aus
dem Bösen, das wir tun, im Ende doch Gutes hervorbringt. Aber was ist
diese Schuld, die das Exsultet glücklich nennt? Es ist die Ursünde, die
dann für uns zur Erbsünde geworden ist, und von der soll heute die Rede
sein.
Was ist sie? Was die Erbsünde ist, werden wir erst begreifen, wenn wir uns
im Glauben annähern an das, was Erlösung heißt, denn die Erbsünde ist
etwas Negatives, aber sie enthält auch eine frohe Botschaft. Es gibt heute
sicher viele falsche Ideen über die Erbsünde, und es wird wohl zuwenig
davon gesprochen, aber die Wahrheit über die Erbsünde ist etwas sehr
Befreiendes, wie ich am Schluß noch zeigen möchte. Es ist eine ganz große
Hilfe, zu wissen, daß es diese Wirklichkeit gibt und daß sie das Leben
aller Menschen mitbestimmt. Sie hilft uns das Leben besser zu verstehen
und auch besser zu ertragen. Manche klagen über die Kirche und auch über
Skandale, die in der Kirche passieren, auch in unseren Tagen, und heute
ist schon wieder in den Medien von einem Skandal die Rede. Diese Dinge
müssen uns traurig machen, aber sie sollten uns nicht erschüttern, weil
wir wissen, daß es die Wirklichkeit der Erbsünde gibt.
Die Wahrheit macht
uns frei, zu wissen, daß es diese Wirklichkeit gibt, und daß Gott seinen
Sohn gesandt hat, daß wir das Weihnachtsfest feiern dürfen, auch um uns
die Befreiung, die Erlösung von der Erbsünde zu schenken. Worin also
besteht sie? Wir müssen die ersten Seiten der Bibel aufschlagen - das Buch
Genesis, das dritte Kapitel - dort ist die Rede vom Sündenfall des
Menschen. Zuerst zwei Vorbemerkungen: Wir wissen alle, daß diese ersten
Seiten der Genesis nicht eine Reportage sind, sondern daß der Glaube, die
Offenbarung uns hier Wesentliches über den Menschen, über seinen Ursprung,
sein Ziel und sein Geschick sagten. Dinge, die wir nicht von uns aus
wüßten, die uns, wie wir glauben, geoffenbart sind. Wir werden das im
folgenden noch ein wenig näher bedenken.
Ein zweites gilt es vorweg zu
sagen, denn immer wieder sieht man darin eine Schwierigkeit: Wie steht es
um das Verhältnis zwischen dem Bericht der Genesis und dem, was die
Naturwissenschaften uns über den Ursprung des Menschen sagen oder über ihn
vermuten? Die Frage der Evolution, Schöpfung und Evolution, Ursprung des
Menschen: Wie steht das zum Bericht aus dem Buch Genesis? Da ich vor
einigen Tagen eine Anfrage in dieser Hinsicht bekommen habe und ich immer
dankbar bin, wenn Anfragen kommen, möchte ich die Katechese am 20.
Februar, die übernächste, über diese Frage halten: “Schöpfung und
Evolution”. Was sagt uns der Glaube, und wie steht der Glaube im
Verhältnis zur Naturwissenschaft?
Aber jetzt möchte ich einladen, daß wir,
sozusagen unbefangen, einmal den Text von Genesis 3 auf uns wirken lassen,
diesen unvergleichlich schönen, einprägsamen Text, der uns soviel über den
Menschen und sein Herz zu sagen hat. Es beginnt im ersten Kapitel mit der
Erschaffung der Welt, der Erschaffung des Menschen, “Laßt uns den Menschen
schaffen nach unserem Bild und Gleichnis”, sagt dort Gott zu sich selber.
Es heißt dann, nach der Erschaffung des Menschen: “Und Gott sah, daß es
sehr gut war.” Gott hat den Menschen gut geschaffen, sehr gut. Es ist also
nicht so, daß sein Werk verfehlt war, es ist nicht so, wie es in manchen
Mythen ist, das Gott gewissermaßen am Anfang daneben getappt hätte, und
dann sein Werk erst hätte verbessern müssen.
Er hat den Menschen sehr gut
geschaffen. Deshalb sind wir auch überzeugt im Glauben, daß das auch
bestehen bleibt, die Schöpfung bleibt sehr gut. Im zweiten Kapitel wird
der Mensch in einen Garten in das Paradies gesetzt, und mit diesem Bild
sagt uns die Bibel, daß der Mensch im Ursprung nicht nur gut geschaffen
war, sondern daß Gott ihm gewissermaßen besondere Gaben gegeben hat. Das
er ihm vor allem seine Freundschaft geschenkt hat. Der Mensch hat nicht
einfach nur als Mensch gelebt, sondern als Freund Gottes. Und diese
Gottesfreundschaft hat sich ausgewirkt auf das ganze Leben des Menschen.
Er war zwar sterblich, aber dem Tod enthoben, sterblich, weil er eben ein
endliches sterbliches Wesen ist, auch von der Schöpfung her, aber in der
Gottesfreundschaft, im Paradies war er gewissermaßen dem Sterbenmüssen
enthoben. Und mit dieser Gabe der Gottesfreundschaft hat der Mensch, haben
unsere Stammeltern einen Auftrag bekommen: Stammväter, Stammeltern der
Menschheit zu sein. Also das, was sie empfangen haben, haben sie nicht nur
für sich, sondern für die ganze Menschheit empfangen. Ich werde gleich
darauf noch einmal zurückkommen.
Was uns die Bibel darstellt vom Paradies,
ist ein Zustand der Harmonie. Es heißt: “Sie waren nackt und schämten sich
nicht voreinander.” Das heißt, Leib und Seele sind in einer solchen
Harmonie, daß der Kampf, den wir ständig zwischen Leib und Seele erleben,
in den Stammeltern nicht bestand. Sie waren mit ihrer Umwelt, mit der
Schöpfung in Harmonie. Sie waren untereinander in Harmonie als Mann und
Frau, und vor allem mit Gott. Ein Punkt wird ihnen gewissermaßen
mitgegeben auf den Weg, ein Verbot: nicht zu essen vom Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse. Was ist die Bedeutung dieses Verbots?
Manche, auch
moderne Autoren, deuten das so, daß Gott eifersüchtig ist auf den
Menschen, und ihm nicht gönnt, daß er frei ist, er begrenzt ihn durch
Verbote. Erich Fromm zum Beispiel, der Psychologe, hat eine solche Deutung
gegeben. Sie ist, glaube ich, grundfalsch. Nicht aus Eifersucht, aus Neid,
aus Nicht-Gönnen gibt Gott dieses Gebot, sondern damit die Freundschaft
sich bewährt im Annehmen, daß der Mensch Geschöpf ist. Im Gehorchen diesem
einen Gebot gegenüber soll die Freiheit des Menschen sich bewähren.
Die
Freundschaft soll sich bewähren an der Bereitschaft, nicht selber zu
bestimmen, was gut und böse ist, sondern es zu empfangen, es sich sagen zu
lassen. Denn die Freiheit besteht ja nicht zuerst darin, daß ich das Gute
oder das Böse tun kann, daß ich wählen kann zwischen Gut und Böse, sondern
die tiefste Freiheit besteht darin, daß ich das Gute wähle. Wenn ich das
Böse wähle - was ich auch kann, wozu ich frei bin - dann beschränke ich
eigentlich auch meine Freiheit, denn das Böse macht mich nicht glücklich,
es wird im Grunde ein Irrweg. Ich bin zwar frei, den Irrweg zu gehen, aber
er führt mich nicht in die Freiheit. Das Böse macht unfrei, und deshalb,
wir erleben es selber, ist der Mensch am freiesten, der ganz und gar und
mit ganzem Herzen ja sagt zum Guten. Eine Mutter Teresa war sicher freier,
indem sie sich ganz und gar in die Nächstenliebe hat einbinden lassen. Die
Sünde ist keine wirkliche Freiheit. Unsere Stammeltern haben das
scheinbare Gute gewählt, denn wir können ja nicht handeln, ohne etwas
Gutes zu wollen.
Das Böse stellt sich uns immer dar im Gewand des Guten,
es verkleidet sich gewissermaßen, verlockt uns als ein Gutes, aber eben
eine Täuschung über das Gute. Erst wenn wir es getan haben, oft erst viel
später, merken wir, daß es ein falsches Gutes war. So ist es auch mit dem
Versucher im 3. Kapitel der Genesis, der Schlange. Wir brauchen nicht zu
spekulieren, was mit der Schlange gemeint ist. Die christliche
Überlieferung, auch schon das AT deutet die Schlange auf den Widersacher,
auf einen gefallenen Engel hin, auf den Satan, der den Menschen verführt,
in die Irre führt und damit unfrei macht. Die Schlange spiegelt dem
Menschen ein falsches Gutes vor: “Ihr werdet nicht sterben” und “Ihr
werdet sein wie Gott” - beides stimmt nicht. Aber mit dem scheinbar Guten
lockt der Widersacher unsere Stammeltern zum Bösen, zum Ungehorsam. Und
sie tun die Tat des Ungehorsams, indem sie von Gott weghören, nicht
gehorchen, nicht hinhorchen auf Gott, sondern auf die Verführung, die
Versuchung. Wir sehen in dieser knappen Darstellung der ersten drei
Kapitel des Buches Genesis, was die Sünde im Grunde ist: ein
Nicht-Annehmen, daß wir Geschöpfe sind.
Ein Ingenieur (er ist ein guter
Ingenieur) hat mir einmal die schönste Definition der Erbsünde gegeben,
die ich bisher gehört habe, oder sagen wir eine ganz ansprechende,
einfache. Aus seiner Erfahrung als Techniker weiß er, daß man für jedes
Gerät eine Gebrauchsanweisung braucht. Wenn ich die Gebrauchsanweisung
nicht befolge, darf ich nicht den Konstrukteur beschuldigen, daß das Gerät
nicht funktioniert. Dieser Ingenieur hat gesagt, die Erbsünde, oder sagen
wir genauer: die Ursünde unserer Stammeltern war die Ablehnung der
Gebrauchsanweisung. Gott hat uns eine menschliche Natur gegeben, wir sind
Geschöpfe, und in unserer geschöpflichen Natur liegt, gewissermaßen
eingeschrieben, die rechte Gebrauchsanweisung, Gott hat sie uns
mitgegeben. Wenn wir uns nun anders gebrauchen, dann dürfen wir Gott nicht
anklagen, daß es nicht funktioniert. Die Ursünde ist die Ablehnung der
Geschöpflichkeit, Seinwollen wie Gott, aber ohne Gott, es nicht von Gott
empfangen wollen sondern es selber machen wollen. “Ihr werdet sein wie
Gott.”
Die Folgen davon werden im Buch Genesis sehr drastisch geschildert.
Zuerst entdecken sie, daß sie nackt sind, das heißt, die innere Harmonie
zwischen Leib und Seele ist zerbrochen. Sie waren ursprünglich bekleidet
mit der Freundschaft Gottes, mit seiner Gerechtigkeit, seiner Heiligkeit,
jetzt sind sie bloß, bloß Menschen ohne Gottes Heiligkeit. Die nächste
Folge davon ist, daß sie Angst bekommen, Angst, Schuldgefühl, sie
verstecken sich. Sie verstecken sich vor Gott, weil ihr Gottesbild
verfälscht worden ist, vorher hatten sie keine Angst vor Gott. Die
Gottesfreundschaft ist zerbrochen, und mit der Gottesfreundschaft ist die
innere Harmonie nicht nur in ihnen, sondern zwischen ihnen zerbrochen, sie
klagen einander an.
Adam sagt: “Die Frau, die du mir gegeben hast” - du, Gott, hast sie mir
gegeben, du bist schuld, die Frau ist schuld -, “Die Frau, die du mir
gegeben hast, hat mir zu essen gegeben und ich habe davon genommen.” Die
jüdische Tradition sagt: hätte Adam in diesem Moment gesagt: “Ich habe
gesündigt”, dann wären wir alle noch im Paradies. Es ist also nicht Eva
schuld daran, daß wir nicht mehr im Paradies sind, sondern Adam, sagt die
jüdische Tradition. Adam schiebt die Schuld auf Gott und auf Eva, Eva
schiebt die Schuld weiter auf die Schlange, “Die Schlange hat mich
verführt.” Gott widerspricht dem nicht, denn sie sind alle für sich und
füreinander schuldig geworden und werden alle die Folgen davon tragen
müssen.
Warum hat Gott die Schlange nicht umgebracht? Warum hat Gott den
Teufel nicht erschlagen? Warum läßt Gott uns weiter gewähren nach dem
Sündenfall? Die Schlange wird verbannt, aber nicht umgebracht. Die
Geschichte der Versuchung geht weiter durch die ganze
Menschheitsgeschichte bis heute und bis in unser Leben hinein. Adam und
Eva werden aus dem Garten vertrieben. Die Folgen des Sündenfalls sind: “Im
Schweiß deines Angesichts wirst du dein Brot verdienen”, das schmerzvolle
Kindergebären für die Frau. Die Beziehung zwischen beiden ist nicht mehr
die des “Miteinander-Bild-Gottes-Sein”, sondern des gegenseitigen
Beherrschens: “Er wird dich beherrschen, und du wirst nach ihm verlangen.”
Leidenschaft, Haß, Beherrschen und Beherrschtwerden kennzeichnen seither
das Verhältnis von Mann und Frau. Und auch die Schöpfung wird ihnen Feind:
Dornen und Disteln trägt sie. Dann zeigt die Genesis eine ganze Kaskade
von Folgen dieses ersten Risses, dieser ersten Schuld: Kain und Abel, der
Brudermord, der Turmbau zu Babel. Die Sünde verbreitet sich über die ganze
Erde, die Erde ist so sehr in Schuld verstrickt, Streit, Krieg und
Unfriede, daß es Gott reut, die Menschen geschaffen zu haben: es kommt zur
Sintflut.
Gott beginnt wieder mit einem Gerechten, mit Noach, mit seiner
Familie, und so wird es durch die ganze Geschichte sein, immer wieder
beginnt Gott mit einem kleinen Rest, um das Ganze wieder gutzumachen. Was
also ist diese Ur- oder Erbsünde? Was wir in der Genesis hören, lesen,
bleibt rätselhaft. Durch das ganze AT hindurch bleibt es irgendwie noch
versteckt, es steht da, aber es ist noch nicht ganz geklärt. Erst im NT,
erst mit Christus, fällt ein ganz entscheidendes Licht auf diese erste
Seite der Bibel. Erst mit Jesus wird offenbar, was wirklich die Tragweite
der Ursünde war. Erst durch die Erlösung begreifen wir, daß die Erbsünde
wirklich alle Menschen betrifft. Es ist eigenartig, die Lehre von der
Erlösung ist gewissermaßen die Kehrseite der Medaille von der Lehre von
der Erbsünde. Paulus sagt das sehr klar im Römerbrief, im 5. Kapitel, dem
großen Text über die Erbsünde: wie es also durch die Übertretung eines
Einzelnen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es auch durch
die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung
kommen.
Durch den Ungehorsam des einen Menschen sind die vielen, das heißt
alle Menschen, zu Sündern geworden, durch den Gehorsam des einen Menschen,
Jesus, sind die vielen zu Gerechten gemacht. Daß alle Menschen in Adam
gefallen sind, verstehen wir erst von Christus her, in dem alle Menschen
gerecht gemacht sind. Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal uns vor
Augen halten, daß Gott, gewissermaßen in unseren Stammeltern und noch
einmal in Jesu, das ganze Geschick der Menschheit auf eine Waagschale
gelegt hat. Unsere Stammeltern waren verantwortlich für die ganze
Geschichte ihrer Nachkommen. Ein bißchen ahnen wir das, wenn wir sehen,
welche schrecklichen Konsequenzen für die Nachkommen es haben kann, wenn
die Vorfahren wirklich etwas Arges anstellen. Wenn große Verbrechen, große
Fehler geschehen, wirkt sich das aus, aber unvergleichlich mehr geschieht
das in der Schuld unserer Stammeltern. In ihnen war das ganze
Menschengeschlecht gewissermaßen wie in einem Menschen zusammengefaßt,
alle Menschen waren in Adam gleichsam zusammengefaßt, verborgen. Durch die
Sünde Adams ist auf alle Menschen der Fehler Adams übergegangen, so wie
durch den Gehorsam Jesu auf alle Menschen, auf die ganze Menschheit die
Erlösung übergeht.
Aber kehren wir noch einmal zurück: Was ist eigentlich die Erbsünde? Die
Erbsünde ist nicht ein Makel, auch wenn wir das Wort gebrauchen, “ohne
Makel der Erbsünde empfangene Gottesmutter”. Es ist nicht so sehr ein
Fleck, sondern es ist ein Mangel, etwas fehlt uns. Alle Menschen, vom
ersten, von unseren Stammeltern an, haben diesen Mangel mitbekommen. Wir
kommen auf die Welt mit, so könnten wir sagen, dem Mangel an
Gottesfreundschaft.
Nicht, daß Gott uns Feind wäre, aber in Adam hat die
Menschheit gewissermaßen diese erste, ursprüngliche Vertrautheit mit Gott
verloren, und unsere Stammeltern haben uns die menschliche Natur
weitergegeben, in diesem Zustand, in einem Mangelzustand. Wir kommen nicht
nur menschlich als Mangelwesen auf die Welt - ein Baby braucht lange, bis
es selbständig ist - es fehlt uns vor allem diese ursprüngliche
Gottesvertrautheit, die Gott dem Menschen zugedacht hat. Oder sagen wir es
positiv: wir kommen alle heilsbedürftig auf die Welt. Und ich glaube, das
ist etwas, was heute viel zuwenig bewußt ist, viel zu wenig gesagt wird.
Kein Mensch kann sich von sich aus retten. Oder sagen wir es positiv:
Jesus ist der “Jesus” für alle Menschen, das heißt: der “Gott-rettet” für
alle Menschen. Kein Mensch kann ohne Jesus zum Ziel gelangen.
Aber schauen wir noch einmal kurz zurück. Was ist eigentlich geschehen in
dieser ersten Sünde? Wie schon gesagt: die Harmonie im Menschen ist
zerbrochen, die Harmonie zwischen den Menschen, die Harmonie mit der
Schöpfung, und die Harmonie mit Gott. Das hat zur Folge, daß die
natürlichen Kräfte des Menschen geschwächt sind, die Intelligenz, die
Vernunft ist verdunkelt. Das ist leider eine Erfahrungstatsache, unsere
Vernunft ist nicht so klar, wie sie sein könnte. Unser Wille ist
geschwächt, unser Wille ist anfällig für das Böse, wir haben eine Neigung
zum Bösen.
Man muß ja nicht so weit gehen wie Sigmund Freud, der gesagt
hat, daß das Baby polymorph pervers sei (ein schrecklicher Ausdruck), daß
es zu allen Sorten, allen Arten von Bösem neigt. So lieb, wie wir es gerne
manchmal darstellen, sind die Kinder nicht, und waren auch wir nicht als
Kinder. Schon von früh an zeigt sich, daß es einen Kampf zwischen Gut und
Böse im Menschenherzen gibt, von Anfang an. Wir neigen zum Bösen, unser
Wille ist geschwächt, unser Gewissen, das wir ein Leben lang verfeinern,
schulen, bilden sollen, ist selbst wenn es noch so fein ist, immer auch in
Gefahr, daß es sich Illusionen macht, sich täuscht: daß wir glauben, etwas
ist die Stimme Gottes, was sie vielleicht doch nicht ist. Diese
Gebrochenheit haben wir unser ganzes Leben hindurch.
Und die letzte
Konsequenz der Erbsünde ist, daß wir dem Tod ausgeliefert sind. Also die
ganze menschliche Natur, Körper und Seele, Leib und Seele, ist von Gott
sehr gut geschaffen, bleibt fundamental gut. Der Mensch ist gut als
Geschöpf, aber verletzt. Die Erbsünde hat, so sagt die Katholische Kirche,
den Menschen nicht total pervertiert, aber doch geschwächt und verletzt,
und macht uns alle, ausnahmslos alle, erlösungsbedürftig. Das heißt aber,
wir alle bedürfen der Initiative Gottes, um aus dieser Situation
herauszukommen, alleine schaffen wir es nicht, keiner kann sich am eigenen
Schopf aus dem Sumpf ziehen. Darum glauben wir, daß auch schon kleine
Kinder getauft werden sollen. Warum brauchen die kleinen Bauxerln schon
die Taufe, sie haben doch noch nichts angestellt? Und doch heißt es: “”Wir
glauben an die Taufe zur Vergebung der Sünden.” Schon im frühen
Christentum, als zum ersten Mal die Frage aufkam: Soll man eigentlich
glauben, daß es so etwas wie die Erbsünde gibt? Oder ist es nicht doch so,
daß der Mensch aus eigener Kraft das schaffen kann, wie es Pelagius
gelehrt hat, daß der Mensch aus eigener Initiative das Heil erreichen
kann? Schon in dieser frühen Zeit hat z. B. der hl. Augustinus gesagt:
“Aber wir taufen doch die kleinen Kinder.” Das tut man seit apostolischer
Zeit, seit man sich erinnern kann, werden mit den Familien auch die Kinder
getauft. Wozu empfangen die Kinder dann die Taufe?
Aus einem zweifachen
Grund: um die Gotteskindschaft zu bekommen, um also gewissermaßen in das
Leben Christi eingetaucht zu werden, aber auch, um von der Erbsünde
befreit zu werden. Die Taufe zur Vergebung der Sünden brauchen wir auch
als Kinder. Wir haben noch keine persönliche Schuld, und die Erbsünde ist
keine persönliche Schuld, aber sie ist ein Mangel, der jedem von uns
anhaftet, der auf die Welt kommt. Nun mag man sagen, wenn das so stimmt,
daß wir als Getaufte von der Erbsünde befreit worden sind - und ich
vermute, die Meisten hier, die jetzt zuhören, sind getauft -, dann müßte
eigentlich hier eine Versammlung von vollkommen perfekten Menschen sitzen
oder stehen. Warum bleibt, wenn die Taufe die Erbsünde tilgt, dann doch
noch so viel Böses unter Christen? Man mag jetzt den Verdacht haben, das
kommt daher, daß die Taufe vielleicht doch nicht so wirksam ist. Man mag
den Verdacht haben, daß die Taufe vielleicht nur eine Verheißung ist. Aber
die Lehre der Kirche sagt, wir sind durch die Taufe wirklich Kinder Gottes
geworden, wir haben wirklich den “Gnademantel” wiederbekommen, den wir in
der Erbsünde verloren haben.
Aber, so sagt die Lehre der Kirche, das, was
uns als Neigung zum Bösen zurückbleibt, auch nach der Taufe, das ist uns
zum Kampf zurückgelassen, so sagt es ein Konzil, das Konzil von Trient,
“zum Kampf zurückgelassen”. Das heißt, es bleibt auch das christliche
Leben ein Kampf. Das, was die Erbsünde uns im Innersten geraubt hat,
nämlich die Freundschaft mit Gott, sie ist uns wiedergeschenkt, und doch
die Neigung zum Bösen, sie bleibt. Wir bleiben ein Leben lang in der
Erfahrung, daß die Folgen der Erbsünde in uns wirksam sind. Paulus hat das
sehr dramatisch beschrieben, auch nach seiner Taufe: “Wir wünschen alle
das Gute zu tun und wir wissen, daß nur das Gute uns glücklich macht, und
doch neigen wir zum Bösen. Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht, und
das Böse, das ich nicht will, tue ich”, sagt Paulus. “Wer wird mich
befreien aus diesem Leib des Todes?” ruft er dann aus. So ist es bei jedem
von uns, wir machen diese Erfahrung täglich. Deshalb sind wir, auch als
Getaufte, ständig der Gnade bedürftig, der Hilfe von “oben”. Warum
brauchen wir die Firmung, die Stärkung durch den Heiligen Geist?
Warum
brauchen wir das Bußsakrament? Weil wir wissen, daß wir stets die
Erneuerung der Taufgnade brauchen, die Eucharistie als die Wegzehrung auf
unseren Weg. Damit Christus uns immer neu vergibt und uns prägt durch sein
Leben, bis hin zur Krankensalbung, die uns stärkt in der Krankheit und in
den Sakramenten der Weihe, der Ehe, die uns stärken für den Lebensstand,
in den wir berufen sind. Wir brauchen auch über die Taufe hinaus die
Gnade.
Ich möchte jetzt zum Schluß noch einmal auf die Frage zurückkommen: Warum
ist die Lehre von der Erbsünde eine so befreiende Wahrheit? Noch einmal,
sie ist der bloßen menschlichen Vernunft nicht erkennbar, es gibt eine
Fülle von anderen Theorien, Philosophien, Erklärungen, warum es das Böse
gibt. Manche erklären, daß es überhaupt kein Böses gibt. Ein berühmter
Nobelpreisträger (Konrad Lorenz) unseres Landes hat ein Buch geschrieben:
“Das sogenannte Böse”, um zu zeigen, daß es im Grunde das Böse in diesem
Sinne, wie es das Christentum versteht, gar nicht gibt. Andere versuchen,
das Böse gesellschaftlich zu erklären, aus den gesellschaftlichen
Umständen kommt es zu negativen Erscheinungen. Die Lehre von der Erbsünde
ist Offenbarung. Gott hat uns etwas gesagt, was wir von uns aus nicht
wüßten.
Wir wüßten nicht, daß wir wirklich der Erlösung bedürfte, wenn
Christus nicht es uns geoffenbart hätte. “Niemand kommt zum Vater als
durch mich”, und wir wüßten nicht von der Wirklichkeit der Erbsünde, wenn
es uns nicht im Glauben gesagt würde. Aber da es uns gesagt wird, dürfen
wir wenigstens drei positive Lehren aus dieser Lehre von der Erbsünde
folgern, es ist eine sehr tröstliche Wahrheit. Wenn ich daran glaube, daß
jeder von uns unter den Folgen der Erbsünde leidet, dann habe ich sehr
viel mehr Verständnis für die Fehler anderer Menschen, und sehr viel mehr
Geduld mit mir selber. Niemand ist vollkommen, aber alle sind wir zur
Vollkommenheit gerufen, also zu Verständnis füreinander und Geduld mit
sich selbst.
Ein zweites: Wir wissen, daß es in uns die böse Neigung gibt, die Neigung
zum Bösen, das muß uns sehr wachsam machen. Keiner von uns kann für sich
die Hand ins Feuer legen, keiner von uns kann sagen: “Das kann mir nie
passieren.” Wir wissen, wie des dem Petrus gegangen ist, der gesagt hat:
“Herr, niemals.” “Heute Nacht schon wirst du mich dreimal verleugnen.”,
mußte ihm Jesus sagen. Also wenn wir das erkennen, dann hat das zur Folge,
daß wir demütig werden, daß wir erkennen, daß unser Leben immer durch
Prüfungen gehen wird. Wir wissen, daß es nie einen Zustand geben wird, in
dem das Gute nicht mit dem Bösen vermischt ist. Wir wissen, daß es nie
eine vollkommene Gesellschaft geben wird, und daher auch, so lange die
Kirche pilgert, keine vollkommene Kirche.
Drittens: Vollkommen sind nur Jesus Christus und Maria, die beiden
Menschen, die alleine wirklich ohne Sünde sind. Jesus, der Sohn Gottes,
und Maria, von der wir glauben, daß sie ohne den Makel der Erbsünde
empfangen wurde, daß sie also von ihrer Wurzel her ein ganz und gar freier
Mensch war, durch keinerlei Neigung zum Bösen gehindert. Das heißt aber,
in Maria sehen wir, wie ein Mensch aussieht, in dem Gottes Initiative ganz
und gar zum Tragen kommt. Bei uns ist sie immer wieder blockiert durch
unsere Schwachheit, Unvollkommenheit, Sünde, durch unser
Nicht-Ganz-Ja-Sagen.
In Maria sehen wir, wie der Mensch ausgesehen hätte,
wie unsere Stammeltern ausgesehen hätten, wenn sie ja gesagt hätten, wenn
sie nicht dem Versucher nachgegeben hätten. Und wenn wir am Anfang mit dem
Lob der Osterkerze gesagt haben, “Oh selige Schuld, die uns einen solchen
Erlöser verdient hat”, dann müssen wir jetzt sagen: “Aber noch seliger ist
die, die geglaubt hat, noch seliger ist Maria.” Manchmal wird es uns auch
aufgehen, (sicher haben Sie diese Erfahrung schon gemacht): Es stimmt,
Gott kann aus dem Bösen in meinem Leben Gutes wirken. Aber wie wunderbar
wäre es gewesen, wenn er das Gute gewirkt hätte aus dem Guten in meinem
Leben. Wir sehen an den Heiligen, welche Dynamik, welche Kraft das Reich
Gottes entwickeln kann, dort, wo Menschen ganz ja sagen, fast so wie
Maria. Aber wir sehen auch, wie wunderbar die Gnade ist, die bis in die
letzte Stunde unseres Lebens, bis in die letzten Minuten unseres Lebens
hinein uns die Möglichkeit gibt, daß aus dem Bösen in unserem Leben das
Gute wird. So soll uns beides eigentlich zum Lob, zur Dankbarkeit
veranlassen. Zu sehen, daß Gott aus dem Bösen Gutes wirkt, und zu sehen,
daß er noch größeres Gutes wirkt, dort, wo wir ganz auf seinen Willen
eingehen.
Jetzt wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und lade ein zu
einem Weiterdenken dieses Themas am 20. Februar 2000 zum Thema
Schöpfung und Evolution zu kommen. Am 30. Jänner 2000 wird es um die
Frage
Christentum und Judentum gehen, um die Frage unseres Verhältnisses zu
unseren älteren Brüdern, dem jüdischen Volk.
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