Schöpfung und
Evolution
von Kardinal Dr.
Christoph Schönborn,
6. Kathechese
1999/2000, Stephansdom, Wien, am 20. Februar 2000
Komm, Heiliger Geist, Geist der Wahrheit, Geist der Liebe. Erleuchte
unseren Verstand, stärke unseren Willen, wohne in unserem Gedächtnis,
damit wir finden zur ganzen Wahrheit, zu Christus, unserem Herrn. Amen!
Ich bin mir bewußt, daß von dem Thema, das in der letzten Katechese
behandelt wurde, noch manches offen ist. Ich möchte deshalb in der
Katechese am 21. Mai auf dieses Thema zurückkommen und der Frage
nachgehen, nicht nur, wie die Kirche zum Judentum steht, wie Judentum und
Christentum sich zueinander verhalten, sondern der Frage warum wir
glauben, daß es die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
gibt, und was das im Zusammenhang mit dem einen Gottesvolk bedeutet, dem
Gottesvolk des Alten und auch des Neuen Bundes. Wie das zusammenhängt,
soll wohl noch deutlicher werden. Ich möchte aber die nächste Katechese,
auch angesichts der vielen Fragen, die zur Zeit unser Land bewegen, über
das Verhältnis Kirche und Staat halten, genauer: die Christen und der
Staat. Ein Thema, das immer wieder akut wird, und das uns auch zur Zeit
wohl sehr bewegt. “Die Christen und der Staat”, das soll das Thema der
Katechese am 19. März sein, also
am Fest des hl. Josef (schon in der Fastenzeit).
Aber heute greife ich ein Thema auf, das auch in der einen oder anderen
Zuschrift als Frage gestellt wurde, das Thema “Schöpfung und Evolution”.
Zu den beliebtesten Fernsehsendungen gehört offensichtlich die Sendung
“Universum”. Die Faszination, die von der Schöpfung ausgeht, von den
Wundern der Natur, ist unerschöpflich. So sehr, daß es zur Zeit sogar
eigene Fernsehkanäle gibt, die nur die Wunder der Natur thematisieren.
Woher kommt diese Faszination? Es ist doch offensichtlich hier mehr als
nur das Interesse für die streng wissenschaftlichen Zusammenhänge.
Es geht
hier um etwas Tieferes, etwas, was uns anspricht, weil wir voller Staunen
vor dem stehen, was immer mehr entdeckt wird im Innersten der Schöpfung.
Vom Geheimnis des Atoms angefangen bis zu den unermeßlichen Weiten des
Kosmos, die Entwicklung des Lebens von den kleinsten Zellen bis zum
hochentwickelten Leben des Menschen, die Entdeckung des genetischen Codes
und der Geheimnisse, die er, sozusagen auf engstem Raum, in seiner
Geheimschrift enthält, das Geheimnis der Entfaltung des Lebendigen, die
Rätsel der Fortpflanzung. Je weiter die Forschung eindringt in die
Geheimnisse der Natur, um so faszinierender wird auch die Frage: Was
bedeutet das alles? Was hat es uns zu sagen? Was hat uns vielleicht der
Schöpfer durch die Sprache seiner Schöpfung zu sagen?
Daß wir heute so viel Zugang zu den Ergebnissen der Forschung haben, daß
sie popularisiert dargeboten werden, ist ein großes Geschenk. Wir haben
damit Zugänge, die den Menschen vor uns nicht möglich waren. Und trotzdem
stelle ich fest, immer wieder, daß die Frage der Evolution, die Frage, die
von naturwissenschaftlicher Seite an den Ursprung des Lebens gestellt
wird, für manchen jungen Menschen zu einer Glaubenskrise wird. Das muß
nicht immer so sein, das hängt auch sehr davon ab, wie die
naturwissenschaftlichen Ergebnisse dargestellt werden.
Aber immer wieder
begegne ich diesem Phänomen, daß junge Menschen, wenn sie mit diesen
Fragen der Evolution konfrontiert werden, so etwas wie eine Glaubenskrise
erleben. Ist jetzt Gott der Schöpfer? Sind wir alle nur Evolution? Diese
Fragen sind offensichtlich nicht nur rein akademische Fragen, sondern sie
rühren sehr tief an unser menschliches Leben selbst, an den Sinn unseres
Lebens. So möchte ich heute versuchen, in der kurzen Zeit einer Katechese,
ein wenig hineinzuleuchten in diesen Fragenkomplex, der wirklich nicht
ganz einfach ist und sicher nicht in so kurzer Zeit auch ausreichend
dargestellt werden kann.
Die Rätsel der Natur: Jahrhundertelang schien die Antwort klar und
einfach, Gott hat die Welt geschaffen. Und wie wir in dem ersten Kapitel
der Genesis lesen, er hat alle Geschöpfe geschaffen, jedes nach seiner
Art. Die unendliche Vielfalt der Schöpfung ist Werk Gottes, jede der Arten
ist durch Gottes schöpferisches Wort geschaffen. “Gott sprach und es war”,
so steht es in der Bibel, so hat es die Menschheit jahrhundertelang
geglaubt. Und das ist durch die Frage des Zusammenhanges der Arten, der
Entstehung der Arten, durch das, was wir die Evolutionstheorie oder
Evolutionslehre nennen, in Frage gestellt worden. Die Frage: “Wie sieht
denn das Werden der Arten aus?” ist zuerst einmal einfach beschreibend
beantwortet worden. Man hat sich in der Naturforschung lange Zeit damit
begnügt, zu klassifizieren, ich denke an die wunderbaren Bände von Buffon
aus dem 18. Jahrhundert, wo die ganze Vielfalt der Arten auch sehr schön
in Stichen dargestellt ist.
Die Revolution in dieser Frage brachte das 1859 erschienene Buch des
Engländers Charles Darwin: “Die Entstehung der Arten”. Darwin, ein sicher
genialer Naturforscher, kommt zur Überzeugung, daß die Arten nicht durch
einzelne Schöpfungsakte entstanden sind, sondern durch einen ganz
bestimmten Prozeß, den der Bauer, der Landwirt, auf seine Art auch kennt,
nämlich durch die Zuchtwahl. Im Kampf ums Dasein setzen sich die Stärkeren
durch und überleben, die Schwächeren gehen zu Grunde. Freilich, so sagt
Darwin, das geschieht nicht durch die Hand des Züchters, der diese oder
jene Pflanzenart oder Tierart züchtet, besser entwickelt und sie gegenüber
anderen bevorzugt, das geschieht nicht durch eine ordnende Hand, sondern
durch zufällige Veränderungen. Durch das Spiel solcher Veränderungen zeigt
sich, daß das Eine überlebenstüchtiger ist und das Andere weniger. Und so
kommt es zur Evolution, zur Entwicklung, zur Entstehung der Arten, aus
einfachen Formen zu immer komplexeren, höheren Formen hin.
Charles Darwin,
der durchaus ein religiöser Mann war, hat geahnt, daß damit große
Umwälzungen verbunden sind, und er hat darunter gelitten, daß sein eigener
Glaube dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aber er war als
Wissenschaftler so ehrlich, daß er diese Erkenntnis nicht zurückhielt,
auch wenn er fürchten mußte, daß sie für seinen Glauben, für seine
Religion eine Belastung darstellt. Darwin ist also gewissermaßen der Vater
dieser großen Umwälzung. Er meinte, man könnte damit nicht nur die
Veränderungen innerhalb der Arten erklären, sondern auch über die
Artgrenzen hinaus, wie eine aus der anderen entstanden ist, sozusagen eine
Genealogie, einen Stammbaum der Arten entwickeln, und er meinte, man werde
auf diese Weise auch den Schöpfungsplan herausfinden, das, was der
Schöpfer mit seiner Schöpfung geplant hatte.
Es kam dann freilich anders, und jene, die Darwins Ideen vor allem
weitergetragen haben, haben sie sehr bald in einen weltanschaulichen
Zusammenhang gebracht, der nicht unbedingt der von Darwin selber war,
nämlich den Zusammenhang einer materialistischen Weltsicht. Es war das vor
allem der Deutsche Ernst Haeckel und seine Schüler, die hier viel
radikaler waren als Darwin, und aus der Theorie der Entstehung der Arten
eine ganz bewußt antireligiöse, antikirchliche, materialistische Weltsicht
entwickelt haben, in der es keinen Schöpfer mehr braucht, in der es keine
Schöpfung gibt, sondern nur noch ein mechanistisches Spiel von Zufall und
Notwendigkeit.
Der Mensch, ja die ganze Schöpfung ist nichts als das
Produkt materieller Vorgänge. Karl Marx und Friedrich Engels haben schon
gleich am Anfang, als Darwin sein Buch veröffentlichte, erkannt, daß sie
hier für ihre materialistische Weltanschauung die naturwissenschaftlichen
Unterlagen fanden. Marx sagt ausdrücklich, hier habe man die
naturwissenschaftlichen Unterlagen des geschichtlichen Klassenkampfes
vorliegen.
Es war sicher kein Zufall, daß die beiden großen Ideologien in unserem
Jahrhundert mit all ihren schrecklichen Konsequenzen, der Kommunismus und
der Nationalsozialismus, den Darwinismus sozusagen zur wissenschaftlichen
Religion, zum wissenschaftlichen Glaubensbekenntnis erhoben.
Aber auch im
ganz unideologischen Alltag des wissenschaftlichen Lebens hat sich
inzwischen die Evolutionstheorie weitgehend durchgesetzt. Sie hat vor
allem durch die Einbeziehung der modernen Biologie einen großen Schritt
getan, indem die Artenentwicklung zurückgeführt werden konnte auf die
Entwicklung, die Mutationen, die Veränderungen an den Chromosomen und an
den Genen, also an den Bausteinen des Lebens selbst. Und so wurde daraus
der Versuch - man nennt es den Neo-Darwinismus - das Leben selbst, das
Entstehen des Lebens selbst, was Darwin noch nicht getan hatte,
evolutionär zu deuten. Auch das Leben ist aus diesem evolutiven Prozeß,
aus dem Spiel von Zufall und Notwendigkeit, von Selektion und Mutation,
entstanden. So hat sich die Schule herausgebildet, die man heute den
Neo-Darwinismus nennt.
Darüber hinaus hat sich eine Art Selbstverständlichkeit entwickelt, daß
man Evolution gewissermaßen als das Grundmuster der ganzen Wirklichkeit
versteht. Ich erinnere mich an ein Buch eines österreichischen Physikers,
der in den Vereinigten Staaten Professor war, und der ein Buch geschrieben
hat: “Die Selbstorganisation des Universums”, wo er vom Urknall bis zu
Beethovens 9. Symphonie alles evolutiv erklärt. Also nicht nur das
Entstehen der Arten, wie es Darwin tat, sondern das Entstehen der Materie
selbst, aber auch bis hin zum Entstehen der eigentlich menschlichen
Vorgänge des Erkennens, des sittlichen Urteilens und Handelns, ja selbst
der Kunst und der Religion.
Alles ist Evolution, alles entsteht aus dieser
Selbstorganisation der Materie in immer höhere und komplexere Formen. So
besteht heute eine gewisse weit verbreitete Tendenz, Evolution als das
Grundmuster der Wirklichkeit überhaupt zu verstehen: Alles ist Evolution.
Demgegenüber fällt es sehr schwer, das Bestehende, das Bleibende, das in
sich Gültige geltend zu machen. Ich werde darauf gleich noch einmal
zurückkommen.
Nicht uninteressant, daß man auch versucht, sozusagen entgegenkommend,
auch die Religion evolutiv zu deuten: Es ist für die Menschen und die
Entwicklung gut, daß es dieses Phänomen der Religion gibt, das schafft
gewissermaßen einen Überlebensvorteil. Denn wenn man religiös ist, dann
lebt es sich besser, und so kann man, das wird versucht, selbst Religion
als ein Entwicklungsphänomen in der Geschichte der Evolution sehen. Und so
sieht es fast aus, als wäre der Graben, der im letzten Jahrhundert noch
sehr tief war, zwischen Religion und Evolution, zwischen Glaube und
Wissenschaft, in dieser Frage inzwischen völlig zugeschüttet.
Ich will ihn
auch nicht unnötig wieder aufgraben, ich möchte nur ein paar kritische
Fragen zum Nachdenken stellen, denn es ist, gerade für eine
wissenschaftliche Theorie, wichtig, daß wir kritische Fragen stellen:
Genügt es, Religion nur als nützliche Funktion zu verstehen? Ist Religion
nicht mehr, als nur, daß sie den Menschen nützt? Aber wir können die Frage
weiterstellen: Ist Kunst nur das, was der Mensch sozusagen braucht, um
sich in seinen seelischen Bedürfnissen befriedigt zu finden? Ist das
Sittliche nur ein Überlebensvorteil oder hat es einen Wert in sich? Ist
das Erkennen einfach eine höhere Funktion von tierischer Geschicklichkeit?
Alle diese Fragen werden heute intensiv diskutiert von Philosophen und
Theologen. Es ist gut, daß wir heute den Konflikt zwischen
Naturwissenschaft und Glauben weitgehend überwunden haben, aber es soll
kein vorschnelles Harmonisieren sein. So möchte ich im Folgenden
versuchen, ein wenig diese Harmonie zu stören, um einige kritische Fragen
zu stellen. Glauben Sie bitte jetzt nicht, daß ich hier jene Haltung
verteidigen werde, die es etwa in den USA in manchen Gruppen gibt, die
meinen, die Bibel in dem Sinn wörtlich nehmen zu müssen, daß im Jahr 4004
v. Ch. die Welt erschaffen wurde und zwar genau in sechs Tagen.
Es gibt
solche Versuche, und wir lesen gelegentlich von den Konflikten, die um die
Frage Evolutionismus oder Kreationismus in den Vereinigten Staaten zu
heftigen Kämpfen bis hin zu Gerichtsurteilen führen. Wir wollen also
versuchen, die Frage der Evolution im Blick vom Glauben her und auf den
Glauben hin ein wenig kritisch zu beleuchten. Was kann diese Theorie der
Evolution zeigen und was kann sie nicht?
1) Nun, eines ist ganz wichtig vorweg zu sagen, es handelt sich um eine
wissenschaftliche Hypothese, sie ist auf dem Markt der heutigen
wissenschaftlichen Hypothesen sehr gut ausgewiesen, es spricht vieles für
sie, sie hat eine starke Glaubwürdigkeit. Und so ist es nicht
verwunderlich, daß Papst Johannes Paul II. 1996 - in einer vielbeachteten
Rede vor der Vollversammlung der päpstlichen Akademie der Wissenschaften -
sich in einer Art und Weise geäußert hat, die ein sehr offenes Verhältnis
den Naturwissenschaften gegenüber anzeigt. Ich darf kurz aus dieser Rede
zitieren: “Heute geben neue Erkenntnisse dazu Anlaß, in der
Evolutionstheorie mehr als nur eine Hypothese zu sehen. }
Es ist in der Tat
bemerkenswert, daß diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in
unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert
wurde.” Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen
von Forschungsergebnissen stellte schon an sich ein bedeutsames Argument
zugunsten dieser Theorie dar, so sagt der Heilige Vater in dieser
berühmtgewordenen Rede. Es ist eine wissenschaftliche Hypothese, die man
heute schon als eine wissenschaftliche Theorie bezeichnen kann.
2) Was für jede wissenschaftliche Hypothese und Theorie gilt, gilt
natürlich auch für diese Theorie der Evolution, sie kann in Zukunft durch
andere Forschungsergebnisse überholt, erweitert oder in Frage gestellt
werden, denn die Wissenschaft ist gewissermaßen nie sicher, sie hat nie
endgültige Ergebnisse. Viele Entdeckungen laufen auf die Schlußfolgerungen
der Evolutionstheorie hinaus und vieles spricht dafür, daß vieles mit
dieser Theorie auch wirklich erklärt werden kann. Und doch müssen wir
sagen, ihre Geltung, ihre derzeitige Geltung, ist nicht absolut, keine
wissenschaftliche Theorie hat Gültigkeit für immer.
3) Wenn wir jetzt fragen, was kann diese Theorie eigentlich erklären und
was nicht, wie sieht das dann für den Glauben aus? So können wir zuerst
einmal sagen, es ist eine Entwicklungslehre, eine Theorie über die
Entwicklung der Arten, ja der ganzen Natur. Es ist eine Theorie über die
Veränderung von schon Vorhandenem. Es ist nicht eine Lehre über den
Ursprung aller Dinge, wie wir es in der Schöpfungslehre gleich nachher
noch sehen werden. Sie setzt also voraus, daß es bereits die Wirklichkeit
gibt, die Materie. Sie versucht zu deuten, wie sich aus der schon
vorhandenen Materie die Arten entwickeln. Und darin liegt etwas, was uns
auch im Glauben sehr anspricht und was durchaus auch mit dem biblischen
Zeugnis übereinstimmt, nämlich die Überzeugung, daß alles Geschaffene
innerlich zusammenhängt. Alle Geschöpfe - so sagen wir im Glauben - sind
untereinander verwandt, sie sind miteinander verbunden, sie haben
gemeinsam ihr Geschöpfsein, und das wird auch durch diese heute so weithin
angenommene Theorie erhärtet.
Es mag durchaus sein, daß alles Materielle
in dieser Welt einen gemeinsamen Ursprung, eine gemeinsame Wurzel hat, und
so unterstreicht diese Theorie die Überzeugung, daß alles Leben, ja alle
Wirklichkeit in Verbindung ist. Unser Gespür dafür, daß wir nicht nur mit
den Menschen, sondern mit der ganzen Schöpfung sorgsam, behutsam,
ehrfurchtsvoll umgehen sollen, bekommt dadurch auch eine Verstärkung. Wenn
man also die Frage sucht: “Was beantwortet die Evolutionstheorie?” dann
können wir sagen, sie versucht eine Antwort zu geben auf die Frage, wie
sich das Leben entwickelt und wie die materielle Wirklichkeit in ihrer
Ordnung und Systematik zusammenhängt. Freilich, es bleiben auch große
Fragen offen, und ich möchte drei solche Fragen nennen:
1) Die große Frage ist, wie eigentlich sich diese Theorie vorstellt, daß
die einzelnen Arten, die einzelnen Lebewesen, die ja immer ein Ganzes
sind, ein lebendiges Ganzes, wie die sich nun tatsächlich auseinander
entwickeln sollen. Es gibt dafür verschiedene Theorien in der
Evolutionstheorie, die Theorie der Großmutationen, der Fulgurationen - ich
brauche darauf nicht im Einzelnen einzugehen. Ich möchte es mit einem
handfesten Beispiel verdeutlichen: Wenn man aus einem VW einen Rolls-Royce
machen will, indem man ein Stück nach dem anderen umbaut, dann wird einmal
der VW nicht mehr funktionieren und es wird noch kein Rolls-Royce sein.
Ich weiß, das Beispiel ist etwas banal, aber die Frage ist eine sehr
ernste. Lebewesen sind Organismen, sind “Ganzheiten”, haben ihre eigene
Gestalt. Diese Theorie vermag nicht zu erklären, wie dieser so
fundamentale Umbau von einer Art zur anderen entstehen soll. So sagen auch
große Gelehrte, es gebe bis heute nicht einen einzigen wirklichen Nachweis
eines Übergangs von einer Art zur anderen, es bleibt eine Hypothese, eine
wahrscheinliche, aber noch nicht erwiesene.
2) Ein zweiter Einwand ist für mich noch viel gewichtiger. Es gibt in der
Tiefsee Arten von Lebewesen, von den prachtvollsten Farben und den
seltsamsten Gestalten, die nie von einem Menschenauge, aber auch nicht von
den anderen Lebewesen, von den Lebewesen der Tiefe wahrgenommen werden
können, weil gar kein Licht in der Tiefe vorhanden ist. Wie will man die
Pracht, die Buntheit, die Gestaltvielfalt der Schöpfung funktional
erklären, aus reiner Zweckmäßigkeit? Schon Darwin ist an diesem Rätsel
immer wieder angestoßen und hat darauf keine Antwort gewußt. Anders
gesagt, es läßt sich nicht alles in der Natur nur durch Zweckmäßigkeit
erklären, nur durch Brauchbarkeit fürs Überleben.
Es gibt so vieles in der
Natur, was ganz und gar zwecklos ist, aber wunderbar und wunderschön.
Gerade das interessiert uns oft, wenn wir in Sendungen wie Universum die
Pracht der Natur vor Augen geführt bekommen. Ein großer Naturforscher,
Joachim Illies, hat einmal geschrieben: “Die Schönheit eines
Schmetterlings, der Gesang eines Vogels, der Duft einer Blume sind nicht
hinreichend mit Zufallsmutation und Selektion des Tüchtigsten zu erklären,
zumal das Schöne oft gerade nicht das Tüchtigste, sondern eher das
Schwache ist.” Ein Rätsel, das diese Theorie nicht erklären kann. Und
doch, wie wichtig ist es, daß das Lebendige eben nicht nur funktional,
sondern auch schön ist.
3) Und ein drittes Argument: Die Evolution sieht alles als Fluß, alles ist
im Übergang, nichts hat wirklich Bestand, alles ist im Werden, es gibt
eigentlich kein Sein. Nun ist jedes Lebewesen, der Mensch in ganz
besonderer Weise, aber auch die Schnecke und der Vogel, jedes Lebewesen
zuerst einmal es selber. Mit seiner eigenen Beschaffenheit, seiner Art
und, wie der große Naturforscher Adolf Bortmann immer sagte, mit seiner
Innerlichkeit. Jedes Lebewesen hat so etwas wie eine Innerlichkeit, die
sich nach außen zeigt, die es unverwechselbar macht als es selber, die
sich ausdrückt in seiner Gestalt, seiner unverwechselbaren Tätigkeit, in
seinem eigenen Sein. Die Evolutionslehre zeigt eines sehr schön: daß alles
zusammenhängt - sie zeigt eines zu wenig: daß jedes unverwechselbar eigen
ist.
Alles das kann die Evolutionstheorie nicht erfassen, und deshalb gibt es
heute eine reiche Fülle von Literatur, die gerade diese Punkte bearbeitet
und an der Theorie kritisiert, um sie auch weiter zu entwickeln. Gerade
diese Fragen: Warum gibt es das Schöne, das nicht unbedingt Zweckvolle?
Warum gibt es den lebendigen Organismus als ein Ganzes, und warum gibt es
die Eigenständigkeit, und nicht nur den Fluß der Entwicklung? Alles das
bleibt zu wenig beantwortet. Aber gerade das sind Fragen, die uns auch vom
Glauben her sehr wichtig sind. Gewiß, die Evolutionslehre hilft uns zu
verstehen, wie sich das Leben entwickelt, wie sozusagen der Stammbaum des
Lebens aussieht.
Aber die Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Warum bin
ich da? Diese tiefste Frage der Metaphysik des menschlichen Denkens:
“Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?” Und schließlich die
Frage: “Wozu ist alles da?” Auf diese Frage kann der Evolutionist
höchstens sagen: “Du bist ein flüchtiger Punkt im Strom der Evolution, du
bist nicht du, sondern ein Vorübergehendes”, oder, wie es der
Nobelpreisträger Jacques Monot gesagt hat: “Du bist ein Zigeuner am Rande
des Weltalls.” Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der
Sinn der Wirklichkeit? Darauf kann die Evolutionstheorie keine Antwort
geben.
Der Versuch, zu sagen: solche Fragen überhaupt zu stellen sei auch
ein Produkt der Evolution, wir seien eben höhere Lebewesen und hätten uns
so entwickelt, daß wir so komplizierte Fragen stellen, die sich einfachere
Wesen nicht stellen - ich glaube, das wäre zu vordergründig. Denn das
Geheimnis des menschlichen Geistes - kann man das wirklich aus der Materie
erklären, kann man wirklich aus dem Prozeß, dem Ablauf der materiellen
Vorgänge erklären, daß es den menschlichen Geist gibt, daß es die Seele
gibt? Sagt uns hier nicht in aller Deutlichkeit das Wort Gottes: Im Anfang
war das Wort, nicht die Materie, im Anfang war der Logos, der Sinn, im
Anfang schuf Gott Himmel und Erde?
Was bedeutet also für uns der Schöpfungsglaube? Muß der in Konkurrenz
treten zur Evolutionslehre, ergänzen sie sich? Versuchen wir das ein wenig
noch anzusehen. Das erste Wort der Bibel: “Im Anfang schuf Gott Himmel und
Erde”, ist etwas, das sich von den meisten Religionen abhebt. Es gibt den
Glauben an den absoluten Ursprung von allem in Gott nicht in allen
Religionen. In den meisten Religionen und Mythen ist die Schöpfung nur
eine Veränderung von dem, was schon da ist. Der biblische Glaube glaubt,
daß Gott souverän, absolut, in völliger Freiheit und ohne Voraussetzungen
aus dem Nichts alles erschaffen hat. Das ist etwas so Radikales, das gibt
es nicht selbstverständlich in allen Religionen. Ich möchte drei
Folgerungen aus diesem Schöpfungslauben nennen.
1) Gott ist absolut Schöpfer. Das heißt zuerst: Gott ist souverän, frei.
Wenn er erschafft, dann tut er es nicht, weil er es braucht, nicht, weil
er sich selber entwickeln müßte oder verwirklichen müßte, so wie wir uns
durch unsere Arbeit, unser Werk verwirklichen. Keine Notwendigkeit zwang
und nötigte Gott die Welt zu schaffen, er will es, und so tut er es, sein
freier Schöpferwille. Dieser Wille hat keinen anderen Grund zu erschaffen
als allein seine Liebe. Gerade weil er völlig frei erschaffen hat, ist die
Welt nicht das Produkt des Zufalls, sondern der Liebe. Das ist die tiefste
Überzeugung des Schöpfungsglaubens, alles existiert aus der Liebe des
Schöpfers.
Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts? - Weil Gott die
Liebe ist. Das bedeutet vor allem für uns, für den Menschen das, was das
II. Vaticanum sagt: Der Mensch ist das Geschöpf, das Gott um seiner selbst
willen gewollt hat. Nicht um der Evolution willen, nicht um eines
Prozesses willen, in dem der Mensch nur eine Übergangsphase wäre, sondern
um seiner selbst Willen. Das heißt aber: die Botschaft des
Schöpfungsglaubens ist, du bist um deiner selbst willen gewollt und es ist
gut, daß du bist.
2) Ein zweites folgt daraus. Wenn Gott der souverän freie Schöpfer ist,
dann hat die ganze Schöpfung ihren Ursprung in seiner Weisheit, in seiner
Vernunft. Gott hat diese Welt gewollt, das heißt gedacht. Das hat aber zur
Folge, daß diese Welt sozusagen mit der Handschrift Gottes geschrieben
ist, mit der Handschrift seiner Vernunft. Die Sprache der Schöpfung kann
uns deshalb ansprechen und deshalb fasziniert uns eine Sendung Universum,
weil sie uns anspricht in ihrer Schönheit, in ihrer Gutheit, in ihrer
Vernünftigkeit. Einstein hat gesagt: “Gott würfelt nicht.” Wäre alles
Spiel des Zufalls, dann wäre unsere Vernunft blind, sie würde im Dunkeln
tappen, wenn sie versucht, etwas von der Wirklichkeit zu verstehen.
Nun
ist es aber so, daß wir Gottes Werke entschlüsseln können. Seit
Jahrhunderten forscht die Menschheit und seit zwei, drei Jahrhunderten in
ganz besonders intensiver Weise, um die Sprache des Schöpfers zu
entschlüsseln, bis hinein in den genetischen Code, bis hinein in die
innersten Bestandteile des Atoms. Weil die Welt in der vernünftigen
Sprache des Schöpfers geschrieben ist, kann unsere geschaffene Vernunft
sie zwar mühsam, aber doch entschlüsseln. Wäre alles das Spiel von Zufall
und Notwendigkeit, dann gäbe es gar nichts zu verstehen. Wir stoßen aber
überall auf Sinn, auf Zusammenhänge, auf Funktionen, die wir entziffern
können. In der neuen Enzyklika “Fides et ratio” sagt der Heilige Vater das
sehr schön: “Ein und derselbe Gott, der die Verstehbarkeit und die
Vernünftigkeit der natürlichen Ordnung der Dinge, auf die sich die
Wissenschaftler vertrauensvoll stützen, begründet und gewährleistet, ist
identisch mit dem Gott, der sich als Vater unseres Herrn Jesus Christus
geoffenbart hat.” Derselbe Gott, der zu uns durch Jesus spricht, ist auch
der Gott, der diese Welt geschaffen hat und der zu uns durch die Schöpfung
spricht.
Auch die Evolution können wir nur deshalb entziffern, weil sie in den
vernünftigen Buchstaben der Schrift Gottes geschrieben ist. Zweifellos
gibt es Evolution, zweifellos gibt es in der Natur die Mechanismen der
Evolution, sie machen Sinn, sie sind sinnvoll, wir können sie in ihrem
Sinn entdecken, weil sie vom Schöpfer in der Schöpfung eingeschrieben
sind. Ich würde es deshalb so sagen: Gott bedient sich auch der Evolution,
um das Werk der Schöpfung zu bilden. Aber ich würde hinzufügen: Gott
bedient sich nicht nur der Evolution, sie ist ein Element in seinem großen
Werk. In dieser Sicht braucht sich der Glaube nicht gegen die
Naturwissenschaft abzuschotten. Ich möchte zum Fast-Abschluß (es kommt
dann noch ein Text) auf einen ganz großen Text des 2. Vaticanums
hinweisen, vielleicht können Sie ihn selber einmal nachlesen, es ist in
der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et
Spes, wo in sehr eindrucksvoller Weise gesprochen wird über das
Miteinander und Zueinander von Wissenschaft und Glauben, von Vernunft und
Glauben. Ich darf ein paar Abschnitte daraus kurz vorlesen:
“Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, daß die
geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und
Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und
gestalten muß, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu
fordern, die Selbständigkeit der weltlichen Wirklichkeit, Wissenschaft und
Gesellschaft.” Und wir werden auch sehen, wenn wir über die Christen und
die Politik sprechen, werden wir wieder auf diesen Text zurückkommen. Das
ist nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht
auch dem Willen des Schöpfers. Dazu sagt das Konzil: “Durch ihr
Geschaffensein haben alle Wirklichkeiten ihren festen Eigenstand.” Gott
hat alles nicht nur im Fluß geschaffen, sondern auch, daß es es selber
ist, die Dinge in ihrem Eigenstand, in ihrer eigenen Wahrheit, ihrer
eigenen Gutheit, ihrer Eigengesetzlichkeit und ihrer eigenen Ordnungen,
die der Mensch unter Anerkennung der einzelnen Wissenschaften und
Techniken achten muß.
Vorausgesetzt, daß die Forschung in allen Wissensbereichen in einer
wirklich wissenschaftlichen Weise und in einer sittlichen Weise vorgeht,
wird sie niemals in einen Konflikt mit dem Glauben kommen. Die
Wissenschaft, die sauber arbeitet, kommt nie in Konflikt mit dem Glauben.
Warum? Weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens
in dem selben Gott ihren Ursprung haben. Ja, wer bescheiden und ausdauernd
die Geheimnisse der Wirklichkeit zu erforschen versucht, wird - auch wenn
er sich dessen nicht bewußt ist - von Gott an der Hand geführt, der alle
Wirklichkeit trägt und sie in sein Eigensein einsetzt. Gott führt auch den
Wissenschaftler, der sauber und ordentlich in seiner Wissenschaft
arbeitet. Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst unter den
Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die berechtigte
Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern.
Wenn man sich ängstlich
gegen die Wissenschaft abgeschottet hat, dann war das nicht berechtigt.
Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schuf
diese Haltung in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem
Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft. Wenn wir aber im Glauben die
Eigenständigkeit der Wissenschaft respektieren und umgekehrt die
Wissenschaft nicht versucht, alles zu erklären, sondern sozusagen bei
ihrem Leisten zu bleiben, dann gibt es keinen Konflikt zwischen
Wissenschaft und Glaube.
Vielleicht kann ich zum Abschluß das, was es über Schöpfung und Evolution
zu sagen gibt, zusammenfassen in einem Gesang eines Heiligen. Denn auch
der trockenste Naturwissenschaftler wird nicht umhinkommen, immer wieder
staunend vor der Schönheit und der Geheimnishaftigkeit der Wirklichkeit zu
stehen. Der
Sonnengesang des hl. Franziskus drückt auch etwas aus, was die
Evolutionstheorie uns neu bewußt gemacht hat, nämlich wie tief alle
Geschöpfe innerlich zusammenhängen. Was die Evolutionstheorie manchmal ein
bißchen zu materialistisch sagt, das sagt Franziskus in sehr bewegender
Weise in seinem Sonnengesang. So möchte ich mit drei Strophen aus dem
Sonnengesang unsere heutige Katechese abschließen:
Gepriesen seist du, mein Herr,
mit all deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn, Bruder Sonnenball,
denn er ist der Tag und spendet das Licht uns durch sich.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Schwester Mondsichel und die Sterne,
am Himmel hast du sie gebildet,
hell leuchtend und kostbar und schön.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteren Himmel und
jegliches Wetter,
durch welches du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und es ist schön und liebenswürdig und kraftvoll und stark.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernährt und lenkt und mannigfaltige Frucht hervorbringt und bunte
Blumen und Kräuter.
Lobet und preiset meinen Herrn und erweist ihm Dank und dient ihm mit
großer Demut.
Amen!
|
|
|