Schöpfung und
Evolution Mit einem gewissen Bangen im Herzen beginne ich die Katechesen in diesem Arbeitsjahr. Ich habe mir vorgenommen, Schöpfung und Evolution zum Thema zu nehmen. Es wird dabei nicht um wissenschaftliche Details gehen, denn dazu wäre ich zweifellos nicht qualifiziert, wohl aber um das Verhältnis von Schöpfungsglauben und wissenschaftlichem Zugang zur Welt, zur Wirklichkeit. So beginne ich mit dem, was auf der ersten Seite der Bibel steht: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (Gen 1,1). Dieses erste Wort der Bibel soll auch das erste Wort dieser Katechesen sein. An Gott den Schöpfer zu glauben, daran zu glauben, dass er Himmel und Erde erschaffen hat, ist auch der Anfang des Glaubens. Es steht am Anfang des Glaubensbekenntnisses, ist der erste "Glaubensartikel". Damit ist schon gesagt, dass es sich hier um die Grundlage von allem handelt. Es ist das Fundament, auf dem alles weitere an christlichem Glauben ruht. An Gott zu glauben und nicht zu glauben, dass er Schöpfer ist, hieße, so sagte einmal Thomas von Aquin, "überhaupt nicht zu glauben, dass Gott ist". Gott und Schöpfer ist untrennbar. Das ist die Grundlage aller weiteren Glaubensüberzeugungen: dass Jesus Christus der Erlöser ist, dass es einen Heiligen Geist gibt, dass es eine Kirche und ein ewiges Leben gibt - alles das setzt den Glauben an den Schöpfer voraus. Daher betont der Katechismus der katholischen Kirche die grundlegende Bedeutung des Schöpfungsglaubens. In der Nummer 282 spricht er davon, dass es hier um die Fragen geht, die sich jeder Mensch früher oder später in seinem Leben stellt, wenn er ein menschliches Leben führt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist das Ziel, was ist der Ursprung, was ist der Sinn meines Lebens? Im Schöpfungsglauben geht es fundamental auch um die Grundlage der Ethik. Denn im Glauben an den Schöpfer ist auch der Glaube impliziert, dass dieser Schöpfer uns etwas zu sagen hat, durch seine Schöpfung, durch sein Werk, über den rechten Gebrauch dieses Werkes und über den wahren Sinn unseres Lebens. Schöpfungskatechese ist daher seit der frühen Kirche immer die Grundlage aller Katechese gewesen. Wenn Sie in die patristischen, frühchristlichen Taufkatechesen hineinschauen, so stand immer am Anfang die Katechese über die Schöpfung. So wollen wir versuchen, in diesem Jahr darüber nachzudenken. Wenn es stimmt, dass die Frage nach dem Ursprung (Woher kommen wir?) nicht zu trennen ist von der Frage nach dem Ziel (Wohin gegen wir?), dann geht es in der Frage nach der Schöpfung immer auch um die Frage des Ziels. Es geht auch um die Frage des "designs", des Planes. Gott hat seine Schöpfung nicht nur gemacht, sondern er erhält sie, und er lenkt sie auf ein Ziel hin. Auch das wird Thema in diesen Katechesen sein, denn diese Frage gehört ganz wesentlich zur christlichen Grundüberzeugung. Gott ist nicht nur ein Schöpfer, der einmal am Anfang ein Werk in Gang gesetzt hat, wie ein Uhrmacher, der eine Uhr geschaffen hat, die dann endlos läuft, sondern er erhält sie und lenkt sie auf ein Ziel hin, eine Schöpfung, von der wiederum der christliche Glaube sagt, dass sie nicht fertig ist, "in statu viae", auf dem Weg. Gott hat als Schöpfer auch mit der Lenkung der Welt zu tun. Wir nennen das die Vorsehung (auch wenn das Wort geschichtlich etwas belastet ist). Wir sind überzeugt, dass all das, nämlich dass es einen Schöpfer und einen Lenker gibt, von uns auch erkannt werden kann. Sicher nicht total, in allen Details, aber grundsätzlich hält der christliche Glaube ganz entschieden an der Erkennbarkeit eines Schöpfers und eines Lenkers der Welt fest. Wissen wir davon? Ein blinder Glaube, der von uns nur einen Sprung ins völlig Ungewisse fordern würde, wäre kein menschlicher Glaube. Wäre der Glaube an den Schöpfer völlig ohne Einsicht, ohne Einsehbarkeit in das, was es heißt, an einen Schöpfer zu glauben, dann wäre ein solcher Glaube unmenschlich. Die Kirche hat einen solchen "Fideismus", einen solchen blinden Glauben zu Recht immer abgelehnt. Glauben ohne Einsicht, ohne die Möglichkeit, dass wir etwas vom Schöpfer vernehmen, dass unsere Vernunft etwas davon erfassen kann, wäre kein christlicher Glaube. Der biblisch-jüdisch-christliche Glaube war immer davon überzeugt, dass wir nicht nur an einen Schöpfer glauben sollen und dürfen, sondern dass wir sehr viel über den Schöpfer auch mit der menschlichen Vernunft erfassen können. Lassen Sie mich einen etwas längeren Text aus dem Buch der Weisheit zitieren, ein alttestamentlicher Text, der aus dem späten zweiten/frühen ersten Jahrhundert vor Christus stammt. Darin heißt es in Kapitel 13: "Töricht waren von Natur alle Menschen, denen die Gotteserkenntnis fehlte. Sie hatten die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen, ohne den wahrhaft Seienden erkennen zu können. Beim Anblick der Werke erkannten sie den Meister nicht, sondern hielten das Feuer, den Wind, die flüchtige Luft, den Kreis der Gestirne, die gewaltige Flut oder die Himmelsleuchten für weltbeherrschende Götter. Wenn sie diese, entzückt über ihre Schönheit, als Götter ansahen, dann hätten sie auch erkennen sollen, wie- viel besser ihr Gebieter ist; denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie über ihre Macht und ihre Kraft in Staunen gerieten, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel mächtiger jener ist, der sie geschaffen hat." Und jetzt der entscheidende Satz, den Paulus auch im Römerbrief übernimmt: "denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen." Dann ein etwas milder Nachsatz: "Dennoch verdienen jene nur geringen Tadel. Vielleicht suchen sie Gott und wollen ihn finden, gehen aber dabei in die Irre. Sie verweilen bei der Erforschung seiner Werke und lassen sich durch den Augenschein täuschen; denn schön ist, was sie schauen. Doch auch sie sind unentschuldbar: Wenn sie durch ihren Verstand schon fähig waren, die Welt zu erforschen, warum fanden sie dann nicht eher den Herrn der Welt?" (Weish 13,10). Dieser klassische Text ist eine der Grundlagen für die Überzeugung, die dann im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 auch dogmatisiert, also als ausdrückliche Glaubenslehre der Kirche festgehalten wurde: dass wir mit dem Licht der menschlichen Vernunft erkennen können, dass es einen Schöpfer gibt, und dass der Schöpfer die Welt lenkt (I. Vat., Dei filius c. 2; DH 3004). Ich darf an diesem Text als erstes Folgendes hervorheben: Die Bibel wirft den Heiden, denen, die nicht den wahren Gott verehren, vor, dass sie die Welt, die Natur vergöttern; dass sie hinter der Natur und ihren Phänomenen mythische, magische Kräfte suchen. Aus Gestirnen, aus Feuer, Licht und Luft machen sie Götter. Sie haben sich täuschen lassen. Die Faszination der Schöpfung hat sie dazu verleitet, die Geschöpfe zu vergöttlichen. In diesem Sinn ist die Bibel die erste Aufklärerin. Sie entzaubert in gewisser Weise die Welt; sie entkleidet sie ihrer magischen, mythischen Macht, sie "entmythologisiert" die Welt, sie "entgöttert" sie. Ist uns bewusst, dass ohne diese Entgötterung der Welt auch die moderne Wissenschaft nicht möglich geworden wäre? Denn erst der Glaube, dass die Welt geschaffen ist, dass sie nicht göttlich ist, dass sie endlich ist, dass sie, wie wir in philosophischer Sprache sagen, "kontingent" ist; dass sie nicht notwendig ist, sie auch nicht sein könnte, erst das hat es möglich gemacht, dass die Welt und das, was sie bildet, was sie bevölkert, um seiner selbst willen studiert wird. Es sind endliche, geschaffene Wirklichkeiten und nicht Götter oder göttliche Wesen, die uns begegnen. Diese Entzauberung der Natur hat natürlich auch etwas Schmerzliches. Hinter dem Baum und hinter der Quelle stecken nicht mehr Nymphen und Götterwesen, mythische, magische Kräfte, sondern das, was der Schöpfer in sie hineingelegt hat und was der menschliche Verstand erforschen kann. Deshalb sagt das Buch der Weisheit auch in einer unglaublich nüchternen Weise schon im Alten Testament, Gott habe alles nach Maß, Zahl und Gewicht geschaffen. Das ist die Grundlage jeder naturwissenschaftlichen Erforschung der Wirklichkeit. Hinter den Dingen der Welt steht die alles überragende Vernunft des Schöpfers. Sie sind von ihm geschaffen, sind nicht aus sich selber. Sie sind von ihm gewollt, und das ist das große Geheimnis der Schöpfungslehre: Sie sind sozusagen in ihr eigenes Dasein freigesetzt. Sie sind sie selbst, nicht aus sich, sondern weil der Schöpfer sie in freier souveräner Willensentscheidung gewollt hat. In diesem Sinne, darüber werden wir in den nächsten Katechesen zu sprechen haben, haben sie ihre Autonomie, ihre eigenen Gesetze, ihre Eigenständigkeit, ihr eigenes Sein. Das zu sehen ermöglicht der Schöpfungsglaube. Während die heidnische Antike großteils die Welt "divinisiert", vergöttert hat, hat eine philosophische Gegenbewegung in der Zeit des aufkommenden Christentums, die so genannte "Gnosis", die Welt abgewertet. Die Welt, vor allem die Materie, ist das Produkt eines "Unfalls", eines "Abfalls". Sie ist eigentlich nichts Gutes, sie ist nicht etwas Gewolltes, etwas Gesolltes, sie ist reine Negativität. Diese Sicht der Gnosis hat das Christentum ebenso entschieden abgelehnt, wie die Vergöttlichung der Welt; weder vergöttlicht noch abgewertet. Gerade weil die Welt geschaffen ist, betont das frühe Christentum in ganz entschiedener Weise, dass auch die Materie geschaffen ist, dass sie gut ist, dass sie sinnvoll ist und nicht einfach ein "Abfall" aus einem ursprünglich einen Gottwesen, durch einen "Unfall im Göttlichen", sozusagen als "Ausscheidung" in diese Welt der Finsternis geraten. Die Materie ist nicht das rein Sinnlose, das es zu überwinden, abzulegen gilt. Die Materie ist geschaffen. "Gott sah, dass es gut war" (Gen 1,10). Der Mensch in dieser materiellen Welt ist nicht in eine Region der Finsternis geraten, wie es die Gnosis lehrt, ein göttlicher Funke, der in den Schmutz gefallen ist und sich aus diesem Schmutz herausheben muss, indem er zu seinem göttlichen Ursprung zurückkehrt. Er ist Teil dieser Schöpfung. Er ist von Gott gewollt, auch als materielles, als geistig-leibliches Wesen, als Mikrokosmos, als Abbild des Makrokosmos, als das Grenzwesen, das beide Welten, die geistige und die materielle, in sich vereint. "Und Gott sah, dass es sehr gut war", sagt der Schöpfungsbericht der Genesis nach der Schöpfung des Menschen (Gen 1,31). Er gehört in die Schöpfung und doch überragt er sie. Auch das werden wir thematisieren, wenn es dann einmal um die Frage geht: "Ist der Mensch die Krone der Schöpfung?" Die gnostische Sicht und die vergöttlichende Sicht sind mit dem biblischen Schöpfungsglauben unvereinbar. Das größte Ärgernis für die Antike war aber wohl der Glaube, dass Gott aus dem Nichts schafft, ohne Voraussetzung, "ex nihilo". Ich denke, diese Frage ist auch heute in der ganzen Debatte um Schöpfung und Evolution die Schlüsselfrage. Was heißt es, dass Gott schafft? Die große Schwierigkeit, die wir haben - ich denke und werde es noch zeigen, dass an ihr auch Darwin gescheitert ist - ist, dass wir keinen Begriff, keine Anschauung, keine Vorstellung von dem haben, was es heißt, dass Gott Schöpfer ist. Denn alles, was wir kennen, sind nur Veränderungen. Die Schöpfer dieses Domes haben nicht aus Nichts geschaffen. Sie haben Stein und Holz gestaltet, sie haben Materie wunderbar gestaltet. Alle außerbiblischen Schöpfungsmythen und -epen gehen davon aus, dass ein Gottwesen aus bereits Vorhandenem diese Welt gestaltet hat. Die Schöpfung aus dem Nichts, die absolut souveräne Schöpfertat, wie sie die Bibel bezeugt, ist, ich glaube das kann man auch religionsgeschichtlich sagen, etwas Einmaliges. Wir werden sehen, wie fundamental wichtig das für das Verständnis von Schöpfung als von Gott gewollter Eigenständigkeit ist. Das wird das nächste Mal Thema sein. Heute möchte ich darauf hinweisen, dass ich nicht der einzige bin, der davon überzeugt ist: Der Schöpfungsglaube stand Pate an der Wiege der modernen Wissenschaft. Ich werde das nicht im Einzelnen nachweisen können, aber ich bin davon überzeugt und es gibt gute Gründe dafür. Kopernikus, auch Galilei, Newton waren überzeugt, dass es in der Wissenschaft darum geht, im Buch der Schöpfung zu lesen. Gott hat dieses Buch geschrieben, und er hat dem Menschen den Verstand gegeben, damit der dieses Buch entziffern kann. Gott hat dieses Buch in einer lesbaren Schrift geschrieben, mit einem verstehbaren Text. Freilich ist dieser Text nicht leicht zu verstehen und die Schrift nicht leicht zu entziffern, aber es ist möglich. Die ganze Arbeit der Wissenschaft ist ein Entdecken von Ordnung, Gesetzen, Zusammenhängen. Sagen wir es in dieser Metapher vom Buch: Es ist ein Entdecken der Buchstaben, der Grammatik, der Syntax und letztlich des Textes, den Gott in dieses Buch der Schöpfung geschrieben hat. Es gehört zu den zähen Mythen unserer Zeit, ja ich würde sagen, zu den wohl erworbenen Vorurteilen unserer Zeit, dass das Verhältnis von Kirche und Wissenschaft ein schlechtes sei, dass Glaube und Wissenschaft seit eh und je in einer Art Dauerkonflikt leben. Und natürlich hat dies meistens als Begleitmusik die Vorstellung, dass die Kirche die große Bremserin gewesen ist und die Wissenschaft die mutige Befreierin. Vor allem der Fall Galilei wird in der popularisierten Version meistens so gezeichnet: ein Opfer der finsteren Inquisition. Das gehört in das Kapitel "legenda negra", eine "schwarze Legende", die vor allem in der Zeit der Aufklärung entwickelt wurde, die aber dem geschichtlichen Befund nicht ganz entspricht. Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Es lässt sich an vielen historischen Beispielen zeigen, wie sehr der Schöpfungsglauben der rationale Boden für die wissenschaftliche Forschung war. Es lassen sich dafür viele Beispiele nennen: Gregor Mendel, der Brünner Gelehrte, ist einer unter vielen, dessen Forschungen heute nicht mehr wegzudenken sind. Es ist nicht so, dass der Glaube an Gott den Schöpfer, in irgendeiner Weise die Wissenschaft behindert! Im Gegenteil! Wieso sollte der Glaube, dass das Universum einen Schöpfer hat, der Wissenschaft im Weg stehen? Wieso sollte es in irgendeiner Weise der Wissenschaft hinderlich sein, wenn sie ihr Forschen, Entdecken, ihr Theorien-Bilden, Zusammenhänge-Verstehen, als ein Studieren des Buches der "Schöpfung" versteht? Tatsächlich gibt es eine riesige Zahl von Zeugnissen von Naturwissenschaftlern, die aus ihrem Glauben nicht nur keinen Hehl machen, die sich zu ihm bekennen, sondern die auch ganz ausdrücklich zwischen ihrem Glauben und der Wissenschaft keinen Konflikt sehen - ganz im Gegenteil. Dass es dann de facto doch immer wieder Konflikte gegeben hat und vielleicht auch gibt, ist ein Kapitel, das eigens zu betrachten wäre. Lassen sie mich zwei kleine Texte zitieren, die diese kirchliche Grundüberzeugung zum Ausdruck bringen. Noch einmal das Erste Vatikanische Konzil 1870, wo es heißt: "Auch wenn der Glaube über der Vernunft steht, so kann es dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit zwischen Glauben und Vernunft geben: denn derselbe Gott, der die Geheimnisse offenbart und den Glauben eingießt, hat in den menschlichen Geist das Licht der Vernunft gelegt; Gott aber kann sich nicht selbst verleugnen, noch [kann] jemals Wahres Wahrem widersprechen" (I. Vat., Dei filius c. 4; DH 3017; KKK 159). Die Schlussfolgerung daraus: Weder die Kirche noch die Wissenschaft darf Angst vor der Wahrheit haben. Sie macht uns frei, sagt Jesus (vgl. Joh 8,32). Das zweite Zitat ist aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In der Konzilskonstitution "Gaudium et spes" heißt es, jetzt schon mehr konzentriert auf die Frage "Naturwissenschaft und Glauben": "Deshalb wird die methodische Forschung in allen Disziplinen, wenn sie in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den sittlichen Normen vorgeht, niemals dem Glauben wahrhaft widerstreiten, weil die profanen Dinge und die Dinge des Glaubens sich von demselben Gott herleiten. Ja, wer bescheiden und ausdauernd die Geheimnisse der Dinge zu erforschen versucht, wird, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist, gleichsam an der Hand Gottes geführt, der alle Dinge trägt und macht, dass sie das sind, was sie sind" (II. Vat., Gaudium et Spes 36,2; KKK 159). Warum kommt es dann doch immer wieder zu Konflikten oder - wie in der Folge meines kleinen Artikels in der "New York Times" am 7. Juli 2005 - zumindest zu heftigen Polemiken, die ja auch durchaus produktiv sein können und die Diskussion weiterbringen? Konflikte können entstehen durch Missverständnisse. Es kann sein, dass man sich nicht klar genug ausdrückt oder dass auch die Gedanken nicht klar genug sind. Solche Missverständnisse können aufgeklärt werden. Eines der häufigsten Missverständnisse habe ich bereits genannt. Es ist das Missverständnis über den Schöpfer selbst. Ich werde gleich anhand von Darwin noch darauf eingehen. Wie geschieht das Schöpferhandeln? Das soll in der nächsten Katechese besprochen werden. Dass die Kirche die Wissenschaft zu bevormunden versucht, scheint mir, heute zumindest, nicht wirklich eine Gefahr zu sein. Aber immer wieder kommt es zu der Schwierigkeit, dass die Grenzen gegenseitig nicht anerkannt und eingehalten werden. Deshalb müssen sie immer wieder ausgelotet und ausgesprochen werden. Hier haben nun die grandiosen Erfolge der Naturwissenschaften immer wieder dazu verlockt, Grenzen zu überschreiten. Es entsteht der Eindruck, dass unter dem gewaltigen Fortschritt der Naturwissenschaft die Religion immer weiter zurückrückt. Sie muss immer mehr Felder aufgeben, weil immer mehr durch die Wissenschaft erklärt wird. Immer mehr Bereiche, die angeblich vorher "primitiv übernatürlich" erklärt wurden, können jetzt "natürlich", und das heißt meist durch Rückführung auf rein materielle Ursachen, erklärt werden. Als Napoleon Laplace fragte, wo denn bei seiner Theorie noch ein Platz für Gott bleibe, soll dieser geantwortet haben: "Sire, diese Hypothese brauche ich nicht." Gott als überflüssige Hypothese, Gott als "Prothese für Gehbehinderte", die noch nicht auf eigenen Füßen stehen. - Immer mehr gewinnt der Mensch seine Freiheit aus den alten Abhängigkeiten. Er emanzipiert sich, er braucht Gott nicht mehr als Erklärung, und er braucht ihn vielleicht überhaupt nicht mehr. Als Darwin 1859 mit seinem berühmten Buch "Vom Ursprung der Arten" herauskam, war wohl die Grundbotschaft, dass er einen Mechanismus gefunden hat, der eine selbsttätige Entwicklung von Pflanzen und Tieren darstellt, ohne dazu eines Schöpfers zu bedürfen. Wie er selber sagt, ging es darum, eine Theorie zu finden, die bei der Entwicklung der Arten vom Niedrigen zum Höheren nicht neue, immer vollkommenere Schöpfungsarten erfordert, sondern allein mit den Zufallsvariationen und dem Überleben des Stärkeren auskommt. Also die Vorstellung: Wir haben einen Weg gefunden, wie wir einzelne Schöpfungsakte nicht mehr brauchen. Zweifellos ist Darwin mit seinem Hauptwerk ein genialer Wurf gelungen, und es bleibt eines der ganz großen Werke der Geistesgeschichte. Mit einer unglaublichen Gabe für die Beobachtung, mit großem Fleiß und geistiger Kraft hat er dieses Hauptwerk geschaffen, das zu den prägendsten Werken der Geistesgeschichte gehört. Und er sah schon voraus, dass viele Forschungsbereiche aus seinen Forschungen schöpfen werden. Tatsächlich kann man heute sagen: Das Modell "Evolution" ist sozusagen ein Passepartout geworden, das sich in vielen Wissensgebieten ausgebreitet hat. Sein Erfolg ist wohl nicht rein wissenschaftlichen Ursachen zuzusprechen. Darwin selber, aber vor allem seine Promotoren, seine begeisterten Vertreter, die sozusagen den "Darwinismus" geschaffen haben, haben seinen Forschungen, seiner Theorie einen stark weltanschaulichen Charakter gegeben. Ob das notwendigerweise so ist, sei dahingestellt. Sicher ist, dass viele Darwins "Entstehung der Arten" als eine Alternative sahen zur, wie Darwin selber einmal sagt, "Ansicht einer unabhängigen Erschaffung der einzelnen Arten". Es braucht nicht mehr einzelne Schöpfungsakte, um die Entstehung der Arten zu erklären. Der berühmte Schlusssatz, den er am Ende der zweiten Auflage von "Origin of Species" hinzugefügt hat, lässt wohl dem Schöpfer noch einen Platz, aber er ist sehr reduziert. Dieser berühmte Schlusssatz lautet: "Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht" (Ch. Darwin, Die Entstehung der Arten, Stuttgart 1963, 678). Ich glaube, das war ehrlich fromm gemeint, aber es ist ein Schöpfungsbegriff, den wir in der Theologie "Deismus" nennen: Ganz am Anfang steht ein Schöpfungsakt. Gott hat einem Keim, einer einzigen Form den Keim alles Leben eingehaucht. Von diesem ersten Anfang entfaltete es sich nach den Gesetzen, die er, Darwin, versucht hat zu entdecken, zu beschreiben, zu formulieren. Eingriffe Gottes braucht es hier keine weiteren. Ich denke, wir werden uns mit dieser Frage besonders von der Glaubensseite her beschäftigen müssen. Heißt Schöpfung, dass Gott da und dort eingreift? Was heißt Schöpfung überhaupt? Eines ist sicher: Die weltanschauliche Auseinandersetzung um Darwins Theorie, um den "Darwinismus", hat in den vergangenen fast 150 Jahren die Welt intensiv beschäftigt. Ich nenne nur drei Beispiele einer eindeutig weltanschaulich geprägten Interpretation. 1) 1959 sagte Sir Julian Huxley bei seiner Festrede zum 100. Geburtstag dieses berühmten Werkes: "Im evolutionären Denken gibt es für das Übernatürliche kein Bedürfnis und keinen Platz mehr. Die Erde wurde nicht geschaffen, sie hat sich durch Evolution entwickelt... So sind auch die Pflanzen und Tiere auf der Erde Produkte der Evolution, auch wir, Geist, Vernunft und Seele, Gehirn und Leib. Auch Religion ist evolutionär entstanden... Der evolutionäre Mensch kann keine Zuflucht mehr in den Armen einer von ihm selbst erfundenen, vergötterten Vaterfigur finden." Ich glaube, dass ist nicht eine naturwissenschaftliche Aussage, sondern eine philosophische, eine weltanschauliche. Im Grunde ist es ein "Glaubensbekenntnis" zum Materialismus. 2) 30 Jahre später, 1988, schreibt ein englischer Autor (Will Provine) in einem Aufsatz über Evolution und Ethik: "Die moderne Wissenschaft impliziert unmittelbar, dass die Welt strikt nach mechanischen Prinzipien organisiert ist. Es gibt überhaupt keine zielgerichteten Prinzipien in der Natur. Es gibt keine Götter und keine rational feststellbaren, entwerfenden oder planenden Kräfte." Auch das ist nicht eine naturwissenschaftliche, sondern eine weltanschauliche, eine philosophische Aussage. 3) Noch einmal vier Jahre später schreibt Peter Atkins, der Chemieprofessor aus Oxford: "Die Menschheit sollte akzeptieren, dass die Wissenschaft die Rechtfertigung für den Glauben an Sinn und Zweck des Kosmos beseitigt hat und dass das Überleben des Glaubens an einen Zweck nur dem Gefühl zu verdanken ist." Auch das ist ein Glaubensbekenntnis, es ist keine streng naturwissenschaftliche Aussage. Solche und ähnliche Aussagen waren auch in diesem Sommer zu hören und sie sind Grund dafür, dass ich von dieser Art von Grenzüberschreitungen in meinem kleinen Papier in der "New York Times" sagte, das ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie. Das ist Weltanschauung. Aber kehren wir zum Buch der Weisheit zurück. Es sagt an anderer Stelle ein Wort, das den Leugnern Gottes in den Mund gelegt wird: "Wir sind ja durch Zufall entstanden und später werden wir sein, als wären wir nie gewesen. Ist doch nur Dunst und Hauch in unserer Nase und das Denken nur ein Funke beim Schlag unseres Herzens" (Weish 2,2). Fast könnte man sagen, ein materialistisches Glaubensbekenntnis das damals schon nicht unbekannt war. Auch mein Geist ist nur Produkt der Materie. Was hindert den Menschen, den Schöpfer zu erkennen? Was hindert daran, aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe den Schöpfer zu erschließen? Heute, 2 000 Jahre später, müsste es eigentlich viel leichter sein, den Schöpfer aus der Schöpfung zu erschließen, da wir so unvergleichlich viel mehr wissen, als vor 2 000 Jahren. Wer konnte damals die Unermesslichkeit des Kosmos erahnen? Es heißt zwar in der Bibel "So zahlreich wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer" (Gen 22, 17), aber konnten die Menschen damals wissen, dass die Zahl der Sterne tatsächlich dem Sand am Meer entspricht? So viele Sonnen gibt es in diesem Universum! Konnte man damals ahnen, wie unglaublich komplex, wunderbar, unfassbar das Atom ist? Konnte man damals ahnen, wie unglaublich faszinierend eine einzige Zelle und ihr Funktionieren sind? Hat dieses Mehr an Wissen uns nicht doch in irgendeiner Weise genötigt, den Glauben an den Schöpfer aufzugeben? Hat dieses Wissen den Schöpfer verdrängt oder ist es nicht umgekehrt viel sinnvoller, viel vernünftiger geworden, an einen Schöpfer zu glauben, viel begründeter, durch das tiefere Eindringen in die Wunderwelt der Natur, so dass der Glaube an einen Schöpfer eigentlich leichter geworden sein müsste? Aber vielleicht ist es einfach diese Vorstellung, die zu Recht abgelehnt wird, dass irgendwie ein Schöpfer in dieses Wunderwerk der Natur eingreift. Vielleicht ist es auch, dass unser Glaubenswissen nicht mit dem naturwissenschaftlichen Wissen Schritt gehalten hat. Dass wir immer noch einen "Kinderglauben" haben, neben einem unglaublich entwickelten wissenschaftlichen Wissen. Insofern bin ich froh, dass mein kleiner Artikel eine solche Debatte ausgelöst hat, die vielleicht auch dazu führen wird, dass die Frage "Schöpfung und Evolution", "Glaube und Naturwissenschaft" vertieft werden kann. Ich sehe keine Schwierigkeit, den Glauben an den Schöpfer mit der Theorie der Evolution zu verbinden, unter einer Voraussetzung: dass die Grenzen einer wissenschaftlichen Theorie eingehalten werden. In den Zitaten die ich eben vorgetragen habe, handelt es sich eindeutig um Grenzüberschreitungen. Wenn sich die Naturwissenschaft an ihre Methode hält, kann sie mit dem Glauben nicht in Konflikt kommen. Aber vielleicht fällt es schwer, sich an diese Grenzen zu halten, da wir ja nicht nur Wissenschaftler sind, sondern auch Menschen mit Gefühlen, Menschen, die mit dem Glauben ringen, Menschen, die nach dem Sinn des Lebens suchen und daher als Naturwissenschaftler immer unweigerlich die weltanschaulichen Fragen mit hereinbringen. 1985 fand in Rom ein Symposion unter dem Titel "Christlicher Glaube und Evolutionstheorie" statt, an dem ich teilnehmen durfte. Ich habe selber ein Referat dabei gehalten. Kardinal Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI., hat dieses Symposion geleitet und Papst Johannes Paul II. hat uns am Schluss dieses Symposions zu einer Audienz empfangen. Dort sagte er: "Recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre stehen sich nicht im Wege. Evolution setzt Schöpfung voraus; Schöpfung stellt sich im Licht der Evolution als ein zeitlich erstrecktes Geschehen - als creatio continua, als fortgehende Schöpfung - dar, indem Gott als der ,Schöpfer des Himmels und der Erde den Augen des Glaubens sichtbar wird." Aber Papst Johannes Paul fügte hinzu: Damit Schöpfungsglaube und Evolutionslehre richtig verstanden werden, bedarf es der Vermittlung der Vernunft, er sagte, der Philosophie, des Nachdenkens. Deshalb darf ich noch einmal daran erinnern, was ich in einigen Interviews gesagt habe. Für mich ist die Frage, die in dieser Debatte aufbrach, nicht primär eine Frage zwischen Glauben und Wissen, sondern eine Frage der Vernunft. Es ist völlig der Vernunft entsprechend, Sinnhaftigkeit, "design" anzunehmen, auch wenn die naturwissenschaftliche Methode Eingrenzungen erfordert, in der diese Frage ausgegrenzt, eingeklammert wird. Aber mein Hausverstand darf nicht durch die wissenschaftliche Methode ausgegrenzt werden. Die Vernunft sagt mir, dass es Plan und Ordnung, Sinn und Ziel gibt, dass eine Uhr nicht zufällig entstanden ist und noch viel weniger der lebendige Organismus einer Pflanze, eines Tieres oder gar des Menschen. Deshalb gilt es zu staunen, denn das Staunen ist der Anfang der Philosophie. Ich bin dankbar für die immense Arbeit der Naturwissenschaften. Sie haben unser Wissen unglaublich erweitert. Sie beschränken nicht den Schöpfungsglauben. Sie bestärken mich im Glauben an den Schöpfer und daran, wie weise, wie wunderbar er alles geschaffen hat. Aber wie diese Geschichte näher aussieht, können Sie in den nächsten Katechesen vielleicht erfahren. Ich werden versuchen, nächstes Mal auf die Frage einzugehen: Was heißt Schöpfungsakt im Sinne des christlichen Glaubens? Autor: VON KARDINAL CHRISTOPH SCHÖNBORN
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