Das evangelische Kirchentagsmotto
„ Wenn dein Kind dich morgen fragt”

Wenn dein Kind dich morgen fragt, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat, dann sage ihm: Du mußt das, was in der Bibel steht, nicht so eng sehen. Die Zehn Gebote gelten nur lebensabschnittsweise - das Erste ist erst etwas für Lebenssatte - und einen wahren einzigen Gott gibt es nicht. Schließlich: Die Botschaft von Jesus Christus, der am Kreuz für unsere Sünden verblutet ist, ist ein Horror-Angebot. So ähnlich schreibt es der Fernsehtalkmaster Jürgen Fliege (Tutzing) in seinem heuen Buch „Die Ordnung des Lebens - Die Zehn Gebote". Und dieser rheinische Pfarrer soll auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag, der vom 25. bis 29. Mai über 100.000 Gäste nach Hannover locken wird, ein Hauptreferat zum Thema „Glauben vermitteln - Spiritualität und Mission" halten? Wohlgemerkt: Das Kirchentagsmotto lautet„ Wenn dein Kind dich mor­gen fragt”. " (S. Mose 6,20). Rund 100 Seiten vorher steht in der Bibel - ohne. Altersbeschränkung - das Erste Gebot (2. Mose 20,2) „Ich bin der  Herr, dein Gott “. du sollst keine anderen Götter haben neben mir."

Was hat die Kirchentagsverantwortlichen getrieben, jemanden wie Fliege. der schon vor sechs Jahren in der Sex-Illustrierten Pent­house Gott als den „Gangster da oben" titulierte. als Hauptredner anzuheuern? Welchen Glauben soll er „vermitteln" (wie es in der Über­schrift zu seinem Vortrag heißt), stehen seine Thesen doch im völli­gen Gegensatz zum Ersten Gebot. Dem Kirchentagspräsidenten Prof. Eckhard Nagel (Augsburg/ Bayreuth), einem profilierten Me­diziner, scheint selbst nicht ganz wohl dabei zu sein. Was er über Flieges Buch in den Medien gele­sen habe, mache ihm gewisse Schwierigkeiten, sagte er vorsich­tig am 16. März vor Journalisten in Hannover. Vielleicht sollte er schleunigst das Fliege-Buch lesen oder einmal mit dem früheren EKD-Ratsvorsitzenden Präses i. R. Manfred Kuck (Köln) telefonieren. Der hat sich jetzt auf der Reformierten Konferenz Südwestfalen in Kreuztal bei Siegen kritisch zu Flieges Vorstellung von einer Ku­schel-Kirche gäußert, aus der man am besten das „grausame und be­drückende" Kreuz entfernen solle.

Konsequenterweise müßte man dann auch auf Karfreitag, und Ostern verzichten. Proteste gegen Fliege treffen in der Fuldaer Kir­chentagszentrale ein, aber Reaktio­nen bleiben aus. Die Verantwortli­chen reden sich damit heraus, daß der Kirchentag nach seinem Selbst­verständnis ein Diskussionsforum sei. Kirchentagsgeneralsekretärin Friederike von Kirchbach mahnt, nun solle man doch erst einmal Fliege beim Kirchentag hören. Aber ein Hauptreferat ist kein Dis­kussionsforum: es steht verhältnis­mäßig wenig Zeit zur Debatte zur Verfügung. Außerdem soll Fliege „Glauben vermitteln" und nicht in Frage stellen. Wo bleibt dabei die Stärkung des evangelischen Profils, dem der Kirchentag laut Frau Kirchbach dienen soll?

 

Rote Karte für Fliege

Wenn der Kirchentag nicht in der Lage ist. Fliege die rote Karte zu zeigen, so erwarten doch viele fromme Kirchenmitglieder, daß Bi­schöfinnen und Bischöfe als Wäch­ter über die christliche Lehre ein “So nicht!" sprechen. Mit Fliege als Hauptredner zum Thema Spiri­tualität und Mission hat der Kir­chentag “den Bock zum Gärtner gemacht. meint der Leiter der Kommunität „Offensive Junger Christen" (OJC), Dominik Klenk (Reichelsheim/Odemvald). Die OJC hat sich nicht zuletzt wegen Fliege aus der .,Halle der Spiritua­lität" verabschiedet, wo sich auch esoterische und buddhistische Kleingruppen präsentieren. Statt dessen veranstaltet die OJC mit dem Marburger Christustreff in der Kirchentagshalle 17 einen Bibel­parcours. Warum aber hat man überhaupt Fliege eingeladen' Nur weil man sich von dem 57jährigen verspricht, die Halle 4 zu füllen? Da gäbe es auch Alternativen, bei denen man nicht befürchten muß, auf einen geistlichen Irrweg ge­lockt zu werden - zum Beispiel den Fernsehmoderator und Bestsel­lerautor Peter Hahne (Berlin).

Peinlich: Friedman und die „Macht der Wahrheit"

Mit der Einladung von “Starred­nern" hat der Kirchentag schon öf­ter kein glückliches Hündchen be­wiesen, wie etwa die Auftritte des Dalai Lama - Oberhaupt des tibe­tischen Buddhismus- 1993 in München und 2003 in Berlin bele­gen. Wenigstens werden die Kir­chen der Peinlichkeit verschont. den TV-Moderator Mi­chel Friedman auf dem Podium „Macht der Wahrheit" erleben zu müssen. Nach heftigen Protesten hat der frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutsch­land selbst die Reißleine gezogen. Täglich gingen zuvor beim Kir­chentag rund 20 Beschwerde-E­Mails ein; bei der hannoverschen Landeskirche drohten zahlreiche Mitglieder mit Austritt. Die nieder­sächsische Frauenunion legte dem Kirchentag nahe, das CDU-Mit­glied Friedman auszuladen. Der Unmut entzündete sich daran, daß Friedman zwar stets anderen Mo­ral predigt, es selbst aber damit nicht so genau genommen hat. 2003 war er in einen Drogen- und Prostitutionsskandal verwickelt, bei dem ein Strafbefehl über 17.400 Euro wegen Kokainbesit­zes gegen ihn erlassen wurde. Ob­wohl er vor Fernsehkameras seine Beichte inszenierte. hat er sich nie eindeutig dazu bekannt, Zwangs­prostituierte angeheuert zu haben. Das erbost unter anderem die Frauenrechtsorganisation            „Terre des Femmes" (Tübingen). Die hanno­versche Landesbischöfin Margot Käßmann mahnte, daß sich Fried­man zumindest der Kirchentags­diskussion “Prostitution und Men­schenhandel - Kunden schaffen den Markt" stellen solle. Durch seine Absage hat Friedman sich nun auch dieser Debatte entzogen.

„Wieviel Magie verträgt der christliche Glaube?"

Ansonsten bietet der hannover­sche Kirchentag mit seinen rund 3.000 Veranstaltungen wieder et­was für jeden -für Evangelikale, Ökumeniker, Befreiungstheologen, Feministinnen, Lesben, Schwule, Moslems, Buddhisten, Esoteriker und und und. So wird die Hambur­ger Bischöfin Maria Jepsen eine Dialogbibelarbeit mit der islami­schen Theologin Hamideh Mohagheghi halten. Unter den Bi­belarbeitern ist auch Imam Bekir Alboga (Mannheim) von der Tür­kisch-Istamischen Union der An­stalt für Religion (DITIB). der sich vielfach durch Schönrederei des Islam hervorgetan hat. Die Kir­chentagsgäste sind eingeladen. sich zum Freitagsgebet in der DI­TIB-Moschee einzufinden.

In ei­nem Geistlichen Zentrum führt die Zen-Meisterin Gun­dula Meyer (Meiner sen-Ohof) in ihre Praktiken ein, und die keltische Spiri­tualität verfügt sogar über ein eigenes Zentrum. Gleichzei­tig wird in der „Werkstatt Weltan­schauungen" nach­gefragt: „Wieviel Magie verträgt der christliche Glaube?" Ja, wieviel denn, ist man versucht zu fragen – 10 oder 20 oder 80 Prozent?

Homosegnung mit Bischöfin

Ein breites Angebot offeriert die Homo-Bewegung. Auf einem Podi­um geht es unter dem Kirchentags­motto „Wenn dein Kind dich morgen fragt “um „Regenbogen­familien", also gleichgeschlechtli­che Paare, die mit Kindern leben. „Das Coming Out wird zum „Kreuz -oder zur Kreuzigung" heißt es zur Erläuterung einer weiteren Veran­staltung. Junge Lesben und Schwu­le treffen „einander" zum Jugend­frühstück. und ältere Schwule berichten über ihre Erfahrungen mit dem „Kind im Mann". Schließlich wird unter dem Motto „Du sollst ein Segen sein" ein Segnungsgot­tesdienst für Gleichgeschlechtliche Paare gefeiert: einen „Impuls" gibt dabei die Lübecker Bischöfin Bär­bel Wartenberg Potter.

Sänger, Fußballer, „Walker"

Natürlich gibt es auch das ande­re: Die Familie bildet einen Schwerpunkt im Themenbereich 2 „Wie wollen wir leben?" Und im Themenbereich 1 „Wie wollen wir glauben?" spielt auch Mission eine Rolle. In einer „Werkstatt" buch­stabiert man die Frage ,.Welche Zukunft hat Gemeinde" als Ort des Glaubens? Zu den Bibelarbeitern zählen neben fast allen evangeli­schen und etlichen katholischen Bischöfen auch Politiker wie die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eck­hardt, und Künstler wie der Regis­seur Jürgen Flimm. Sechsmal wird der katholische Bestsellerautor Pa­ter Anselm Grün auftreten. Auch fromme Musiker wie die Gruppe „Allee der Kosmonauten", die pfingstkirchliche Sängerin Florence Joy Büttner und Altrok­ker Heinz-Rudolf Kunze sind mit von der Partie. Und auch Sportler wie der Fußballnationalspieler Per Mertesacker von Hannover 96 be­kennen ihren Glauben. Kurioses darf nicht fehlen, zum Beispiel die Veranstaltung „Walk mit Gott" - ein „Vital-Gottesdienst mit ge­meinsamen Walken und Talken im Stadtwald und Picknick".

Köhler statt Fliege?

Vor allem gibt sich auf dem Kir­chentag fast die gesamte Politpro­minenz Deutschlands ein Stell­dichein. vom Kanzler bis zum PDS-Vorsitzenden. Bundespräsi­dent Horst Köhler läßt es sich nicht nehmen dreimal aufzutreten. Zur Eröffnung wird er ein Gruß­wort sprechen, dann beteiligt er sich an einem Gespräch über Pro­testantismus, Politik und Ökono­mie, und schließlich spricht er mit der katholischen Bundestagsabge­ordneten Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) und dem früheren CDU­Vorsitzenden Wolf­gang Schäuble über das Thema “Wie können wir glauben? Einfach glauben". Da stellt sich die Frage, ob statt Jürgen Fliege nicht Horst Köhler die bessere Wahl für einen           Hauptvortrag zum Thema “Glauben ver­mitteln - Spiritualität und Mission" gewesen wäre.

(VON WOLFGANG POLZER IdeaSpektrum 12/2005)

Lesen Sie eienen Bericht über das, was Fliege angestellt hat

  









 

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