Der Glanz der Wahrheit oder allgemeiner Relativismus?




Fides et Ratio und die Fassung des Menschen. Ein Beitrag zur Vorbereitung auf die Seligsprechung von Johannes Paul II und ein philosophischer Grundsatzbeitrag von Armin Schwibach

 

Inhalt
1. Eine Bestandsaufnahme
2. Fides et Ratio im Zusammenhang
3. Ein neuer Aufruf und Anspruch
4. Wahrheit und Freiheit



1. Eine Bestandaufnahme
Die philosophische Anthropologie im Unterschied zu einer empirischen oder soziokulturellen Anthropologie ist heute, wie Martin Heidegger sagte, längst nicht mehr nur der Titel für eine Disziplin. Ihre Probleme sind vielmehr in den absoluten Mittelpunkt einer jeden philosophischen Problematik getreten. Eine philosophische Anthropologie ist die von einer spezifischen Phänomenologie ausgehende Theorie des Subjekts, das in seine Lebenswelt integriert ist, sich in ihr vorfindet, eine Welt hat, eine Welt kennt, zusammen mit anderen durch diese Welt geht und sich selbst durch die Welt und die anderen immer neu erkennt und definiert.

Diese Selbsterkenntnis jedoch kann und darf keine nur von äußeren Umständen her abgeleitete sein. Das Selbst im Erkennen seiner selbst setzt sich selbst ursprünglich entgegen, hat insofern schon immer mit einem anderen zu tun, mit einer alteritas. Diese weist darauf hin, dass jede Form von reiner Autoreferentialität nichts anderes als ein vorurteilsgebundenes Festhalten an unreflektierten und unreflektierbaren Positionen ist.

Die wirklichkeitslose Welt des rein mathematischen, analytischen und an die Analyse der materialen Umstände gebundenen Verstandes bedarf einer Grundlegung, die nicht nur über die analytische Fähigkeit des Verstandes hinausgeht oder hinausschwebt, indem sie sich an eine wie auch immer geartete, einfach akzeptierte Objektivität verschenkt.

Sie hat es vielmehr nötig, in der Sichtung und Interpretation der Möglichkeiten und Grenzen der Vernunft selbst zu einer von aufdringlicher Wirklichkeit durchdrungenen Welt zu gelangen. Eine Anthropologie ist, wie Kant sagt, Ausdruck der „Weltkenntnis“, die auf dem Großraum der Erfahrung basiert, der realen und konkreten Erfahrung der Nötigung des Daseins seitens des Anspruchs des Seins.
Der Anspruch des Seins, der an den Menschen ergeht, wendet sich an alle für den Menschen relevanten Seinsbereiche, seien es die der konkreten Jeweiligkeit, seien es diejenigen, die aus dem Grundbedürfnis nach Wahrheit und festem Stand kommen.

So trifft die Vernunft, die sich im philosophischen Prozess den ihr ureigensten Pflichten widmet, auf alles, was sich an diese Vernunft wendet, insofern sie die absolute Bedingung der Möglichkeit dafür ist, sich selbst als Mensch erkennen und erfahren zu können, und dafür, dass die Welt sich nicht in einer nur vorgestellten Neutralität und Relativität vorfindet.

Die Enzyklika Fides et Ratio in ihrer Suche und in ihrem Auftrag zur Suche nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft hat somit nicht nur mit einem eminent intellektuellen, philosophisch-verkopften oder theologisch abgehobenen Thema zu tun, das nur Spezialisten vorbehalten ist und zu dem nur diese wahren Zugang haben können. Johannes Paul II. spricht mit seinem Schreiben alle Menschen an, insofern in einem jeden Menschen die Sehnsucht nach Wahrheit und der Wille zum Auffinden der Antworten auf die fundamentalen Fragen des Menschseins wohnen: was und wie erkenne ich?

Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist mein Ziel? Was ist der Sinn des Bösen, des Leidens, des Todes? Was soll ich und kann ich angesichts der vorfindlichen und aufgedrängten Wirklichkeit tun? Was ist der Grund aller Hoffnung?

„Glaube und Vernunft (fides et ratio) sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlich ihn selbst zu erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, dass er Ihn erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit über sich selbst gelangen könne“(Fides et Ratio, Einleitung)
Der Geist erhebt sich zur Betrachtung der Wahrheit.

Das zentrale Thema der Enzyklika Fides et Ratio ist, wie bereits schon das der Enzyklika Veritatis Splendor aus dem Jahr 1998, die Wahrheit, ihr realer Glanzes, ihre reale Bedeutung und Wirksamkeit: „Der Glanz der Wahrheit erstrahlt in den Werken des Schöpfers und in besonderer Weise in dem nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen (vgl. Gen 1, 26): die Wahrheit erleuchtet den Verstand und formt die Freiheit des Menschen, der auf diese Weise angeleitet wird, den Herrn zu erkennen und zu lieben“ (Veritatis Splendor, Einleitung)

Die Frage nach der Wahrheit ist nicht eine unter den vielen Fragestellungen, mit denen der Mensch in seinem Sein sich auseinanderzusetzen hat. Sie ist die einzige, fundamentale, unausweichliche, alles bedingende Frage, sowohl im Fragen als auch im Antworten auf dieses Fragen. Kein Mensch kann sich ihr entziehen, kein Sein ist in Trennung von ihr erkennbar oder konstituierbar. Jede Zeit, jeder Moment der Geschichte der Menschheit ist von dieser Frage durchdrungen. Das abendländische Denken hebt in Heraklit und Parmenides von dieser Frage ab.

Für Heraklit ist der Logos, das alldurchdringende vernünftige Prinzip der Welt der Grund der Möglichkeit, das Wahre zu sagen und Sachverhalte in ihrem Bestehen aufzuweisen. In Parmenides artikuliert sich das Problem der Wahrheit in Abhebung von Schein und Vermeintlichkeit. Diese Wahrheit jedoch thematisiert er nicht im Ausgang von einer absoluten Formulierung des Wahren in einem von allem anderen gesonderten Bereich.

Vielmehr ruft Parmenides dazu auf, den Wald der dokoûnta, das heißt des Aufscheinenden so zu durchschreiten, dass im Gehen selbst der Ursprung des Lichtes zum Glänzen kommt und sich als das Ewige, immer Seiende, Untrennbare, in nichts anderes Auflösbare erweist. Die Göttin des Wahrheit eröffnet das „wohl gerundete Herz der unerschütterlichen Wahrheit“ und führt hin zur wirklichen Erfassung der offenen Wahrheit selbst. Das Wahre und das Vernünftige weisen gegenseitig aufeinander. Es gibt keine Wahrheit, wenn es keine Vernunft gibt, die sich zu ihr entschließt.

Wenn sie dies nicht tut, so bleibt sie auf dem dunklen, in den Abgrund führenden Weg des relativen Scheins. Dort aber, wo Sein ist, ist Wahrheit, die das Sein selbst zu seiner Sichtbarkeit und Effektivität bringt. Wahrheit ist kein Ergebnis einer Summierung einzelner zu verifizierender Prozesse. Wahrheit ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass einzelne Prozesse der Vereinzelung und dem quantitativen Aufrechnen entrissen werden.

Die Geschichte des Menschengeschlechts ist von der dürstenden Frage der Wahrheit geprägt. Zur Geschichte des Menschen gehört die Geschichte, die Gott mit dem Menschen unterhält, das heißt die göttliche Offenbarung dazu. Die Wahrheit bedingt somit die Geschichte Gottes mit der Welt, mit dem Menschen. Umgekehrt heißt dies, dass die christliche Offenbarung nicht ein Vorkommnis unter anderen ist, sondern sich im Raum der absoluten Wahrheit vollzieht und aus dieser heraus seine Ansprüche rechtfertigt. Die Universalität des Christentums ergibt sich aus seinem Anspruch, die Wahrheit zu sein und den Glauben auszudrücken und zu verwirklichen, der die Wahrheit IST. Was wahr ist, kann nicht mehr oder weniger wahr sein.

Es ist entweder wahr oder falsch. Wahrheit kann verhüllt sein, Entkrustungen können notwendig werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass den Krusten und Hüllen ein Wahrheitsanspruch zukäme. Hüllen und Krusten sind das Nicht-Sein des Wahr-Seins. Sie sind im besten Falle Instrument der Wahrheitsfindung, im schlechtesten Falle künstlich errichtete Mauern mit dem perfiden Ziel, den Reichtum und das Licht des Wahren zu verbergen und den Menschen an diesem Verlust leiden zu lassen.

Als solche absolute Wahrheit gilt sie als Anspruch und Auftrag für alle. Diesen Anspruch zu leugnen oder zu vernichten heißt die Vernunft selbst auf dem Galgenberg der Beliebigkeit zu richten. Das wahre Christentum gilt für alle und ist nicht ein relativer historisch bedingter Ausdruck einer Transzendenzerfahrung, die dann im Nachhinein kodifiziert wurde und wird. Wenn die Vernunft auf Wahrheit ausgerichtet ist, wenn erkennen heißt: das Wahre erkennen wollen, wenn der Mensch für die Wahrheit bestellt ist oder, wie Heidegger es in Sein und Zeit ausdrückt, „in der Wahrheit IST“ und als Dasein Wahrheit ist, so richtet sich die christliche Offenbarung und die traditio dieser Offenbarung an die der Wahrheit erschlossene Vernunft, um Sein der Vernunft als Menschsein gänzlich zu durchdringen. Insofern kann es keine Entgegensetzung, Trennung oder ursprüngliche Entfremdung von Glauben und Vernunft geben. Beide sind als von einander unterschiedene im Raum der Wahrheit vereint, dienen der Verwirklichung der Wahrheit und gründen in ihrem Ruf.

2. Fides et Ratio im Zusammenhang

120 Jahre nach der Enzyklika Aeterni Patris (1879), fast 130 Jahre nach der dogmatischen Konstitution Dei Filius des I. Vatikanischen Konzils (1870) beschäftigt sich Fides et Ratio mit dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie. Warum muss sich der Glaube mit der Philosophie beschäftigen? Warum kann die Vernunft nicht ohne den Bezug zum Glauben, das heißt zur einzigen Offenbarung des dreieinigen Gottes auskommen? Warum, mit anderen Worten, ist jede wahre Philosophie eine „christliche“, oder besser noch: eine „katholische“ Philosophie?

Eine Antwort auf diese Frage bringt uns sofort in den kulturellen Kontext unserer Zeit, der Zeit der praktischen Moderne auf der einen Seite, der der theoretischen Postmodernität auf der anderen. In dieser Zeit sind einige Dinge erstaunlicher Weise „normal“ geworden und werden als Maßstab einer neuen abendländischen Kultur vorgeschlagen: zum einen die radikale Trennung von Glaube und Vernunft, zum anderen die Relativisierung und die dieser folgende Eliminierung der Wahrheitsfrage. Der radical chic der zeitgenössischen philosophischen Unkultur negiert generell die Fähigkeit der Vernunft, das Wahre zu erkennen und es zum Prinzip zu erheben. Die Vernünftigkeit wird reduziert auf Kriterien der Nützlichkeit, der Instrumentalität, der Funktionalität, des Kalküls, der Soziologie, des liberaldemokratisch orientierten politischen Pragmatismus oder des einfachen „laissez faire“. Das Denken wird entmannt, verliert seinen metaphysischen Horizont.

An die Stelle der metaphysischen Sinnfrage werden die Parameter der Rationalität der positiven empirischen Natur- und Humanwissenschaften gestellt.
Diesem Selbstnegierungsprozess der postmodernen Modernität folgt, dass die wissenschaftliche, materialistische und funktionalistische Rationalität sich zum Gegner und Feind des Glaubens entwickelt, insofern sie sich nicht um die Letztfragen und die letzten Gründe des Seins und der Existenz kümmert. Diese Rationalität beschränkt das zu Wissende auf partielle Erkenntnisse der materiellen Wissenschaften. Der Glaube und die metaphysische Dimension der Vernunft werden aus Wissenschaftlichkeit und Vernunft eliminiert. Wenn dogmatisch eine einzige Form der Rationalität zugelassen wird, dann wird der Glaube einer jeglichen Form der Rationalität und Intelligibilität enteignet. Er wird so in das Gefängnis eines irrationalen Symbolismus und einer irrationalen Gefühlsdimension gesteckt.
Die semantische und operative Reduktion der Vernünftigkeit und der folgende Verzicht auf die Erkenntnis der Wahrheit ist jedoch selbst ein philosophischer Schluss und schafft eine antimetaphysische Philosophie, die der Wahrheit entsagt und nach dem Vorbild Nietzsches sich verzweifelt im Umtreiben der Umstände einfach über Wasser halten will. Die Koinzidenz der Rationalität mit der positiven Wissenschaft und der daraus resultierende Abgrund zwischen Wissenschaft, Ethik, Philosophie und Glauben ist, wie der italienische Philosoph Marcello Pera schreibt, „das Siegel der Modernität“. Eine wissenschaftliche Vernunft kann von Gott absehen.

Auf die Wahrheitsfrage zu verzichten heißt sich einer relativistischen philosophischen Kultur zu ergeben, die jede Metaphysik negiert und (ohne vernünftig darüber sprechen zu können) das Paradigma der szientistischen und historizistischen Vernunft verabsolutiert.
Diese Kapitulation der Vernunft, der auch viele Glaubende und Theologen oft indifferent gegenüber stehen, hat zur Folge, dass der Glaube in eine Privatsphäre des Vermeinens abdriftet und der Weg der Wahrheit verlassen wird. Der Glaube starrt sich im Spiegelspiel der Emotionen, der Psychologien, der Soziologien selbst an und findet sich nur mehr in der Intimsphäre der eigenen, armen und beschränkten Egoität vor.

Der Glaube, der in der dialogischen kosmischen Liturgie von Anspruch und Antwort zwischen Gott und der Schöpfung zum Glühen kam, wird zum langeiligen privatistischen Monolog und widerspricht so der Berufung der Vernunft, Logos zu sein: hörende, antwortende, sammelnde, entscheidende, kreative Vernunft. Der einsame Monolog vereinzelt und verschließt die Möglichkeit, sich auf individueller und kultureller Eben dem anderen zu öffnen. Dieses existentielle schwarze Loch versucht man dann mit pragmatisch orientierten Relativismen zu füllen, die sich mit relativ geltenden Teilwahrheiten zufrieden geben und jede Prinzipienfrage ausschließen. Die Actio des Menschen verarmt zur Re-actio, der Organismus zur Sammelstelle von Einzelmechanismen, die Seele zur Funktionalität hinsichtlich existentieller Bedürftigkeit, die Vernunft zum Verrechner von Gegebenheiten. Die Vernunft gibt sich so selbst auf. Der Mensch wird zum Sklaven seiner eigenen Meinungen, denn nur grundlose Meinungen bleiben ihm. Der Mensch entmenschlicht sich, entfremdet sich seiner Wirklichkeit, gibt sein Menschsein auf.

3. Ein neuer Aufruf und Anspruch

Dieser Relativismus der abendländischen Kultur findet in Johannes Paul II. einen entschiedenen Gegner. Er bekräftigt gegen den großen Riss im Gebilde der abendländischen Vernunft, an den wir uns seit Galileo Galilei gewöhnt haben, die Fähigkeit der Vernunft, entsprechend ihrer Grenzen Gott und die Grundwahrheiten der Existenz erreichen zu können: die Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele, die Fähigkeit, das Gute zu tun und dem in der Natur des Menschen eingelassenen moralischen Gesetz zu folgen, die Möglichkeit, wahre Urteile zu fällen, die Bekräftigung der Freiheit als grundlegende anthropologische und christliche Kategorie.

Dabei besteht Fides et Ratio darauf, dass diese Metaphysikbefähigung der Vernunft notwendig ist für den Glauben. Ein Glaubensbegriff, der sich als Alternative oder als das „ganz Andere“ zur Vernunft gestalten möchte, wäre als Glaube ungenügend.
Der römische Denker Varro unterscheidet drei Arten der „theologia“, drei rationes quae de diis explicantur: die theologia mythica, die theologia civilis und die theologia naturalis vel physica. Der Hl. Augustinus setzt in seiner Auseinandersetzung mit Varro und der Religionsfrage das Christentum in den Bereich der theologia naturalis oder physica, das heißt in den Bereich der philosophischen Vernünftigkeit.

Das Christentum beruft sich für Augustinus auf das Göttliche, an eine vernünftige Analyse der Wirklichkeit reichen kann. Das Christentum basiert auf der Erkenntnis, auf der Erkenntnis des Wahren Gottes, des Einen Seins, aus dem alles hervorgeht.

Die Vernünftigkeit wird im Christentum Religion und schränkt die religiöse Erfahrung und deren Verwirklichung im Glauben nicht ein. Das Christentum versteht sich als der Ort der Entthronung der alten Götter, der Ort, vor dem die falschen Götter fliehen. Es ist somit der einzige Ort der Wahrheit und universal. Diese Wahrheit entledigt sich des Anscheins, macht den Schein überflüssig. Das Christentum kann mit der Relativität von Erscheinungsformen nichts anfangen. Der Gott der Vernunft ist selbst zum Gott der religiösen Universalität geworden.

Der Glaube an die Geschichte Gottes mit dem Menschen ist die Voraussetzung dafür, dass die Religion in ihrer Reife sich dem philosophischen Gott zuwenden kann. Dieser Gott ist nicht mehr nur rational, sondern integriert in sich die Vernunft ganz. Gegen jedes Vor-urteil wird so offensichtlich: die beiden Wurzeln des Christentums, die Vernünftigkeit und die Geschichtlichkeit bedingen sich gegenseitig und konstituieren die Eine Dimension der Wahrheit. Der fleischgewordene Logos als inkarnierter Logos-Eros erlaubt die richtige und leidenschaftliche Hinnahme der vernünftigen Wirklichkeit, indem diese aus ihm entsteht.

Johannes Paul II. stellt die wesentliche Frage. Er stellt sie an die Kultur unsere Zeit: Warum will oder sollte es sich die Vernunft selbst verbieten, der Wahrheit entgegenzustreben, ist sie doch in ihrer Natur auf die Erkenntnis des Wahren hin orientiert? Es ist offensichtlich, dass für den Johannes Paul II. und das Christentum insgesamt eine Philosophie notwendig ist, die dazu fähig ist, die metaphysische Dimension des Wirklichen begrifflich zu fassen und zu verstehen. Ohne diese kann die Vernunft ihre Fähigkeit, die Wahrheit ihrer selbst, Gottes und der Welt zu erkennen, nicht begründen und rechtfertigen. Es bedarf somit einer Vernunft, die für die grundsätzlichen Fragen der Existenz, für die Ganzheit des Wirklichen offen ist, ohne sich auf vorurteilsbeladene Reduktionismen zu beschränken.

Auf der einen Seite muss sich der Glaube denjenigen Philosophien entgegensetzen, die die Metaphysikbefähigung leugnen und das Streben des Menschen nach Wahrheit verneinen (Positivismus, Materialismus, Szientismus, Historizismus, Problematizismus, Relativismus, Nihilismus). Auf der anderen Seite verteidigt der Glaube die Möglichkeit der metaphysischen und vernünftigen Reflexion, die ihre Autonomie in der Forschungsmethode und dem ihr eigenen Ziel behält. Der Glaube verteidigt so die Würde des Menschen und stimuliert die Philosophie dazu, sich mit dem Problem des Sinnes, des letzten und tiefsten Sinnes des Seins, des Menschen, der Welt sorgend auseinanderzusetzen.

Der Ursprung aller Entfremdung ist der Ausschluss der Möglichkeit, zur Wahrheit Zugang zu haben. Die Sorge der Kirche ist die Sorge um die nicht relativierbare Wahrheit. So schrieb Johannes Paul II. schon in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis aus dem Jahr 1979 im achtzehnten Kapitel mit dem Titel „Die Kirche in ihrer Sorge um die Berufung des Menschen in Christus“: „Wir beabsichtigen und versuchen, den Aussagegehalt jener Wahrheit immer mehr zu vertiefen, die der Erlöser des Menschen in dem Satz ausgedrückt hat: ‚Der Geist ist es, der Leben schafft, das Fleisch nützt nichts?’ Diese Worte drücken entgegen allem Anschein die höchste Bejahung des Menschen aus: die Bejahung des Leibes, den der Geist lebendig macht!

Die Kirche lebt diese
Wirklichkeit, sie lebt aus dieser Wahrheit über den Menschen, die ihr erlaubt, die Grenzen der Zeitlichkeit zu überschreiten und gleichzeitig mit besonderer Liebe und Sorge an all das zu denken, was in den Dimensionen dieser Zeitlichkeit das Leben des Menschen und des menschlichen Geistes entscheidend prägt, in dem sie nach den Worten des hl. Augustinus jene immerwährende Unruhe bekundet: „quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te“ („Du hast uns, o Herr, für dich geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir’ (Confessiones, I.1). In dieser schöpferischen Unruhe schlägt und pulsiert das, was zutiefst menschlich ist: die Suche nach der Wahrheit, der unstillbare Durst nach dem Guten, der Hunger nach Freiheit, die Sehnsucht nach dem Schönen, die Stimme des Gewissens.

Die Kirche, die versucht, den Menschen gleichsam mit ‚den Augen Christi selbst’ zu betrachten, wird sich immer mehr bewusst, die Hüterin eines großen Schatzes zu sein, den sie nicht vergeuden darf, sondern vielmehr ständig mehren muss.

Das Ziel Johannes Pauls II. mit der Enzyklika Fides et Ratio ist es, dem zeitgenössischen Menschen Vertrauen zurückzugeben: das Vertrauen in die Möglichkeit, sichere Antworten auf seine existentiellen Nöte und Bedürfnisse finden zu können. Der Papst lädt das Bewusstsein des Menschen in seiner Menschlichkeit dazu ein, sich mit dem Problem der Existenz, des Lebens und des Erkennens Gottes als dem Prinzip der Wahrheit der Person und der Welt zu konfrontieren. Um dies erreichen zu können, fordert die Enzyklika eine „recta ratio“, eine philosophisch aufrichtige und gerechte Vernunft, die sich mit keiner philosophischen vorgegebenen Bewegung identifiziert.

Diese recta ratio muss jedoch den wesentlichen Kern der unverzichtbaren Standpunkte der vernünftigen Wahrheit des Seins, des Erkennens, des moralischen Handelns zum Ausdruck bringen, die der Pluralität der verschiedenen Philosophien und Kulturen vorhergeht und so zum Urteilskriterium über die einzelnen philosophischen Systeme wird. Dabei ist an Pius XII. und die Enzyklika Humani Generis (12.8.1950) zu erinnern: „Es ist klar, dass sich die Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System binden kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in Jahrhunderte langer Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die der wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen: bei Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung, wie ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte.

Daher ist es nicht zu verwundern, dass einige derartige Begriffe von Ökumenischen Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt wurden, so dass es nicht erlaubt ist, davon abzugehen“.

Es ist ersichtlich, dass in diesem Horizont die christliche Offenbarung selbst Ort der Begegnung von Glaube und Vernunft wird.

Glaube und Vernunft, der offenbarte göttliche Logos und der Logos als Ort, in dem das Offenbarte in das Lebendige der Erfahrung und des Denkens eintritt, stehen sich nicht in einer Antithese gegenüber. Sie sind weder einfach zwei parallele Linien, die sich nie treffen, noch verharren sie in sturer Indifferenz einer neben dem anderen. Das wahre Christentum ist „eine Geschichte, in die das Göttliche selbst verflochten ist, eine göttliche Geschichte“, wie Schelling in seiner Philosophie der Offenbarung schreibt.

Es erschöpft sich nicht in der Lehre, sondern ist Wirklichkeit, Sache von objektiver Gewalt. So führt Fides et Ratio aus: „Der Glaube verlangt, dass sein Gegenstand mit Hilfe der Vernunft verstanden wird; die Vernunft gibt auf dem Höhepunkt ihrer Suche das, was der Glaube vorlegt, als notwendig zu“ (42). Dem folgt: „Der Glaube, dem die Vernunft fehlt, hat Empfindung und Erfahrung betont und steht damit in Gefahr, kein universales Angebot mehr zu sein. Es ist illusorisch zu meinen, angesichts einer schwachen Vernunft besitze der Glaube größere Überzeugungskraft; im Gegenteil, er gerät in ernsthafte Gefahr, auf Mythos bzw. Aberglauben verkürzt zu werden. In demselben Maß wird sich eine Vernunft, die keinen reifen Glauben vor sich hat, niemals veranlasst sehen, den Blick auf die Neuheit und Radikalität des Seins zu richten“ (48).

Glaube und Vernunft sind zirkulär (73). Damit meint der Papst, dass die Theologie als Ausgangspunkt das Wort Gottes hat. Da aber dieses Wort Gottes Wahrheit ist, wird sie diese Wahrheit immer in einen Bezug zur menschlichen Suche nach Wahrheit setzen.

Die Theologie muss sich immer um die Arbeit der Vernunft in Bezug auf die Wahrheit kümmern und tritt so in einen Dialog mit der Philosophie ein. Die Suche nach Wahrheit seitens des Glaubenden verwirklicht sich in einer Bewegung, in der das Hören des Geschichte gewordenen Logos, des Geschichte gewordenen Wortes Gottes und das Suchen der Vernunft sich stets treffen. Auf diese Weise vertieft und reinigt sich der Glaube einerseits, andererseits erhält das Denken eine Bereicherung, da sich ihm neue Horizonte eröffnen.

Die Philosophie darf sich somit nicht in eine Vereinzelung einschließen. Wie das Denken sich immer für die Wissenschaften und deren neuen Errungenschafen interessiert, muss es auch die heilige Tradition der Religionen und vor allem die Botschaft der Bibel als Quelle der Erkenntnis gelten lassen, von der sie selbst befruchtet werden kann.
Es gibt keine große Philosophie, die nicht von der religiösen Tradition inspiriert worden wäre.

Das gilt für alle Philosophie, vor allem für die, die sich innerhalb der Geschichte des Christentums entwickelt hat, aber nicht weniger für moderne philosophische Konzepte, die sich immer mehr davon überzeugten, dass die Autonomie der Vernunft das letzte Kriterium des Denkens sei. Kant, Schelling, Fichte, Hegel, Marx, Heidegger: keiner dieser Denker ist jenseits oder ohne die christlich-jüdische Tradition konzipierbar.

Gerade unter dieser Vorgabe wies Kardinal Joseph Ratzinger in seinem letzten Vortrag in Subiaco am 1. April 2005 darauf hin, dass es im kirchlich gestalteten Bewusstsein des Kontexts von Vernunft und Glauben nicht einfach um eine Ablehnung der aufgeklärten Vernunft und der Modernität geht.

Das Christentum als Religion des Logos „hat seine Vorläufer nicht in erster Linie in den anderen Religionen ausgemacht, sondern in jener philosophischen Aufklärung, die den Weg von den Traditionen freigemacht hat, um sich der Suche nach der Wahrheit und dem Guten zuzuwenden, dem einzigen Gott, der über allen Göttern steht“. Es ist das Christentum, das den Menschen in seiner unverletzbaren Würde als Geschöpf Gottes ins Zentrum rückt und so die wahre Aufklärung beinhaltet und alles aufgeklärte Denken veranlasst.

Die geschichtliche Bewegung der Aufklärung ein großes Verdienst: sie hat „die ursprünglichen Werte des Christentums wieder vorgebracht und der Vernunft die ihr eigene Stimme zurückerstattet“, so Ratzinger. Es ist daher nötig, dass das aufgeklärte Denken und das Wesen des Christentums über sich selbst nachdenken und bereit sind, sich gegenseitig zu korrigieren. Kardinal Ratziger beschließt seine Überlegungen: „Das Christentum muss sich immer daran erinnern, dass es die Religion des Logos ist. Es ist der Glaube an den Creator Spiritus, an den schöpferischen Geist, von dem alles Wirkliche herkommt.

Gerade hier dürfte heute seine philosophische Kraft liegen, insofern das Problem darin besteht, ob die Welt aus dem Irrationalen kommt, und die Vernunft also nichts anderes als ein vielleicht sogar schädliches Nebenprodukt ihrer Evolution ist, oder ob die Welt nicht vielmehr von der Vernunft herkommt, die so ihr Kriterium und ihr Ziel ist.“
Die Schwierigkeit in Bezug auf die Moderne ergibt sich heute daraus, dass die Welt vernunftlos oder neutral veranschlagt wird. Die Evolution der Welt und des Kosmos sind losgelöst von der Wirklichkeit stiftenden Vernunft, dies sowohl im immanenten als auch im transzendenten Sinn. Das denkende Ich wird zu einem Verschmutzungsfaktor der Wirklichkeit „an sich“, die als solche determiniert gefasst wird.

Konstruiertes Weltmodell und Realität, Gründe und Ursachen driften auseinander. Können Weltmodelle noch eine auf innerem Zusammenhalt beruhende Rationalität vorweisen, so wird die Realität un-rationaler Grund jener Rationalität. Vernunft, und somit die Möglichkeit, die Würde des Seins und des Menschen in Wahrheit zu erkennen und gültige Kriterien für sein Handeln aufzuweisen und zu gewährleisten, löst sich in ein rein pragmatisch definiertes Instrumentarium auf. In der Aberkennung der schöpferischen Fähigkeit des immanenten Logos geht selbstverständlich auch die Möglichkeit der ursprünglichen Anerkenntnis des göttlichen Logos verloren.

Der hinter der Maske der Rationalität verborgene Irrationalismus der Moderne dogmatisiert notwendigerweise seinen ihn grundlegenden Relativismus. Eine universal gültige Philosophie sollte erreicht werden, eine in sich vollendete laizistische Kultur, von der alles ausgehen kann und die den Zugang zu allem bildet, wurde zum Ideal. Nur ist dieses Ideal nicht dem Kanon der Vernunft zuordenbar, insofern die kritische Vernunft jeden unkritischen, das heißt zum Fundamentalismus neigenden Dogmatismus ablehnen muss. Und so kommt das große Paradox der Moderne zum Vorschein: die Befreiung und die Idee der Freiheit als absolute und nicht geregelte wird zur ideologischen Grundvoraussetzung, die es letztlich ermöglicht und sogar rechtfertigt, die positive Freiheit zu eliminieren. Die Selbstbeschränkung der Vernunft führt so zu einer gewaltvollen Verstümmelung des eigentlichen Menschseins und reduziert das Menschliche auf die relativen Umstände, in denen es (unter anderem auch) vorkommt.

Gerade deshalb ist es geboten, der Vernunft ein Kriterium anzubieten, sie zum Bewusstsein der Notwendigkeit dieses Kriteriums wieder hinzuführen. Dieses Kriterium beschränkt die Freiheit nicht, sondern lässt sie allererst erstehen. Es geht um die Glaubwürdigkeit des eigenen Seins. Ebenso geht es um die Glaubwürdigkeit der Erarbeitung und der Verkündigung des einzigen Kriteriums des Christentums: der Wahrheit und der Wirklichkeit des göttlichen Logos, der Einzigartigkeit und der Heil bringenden Universalität Christi und der Kirche, die nur in einem erleuchteten und aufgeklärten Glauben zu ihrer größeren Ehre gelangen können. So kann Kardinal Ratzinger sagen: „Wir brauchen Menschen, deren Vernunft vom Licht Gottes erhellt ist und denen Gott ihr Herz öffnet, so dass ihre Vernunft zur Vernunft der anderen sprechen und ihr Herz die Herzen der anderen öffnen kann.“

Der Glaube fordert von der Philosophie die Sinnfrage, das Ja zur Fähigkeit zur Wahrheit des Menschen und die Notwendigkeit eines genuin metaphysischen Denkens ein. Dies bedeutet, dass das Denken nicht beim Schein halt machen darf, sondern jenseits des Scheins das Sein selbst erreichen muss. Das Denken muss vom Schein zum Grund vordringen, bekräftigt Johannes Paul II. Heute hingegen ist die Unmöglichkeit, über den Schein hinauszugehen, praktisch zum Dogma geworden. Die „Diktatur des Scheins“ beschneidet den Menschen in den Gründen seines Seins sund verwehrt es ihm, zum Wahrheitsgrund vorzustoßen. Das, was gilt, ist die Meinung, die wichtiger geworden ist als das, was wirklich geschehen ist. Dabei gilt es doch gerade, die engen Grenzen des Scheins und der relativen Erfahrung zu überwinden.

Die falsche Demut, die dem Menschen seine Wahrheitsfähigkeit aberkennt, und der falsche Hochmut, mit dem er sich über die Dinge, über die Wahrheit selbst stellt, offenbaren das einzige Ziele des entmenschlichten Subjekts: sein Streben nach der Herrschaft über die Dinge. Das Ziel des Denkens kann dann nur mehr die Selbsterweiterung seiner Macht liegen.

4. Wahrheit und Freiheit

Wesentliches Element der Aktualität von Fides et Ratio ist also die Reflexion der Freiheit, der freien Weltbemächtigung, der Freiheit als Kriterium für eine Selbstverwirklichung. Johannes Paul II. erkennt:
„Die bis jetzt untersuchten Anschauungen führen ihrerseits zu einer allgemeineren Auffassung, die heute für viele Philosophien, die sich vom Sinn des Seins verabschiedet haben, den gemeinsamen Horizont zu bilden scheint. Ich meine die nihilistische Deutung, die zugleich die Ablehnung jeder Grundlage und die Leugnung jeder objektiven Wahrheit ist. Der Nihilismus ist, ehe er noch im Gegensatz zu den Ansprüchen und Inhalten des Wortes Gottes steht, Verneinung der Humanität des Menschen und seiner Identität.

Denn man darf nicht übersehen, dass die Seinsvergessenheit unvermeidlich den Kontaktverlust mit der objektiven Wahrheit und daher mit dem Grund zur Folge hat, auf dem die Würde des Menschen fußt. So wird der Möglichkeit Platz geschaffen, vom Angesicht des Menschen die Züge zu löschen, die seine Gottähnlichkeit offenbaren, um ihn fortschreitend entweder zu einem zerstörerischen Machtwillen oder in die Verzweiflung der Einsamkeit zu treiben. Wenn man dem Menschen einmal die Wahrheit genommen hat, ist die Behauptung, ihn befreien zu wollen, reine Illusion“ (90).
Und der Papst schließt: „Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder sie gehen gemeinsam elend zugrunde“ (ebd.).

Freiheit ist das A und O der modernen Philosophie. Wenn diese Freiheit allerdings als absolute Autonomie konzipiert wird, wenn vergessen wird, dass es notwendig ist, sie mit der Idee der absoluten und unbedingten Wahrheit zu verbinden, wenn, wie Kant es ausdrückt, die Regel nicht mehr das Erkenntnisprinzip der Freiheit ist, sondern sie allein in einem Ozean des Indifferentismus schwimmt, dann hört sie auf, Freiheit zu sein und mutiert in Willkür. Der erreichte oder zu erreichende Konsens wird einziges Prinzip und Ziel der philosophischen und kulturellen Reflexion und des „Dialogs“: Keine Akzeptanz oder Suche der Wahrheit, sondern pragmatischer öffentlicher Konsens.

Fides et Ratio geht über die Beschränkung und Negierung der Freiheit und der Vernunft hinaus. Johannes Paul II. konstituiert ein unzerschneidbares Band zwischen Wahrheit und Freiheit. Freiheit ist nicht die einfache Fähigkeit, indifferente Entscheidungen zu treffen. Sie besitzt vielmehr eine Orientierung hin auf die Fülle, das erfüllte Leben, das die Person in der Ausübung ihrer Freiheit zu erobern hat entsprechend der recta ratio. Die Freiheit findet ihren Sinn und ihre Wahrheit, indem sie sich selbst hinbewegt auf ihr Ziel und dabei dem Wesen der Person konform ist. Die Freiheit ist utrennbar an die Wahrheit des Menschen gebunden. Die Wahrheit des Menschen ist, dass er Ebenbild Gottes ist. Freiheit führt also in das Wesen Gottes, das Liebe ist, hinein.

Die Freiheit verbindet die Wahrheit und die Liebe. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten hat nur dann Bestand, wenn sie in der tiefen Liebe zur Wahrheit Gottes und des Nächsten ist. Wahre Liebe zum Menschen heißt, ihm das zu schenken, wonach er am meisten bedarf: Erkenntnis und Wahrheit.
Der Glaube schützt die Vernunft, weil er einen Menschen braucht, der zweifelt, fragt und vertieft. Nicht die Frage ist ein Hindernis für den Glauben, sondern die Haltung der Verschlossenheit, die es aufgegeben hat zu fragen. Der Glaube zerstört die Vernunft nicht. Er hütet sie und bleibt so sich selbst treu. Der Glaube hütet die Freiheit: wenn dem Menschen einmal die Wahrheit genommen ist, wird er progressiv entweder zu einem zerstörenden Willen zur Macht, der die anderen einfach überwältigt, oder in die Verzweiflung der Einsamkeit getrieben.

Die Freiheit kann nur erreicht und garantiert werden, wenn der Weg zur Wahrheit immer offen und begehbar bleibt, für alle, immer, an jedem Ort.