Glaube und Vernunft (Fides et ratio) sind wie die
beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der
Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlich ihn
selbst zu erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er
dadurch, daß er Ihn erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit über sich
selbst gelangen könne (vgl. Ex 33, 18; Ps 27 [26], 8-9; Ps
63 [62], 2-3; Joh 14, 8; 1 Joh 3, 2).
EINLEITUNG
»ERKENNE DICH SELBST« [1-6]
1. Sowohl im Orient als auch im Abendland läßt sich ein
Weg feststellen, der im Laufe der Jahrhunderte die Menschheit fortschreitend
zur Begegnung mit der Wahrheit und zur Auseinandersetzung mit ihr geführt
hat. Ein Weg, der sich — anders konnte es gar nicht sein — im Horizont des
Selbstbewußtseins der menschlichen Person entfaltet hat: je mehr der Mensch
die Wirklichkeit und die Welt erkennt, desto besser erkennt er sich selbst
in seiner Einmaligkeit, während sich für ihn immer drängender die Frage nach
dem Sinn der Dinge und seines eigenen Daseins stellt. Alles, was als
Gegenstand unserer Erkenntnis erscheint, wird daher selbst Teil unseres
Lebens. Am Architrav des Tempels von Delphi war die ermahnende Aufforderung:
Erkenne dich selbst! eingemeißelt — als Zeugnis für eine
Grundwahrheit, die als Mindestregel von jedem Menschen angenommen werden
muß, der sich innerhalb der ganzen Schöpfung gerade dadurch als »Mensch«
auszeichnen will, daß er sich selbst erkennt.
Im übrigen zeigt uns ein bloßer Blick auf die Geschichte
des Altertums deutlich, daß in verschiedenen Gegenden der Erde, die von ganz
unterschiedlichen Kulturen geprägt waren, zur selben Zeit dieselben
Grundsatzfragen auftauchten, die den Gang des menschlichen Daseins
kennzeichnen: Wer bin ich? Woher komme ich und wohin gehe ich? Warum gibt
es das Böse? Was wird nach diesem Leben sein? Diese Fragen finden sich
in Israels heiligen Schriften, sie tauchen aber auch in den Weden und ebenso
in der Awesta auf; wir finden sie in den Schriften des Konfuzius und Lao-tse
sowie in der Verkündigung der Tirthankara und bei Buddha. Sie zeigen sich
auch in den Dichtungen des Homer und in den Tragödien von Euripides und
Sophokles wie auch in den philosophischen Abhandlungen von Platon und
Aristoteles. Es sind Fragen, die ihren gemeinsamen Ursprung in der Suche
nach Sinn haben, die dem Menschen seit jeher auf der Seele brennt: von der
Antwort auf diese Fragen hängt in der Tat die Richtung ab, die das Dasein
prägen soll.
2. Die Kirche ist an diesem Weg der Suche nicht
unbeteiligt und kann es auch gar nicht sein. Seit dem Ostertag, wo sie die
letzte Wahrheit über das Leben des Menschen als Geschenk empfangen hat, ist
sie zur Pilgerin auf den Straßen der Welt geworden, um zu verkünden, daß
Jesus Christus »der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist (Joh 14, 6).
Unter den verschiedenen Diensten, die sie der Menschheit anzubieten hat,
gibt es einen, der ihre Verantwortung in ganz besonderer Weise herausstellt:
den Dienst an der Wahrheit.(1) Diese Sendung macht einerseits die
gläubige Gemeinde zur Teilhaberin an der gemeinsamen Bemühung, welche die
Menschheit vollbringt, um die Wahrheit zu erreichen;(2) andererseits
verpflichtet sie sie dazu, sich um die Verkündigung der erworbenen
Gewißheiten zu kümmern; dies freilich in dem Bewußtsein, daß jede erreichte
Wahrheit immer nur eine Etappe auf dem Weg zu jener vollen Wahrheit ist, die
in der letzten Offenbarung Gottes enthüllt werden wird: »Jetzt schauen wir
in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir
von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde
ich durch und durch erkennen« (1 Kor 13, 12).
3. Der Mensch besitzt vielfältige Möglichkeiten, um den
Fortschritt in der Wahrheitserkenntnis voranzutreiben und so sein Dasein
immer menschlicher zu machen. Unter diesen ragt die Philosophie
hervor, die unmittelbar dazu beiträgt, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu
stellen und die Antwort darauf zu entwerfen: sie stellt sich daher als eine
der vornehmsten Aufgaben der Menschheit dar. Seiner etymologischen Herkunft
aus dem Griechischen entsprechend bedeutet das Wort Philosophie »Liebe zur
Weisheit«. Die Entstehung und Entfaltung der Philosophie fällt tatsächlich
genau in die Zeit, als der Mensch begonnen hat, sich nach dem Grund der
Dinge und nach ihrem Ziel zu fragen. Sie zeigt in verschiedenen Arten und
Formen, daß das Streben nach Wahrheit zur Natur des Menschen gehört. Es ist
eine seiner Vernunft angeborene Eigenschaft, sich nach dem Ursprung der
Dinge zu fragen, auch wenn sich die nach und nach gegebenen Antworten in
einen Horizont einfügen, der die Komplementarität der verschiedenen
Kulturen, in denen der Mensch lebt, deutlich macht.
Die Tatsache, daß sich die Philosophie stark auf die
Gestaltung und Entwicklung der Kulturen des Abendlandes auswirkte, darf uns
nicht den Einfluß vergessen lassen, den sie auch auf die
Daseinsvorstellungen ausgeübt hat, aus denen der Orient lebt. Jedes Volk
besitzt nämlich seine ihm eigene Ur-Weisheit, die als echter Reichtum der
Kulturen danach strebt, sich auch in rein philosophischen Formen
auszudrücken und zur Reife zu gelangen. Wie sehr das zutrifft, beweist der
Umstand, daß eine bis in unsere Tage gegenwärtige Grundform philosophischen
Wissens sogar in den Postulaten nachweisbar ist, denen die verschiedenen
nationalen und internationalen Gesetzgebungen bei der Regelung des
gesellschaftlichen Lebens folgen.
4. Es muß allerdings betont werden, daß sich hinter einem
einzigen Begriff verschiedene Bedeutungen verbergen. Daher erweist sich eine
einleitende erläuternde Darstellung als notwendig. Angespornt von dem
Streben, die letzte Wahrheit über das Dasein zu entdecken, versucht der
Mensch jene universalen Kenntnisse zu erwerben, die es ihm erlauben, sich
selbst besser zu begreifen und in seiner Selbstverwirklichung voranzukommen.
Die grundlegenden Erkenntnisse entspringen dem Staunen, das durch die
Betrachtung der Schöpfung in ihm geweckt wird: der Mensch wird von Staunen
ergriffen, sobald er sich als eingebunden in die Welt und in Beziehung zu
den anderen entdeckt, die ihm ähnlich sind und deren Schicksal er teilt.
Hier beginnt der Weg, der ihn dann zur Entdeckung immer neuer
Erkenntnishorizonte führen wird. Ohne das Staunen würde der Mensch in die
Monotonie der Wiederholung verfallen und sehr bald zu einer wirklichen
Existenz als Person unfähig werden.
Die dem menschlichen Geist eigentümliche Fähigkeit zum
spekulativen Denken führt durch die philosophische Betätigung zur Ausbildung
einer Form strengen Denkens und so, durch die logische Folgerichtigkeit der
Aussagen und die Geschlossenheit der Inhalte, zum Aufbau eines
systematischen Wissens. Dank dieses Prozesses wurden in verschiedenen
kulturellen Umfeldern und in verschiedenen Epochen Ergebnisse erzielt, die
zur Ausarbeitung echter Denksysteme geführt haben. Dadurch war man im Laufe
der Geschichte immer wieder der Versuchung ausgesetzt, eine einzige Strömung
mit dem gesamten philosophischen Denken gleichzusetzen. Ganz offenkundig
tritt jedoch in diesen Fällen ein gewisser »philosophischer Hochmut« auf den
Plan, der Anspruch darauf erhebt, die aus seiner eigenen Perspektive
stammende, unvollkommene Sicht zur allgemeinen Lesart zu erheben. In
Wirklichkeit muß jedes philosophische System, auch wenn es ohne
jegliche Instrumentalisierung in seiner Ganzheit anerkannt wird, dem
philosophischen Denken die Priorität zuerkennen, von dem es seinen
Ausgang nimmt und dem es folgerichtig dienen soll.
So ist es möglich, trotz des Wandels der Zeiten und der
Fortschritte des Wissens einen Kern philosophischer Erkenntnisse zu
erkennen, die in der Geschichte des Denkens ständig präsent sind. Man denke,
um nur ein Beispiel zu nennen, an die Prinzipien der Non-Kontradiktion, der
Finalität, der Kausalität wie auch an die Auffassung von der Person als
freiem und verständigem Subjekt und an ihre Fähigkeit, Gott, die Wahrheit
und das Gute zu erkennen; man denke ferner an einige moralische Grundsätze,
die allgemein geteilt werden. Diese und andere Themen weisen darauf hin, daß
es abgesehen von den einzelnen Denkrichtungen eine Gesamtheit von
Erkenntnissen gibt, in der man so etwas wie ein geistiges Erbe der
Menschheit erkennen kann; gleichsam als befänden wir uns im Angesicht einer
impliziten Philosophie, auf Grund der sich ein jeder bewußt ist,
diese Prinzipien, wenngleich in undeutlicher, unreflektierter Form zu
besitzen. Diese Erkenntnisse sollten, eben weil sie in irgendeiner Weise von
allen geteilt werden, eine Art Bezugspunkt der verschiedenen philosophischen
Schulen darstellen. Wenn es der Vernunft gelingt, die ersten und allgemeinen
Prinzipien des Seins zu erfassen und zu formulieren und daraus in rechter
Weise konsequente Schlußfolgerungen von logischer und deontologischer
Bedeutung zu entwickeln, dann kann sie sich als eine richtige Vernunft oder,
wie die antiken Denker sie nannten, als orthòs logos, recta ratio
ausgeben.
5. Die Kirche ihrerseits kann nicht umhin, den Einsatz
der Vernunft für das Erreichen von Zielen anzuerkennen, die das menschliche
Dasein immer würdiger machen. Denn sie sieht in der Philosophie den Weg, um
Grundwahrheiten zu erkennen, welche die Existenz des Menschen betreffen.
Gleichzeitig betrachtet sie die Philosophie als unverzichtbare Hilfe, um das
Glaubensverständnis zu vertiefen und die Wahrheit des Evangeliums allen, die
sie noch nicht kennen, mitzuteilen.
Im Anschluß an ähnliche Initiativen meiner Vorgänger
möchte daher auch ich den Blick auf diese besondere Betätigung der Vernunft
richten. Dazu drängt mich die Beobachtung, daß vor allem in unserer Zeit die
Suche nach der letzten Wahrheit oft getrübt erscheint. Die moderne
Philosophie hat zweifellos das große Verdienst, ihre Aufmerksamkeit auf den
Menschen konzentriert zu haben. Von daher hat eine mit Fragen beladene
Vernunft ihr Streben nach immer mehr und immer tieferer Erkenntnis
weiterentwickelt. So wurden komplexe Denksysteme aufgebaut, die in den
verschiedenen Wissensbereichen Früchte getragen haben, da sie die Entfaltung
von Kultur und Geschichte förderten. Die Anthropologie, die Logik, die
Naturwissenschaften, die Geschichte, die Sprache..., gewissermaßen die
Gesamtheit des Wissens wurde davon erfaßt. Die positiven Ergebnisse, die
erzielt wurden, dürfen jedoch nicht zur Vernachlässigung der Tatsache
verleiten, daß dieselbe Vernunft, mit einseitigen Forschungen über den
Menschen als Subjekt beschäftigt, vergessen zu haben scheint, daß dieser
Mensch immer auch dazu berufen ist, sich einer Wahrheit zuzuwenden, die ihn
übersteigt. Ohne Beziehung zu dieser Wahrheit bleibt jeder vom eigenen
Gutdünken abhängig, und seine Verfaßtheit als Person wird schließlich nach
pragmatischen, im wesentlichen auf empirischen Angaben beruhenden Kriterien
beurteilt, in der irrigen Überzeugung, alles müsse von der Technik
beherrscht werden. So kam es, daß sich die Vernunft, anstatt die Spannung
zur Wahrheit bestmöglich auszudrücken, unter der Last des vielen Wissens
über sich selbst gebeugt hat und von Tag zu Tag unfähiger wurde, den Blick
nach oben zu erheben, um das Wagnis einzugehen, zur Wahrheit des Seins zu
gelangen. Die moderne Philosophie hat das Fragen nach dem Sein
vernachlässigt und ihr Suchen auf die Kenntnis vom Menschen konzentriert.
Anstatt von der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis
Gebrauch zu machen, hat sie es vorgezogen, deren Grenzen und Bedingtheiten
herauszustellen.
Daraus enstanden verschiedene Formen von Agnostizismus
und Relativismus, die schließlich zur Folge hatten, daß sich das
philosophische Suchen im Fließsand eines allgemeinen Skeptizismus verlor. In
jüngster Zeit haben dann verschiedene Lehren Bedeutung erlangt, die sogar
jene Wahrheiten zu entwerten trachten, die erreicht zu haben für den
Menschen eine Gewißheit war. Die legitime Pluralität von Denkpositionen ist
einem indifferenten Pluralismus gewichen, der auf der Annahme fußt, alle
Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetsten Symptome
für das Mißtrauen gegenüber der Wahrheit, das man in der heutigen Welt
feststellen kann. Auch manche aus dem Orient stammende Lebensanschauungen
entgehen nicht diesem Vorbehalt. In ihnen wird nämlich der Wahrheit ihr
Exklusivcharakter abgesprochen. Dabei geht man von der Annahme aus, daß die
Wahrheit in verschiedenen, ja sogar einander widersprechenden Lehren
gleichermaßen in Erscheinung trete. In diesem Horizont ist alles auf Meinung
reduziert. Man hat den Eindruck einer Bewegung, die sich wie eine Welle nach
oben und nach unten bewegt: Während es dem philosophischen Denken einerseits
gelungen ist, in den Weg einzumünden, der es immer näher an die menschliche
Existenz und ihre Ausdrucksformen heranführt, ist es andererseits bestrebt,
existentielle, hermeneutische oder linguistische Anschauungen zu entwickeln,
die auf die radikale Frage nach der Wahrheit des Lebens als Person, des
Seins und Gottes verzichten. Als Folge davon sind beim modernen Menschen,
und das nicht nur bei einigen Philosophen, Haltungen eines verbreiteten
Mißtrauens gegenüber den großartigen Erkenntnisfähigkeiten des Menschen
zutage getreten. Mit falscher Bescheidenheit gibt man sich mit
provisorischen Teilwahrheiten zufrieden, ohne überhaupt noch zu versuchen,
radikale Fragen nach dem Sinn und letzten Grund des menschlichen,
persönlichen und gesellschaftlichen Lebens zu stellen. Die Hoffnung, von der
Philosophie endgültige Antworten auf diese Fragen zu erhalten, ist also
geschwunden.
6. Ausgestattet mit der Kompetenz, die ihr als
Verwahrerin der Offenbarung Jesu Christi erwächst, will nun die Kirche die
Notwendigkeit des Nachdenkens über die Wahrheit neu bekräftigen. Aus diesem
Grund habe ich beschlossen, mich sowohl an die Mitbrüder im Bischofsamt zu
wenden, mit denen ich die Sendung teile, »offen die Wahrheit« (2 Kor
4, 2) zu verkünden, als auch an die Theologen und Philosophen, deren Aufgabe
die Erforschung der verschiedenen Aspekte der Wahrheit ist, sowie an alle
Menschen, die sich auf der Suche befinden: Ich will sie teilhaben lassen an
einigen Überlegungen hinsichtlich des Weges, der zur wahren Weisheit führt,
damit jeder, der die Liebe zu ihr im Herzen trägt, den richtigen Weg
einzuschlagen vermag, um sie zu erreichen und in ihr Ruhe in seiner Mühsal
sowie geistige Freude zu finden.
Anstoß zu dieser Initiative ist für mich zunächst die vom
II. Vatikanischen Konzil formulierte Erkenntnis, daß die Bischöfe »Zeugen
der göttlichen und katholischen Wahrheit« sind.(3) Die Wahrheit zu bezeugen
ist also eine Aufgabe, die uns Bischöfen übertragen wurde; ihr können wir
uns nicht versagen, ohne das Amt, das wir erhalten haben, zu
vernachlässigen. Durch neuerliche Bekräftigung der Glaubenswahrheit können
wir dem Menschen unserer Zeit wieder echtes Vertrauen in seine
Erkenntnisfähigkeiten geben und der Philosophie eine Herausforderung bieten,
damit sie ihre volle Würde wiedererlangen und entfalten kann.
Noch ein weiterer Beweggrund veranlaßt mich zur Abfassung
dieser Überlegungen. In der Enzyklika Veritatis splendor habe ich
»einige fundamentale Wahrheiten der katholischen Lehre in Erinnerung«
gerufen, »die im heutigen Kontext Gefahr laufen, verfälscht oder verneint zu
werden«.(4) Mit dem vorliegenden Schreiben möchte ich nun jenen Gedanken
weiterführen und dabei die Aufmerksamkeit eben auf das Thema Wahrheit
und auf ihr Fundament im Verhältnis zum Glauben konzentrieren.
Denn man kann nicht leugnen, daß unsere Zeit mit ihren raschen und
umfassenden Veränderungen vor allem die jungen Generationen, denen die
Zukunft gehört und von denen sie abhängt, dem Gefühl aussetzt, ohne echte
Bezugspunkte zu sein. Das Erfordernis eines Fundamentes, auf dem das Dasein
des einzelnen und der Gesellschaft aufgebaut werden kann, macht sich vor
allem dann in dringender Weise bemerkbar, wenn man die Bruchstückhaftigkeit
von Angeboten feststellen muß, die unter Vortäuschung der Möglichkeit, zum
wahren Sinn des Daseins zu gelangen, das Vergängliche zum Wert erheben. So
kommt es, daß viele ihr Leben fast bis an den Rand des Abgrunds
dahinschleppen, ohne zu wissen, worauf sie eigentlich zugehen. Das hängt
auch damit zusammen, daß diejenigen, die dazu berufen waren, die Frucht
ihres Nachdenkens in kulturellen Formen auszudrücken, den Blick von der
Wahrheit abgewandt haben und der Mühe geduldigen Suchens nach dem, was
gelebt zu werden verdient, den Erfolg im Unmittelbaren vorziehen. Die
Philosophie, der die große Verantwortung zukommt, das Denken und die Kultur
durch den fortwährenden Hinweis auf die Wahrheitssuche zu gestalten, muß mit
aller Kraft ihre ursprüngliche Berufung zurückgewinnen. Deshalb habe ich
nicht nur das Bedürfnis gefühlt, sondern es auch als meine Pflicht
empfunden, mich zu diesem Thema zu äußern, damit die Menschheit an der
Schwelle des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung sich der
großartigen Fähigkeiten, die ihr gewährt wurden, deutlicher bewußt werde und
sich mit neuem Mut für die Verwirklichung des Heilsplanes einsetze, in den
ihre Geschichte eingebettet ist.
KAPITEL I
DIE OFFENBARUNG
DER WEISHEIT GOTTES
Jesus als Offenbarer des Vaters [7-12]
7. Jede von der Kirche angestellte Reflexion erfolgt auf
der Grundlage des Bewußtseins, Verwahrerin einer Botschaft zu sein, die
ihren Ursprung in Gott selbst hat (vgl. 2 Kor 4, 1-2). Die
Erkenntnis, die sie dem Menschen anbietet, rührt nicht aus ihrem eigenen
Nachdenken her, und wäre es noch so erhaben, sondern aus dem gläubigen Hören
des Wortes Gottes (vgl. 1 Thess 2, 13). Am Anfang unseres
Gläubigseins steht eine einzigartige Begegnung, die das Offenbarwerden eines
seit ewigen Zeiten verborgenen, jetzt aber enthüllten Geheimnisses (vgl.
1 Kor 2, 7; Röm 16, 25-26) markiert: »Gott hat in seiner Güte und
Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines
Willens kundzutun (vgl. Eph 1, 9): daß die Menschen durch Christus,
das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und
teilhaftig werden der göttlichen Natur«.(5) Dabei handelt es sich um eine
völlig ungeschuldete Initiative, die von Gott ausgeht, um die Menschheit zu
erreichen und zu retten. Gott als Quelle der Liebe will sich zu erkennen
geben, und die Erkenntnis, die der Mensch von Ihm hat, bringt jede andere
wahre Erkenntnis über den Sinn seiner eigenen Existenz zur Vollendung, zu
der sein Verstand zu gelangen vermag.
8. Unter beinahe wörtlicher Übernahme der von der
dogmatischen Konstitution Dei Filius des I. Vatikanischen Konzils
dargebotenen Lehre und unter Berücksichtigung der vom Konzil von Trient
vorgelegten Grundsätze hat die Konstitution Dei Verbum des II.
Vatikanums den Gang der Glaubenseinsicht, intelligentia fidei, durch
die Jahrhunderte fortgesetzt, indem sie über die Offenbarung im Lichte der
biblischen Lehre und der gesamten Vätertradition nachdachte. Die
Konzilsväter des I. Vatikanums hatten den übernatürlichen Charakter der
Offenbarung Gottes hervorgehoben. Die rationalistische Kritik, die zu jener
Zeit auf Grund weitverbreiteter falscher Thesen gegen den Glauben
vorgebracht wurde, betraf die Leugnung jeder Erkenntnis, die nicht den
natürlichen Fähigkeiten der Vernunft entspränge. Dieser Umstand hatte das
Konzil zu der nachdrücklichen Bekräftigung verpflichtet, daß es außer der
Erkenntnis der menschlichen Vernunft, die auf Grund ihrer Natur den Schöpfer
zu erreichen vermag, eine Erkenntnis gibt, die dem Glauben eigentümlich ist.
Diese Erkenntnis ist Ausdruck einer Wahrheit, die sich auf die Tatsache des
sich offenbarenden Gottes selbst gründet und Wahrheitsgewißheit ist, weil
Gott weder täuscht noch täuschen will.(6)
9. Das I. Vatikanische Konzil lehrt also, daß die durch
philosophisches Nachdenken erlangte Wahrheit und die Wahrheit der
Offenbarung weder sich miteinander vermischen noch einander überflüssig
machen. »Es gibt zwei Erkenntnisordnungen, die nicht nur im Prinzip, sondern
auch im Gegenstand verschieden sind: im Prinzip, weil wir in der einen
[Ordnung] mit der natürlichen Vernunft, in der anderen mit dem göttlichen
Glauben erkennen; im Gegenstand aber, weil uns außer der Wahrheit, zu der
die natürliche Vernunft gelangen kann, in Gott verborgene Geheimnisse zu
glauben vorgelegt werden, die, wenn sie nicht von Gott geoffenbart wären,
nicht bekannt werden könnten«.(7) Der Glaube, der sich auf das Zeugnis
Gottes gründet und der übernatürlichen Hilfe der Gnade bedient, ist in der
Tat von einer anderen Ordnung als die philosophische Erkenntnis. Denn diese
stützt sich auf die Sinneswahrnehmung, auf die Erfahrung und bewegt sich
allein im Licht des Verstandes. Die Philosophie und die Wissenschaften
schweifen im Bereich der natürlichen Vernunft umher, während der vom Geist
erleuchtete und geleitete Glaube in der Heilsbotschaft die »Fülle von Gnade
und Wahrheit« (vgl. Joh 1, 14) erkennt, die Gott in der Geschichte
endgültig durch seinen Sohn Jesus Christus offenbart hat (vgl. 1 Joh
5, 9; Joh 5, 31-32).
10. Die Konzilsväter des II. Vatikanums haben den Blick
fest auf den offenbarenden Jesus gerichtet und dabei den Heilscharakter der
Offenbarung Gottes in der Geschichte dargelegt. Das Wesen der Offenbarung
haben sie so formuliert: »In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott
(vgl. Kol 1, 15; 1 Tim 1, 17) aus überströmender Liebe die
Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33, 11; Joh 15, 14-15) und
verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschaft
einzuladen und aufzunehmen. Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat
und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind: die Werke nämlich, die
Gott im Verlauf der Heilsgeschichte wirkt, offenbaren und bekräftigen die
Lehre und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten; die Worte
verkündigen die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht
treten. Die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil
des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der
zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist«.(8)
11. So ist die Offenbarung Gottes eingebettet in Zeit und
Geschichte. Ja, die Menschwerdung Jesu Christi geschieht in der »Fülle der
Zeit« (Gal 4, 4). Zweitausend Jahre nach jenem Ereignis sehe ich es
als meine Pflicht an, nachdrücklich hervorzuheben, daß »im Christentum der
Zeit eine fundamentale Bedeutung« zukommt.(9) Denn in ihr kommt das ganze
Werk der Schöpfung und der Erlösung an den Tag; vor allem wird sichtbar, daß
wir durch die Menschwerdung des Gottessohnes schon jetzt die zukünftige
Vollendung der Zeit erleben und vorwegnehmen (vgl. Hebr 1, 2).
Die Wahrheit, die Gott dem Menschen über sich und über
sein Leben übergeben hat, ist daher eingebettet in Zeit und Geschichte. Sie
ist natürlich ein für allemal im Geheimnis des Jesus von Nazaret verkündet
worden. Das sagt mit ausdrucksvollen Worten die Konstitution Dei Verbum:
»Nachdem Gott viele Male und auf viele Weisen durch die Propheten gesprochen
hatte, “hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns gesprochen im Sohn” (Hebr
1, 1-2). Er hat seinen Sohn, das ewige Wort, das Licht aller Menschen,
gesandt, damit er unter den Menschen wohne und ihnen vom Innern Gottes Kunde
bringe (vgl. Joh 1, 1-18). Jesus Christus, das fleischgewordene Wort,
als “Mensch zu den Menschen” gesandt, “redet die Worte Gottes” (Joh
3, 34) und vollendet das Heilswerk, dessen Durchführung der Vater ihm
aufgetragen hat (vgl. Joh 5, 36; 17, 4). Wer ihn sieht, sieht auch
den Vater (vgl. Joh 14, 9). Er ist es, der durch sein ganzes Dasein
und seine ganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und
Wunder, vor allem aber durch seinen Tod und seine herrliche Auferstehung von
den Toten, schließlich durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die
Offenbarung erfüllt und abschließt«.(10)
Die Geschichte stellt also für das Volk Gottes einen Weg
dar, der ganz durchlaufen werden muß, so daß die geoffenbarte Wahrheit dank
des unablässigen Wirkens des Heiligen Geistes ihre Inhalte voll zum Ausdruck
bringen kann (vgl. Joh 16, 13). Das lehrt wiederum die Konstitution
Dei Verbum, wenn sie feststellt: »Die Kirche strebt im Gang der
Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis sich an
ihr Gottes Worte erfüllen«.(11)
12. Die Geschichte wird daher zu dem Ort, an dem wir
Gottes Handeln für die Menschheit feststellen können. Er erreicht uns in
dem, was für uns am vertrautesten und leicht zu überprüfen ist, weil es sich
um unsere tägliche Umgebung handelt, ohne die wir uns nicht zu begreifen
vermöchten.
Die Menschwerdung Gottes erlaubt es, die ewige und
endgültige Synthese vollzogen zu sehen, die sich der menschliche Geist von
sich aus nicht einmal hätte vorstellen können: das Ewige geht ein in die
Zeit, das Ganze verbirgt sich im Bruchstück, Gott nimmt die Gestalt des
Menschen an. Die in der Offenbarung Christi zum Ausdruck gekommene Wahrheit
ist somit nicht mehr in einen engen territorialen und kulturellen Bereich
eingeschlossen, sondern öffnet sich jedem Mann und jeder Frau, der die sie
als ein für allemal gültiges Wort annehmen will, um dem Dasein Sinn zu
geben. Nun haben alle Menschen in Christus Zugang zum Vater; durch seinen
Tod und seine Auferstehung hat er das göttliche Leben geschenkt, das der
erste Adam ausgeschlagen hatte (vgl. Röm 5, 12-15). Mit dieser
Offenbarung wird dem Menschen die letzte Wahrheit über sein Leben und über
das Schicksal der Geschichte angeboten: »Tatsächlich klärt sich nur im
Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft
auf«, stellt die Konstitution Gaudium et spes(12) fest. Außerhalb
dieser Sicht bleibt das Geheimnis der menschlichen Person ein unlösbares
Rätsel. Wo sonst als in dem Licht, das vom Geheimnis der Passion, des Todes
und der Auferstehung Christi ausstrahlt, könnte der Mensch die Antwort auf
so dramatische Fragen suchen wie die des Schmerzes, des Leidens Unschuldiger
und des Todes?
Die Vernunft vor dem Geheimnis [13-15]
13. Es soll freilich nicht vergessen werden, daß die
Offenbarung bis heute etwas Geheimnisvolles bleibt. Gewiß enthüllt Jesus
durch sein Leben das Antlitz des Vaters, denn er ist ja gekommen, »damit er
vom Innern Gottes Kunde bringe«;(13) doch die Erkenntnis, die wir von diesem
Antlitz haben, ist stets von der Bruchstückhaftigkeit und Begrenztheit
unseres Begreifens gezeichnet. Einzig und allein der Glaube gestattet es, in
das Innere des Geheimnisses einzutreten, dessen Verständnis er in
angemessener Weise begünstigt.
Das Konzil lehrt, daß »dem offenbarenden Gott der
Gehorsam des Glaubens zu leisten« ist.(14) Mit dieser kurzen, aber wichtigen
Aussage wird auf eine fundamentale Wahrheit des Christentums hingewiesen. Es
heißt darin vor allem, daß der Glaube gehorsame Antwort an Gott ist. Das
aber setzt voraus, daß dieser in seiner Gottheit, Transzendenz und höchsten
Freiheit anerkannt wird. Der Gott, der sich zu erkennen gibt, bringt in der
Autorität seiner absoluten Transzendenz die Glaubwürdigkeit der von ihm
geoffenbarten Inhalte mit. Durch den Glauben gibt der Mensch seine
Zustimmung zu diesem göttlichen Zeugnis. Das heißt, er anerkennt voll
und ganz die Wahrheit dessen, was geoffenbart wurde, weil Gott selbst sich
zu ihrem Garanten macht. Diese dem Menschen geschenkte und von ihm nicht
einforderbare Wahrheit fügt sich in den Horizont der interpersonalen
Kommunikation ein. Sie drängt die Vernunft, sich der Wahrheit zu öffnen und
ihren tiefen Sinn anzunehmen. Darum ist der Akt, mit dem man sich Gott
anvertraut, von der Kirche stets als ein grundlegender Entscheidungsvorgang
angesehen worden, in den die ganze Person eingebunden ist. Verstand und
Wille setzen bis zum äußersten ihre geistige Natur ein, um dem Subjekt den
Vollzug eines Aktes zu erlauben, in dem die persönliche Freiheit im Vollsinn
gelebt wird.(15) Im Glauben ist also die Freiheit nicht einfach nur da; sie
ist gefordert. Ja, der Glaube ermöglicht es einem jeden, seine Freiheit
bestmöglich zum Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten, die Freiheit
verwirklicht sich nicht in Entscheidungen gegen Gott. In der Tat, wie könnte
die Weigerung, sich dem zu öffnen, was die Selbstverwirklichung ermöglicht,
als ein glaubwürdiger Gebrauch der Freiheit angesehen werden? Im Glauben
vollzieht der Mensch den bedeutsamsten Akt seines Daseins; denn die Freiheit
gelangt zur Gewißheit der Wahrheit und entschließt sich, in ihr zu leben.
Der Vernunft, die das Geheimnis zu verstehen sucht,
kommen auch die in der Offenbarung vorhandenen Zeichen zur Hilfe. Sie dienen
dazu, die Wahrheitssuche gründlicher vorzunehmen und dem Verstand
selbständige Erkundungen auch innerhalb des Geheimnisses zu ermöglichen.
Diese Zeichen geben zwar einerseits der Vernunft größeres Gewicht, weil sie
ihr erlauben, mit den ihr eigenen Mitteln, auf die sie zu Recht stolz ist,
das Geheimnis von innen her zu ergründen; andererseits sind die Zeichen für
die Vernunft Ansporn, über ihre zeichenhafte Wirklichkeit hinauszugehen, um
deren jenseitige Bedeutung, die sie tragen, zu erfassen. In ihnen ist also
eine verborgene Wahrheit bereits gegenwärtig, auf die der Verstand verwiesen
wird und von der er nicht absehen kann, ohne das ihm angebotene Zeichen
selbst zu zerstören.
Man wird gewissermaßen auf den sakramentalen
Horizont der Offenbarung und insbesondere auf das Zeichen der Eucharistie
verwiesen, wo es die unauflösliche Einheit zwischen der Wirklichkeit und
ihrer Bedeutung erlaubt, die Tiefe des Geheimnisses zu erfassen. Christus
ist in der Eucharistie wahrhaftig gegenwärtig und lebendig, er wirkt und
handelt durch seinen Geist, doch wie der hl. Thomas richtig gesagt hatte:
»Du siehst nicht, du begreifst nicht, aber der Glaube bestärkt dich jenseits
der Natur. Was da erscheint, ist ein Zeichen: es verbirgt im Geheimnis
erhabene Wirklichkeiten«.(16) Ihm pflichtet der Philosoph Pascal bei: »Wie
Jesus Christus unter den Menschen unerkannt geblieben ist, so unterscheidet
sich seine Wahrheit äußerlich nicht von den allgemeinen Meinungen. Und so
ist die Eucharistie gewöhnliches Brot«.(17)
Die Glaubenserkenntnis hebt also das Geheimnis nicht auf;
sie macht es nur einsichtiger und offenbart es als für das Leben des
Menschen wesentliche Tatsache: »Christus der Herr ... macht eben in der
Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den
Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«,(18)
nämlich teilzuhaben am Geheimnis des dreifaltigen Lebens Gottes.(19)
14. Die Lehre der beiden Vatikanischen Konzilien eröffnet
auch für das philosophische Wissen einen Horizont echter Neuerung. Die
Offenbarung führt in die Geschichte einen Bezugspunkt ein, von dem der
Mensch nicht absehen kann, wenn er dahin gelangen will, das Geheimnis seines
Daseins zu verstehen; andererseits verweist diese Erkenntnis ständig auf das
Geheimnis Gottes, das der Verstand nicht auszuschöpfen vermag, sondern nur
im Glauben empfangen und annehmen kann. Innerhalb dieser beiden Momente hat
die Vernunft ihren besonderen Platz, der ihr das Erkunden und Begreifen
erlaubt, ohne von etwas anderem eingeschränkt zu werden als von ihrer
Endlichkeit angesichts des unendlichen Geheimnisses Gottes.
Die Offenbarung führt also in unsere Geschichte eine
universale und letzte Wahrheit ein, die den Verstand des Menschen dazu
herausfordert, niemals stehenzubleiben; ja, sie spornt ihn an, den Raum
seines Wissens ständig zu erweitern, bis er gewahr wird, ohne jegliche
Unterlassung alles in seiner Macht Stehende getan zu haben. Bei dieser
Überlegung kommt uns eine der geistreichsten und bedeutendsten
schöpferischen Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte zu Hilfe, auf die
sich sowohl die Philosophie als auch die Theologie beziehen: der hl. Anselm.
In seinem Proslogion schreibt der Bischof von Canterbury: »Während
ich häufig und voll Eifer meine Gedanken auf dieses Problem richtete, schien
es mir zuweilen, als könnte ich das, wonach ich suchte, schon ergreifen; ein
anderes Mal hingegen entglitt es vollständig meinem Denken; bis ich
schließlich die Hoffnung, es je finden zu können, verlor und die Suche nach
etwas, das sich unmöglich finden ließ, aufgeben wollte. Als ich aber jene
Gedanken aus mir vertreiben wollte, damit sie nicht meinen Geist
beschäftigten und mich von anderen Problemen abhalten würden, aus denen ich
irgendeinen Gewinn ziehen konnte, da stellten sie sich mit immer größerer
Aufdringlichkeit ein [...]. Was aber habe ich Armseliger, einer von Evas
Söhnen, fern von Gott, was habe ich zu unternehmen begonnen und was ist mir
gelungen? Wonach ging meine Neigung und wohin bin ich gelangt? Wonach
strebte ich und wonach sehne ich mich noch immer? [...] O Herr, du bist
nicht nur das Größte, das man sich denken kann (non solum es quo maius
cogitari nequit), sondern du bist größer als alles, was man sich denken
kann (quiddam maius quam cogitari possit) [...]. Wenn du nicht so
beschaffen wärest, könnte man sich etwas Größeres als dich vorstellen, aber
das ist unmöglich«.(20)
15. Die Wahrheit der christlichen Offenbarung, der wir in
Jesus von Nazaret begegnen, ermöglicht jedem, das »Geheimnis« des eigenen
Lebens anzunehmen, sie achtet zutiefst die Autonomie des Geschöpfes und
seine Freiheit, verpflichtet es aber im Namen der Wahrheit, sich der
Transzendenz zu öffnen. Hier erreicht das Verhältnis von Freiheit und
Wahrheit seinen Höhepunkt, und man versteht voll und ganz das Wort des
Herrn: »Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch
befreien« (Joh 8, 32).
Die christliche Offenbarung ist der wahre Leitstern für
den Menschen zwischen den Bedingtheiten der immanentistischen Denkweise und
den Verengungen einer technokratischen Logik; sie ist die äußerste von Gott
angebotene Möglichkeit, um den ursprünglichen Plan der Liebe, der mit der
Schöpfung begonnen hat, vollständig wiederzufinden. Dem Menschen, der sich
nach Erkenntnis des Wahren sehnt, wird, sofern er noch imstande ist, den
Blick über sich selbst und die eigenen Pläne hinaus zu erheben, die
Möglichkeit gegeben, das natürliche Verhältnis zu seinem Leben dadurch
wiederzugewinnen, daß er den Weg der Wahrheit geht. Die Worte aus dem Buch
Deuteronomium lassen sich gut auf diese Situation anwenden: »Dieses
Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und
ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so daß du sagen müßtest: Wer
steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns,
damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so daß du
sagen müßtest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und
verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah
bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten«
(30, 11-14). Diesem Text stimmt der heilige Augustinus, Philosoph und
Theologe, mit dem berühmten Gedanken zu: »Noli foras ire, in te ipsum redi.
In interiore homine habitat veritas« [Geh nicht nach draußen, kehre zu dir
selbst zurück. Im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit].(21)
Im Lichte dieser Überlegungen drängt sich eine erste
Schlußfolgerung auf: Die Wahrheit, welche die Offenbarung uns erkennen läßt,
ist nicht die reife Frucht oder der Höhepunkt eines von der Vernunft
aufbereiteten Denkens. Sie erscheint hingegen mit dem Wesensmerkmal der
Ungeschuldetheit, bringt Denken hervor und fordert, als Ausdruck der Liebe
angenommen zu werden. Diese geoffenbarte Wahrheit ist in unsere Geschichte
gelegte Vorwegnahme jener letzten und endgültigen Anschauung Gottes, die
denen vorbehalten ist, die an ihn glauben oder ihn mit aufrichtigem Herzen
suchen. Das letzte Ziel des menschlichen Daseins als Person ist also
Forschungsobjekt sowohl der Philosophie als auch der Theologie. Beide führen
uns, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln und Inhalten, diesen »Pfad zum
Leben« (Ps 16, 11) vor Augen, der schließlich, wie uns der Glaube
sagt, in die volle und ewig währende Freude der Anschauung des dreieinigen
Gottes einmündet.
KAPITEL II
CREDO UT INTELLEGAM
Die Weisheit weiß und versteht alles (vgl. Weish 9,
11) [16-20]
16. Wie tief der Zusammenhang zwischen Glaubens- und
Vernunfterkenntnis ist, wird bereits in der Heiligen Schrift mit erstaunlich
deutlichen Hinweisen aufgezeigt. Das bezeugen besonders die
Weisheitsbücher. Was bei der unvoreingenommenen Lektüre dieser Seiten
der Heiligen Schrift beeindruckt, ist die Tatsache, daß in diesen Texten
nicht nur Israels Glaube enthalten ist, sondern auch der Reichtum bereits
untergegangener Zivilisationen und Kulturen. Wie nach einem besonderen Plan
lassen Ägypten und Mesopotamien wieder ihre Stimme hören, und manche
gemeinsamen Züge der altorientalischen Kulturen werden auf diesen Seiten,
die so reich sind an inneren Einsichten einzigartiger Tiefe, wieder ins
Leben zurückgeholt.
Es ist kein Zufall, daß der heilige Verfasser den weisen
Menschen, den er beschreiben möchte, als denjenigen darstellt, der die
Wahrheit liebt und nach ihr sucht: »Wohl dem Menschen, der nachsinnt über
die Weisheit, der sich bemüht um Einsicht, der seinen Sinn richtet auf ihre
Wege und auf ihre Pfade achtet, der ihr nachgeht wie ein Späher und an ihren
Eingängen lauert, der durch ihre Fenster schaut und an ihren Türen horcht,
der sich bei ihrem Haus niederläßt und seine Zeltstricke an ihrer Mauer
befestigt, der neben ihr sein Zelt aufstellt und so eine gute Wohnung hat,
der sein Nest in ihr Laub baut und in ihren Zweigen die Nacht verbringt, der
sich in ihrem Schatten vor der Hitze verbirgt und im Schutz ihres Hauses
wohnt« (Sir 14, 20-27).
Wie man sieht, ist für den inspirierten Verfasser der
sehnliche Wunsch nach Erkenntnis ein Wesensmerkmal, das alle Menschen
vereint. Dank des Denkvermögens ist allen, Glaubenden wie Nichtglaubenden,
die Möglichkeit gegeben, »zu schöpfen im tiefen Wasser« der Erkenntnis (vgl.
Spr 20, 5). Im alten Israel erfolgte das Erkennen der Welt und ihrer
Erscheinungen sicher nicht durch Abstraktion, wie das für den jonischen
Philosophen oder den ägyptischen Weisen zutrifft. Noch weniger empfing der
gute Israelit die Erkenntnis mit Hilfe der Kriterien, wie sie der zunehmend
nach Wissensspaltung tendierenden modernen Zeit eigen sind. Trotzdem hat die
Welt der Bibel in das große Meer der Erkenntnislehre ihren originellen
Beitrag einfließen lassen.
Wie sieht dieser Beitrag aus? Die Besonderheit, die den
Bibeltext auszeichnet, besteht in der Überzeugung, daß zwischen der
Vernunft- und der Glaubenserkenntnis eine tiefe, untrennbare Einheit
besteht. Die Welt und was in ihr vorgeht ebenso wie die Geschichte und die
wechselvollen Ereignisse des Volkes sind Wirklichkeiten, die mit den Mitteln
der Vernunft betrachtet, analysiert und beurteilt werden, ohne daß aber der
Glaube an diesem Prozeß unbeteiligt bliebe. Er greift nicht ein, um die
Autonomie der Vernunft zu beschneiden oder ihren Handlungsraum
einzuschränken, sondern nur dazu, um dem Menschen begreiflich zu machen, daß
der Gott Israels in diesen Geschehnissen sichtbar wird und handelt. Die Welt
und die geschichtlichen Begebenheiten gründlich zu kennen, ist also
unmöglich, ohne sich gleichzeitig zum Glauben an den in ihnen wirkenden Gott
zu bekennen. Der Glaube schärft den inneren Blick, indem er den Verstand
dafür offen macht, im Strom der Ereignisse die tätige Gegenwart der
Vorsehung zu entdecken. Ein Satz aus dem Buch der Sprichwörter ist in
diesem Zusammenhang bezeichnend: »Des Menschen Herz plant seinen Weg, doch
der Herr lenkt seinen Schritt« (Spr 16, 9). Man könnte sagen, der
Mensch vermag mit dem Licht der Vernunft seinen Weg zu erkennen, kann ihn
aber nur dann rasch und ohne Hindernisse zu Ende gehen, wenn er mit
redlichem Herzen sein Forschen in den Horizont des Glaubens einfügt.
Vernunft und Glaube lassen sich daher nicht voneinander trennen, ohne daß es
für den Menschen unmöglich wird, sich selbst, die Welt und Gott in
entsprechender Weise zu erkennen.
17. Es gibt also keinen Grund für das Bestehen
irgendeines Konkurrenzkampfes zwischen Vernunft und Glaube: sie wohnen
einander inne, und beide haben ihren je eigenen Raum zu ihrer
Verwirklichung. Wieder ist es das Buch der Sprichwörter, das uns mit dem
Ausruf in diese Richtung weist: »Gottes Ehre ist es, eine Sache zu
verhüllen, des Königs Ehre ist es, eine Sache zu erforschen« (Spr 25,
2). Gott und der Mensch sind in ihrer jeweiligen Welt in eine einzigartige
Wechselbeziehung gestellt. In Gott hat alles seinen Ursprung, in ihm sammelt
sich die Fülle des Geheimnisses, und das macht seine Ehre aus; dem Menschen
fällt die Aufgabe zu, mit seiner Vernunft nach der Wahrheit zu forschen, und
darin besteht sein Adel. Ein weiterer Stein zu diesem Mosaik wird vom
Psalmisten hinzugefügt, wenn er betet: »Wie schwierig sind für mich, o Gott,
deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl! Wollte ich sie zählen, es wären
mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir« (Ps
139, 17-18). Das Streben nach Erkenntnis ist so groß und mit einem
derartigen Dynamismus verbunden, daß sich das Herz des Menschen trotz der
Erfahrung der unüberschreitbaren Grenze nach dem unendlichen Reichtum sehnt,
der sich jenseits befindet, weil es ahnt, daß dort die befriedigende Antwort
auf jede noch ungelöste Frage gehütet wird.
18. Wir können daher sagen, Israel hat es vermocht, mit
seinem Nachdenken der Vernunft den Weg zum Geheimnis zu eröffnen. In der
Offenbarung Gottes konnte es alles gründlich erkunden, was es mit der
Vernunft vergeblich zu erreichen versuchte. Von dieser tiefsten
Erkenntnisform ausgehend hat das auserwählte Volk verstanden, daß die
Vernunft einige Grundregeln beachten muß, um der ihr eigenen Natur
bestmöglich Ausdruck geben zu können. Die erste Regel besteht in der
Berücksichtigung der Tatsache, daß das Erkennen des Menschen ein Weg ist,
der keinen Stillstand kennt; die zweite entsteht aus dem Bewußtsein, daß man
sich auf diesen Weg nicht mit dem Hochmut dessen begeben darf, der meint,
alles sei Frucht persönlicher Errungenschaft; eine dritte Regel gründet auf
der »Gottesfurcht«: die Vernunft muß Gottes souveräne Transzendenz und
zugleich seine sorgende Liebe bei der Lenkung der Welt anerkennen.
Wenn der Mensch von diesen Regeln abweicht, setzt er sich
der Gefahr des Scheiterns aus und befindet sich schließlich in der
Verfassung des »Toren«. Für die Bibel beinhaltet diese Torheit eine
Bedrohung des Lebens. Denn der Tor bildet sich ein, viele Dinge zu wissen,
ist aber in Wirklichkeit nicht imstande, den Blick auf die wesentlichen
Dinge zu heften. Das hindert ihn daran, Ordnung in seinen Verstand zu
bringen (vgl. Spr 1, 7) und gegenüber sich selbst und seiner Umgebung
eine entsprechende Haltung einzunehmen. Wenn er dann so weit geht zu
behaupten: »Es gibt keinen Gott« (Ps 14, 1), enthüllt er mit
endgültiger Klarheit, wie unzureichend sein Wissen ist und wie weit er von
der vollen Wahrheit über die Dinge, ihren Ursprung und ihre Bestimmung
entfernt ist.
19. Einige wichtige Texte, die weiteres Licht auf dieses
Thema werfen, sind im 13. Kapitel des Buches der Weisheit enthalten. Darin
spricht der Verfasser von Gott, der sich auch durch die Natur erkennen läßt.
In der Antike fiel das Studium der Naturwissenschaften großenteils mit dem
philosophischen Wissen zusammen. Nachdem der heilige Text ausgeführt hat,
daß der Mensch mit seinem Verstand in der Lage ist, »den Aufbau der Welt und
das Wirken der Elemente, ... den Kreislauf der Jahre und die Stellung der
Sterne, die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere« zu verstehen (Weish
7, 17. 19-20), mit einem Wort, daß er fähig ist zu philosophieren,
vollzieht er einen sehr bemerkenswerten Schritt nach vorn. Während der
Verfasser das Denken der griechischen Philosophie aufgreift, auf das er sich
in diesem Zusammenhang offensichtlich bezieht, erklärt er, daß man eben
durch vernünftiges Nachdenken über die Natur wieder auf den Schöpfer
zurückkommen könne: »Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt
sich auf ihren Schöpfer schließen« (Weish 13, 5). Es wird also eine
erste Stufe der göttlichen Offenbarung anerkannt, die aus dem wunderbaren
»Buch der Natur« besteht; liest der Mensch dieses Buch mit den seiner
Vernunft eigenen Mitteln, kann er zur Erkenntnis des Schöpfers gelangen.
Wenn der Mensch mit seinem Verstand Gott, den Schöpfer von allem, nicht zu
erkennen vermag, dann liegt das nicht so sehr am Fehlen eines geeigneten
Mittels als vielmehr an dem Hindernis, das ihm von seinem freien Willen und
seiner Sünde in den Weg gelegt wurde.
20. Die Vernunft wird in dieser Sicht gewürdigt, aber
nicht überbewertet. Denn alles, was sie erreicht, kann zwar wahr sein,
erlangt aber volle Bedeutung erst, wenn sein Inhalt in den weiteren Horizont
des Glaubens gestellt wird: »Der Herr lenkt die Schritte eines jeden. Wie
könnte der Mensch seinen Weg verstehen?« (Spr 20, 24). Nach dem Alten
Testament befreit also der Glaube die Vernunft, da er ihr ermöglicht, ihren
Erkenntnisgegenstand konsequent zu erreichen und ihn in jene höchste Ordnung
zu stellen, in der alles seine Sinnhaftigkeit erlangt. Mit einem Wort, der
Mensch gelangt durch die Vernunft zur Wahrheit, weil er zugleich mit dem
Glauben den tiefen Sinn von allem und insbesondere den Sinn seines eigenen
Daseins entdeckt. Mit Recht setzt daher der Verfasser als den Anfang der
wahren Erkenntnis die Gottesfurcht voraus: »Gottesfurcht ist Anfang der
Erkenntnis« (Spr 1, 7; vgl. Sir 1, 14).
»Erwirb dir Weisheit, erwirb dir Einsicht«
(Spr 4, 5) [21-23]
21. Die Erkenntnis beruht nach dem Alten Testament nicht
nur auf einer sorgfältigen Beobachtung des Menschen, der Welt und der
Geschichte, sondern setzt auch eine unerläßliche Beziehung zum Glauben und
zu den Inhalten der Offenbarung voraus. Hier liegen auch die
Herausforderungen, denen sich das auserwählte Volk stellen mußte und auf die
es geantwortet hat. Beim Nachdenken über diese seine Lage hat der biblische
Mensch entdeckt, daß er sich nur begreifen kann, insofern er »in Beziehung
steht«: in Beziehung zu sich selbst, zum Volk, zur Welt und zu Gott. Diese
Öffnung für das Geheimnis, die ihm von der Offenbarung zukam, war
schließlich für ihn die Quelle einer wahren Erkenntnis, die seiner Vernunft
das Eintauchen in die Räume des Unendlichen erlaubte, wodurch er bis dahin
unverhoffte Verständnismöglichkeiten erhielt.
Die Anstrengung des Forschens war für den Verfasser nicht
frei von der Mühseligkeit, die von der Auseinandersetzung mit den Grenzen
der Vernunft herrührt. Das läßt sich zum Beispiel den Worten entnehmen, mit
denen das Buch der Sprichwörter den Zustand der Erschöpfung offenlegt, der
sich bei dem Versuch, die geheimnisvollen Pläne Gottes zu begreifen,
einstellte (vgl. Spr 30, 1-6). Der Glaubende gibt sich jedoch trotz
der Beschwerlichkeit nicht geschlagen. Die Kraft, um seinen Weg zur Wahrheit
fortzusetzen, erhält er aus der Gewißheit, daß Gott ihn als »Forscher«
erschaffen hat (vgl. Koh 1, 13), der den Auftrag hat, trotz der
ständigen Erpressung durch den Zweifel nichts unversucht zu lassen. Dadurch,
daß er sich auf Gott stützt, bleibt er immer und überall auf das Schöne,
Gute und Wahre ausgerichtet.
22. Der hl. Paulus hilft uns im ersten Kapitel seines
Briefes an die Römer, die Überlegung der Weisheitsbücher in ihrer
Eindringlichkeit besser zu würdigen. Mit seiner Darlegung einer
philosophischen Argumentation in der Sprache des Volkes bringt der Apostel
eine tiefe Wahrheit zum Ausdruck: Durch die Schöpfung können die »Augen des
Verstandes« zur Erkenntnis Gottes gelangen. Denn durch die Geschöpfe läßt er
die Vernunft seine »Macht« und seine »Gottheit« erahnen (vgl. Röm 1,
20). Der Vernunft des Menschen wird also eine Fähigkeit zuerkannt, die
gleichsam ihre natürlichen Grenzen zu übersteigen scheint: nicht nur daß sie
von dem Augenblick an, wo sie kritisch darüber nachdenken kann, nicht mehr
in die sinnliche Erkenntnis verbannt ist, sondern auch durch das
Argumentieren über die Sinneswahrnehmungen kann sie zu dem Grund vordringen,
der am Anfang jeder sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit steht. In
philosophischer Fachsprache könnten wir sagen, daß in dem wichtigen Text die
metaphysische Fähigkeit des Menschen bejaht wird.
Nach Überzeugung des Apostels war im ursprünglichen
Schöpfungsplan die Fähigkeit der Vernunft vorgesehen, die Sinnenwelt mit
Leichtigkeit zu übersteigen, um zum eigentlichen Ursprung von allem zu
gelangen: dem Schöpfer. Infolge des Ungehorsams, durch den sich der Mensch
die volle und absolute Unabhängigkeit gegenüber seinem Schöpfer erwirken
wollte, ist diese Leichtigkeit des Aufstiegs zum Schöpfergott verloren
gegangen.
Das Buch Genesis beschreibt auf anschauliche Weise diesen
Zustand des Menschen, wenn es davon erzählt, daß Gott ihn in den Garten Eden
setzte, in dessen Mitte »der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« stand (Gen
2, 17). Das Symbol ist klar: Der Mensch war nicht in der Lage, von sich
aus zu unterscheiden und zu entscheiden, was gut und was böse war, sondern
mußte sich auf ein höheres Prinzip berufen. Verblendung durch
Überheblichkeit verführte unsere Stammeltern zu der trügerischen Täuschung,
sie wären souverän und unabhängig und könnten auf die von Gott stammende
Erkenntnis verzichten. In ihren Ur-Ungehorsam zogen sie jeden Mann und jede
Frau hinein und fügten der Vernunft Wunden zu, die von da an den Weg zur
vollen Wahrheit behindern sollten. Das menschliche Vermögen, die Wahrheit zu
erkennen, wurde nunmehr von der Auflehnung gegen denjenigen beeinträchtigt,
der Quelle und Ursprung der Wahrheit ist. Wieder ist es der Apostel der
darlegt, wie auf Grund der Sünde die Gedanken der Menschen »nichtig«
geworden sind und sich ihre Überlegungen als entstellt und falsch orientiert
erwiesen haben (vgl. Röm 1, 21-22). Die Augen des Verstandes waren
nun nicht mehr in der Lage, klar zu sehen: die Vernunft wurde zunehmend zur
Gefangenen ihrer selbst. Das Kommen Christi war das Heilsereignis, das die
Vernunft aus ihrer Schwachheit erlöste und sie von den Fesseln, in denen sie
sich selbst gefangen hatte, befreite.
23. Das Verhältnis des Christen zur Philosophie verlangt
daher eine tiefgreifende Unterscheidung. Im Neuen Testament, vor allem in
den Briefen des hl. Paulus, tritt eine Tatsache klar ans Licht: die
Gegenüberstellung zwischen der »Weisheit dieser Welt« und der in Jesus
Christus geoffenbarten Weisheit Gottes. Die Tiefgründigkeit der
geoffenbarten Weisheit sprengt den Zirkel unserer üblichen Denkschemata, die
keinesfalls in der Lage sind, sie adäquat wiederzugeben.
Der Anfang des ersten Briefes an die Korinther wirft
dieses Dilemma in radikaler Weise auf. Der gekreuzigte Sohn Gottes ist das
geschichtliche Ereignis, an dem jeder Versuch des Verstandes scheitert, auf
rein menschlichen Argumenten einen ausreichenden Beleg für den Sinn des
Daseins aufzubauen. Der wahre Knotenpunkt, der die Philosophie
herausfordert, ist der Tod Jesu Christi am Kreuz. Denn hier ist jeder
Versuch, den Heilsplan des Vaters auf reine menschliche Logik
zurückzuführen, zum Scheitern verurteilt. »Wo ist ein Weiser? Wo ein
Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die
Weisheit der Welt als Torheit entlarvt?« (1 Kor 1, 20), fragt sich
der Apostel emphatisch. Für das, was Gott verwirklichen will, genügt nicht
bloß die Weisheit des weisen Menschen, vielmehr ist ein entschlossener
Übergang zur Annahme von etwas völlig Neuem gefordert: »Das Törichte in der
Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen [...]. Und das
Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts
ist, um das, was etwas ist, zu vernichten« (1 Kor 1, 27-28). Die
Weisheit des Menschen lehnt es ab, in ihrer Schwachheit die Voraussetzung
für ihre Stärke zu sehen; aber der hl. Paulus zögert nicht zu bekräftigen:
»Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12, 10). Der Mensch
vermag nicht zu begreifen, wie der Tod Quelle von Leben und Liebe sein
könne, aber Gott hat gerade das für die Enthüllung des Geheimnisses seines
Heilsplanes erwählt, was die Vernunft als »Torheit« und »Ärgernis« ansieht.
Mit Hilfe der Sprache der Philosophen seiner Zeit erreicht Paulus den
Höhepunkt seiner Lehre und des Paradoxons, das er ausdrücken will: »Gott hat
in der Welt das, was nichts ist, erwählt, um das, was etwas ist, zu
vernichten« (1 Kor 1, 28). Der Apostel scheut sich nicht, von der
radikalsten Sprache, welche die Philosophen in ihren Erwägungen über Gott
verwendeten, Gebrauch zu machen, um das Wesen der ungeschuldeten Liebe zum
Ausdruck zu bringen, die sich im Kreuz Jesu Christi geoffenbart hat. Die
Vernunft kann das Geheimnis, das das Kreuz darstellt, nicht der Liebe
entleeren; statt dessen kann das Kreuz der Vernunft die letzte Antwort
geben, nach der sie sucht. Nicht die Weisheit der Worte, sondern das Wort
von der Weisheit ist es, das der hl. Paulus als Kriterium der Wahrheit und
damit des Heils festsetzt.
Die Weisheit des Kreuzes überwindet daher jede kulturelle
Grenze, die man ihr auferlegen will, und verpflichtet dazu, sich der
Universalität der Wahrheit, deren Trägerin sie ist, zu öffnen. Was für eine
Herausforderung stellt sich da unserer Vernunft und welchen Nutzen zieht sie
daraus, wenn sie sich denn geschlagen gibt! Die Philosophie, die schon von
sich aus imstande ist, die unablässige Selbsttranszendierung des Menschen
auf die Wahrheit hin zu erkennen, kann sich mit Hilfe des Glaubens öffnen,
um in der »Torheit« des Kreuzes die echte Kritik an denen aufzugreifen, die
sich der Täuschung hingeben, die Wahrheit zu besitzen, während sie sie in
die Untiefen ihres Systems gefangenhalten. Das Verhältnis von Glaube und
Philosophie trifft in der Verkündigung vom gekreuzigten und auferstandenen
Christus auf die Felsenklippe, an der es Schiffbruch erleiden kann. Doch
jenseits dieser Klippe kann es in das unendliche Meer der Wahrheit
einmünden. Hier zeigt sich deutlich die Grenze zwischen Vernunft und Glaube,
es wird aber auch der Raum klar erkennbar, in dem sich beide begegnen
können.
KAPITEL III
INTELLEGO UT CREDAM
Auf dem Weg der Suche nach der Wahrheit
[24-27]
24. Der Evangelist Lukas erzählt in der
Apostelgeschichte, daß Paulus auf seinen Missionsreisen nach Athen kam. Die
Stadt der Philosophen war voll von Statuen, die verschiedene Götzen
darstellten. Ein Altar erregte seine Aufmerksamkeit, und er nahm das
sogleich zum Anlaß, darin eine gemeinsame Grundlage zu entdecken, auf der er
mit der Verkündigung des Kerygmas beginnen konnte. Und so sprach er:
»Athener, nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen. Denn
als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar
mit der Aufschrift: Einem unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu
kennen, das verkünde ich euch« (Apg 17, 22-23). Von da ausgehend
spricht der hl. Paulus von Gott als Schöpfer, als dem, der alles übersteigt
und alles zum Leben bringt. Dann setzt er seine Rede so fort: »Er hat aus
einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es
die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen
ihrer Wohnsitze festgelegt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und
finden könnten; denn keinem von uns ist er fern« (Apg 17, 26-27).
Der Apostel legt eine Wahrheit vor, die sich die Kirche
stets zunutze gemacht hat: Das Streben und die Sehnsucht nach Gott ist tief
in das Menschenherz eingesät. Daran erinnert auch ausdrücklich die
Karfreitagsliturgie, wenn sie uns im Gebet für alle Nichtglaubenden sprechen
läßt: »Allmächtiger, ewiger Gott, du hast eine so tiefe Sehnsucht nach dir
ins Herz des Menschen gesenkt, daß sie erst Frieden haben, wenn sie dich
finden«.(22) Es gibt also einen Weg, den der Mensch, wenn er will, gehen
kann; er beginnt mit der Fähigkeit der Vernunft, sich über das Zufällige zu
erheben, um auf das Unendliche zuzutreiben.
Der Mensch hat auf verschiedene Weise und zu
verschiedenen Zeiten bewiesen, daß er imstande ist, dieser seiner tiefsten
Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei,
Architektur und jedes andere Erzeugnis seines schöpferischen Verstandes sind
zu Kanälen geworden, durch die er sein sehnsüchtiges Suchen ausdrückt. In
besonderer Weise hat die Philosophie diesen Antrieb in sich aufgenommen und
mit ihren Mitteln sowie ihren wissenschaftlichen Möglichkeiten gemäß diesem
universalen Streben des Menschen Ausdruck verliehen.
25. »Alle Menschen streben nach Wissen«;(23) Gegenstand
dieses Strebens ist die Wahrheit. Selbst das Alltagsleben zeigt, wie sehr
ein jeder daran interessiert ist herauszufinden, wie über das bloß gehörte
Wort hinaus die Dinge in Wahrheit sind. Der Mensch ist das einzige Wesen in
der ganzen sichtbaren Schöpfung, das nicht nur zu wissen fähig ist, sondern
auch um dieses Wissen weiß; darum interessiert er sich für die tatsächliche
Wahrheit dessen, was für ihn sichtbar ist. Ehrlicherweise darf niemandem die
Wahrheit seines Wissens gleichgültig sein. Wenn er entdeckt, daß es falsch
ist, verwirft er es; wenn er es hingegen als wahr feststellen kann, ist er
zufrieden. Das ist die Lehre des hl. Augustinus, wenn er schreibt: »Ich habe
manchen gefunden, der andere täuschen wollte, aber keinen, der getäuscht
sein wollte«.(24) Mit Recht gilt ein Mensch dann als erwachsen, wenn er mit
eigenen Mitteln zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, indem er sich
über die objektive Wirklichkeit der Dinge sein Urteil bildet. Hier liegt der
Grund zu vielen Forschungen, besonders auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften, die in den letzten Jahrhunderten so bedeutsame
Ergebnisse erbracht und damit einen echten Fortschritt der gesamten
Menschheit gefördert haben.
Nicht weniger wichtig als die Forschung auf theoretischem
Gebiet ist jene im praktischen Bereich. Denn durch sein sittliches Handeln
schlägt die menschliche Person, wenn sie ihrem freien und rechten Willen
gemäß handelt, den Weg der Glückseligkeit ein und strebt nach
Vollkommenheit. Auch in diesem Fall geht es um die Wahrheit. Diese
Überzeugung habe ich in der Enzyklika Veritatis splendor
unterstrichen: »Moral ohne Freiheit gibt es nicht... Wenn für den Menschen
das Recht besteht, auf seinem Weg der Wahrheitssuche respektiert zu werden,
so besteht noch vorher die für jeden schwerwiegende moralische
Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen und an der anerkannten Wahrheit
festzuhalten«.(25)
Es ist also notwendig, daß die angenommenen und durch das
eigene Leben verfolgten Werte wahr sind, weil nur wahre Werte die
menschliche Person durch Verwirklichung ihrer Natur vollenden können. Diese
Wahrheit der Werte findet der Mensch nicht dadurch, daß er sich in sich
verschließt, sondern indem er sich öffnet, um sie auch in den über ihn
hinausgehenden Dimensionen anzunehmen. Das ist eine unerläßliche
Voraussetzung, damit ein jeder er selbst werden und als erwachsene, reife
Person wachsen kann.
26. Die Wahrheit stellt sich beim Menschen anfangs in
Frageform vor: Hat das Leben einen Sinn? Wohin führt es? Auf den
ersten Blick könnte das Dasein des Menschen als Person gänzlich sinnlos
erscheinen. Man braucht nicht Philosophen, die die Absurdität vertreten,
oder die provokatorischen Fragen im Buch Ijob heranzuziehen, um am Sinn des
Lebens zu zweifeln. Die tägliche Erfahrung von eigenem und fremdem Leid, der
Anblick so vieler Tatsachen, die im Lichte der Wahrheit unerklärlich
erscheinen, genügen, daß wir unausweichlich eine so dramatische Frage wie
jene nach dem Sinn stellen.(26) Hinzukommt, daß die erste absolut sichere
Wahrheit unserer Existenz außer der Tatsache, daß wir überhaupt da sind, die
Unvermeidbarkeit unseres Todes ist. Angesichts dieses bestürzenden Umstandes
stellt sich die Suche nach einer erschöpfenden Antwort. Jeder will — und
soll — die Wahrheit über sein Ende kennen. Er will wissen, ob der Tod das
endgültige Ende seines Daseins ist oder ob es noch etwas gibt, das über den
Tod hinausreicht; ob er auf ein Weiterleben hoffen darf oder nicht. Nicht
von ungefähr hat das philosophische Denken seine entscheidende Orientierung
vom Tod des Sokrates her erhalten und ist seit über zweitausend Jahren davon
geprägt geblieben. Es ist also durchaus kein Zufall, daß angesichts der
Tatsache des Todes die Philosophen sich dieses Problems, zusammen mit der
Frage nach dem Sinn des Lebens und der Unsterblichkeit, immer von neuem
angenommen haben.
27. Niemand, weder der Philosoph noch der gewöhnliche
Mensch, kann diesen Fragen aus dem Weg gehen. Von der Antwort darauf hängt
eine entscheidende Etappe der Suche ab: Ob es möglich ist, zu einer
universalen und absoluten Wahrheit zu gelangen oder nicht. An und für sich
erscheint jede Wahrheit, auch Teilwahrheit, wenn sie wirklich Wahrheit ist,
als universal. Was wahr ist, muß für alle und für immer wahr sein. Außer
dieser Universalität sucht der Mensch jedoch nach einem Absoluten, das in
der Lage sein soll, seinem ganzen Suchen und Forschen Antwort und Sinn zu
geben: etwas Letztes, das sich als Grund jeder Sache herausstellt. Mit
anderen Worten, er sucht nach einer endgültigen Erklärung, nach einem
höchsten Wert, über den hinaus es weitere Fragen oder Verweise weder gibt
noch geben kann. Hypothesen können den Menschen faszinieren, aber sie
befriedigen ihn nicht. Es kommt für alle der Zeitpunkt, wo sie, ob sie es
zugeben oder nicht, das Bedürfnis haben, ihre Existenz in einer als
endgültig anerkannten Wahrheit zu verankern, welche eine Gewißheit
vermittelt, die nicht mehr dem Zweifel unterworfen ist.
Die Philosophen haben im Laufe der Jahrhunderte versucht,
eine solche Wahrheit zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen, indem sie
Denksysteme und -schulen ins Leben riefen. Über die philosophischen Systeme
hinaus gibt es jedoch noch andere Ausdrucksformen, in denen der Mensch
seiner »Philosophie« Gestalt zu geben versucht: dabei handelt es sich um
persönliche Überzeugungen oder Erfahrungen, um familiäre oder kulturelle
Traditionen oder um Lebensprogramme, wo man sich der Autorität eines
Meisters anvertraut. Aus jeder dieser Erscheinungen spricht stets der
lebhafte Wunsch, zur Gewißheit der Wahrheit und ihres absoluten Wertes zu
gelangen.
Die verschiedenen Gesichter der Wahrheit des
Menschen [28-35]
28. Die Wahrheitssuche stellt sich zugegebenermaßen nicht
immer mit solcher Transparenz und Folgerichtigkeit dar. Die angeborene
Begrenztheit der Vernunft und die Unbeständigkeit des Herzens trüben oft die
persönliche Suche und lenken sie ab. Verschiedenartige andere Interessen
können die Wahrheit unterdrücken. Es kommt vor, daß der Mensch, kaum daß er
die Wahrheit flüchtig erblickt, geradewegs vor ihr flieht, weil er sich vor
ihren Ansprüchen fürchtet. Trotzdem beeinflußt die Wahrheit, auch wenn er
sie meidet, immer sein Dasein. Denn niemals könnte er sein Leben auf
Zweifel, Ungewißheit oder Lüge gründen; eine solche Existenz wäre ständig
von Angst und Furcht bedroht. Man kann also den Menschen als den definieren,
der nach der Wahrheit sucht.
29. Es ist undenkbar, daß eine so tief in der
menschlichen Natur verwurzelte Suche völlig nutzlos und vergeblich sein
könnte. Die Fähigkeit, nach der Wahrheit zu suchen und Fragen zu stellen,
schließt nämlich bereits eine erste Antwort ein. Der Mensch würde gar nicht
anfangen, etwas zu suchen, von dem er überhaupt nichts wüßte oder das er für
absolut unerreichbar hielte. Erst die Aussicht, zu einer Antwort gelangen zu
können, kann ihn veranlassen, den ersten Schritt zu tun. Tatsächlich
geschieht genau das normalerweise in der wissenschaftlichen Forschung. Wenn
ein Wissenschaftler, seiner Intuition folgend, sich der Suche nach der
logischen und nachweisbaren Erklärung eines bestimmten Phänomens widmet,
vertraut er von Anfang an darauf, eine Antwort zu finden, und kapituliert
nicht angesichts der Mißerfolge. Er hält seine ursprüngliche Eingebung nicht
für nutzlos, nur weil er das Ziel nicht erreicht hat; er wird vielmehr zu
Recht sagen, er habe noch nicht die adäquate Antwort gefunden.
Dasselbe muß auch für die Wahrheitssuche im Bereich der
letzten Fragen gelten. Die Sehnsucht nach der Wahrheit wurzelt so tief im
Herzen des Menschen, daß das Abstandnehmen davon die Existenz gefährden
würde. Es genügt schließlich die Beobachtung des Alltagslebens um
festzustellen, daß jeder von uns die quälende Last einiger wesentlicher
Fragen in sich trägt und zugleich in seinem Herzen zumindest den Entwurf der
dazugehörigen Antworten hütet. Es sind Antworten, von deren Wahrheit man
auch deshalb überzeugt ist, weil man die Erfahrung macht, daß sie sich im
wesentlichen nicht von den Antworten unterscheiden, zu denen viele andere
gelangt sind. Sicherlich besitzt nicht jede Wahrheit, die erworben wird,
denselben Wert. Von der Gesamtheit der erreichten Ergebnisse wird jedoch die
Fähigkeit des Menschen bestätigt, grundsätzlich zur Wahrheit zu gelangen.
30. Es mag nützlich sein, diese verschiedenen Formen der
Wahrheit im folgenden kurz zu erwähnen. Am zahlreichsten sind jene Formen,
die auf unmittelbarer Einsichtigkeit beruhen oder durch Erprobung
Bestätigung finden. Es handelt sich dabei um die Wahrheitsordnung des
Alltagslebens und der wissenschaftlichen Forschung. Auf einer anderen Ebene
sind die Wahrheiten philosophischen Charakters anzusiedeln, zu denen der
Mensch durch die spekulative Kraft seines Verstandes gelangt. Schließlich
gibt es die religiösen Wahrheiten, die in gewissem Maße auch in der
Philosophie verwurzelt sind. Enthalten sind sie in den Antworten, welche die
verschiedenen Religionen in ihren Traditionen auf die letzten Fragen
geben.(27)
Was die philosophischen Wahrheiten betrifft, gilt es
klarzustellen, daß sie sich nicht allein auf die mitunter kurzlebigen
Wahrheiten der Berufsphilosophen beschränken. Wie ich schon gesagt habe, ist
jeder Mensch auf eine gewisse Art ein Philosoph und besitzt seine
philosophischen Auffassungen, nach denen er sein Leben ausrichtet. Er bildet
sich auf die eine oder andere Weise eine Gesamtanschauung und eine Antwort
auf die Frage nach dem Sinn seines Daseins: in diesem Licht deutet er sein
persönliches Schicksal und regelt sein Verhalten. Hier müßte er sich die
Frage nach dem Verhältnis der philosophisch-religiösen Wahrheiten zu der in
Jesus Christus geoffenbarten Wahrheit stellen. Bevor wir diese Frage
beantworten, müssen wir noch eine weitere Gegebenheit der Philosophie
bedenken.
31. Der Mensch ist nicht geschaffen, um allein zu leben.
Er wird geboren und wächst in einer Familie auf, um sich später mit seiner
Arbeit in die Gesellschaft einzugliedern. Er findet sich also von Geburt an
in verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er nicht nur die Sprache
und die kulturelle Bildung, sondern auch vielfältige Wahrheiten empfängt,
denen er gleichsam instinktiv glaubt. Persönliches Wachstum und Reifung
bringen es jedoch mit sich, daß diese Wahrheiten durch den besonderen
Einsatz des kritischen Denkens in Zweifel gezogen und überprüft werden
können. Das hindert nicht, daß nach dieser Übergangsphase dieselben
Wahrheiten aufgrund der mit ihnen gemachten Erfahrung oder kraft
nachfolgender Überlegungen »wiedergewonnen« werden. Trotzdem sind im Leben
eines Menschen die einfachhin geglaubten Wahrheiten viel zahlreicher als
jene, die er durch persönliche Überprüfung erwirbt. Wer wäre denn imstande,
die unzähligen wissenschaftlichen Ergebnisse, auf die sich das moderne Leben
stützt, kritisch zu prüfen? Wer vermöchte für sich allein den Strom der
Informationen zu kontrollieren, die Tag für Tag aus allen Teilen der Welt
eintreffen und die immerhin als grundsätzlich wahr angenommen werden? Wer
könnte schließlich die Erfahrungs und Denkwege wiederholen, auf denen sich
die Schätze der Menschheit an Weisheit und Religiosität angesammelt haben?
Der Mensch, ein Wesen, das nach der Wahrheit sucht, ist also auch
derjenige, der vom Glauben lebt.
32. Im Glauben vertraut sich ein jeder den von anderen
Personen erworbenen Erkenntnissen an. Darin ist eine bedeutungsvolle
Spannung erkennbar: einerseits erscheint die Erkenntnis durch Glauben als
eine unvollkommene Erkenntnisform, die sich nach und nach durch die
persönlich gewonnene Einsicht vervollkommnen soll; andererseits erweist sich
der Glaube oft als menschlich reicher im Vergleich zur bloßen
Einsichtigkeit, weil er eine Beziehung zwischen Personen einschließt und
nicht nur die persönlichen Erkenntnisfähigkeiten, sondern auch die
tiefergehende Fähigkeit ins Spiel bringt, sich anderen Personen
anzuvertrauen, indem man eine festere und innige Verbindung mit ihnen
eingeht.
Es sei unterstrichen, daß die in dieser
zwischenmenschlichen Beziehung gesuchten Wahrheiten nicht in erster Linie in
die faktische oder in die philosophische Ordnung gehören. Gesucht wird
vielmehr nach der eigentlichen Wahrheit der Person: was sie ist und was sie
von ihrem Innersten sichtbar werden läßt. Die Vollkommenheit des Menschen
besteht nämlich nicht allein in der Aneignung der abstrakten Erkenntnis der
Wahrheit, sondern auch in einer lebendigen Beziehung der Hingabe und Treue
gegenüber dem anderen. In dieser Treue, die sich hinzugeben vermag, findet
der Mensch volle Gewißheit und Sicherheit. Gleichzeitig ist die Erkenntnis
durch Glauben, die sich auf das zwischenmenschliche Vertrauen stützt, jedoch
nicht ohne Bezug zur Wahrheit: der gläubige Mensch vertraut sich der
Wahrheit an, die der andere ihm kundtut.
Wie viele Beispiele ließen sich zur Erläuterung dieser
Tatsache anführen! Meine Gedanken wenden sich jedoch geradewegs dem Zeugnis
der Märtyrer zu. Der Märtyrer ist in der Tat der zuverlässigste Zeuge der
Wahrheit über das Dasein. Er weiß, daß er in der Begegnung mit Jesus
Christus die Wahrheit über sein Leben gefunden hat; nichts und niemand wird
ihm jemals diese Gewißheit zu entreißen vermögen. Weder das Leiden noch der
gewaltsame Tod werden ihn dazu bringen können, die Zustimmung zu der
Wahrheit zu widerrufen, die er in der Begegnung mit Christus entdeckt hat.
Deshalb fasziniert uns bis heute das Zeugnis der Märtyrer, es weckt
Zustimmung, stößt auf Gehör und findet Nachahmung. Das ist der Grund, warum
man auf ihr Wort vertraut: Man entdeckt in ihnen ganz offensichtlich eine
Liebe, die keiner langen Argumentationen bedarf, um zu überzeugen, da sie zu
jedem von dem spricht, was er im Innersten bereits als wahr vernimmt und
seit langem gesucht hat. Schließlich ruft der Märtyrer ein tiefes Vertrauen
in uns hervor, weil er sagt, was wir bereits empfinden, und offenkundig
macht, was auch wir, wenn wir denn die Kraft dazu fänden, gern ausdrücken
würden.
33. So kann man sehen, daß die Linien des Problems
fortschreitend ergänzt werden. Der Mensch sucht von Natur aus nach der
Wahrheit. Diese Suche ist nicht allein zur Aneignung von partiellen,
faktischen oder wissenschaftlichen Wahrheiten bestimmt; der Mensch sucht
nicht nur für jede seiner Entscheidungen das wahre Gute. Seine Suche strebt
nach einer jenseitigen Wahrheit, die in der Lage sein soll, den Sinn des
Lebens zu erklären; es handelt sich daher um eine Suche, die nur im
Absoluten Antwort finden kann.(28) Dank der dem Denken innewohnenden
Fähigkeiten ist der Mensch imstande, einer solchen Wahrheit zu begegnen und
sie zu erkennen. Diese lebenswichtige und für seine Existenz wesentliche
Wahrheit wird nicht nur auf rationalem Weg erreicht, sondern auch dadurch,
daß sich der Mensch vertrauensvoll auf andere Personen verläßt, welche die
Sicherheit und Authentizität der Wahrheit garantieren können. Die Fähigkeit
und Entscheidung, sich selbst und sein Leben einem anderen Menschen
anzuvertrauen, stellen gewiß einen der anthropologisch gewichtigsten und
ausdrucksstärksten Akte dar.
Man möge nicht vergessen, daß auch die Vernunft bei ihrer
Suche auf die Unterstützung durch vertrauensvollen Dialog und aufrichtige
Freundschaft angewiesen ist. Ein Klima aus Verdacht und Mißtrauen, wie es
die spekulative Forschung mitunter umgibt, vernachlässigt die Lehre der
antiken Philosophen, welche die Freundschaft als eine der für das richtige
Philosophieren geeignetsten Rahmenbedingungen herausstellten.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß sich der Mensch
auf einer nach menschlichem Ermessen endlosen Suche befindet: der Suche nach
Wahrheit und der Suche nach einer Person, der er sich anvertrauen kann. Der
christliche Glaube kommt ihm dadurch entgegen, daß er ihm die konkrete
Möglichkeit bietet, das Ziel dieser Suche verwirklicht zu sehen. Indem er
beim Menschen das Stadium des gewöhnlichen Glaubens überwindet, führt er ihn
in jene Gnadenordnung ein, die ihm die Teilhabe an dem Geheimnis Christi
erlaubt, in dem ihm die wahre und angemessene Erkenntnis des dreieinigen
Gottes geschenkt wird. In Jesus Christus, der die Wahrheit ist, anerkennt
somit der Glaube den letzten Aufruf, der an die Menschheit gerichtet wird,
damit sie das, was sie als Streben und Sehnsucht erfährt, zur Erfüllung
bringen kann.
34. Diese »Wahrheit«, die uns Gott in Jesus Christus
offenbart, steht nicht im Widerspruch zu den Wahrheiten, zu denen man durch
das Philosophieren gelangt. Die beiden Erkenntnisordnungen führen ja erst
zur Wahrheit in ihrer Fülle. Die Einheit der Wahrheit ist bereits ein
grundlegendes Postulat der menschlichen Vernunft, das im
Non-Kontradiktionsprinzip ausgedrückt ist. Die Offenbarung bietet die
Sicherheit für diese Einheit, indem sie zeigt, daß der Schöpfergott auch der
Gott der Heilsgeschichte ist. Ein und derselbe Gott, der die Verstehbarkeit
und Vernünftigkeit der natürlichen Ordnung der Dinge, auf die sich die
Wissenschaftler vertrauensvoll stützen,(29) begründet und gewährleistet, ist
identisch mit dem Gott, der sich als Vater unseres Herrn Jesus Christus
offenbart. Diese Einheit von natürlicher und geoffenbarter Wahrheit findet
ihre lebendige und personale Identifikation in Christus, worauf der Apostel
anspielt: »Die Wahrheit ist in Christus« (vgl. Eph 4, 21; Kol
1, 15-20). Er ist das ewige Wort, in dem alles erschaffen worden ist,
und zugleich ist er das fleischgewordene Wort, das in seiner ganzen
Person den Vater offenbart (vgl. Joh 1, 14.18).(30) Das, was die
menschliche Vernunft sucht, »ohne es zu kennen« (Apg 17, 23), kann
nur durch Christus gefunden werden: denn in ihm offenbart sich die »volle
Wahrheit« (vgl. Joh 1, 14-16) jedes Wesens, das in ihm und durch ihn
erschaffen worden ist und daher in ihm seine Vollendung findet (vgl. Kol
1, 17).
35. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Betrachtungen
gilt es nun, eine unmittelbarere Untersuchung des Verhältnisses zwischen
geoffenbarter Wahrheit und Philosophie vorzunehmen. Dieses Verhältnis nötigt
uns zu einer doppelten Überlegung, da die Wahrheit, die aus der Offenbarung
stammt, gleichzeitig eine Wahrheit ist, die im Lichte der Vernunft
verstanden werden muß. Erst in dieser zweifachen Bedeutung ist es nämlich
möglich, das richtige Verhältnis zum philosophischen Wissen genau zu
bestimmen. Wir betrachten deshalb zunächst die Beziehungen zwischen Glaube
und Philosophie im Laufe der Geschichte. Von daher werden sich einige
Grundsätze feststellen lassen, an die man sich als Bezugspunkte halten muß,
um das richtige Verhältnis zwischen den beiden Erkenntnisordnungen
festzulegen.
KAPITEL IV
DAS VERHÄLTNIS
VON GLAUBE UND VERNUNFT
Bedeutsame Schritte der Begegnung zwischen Glaube
und Vernunft [36-42]
36. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte sah sich die
christliche Verkündigung von Anfang an mit den zeitgenössischen
philosophischen Strömungen konfrontiert. So berichtet das Buch darüber, daß
der hl. Paulus in Athen mit »einigen epikureischen und stoischen
Philosophen« diskutierte (17, 18). Die exegetische Analyse jener Rede, die
der Apostel im Areopag gehalten hatte, hob die wiederholten Anspielungen auf
populäre Überzeugungen zumeist stoischer Herkunft hervor. Das war sicher
kein Zufall. Um von den Heiden verstanden zu werden, konnten es die ersten
Christen in ihren Reden nicht beim Hinweis »auf Mose und die Propheten«
bewenden lassen; sie mußten sich auch auf die natürliche Gotteserkenntnis
und auf die Stimme des moralischen Gewissens jedes Menschen stützen (vgl.
Röm 1, 19-21; 2, 14-15; Apg 14, 14-16). Da diese natürliche
Erkenntnis jedoch in der heidnischen Religion zum Götzendienst verkommen war
(vgl. Röm 1, 21-32), hielt es der Apostel für klüger, seine Rede mit
dem Denken der Philosophen zu verknüpfen, die von Anfang an den Mythen und
Mysterienkulten Gedanken entgegengesetzt hatten, die der göttlichen
Transzendenz größere Achtung entgegenbrachten.
Die Gottesvorstellung der Menschen von mythologischen
Formen zu reinigen, war in der Tat eine der größten Anstrengungen, die die
Philosophen des klassischen Denkens unternommen haben. Wie wir wissen, war
auch die griechische Religion, nicht anders als die meisten kosmischen
Religionen, polytheistisch. Dabei ging sie so weit, daß sie Dinge und
Naturphänomene vergöttlichte. Die Versuche des Menschen, den Ursprung der
Götter und in ihnen des Universums zu begreifen, fanden ihren ersten
Ausdruck in der Dichtkunst. Die Theogonien sind bis heute das erste Zeugnis
dieser Suche des Menschen. Aufgabe der Väter der Philosophie war es, den
Zusammenhang zwischen Vernunft und Religion sichtbar zu machen. Da sie den
Blick auf allgemeine Prinzipien hin ausweiteten, gaben sie sich nicht mehr
mit alten Mythen zufrieden, sondern wollten ihrem Glauben an die Gottheit
eine rationale Grundlage geben. So wurde ein Weg eingeschlagen, der,
ausgehend von den einzelnen alten Überlieferungen, in eine Entwicklung
einmündete, die den Anforderungen der allgemeinen Vernunft entsprach. Das
Ziel, das diese Entwicklung anstrebte, war das kritische Bewußtsein dessen,
woran man glaubte. Dieser Weg schlug sich positiv zunächst in der
Gottesvorstellung nieder. Formen von Aberglauben wurden als solche erkannt,
und die Religion wurde durch die Kraft der rationalen Analyse wenigstens zum
Teil geläutert. Auf dieser Grundlage begannen die Kirchenväter einen
fruchtbaren Dialog mit den antiken Philosophen und bahnten so der
Verkündigung und dem Verständnis des Gottes Jesu Christi den Weg.
37. Wenn man auf diese Annäherungsbewegung der Christen
an die Philosophie hinweist, muß man freilich auch die vorsichtige Haltung
erwähnen, die andere Elemente der heidnischen Kulturwelt, wie zum Beispiel
die Gnosis, bei ihnen hervorriefen. Als praktische Weisheit und Lebensschule
konnte die Philosophie leicht mit einer Erkenntnis höherer, esoterischer
Art, die nur wenigen Vollkommenen vorbehalten war, verwechselt werden.
Zweifellos denkt der hl. Paulus an diese Weise esoterischer Spekulationen,
wenn er die Kolosser warnt: »Gebt acht, daß euch niemand mit seiner
Philosophie und falschen Lehre verführt, die sich nur auf menschliche
Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt, nicht auf
Christus berufen« (2, 8). Die Worte des Apostels erscheinen äußerst aktuell,
wenn wir sie auf die verschiedenen Formen der Esoterik beziehen, die
heutzutage auch bei manchen Gläubigen, denen es am erforderlichen kritischen
Sinn mangelt, um sich greifen. Dem Beispiel des hl. Paulus folgend erhoben
andere Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, im besonderen der hl. Irenäus
und Tertullian, ihrerseits Vorbehalte gegen eine kulturelle Konzeption, die
forderte, die Wahrheit der Offenbarung der Interpretation der Philosophen
unterzuordnen.
38. Die Begegnung des Christentums mit der Philosophie
erfolgte also weder spontan noch war sie einfach. Die Tätigkeit der
Philosophen und der Besuch ihrer Schulen erschien den ersten Christen eher
als Störung denn als Chance. Für sie war die erste, dringende Aufgabe die
Verkündigung des auferstandenen Christus in einer persönlichen Begegnung,
die den Gesprächspartner zur inneren Umkehr und zur Bitte um die Taufe
führen sollte. Das heißt freilich nicht, daß sie die Aufgabe, das
Verständnis des Glaubens und seiner Begründungen zu vertiefen, unbeachtet
gelassen hätten. Im Gegenteil: Die Kritik des Kelsos, der die Christen
bezichtigt, »ungebildete und grobschlächtige« Leute(31) zu sein, stellt sich
daher als ungerecht und als Vorwand heraus. Die Erklärung für ihre
anfängliche Gleichgültigkeit muß anderswo gesucht werden. In Wirklichkeit
bot die Begegnung mit dem Evangelium eine derart befriedigende Antwort auf
die bis dahin ungelöste Frage nach dem Sinn des Lebens, daß ihnen der Umgang
mit den Philosophen wie eine ferne und in gewisser Hinsicht überholte
Angelegenheit vorkam.
Das erscheint heute noch klarer, wenn man an jenen
Beitrag des Christentums denkt, der in der Bestätigung des Rechtes aller auf
Zugang zur Wahrheit besteht. Das Christentum hatte nach dem Niederreißen der
durch Rasse, sozialen Stand und Geschlecht bedingten Schranken von Anfang an
die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkündet. Die erste Konsequenz
dieser Auffassung wandte man auf das Thema Wahrheit an. Der elitäre
Charakter, den die Wahrheitssuche bei den Alten hatte, wurde mit
Entschlossenheit überwunden: Da der Zugang zur Wahrheit ein Gut ist, das es
ermöglicht, zu Gott zu gelangen, müssen alle in der Lage sein, diesen Weg
gehen zu können. Die Wege, um die Wahrheit zu erreichen, sind vielfältig;
dennoch kann, da die christliche Wahrheit Heilswert besitzt, jeder dieser
Wege nur dann eingeschlagen werden, wenn er zum letzten Ziel, das heißt zur
Offenbarung Jesu Christi, führt.
Als Pionier einer positiven Begegnung mit dem
philosophischen Denken, wenn auch unter dem Vorzeichen vorsichtiger
Unterscheidung, muß der hl. Justin genannt werden: Obwohl er sich seine
große Wertschätzung für die griechische Philosophie auch nach seiner
Bekehrung bewahrt hatte, beteuerte er klar und entschieden, im Christentum
»die einzige sichere und nutzbringende Philosophie« gefunden zu haben.(32)
Ähnlich nannte Clemens Alexandrinus das Evangelium »die wahre
Philosophie«(33) und interpretierte die Philosophie in Analogie zum
mosaischen Gesetz als eine Vorunterweisung für den christlichen Glauben(34)
und eine Vorbereitung auf das Evangelium.(35) Denn »nach dieser Weisheit
trägt die Philosophie Verlangen; diese ist ein Streben der Seele sowohl nach
der Fähigkeit richtigen Denkens als auch nach der Reinheit des Lebens; sie
ist gegen die Weisheit freundschaftlich und liebevoll gesinnt und tut alles,
um ihrer teilhaftig zu werden. Philosophen aber heißen bei uns diejenigen,
die nach der Weisheit, die alle Dinge geschaffen hat und alles lehrt,
Verlangen tragen, das heißt nach der Erkenntnis des Sohnes Gottes«.(36)
Hauptzweck der griechischen Philosophie ist für den Alexandriner nicht die
Ergänzung oder Stärkung der christlichen Wahrheit; ihre Aufgabe ist vielmehr
die Verteidigung des Glaubens: »In sich vollendet und keiner Ergänzung
bedürftig ist die Lehre im Sinne des Erlösers, da sie göttliche Kraft und
Weisheit ist. Wenn aber die griechische Weisheit hinzukommt, so macht sie
die Wahrheit zwar nicht wirksamer, aber weil sie die sophistischen Angriffe
entkräftet und die listigen Angriffe gegen die Wahrheit abwehrt, ist sie mit
Recht Zaun und Mauer des Weinbergs genannt worden«.(37)
39. In der Geschichte dieser Entwicklung läßt sich
jedenfalls die kritische Übernahme des philosophischen Denkens seitens der
christlichen Denker feststellen. Unter den ersten Beispielen, denen man
begegnen kann, ist Origenes sicher von maßgebender Bedeutung. Um auf die vom
Philosophen Kelsos erhobenen Angriffe zu antworten und ihnen zu entgegnen,
übernimmt Origenes die platonische Philosophie. Unter Einbeziehung
zahlreicher Elemente des platonischen Denkens geht er daran, zum ersten Mal
so etwas wie eine christliche Theologie zu erarbeiten. Der Name Theologie
ebenso wie die Vorstellung von ihr als vernünftiges Reden über Gott war
nämlich bis dahin noch an ihren griechischen Ursprung gebunden. In der
aristotelischen Philosophie zum Beispiel bezeichnete der Ausdruck den
vornehmsten Teil und eigentlichen Höhepunkt der philosophischen Erörterung.
Was vorher auf eine allgemeine Lehre über die Götter hindeutete, bekam
hingegen im Lichte der christlichen Offenbarung eine ganz neue Bedeutung,
weil Theologie nunmehr das Nachdenken bezeichnete, das der Glaubende
vollzog, um die wahre Lehre über Gott zu formulieren. Dieses in
ständiger Weiterentwicklung begriffene neue christliche Denken bediente sich
der Philosophie, war aber gleichzeitig auf klare Unterscheidung von ihr
bedacht. Die Geschichte zeigt, daß das in die Theologie übernommene
platonische Denken selbst tiefgreifende Veränderungen erfahren hat,
besonders was Begriffe wie Unsterblichkeit der Seele, Vergöttlichung des
Menschen und Ursprung des Bösen betrifft.
40. Besondere Erwähnung verdienen in diesem
Christianisierungswerk des platonischen und neuplatonischen Denkens die
Kappadokier, Dionysios Areopagita und vor allem der hl. Augustinus. Der
große abendländische Gelehrte war mit verschiedenen philosophischen Schulen
in Kontakt gekommen, doch hatten ihn alle enttäuscht. Als dann die Wahrheit
des christlichen Glaubens in sein Blickfeld trat, besaß er die Kraft, jene
radikale Bekehrung zu vollziehen, zu welcher ihn die von ihm vorher
wiederholt aufgesuchten Philosophen nicht bringen konnten. Den Grund dafür
erzählt er selbst: »Von jetzt an aber gab ich immerhin der katholischen
Lehre den Vorzug; empfand ich doch, um wieviel bescheidener und ohne die
geringste betrügerische Absicht hier befohlen wird zu glauben, was nicht
bewiesen wird, gleichviel ob es zu beweisen wäre, aber nicht für jeden, oder
überhaupt nicht bewiesen werden kann; während bei den anderen das Wissen in
vermessener Weise versprochen und über die Glaubwilligkeit gelacht wird und
nachher befohlen wird, daß man nur Erdichtetes, ja Abwegigstes glauben soll,
das nie bewiesen werden kann«.(38) Denselben Platonikern, auf die man sich
vorwiegend bezog, warf Augustinus vor, daß sie zwar das anzustrebende Ziel
kannten, jedoch nichts von dem Weg wissen wollten, der dorthin führt: dem
fleischgewordenen Wort.(39) Dem Bischof von Hippo gelang es, die erste große
Synthese des philosophischen und theologischen Denkens zu erstellen, in die
Strömungen des griechischen und lateinischen Denkens einflossen. Auch bei
ihm wurde die große Einheit des Wissens, deren Ausgangspunkt und Grundlage
das biblische Denken war, von der Gründlichkeit des spekulativen Denkens
bestätigt und getragen. Die vom hl. Augustinus vollzogene Synthese sollte
Jahrhunderte lang die höchste Form philosophischen und theologischen Denkens
bleiben, die das Abendland gekannt hat. Gefestigt durch seine persönliche
Lebensgeschichte und gestützt auf ein wunderbar heiligmäßiges Leben, war er
auch in der Lage, in seine Werke vielfältige Gegebenheiten einzubringen, die
durch den Rückgriff auf die Erfahrung künftige Entwicklungen mancher
philosophischer Denkrichtungen anzeigten.
41. Die Kirchenväter des Ostens und des Abendlandes haben
also in verschiedenen Formen Verbindung mit den philosophischen Schulen
aufgenommen. Das heißt nicht, daß sie den Inhalt ihrer Botschaft mit den
Systemen, auf die sie Bezug nahmen, identifiziert hätten. Die Frage
Tertullians: »Was haben Athen und Jerusalem gemein? Was die Akademie und die
Kirche?«(40) ist ein klares Anzeichen für das kritische Bewußtsein, mit dem
sich die christlichen Denker von Anfang an mit dem Problem des Verhältnisses
von Glaube und Philosophie auseinandersetzten; sie sahen es umfassend, in
seinen positiven Aspekten ebenso wie in seinen Grenzen. Sie waren keine
naiven Denker. Gerade weil sie den Inhalt des Glaubens intensiv lebten,
vermochten sie zu den tiefgründigsten Formen spekulativen Denkens zu
gelangen. Es ist daher ungerecht und oberflächlich, ihr Werk auf die bloße
Umsetzung der Glaubensinhalte in philosophische Kategorien einzuengen. Sie
haben weit mehr geleistet. Es gelang ihnen nämlich, das voll sichtbar werden
zu lassen, was sich noch unausgesprochen und propädeutisch im Denken der
großen antiken Philosophen andeutete.(41) Sie hatten, wie gesagt, die
Aufgabe zu zeigen, wie die von den äußeren Fesseln befreite Vernunft aus der
Sackgasse der Mythen herausfinden könnte, um sich der Transzendenz auf
angemessenere Weise zu öffnen. Eine geläuterte und aufrichtige Vernunft war
also imstande, sich auf die höchsten Ebenen der Reflexion zu erheben, und
schuf damit eine solide Grundlage für die Wahrnehmung des Seins, der
Transzendenz und des Absoluten.
Genau hierin liegt das von den Kirchenvätern vollbrachte
Neue. Sie anerkannten voll die für das Absolute offene Vernunft und
pflanzten ihr den aus der Offenbarung stammenden Reichtum ein. Zur Begegnung
kam es nicht nur auf der Ebene von Kulturen, von denen die eine vielleicht
dem Zauber der anderen verfallen war; sie geschah in den Herzen und war
Begegnung zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer. Die Vernunft konnte
dadurch, daß sie über das Ziel, dem sie kraft ihrer Natur unbewußt
zustrebte, hinausging, in der Person des fleischgewordenen Wortes zum
höchsten Gut und zur höchsten Wahrheit gelangen. Die Kirchenväter scheuten
sich jedoch nicht, gegenüber den Philosophien sowohl die gemeinsamen
Elemente als auch die Verschiedenheiten anzuerkennen, die diese bezüglich
der Offenbarung aufwiesen. Das Bewußtsein von den Übereinstimmungen trübte
in ihnen nicht das Erkennen der Unterschiede.
42. In der scholastischen Theologie wird unter dem Anstoß
der Interpretation des intellectus fidei durch Anselm von Canterbury
die Rolle der philosophisch geschulten Vernunft noch gewichtiger. Für den
heiligen Erzbischof von Canterbury steht der Vorrang des Glaubens nicht im
Wettbewerb mit der Suche, wie sie der Vernunft eigen ist. Diese ist nämlich
nicht dazu berufen, ein Urteil über die Glaubensinhalte zu formulieren; sie
wäre, weil dafür ungeeignet, dazu auch gar nicht fähig. Ihre Aufgabe besteht
vielmehr darin, einen Sinn zu finden, Gründe zu entdecken, die es allen
erlauben, zu einem gewissen Verständnis der Glaubensinhalte zu gelangen. Der
hl. Anselm unterstreicht die Tatsache, daß sich der Verstand auf die Suche
nach dem begeben muß, was er liebt: je mehr er liebt, um so mehr sehnt er
sich nach Erkenntnis. Wer für die Wahrheit lebt, strebt nach einer
Erkenntnisform, die immer mehr von Liebe zu dem entbrennt, was er erkennt,
auch wenn er einräumen muß, noch nicht alles getan zu haben, was in seinem
Verlangen gelegen wäre: »Ad te videndum factus sum; et nondum feci
propter quod factus sum«.(42) Das Streben nach Wahrheit drängt also die
Vernunft, immer weiterzugehen; ja, sie wird gleichsam überwältigt von der
Feststellung, daß ihre Fähigkeit immer größer ist als das, was sie
tatsächlich erreicht. An diesem Punkt jedoch vermag die Vernunft zu
entdecken, wo die Vollendung ihres Weges liegt: »Denn ich meine, daß einer,
der etwas Unbegreifliches erforscht, sich zufriedengeben sollte, mit Hilfe
der vernünftigen Auseinandersetzung mit sehr hoher Gewißheit die
Wirklichkeit zu erkennen, auch wenn er nicht imstande ist, mit dem Verstand
bis zu ihrer Seinsweise durchzudringen [...]. Denn gibt es etwas so
Unbegreifliches und Unaussprechbares wie das, was oberhalb von allem ist?
Wenn also das, was man bislang über das höchste Wesen diskutiert hat, auf
Grund notwendiger Argumente festgelegt worden ist, obwohl man mit dem
Verstand nicht derart bis zu ihm durchzudringen vermag, daß man es auch mit
Worten erklären könnte, gerät deshalb das Fundament seiner Gewißheit nicht
im geringsten ins Wanken. Denn wenn eine vorgängige Überlegung vernunftgemäß
begriffen hat, daß die Art, wie die oberste Weisheit weiß, was sie
geschaffen hat [...] unbegreiflich ist (rationabiliter comprehendit
incomprensibile esse), wer wird dann erklären können, wie sie selbst
sich erkennt und sich nennt — sie, über die der Mensch nichts oder fast
nichts wissen kann?«.(43)
Der grundlegende Einklang von philosophischer Erkenntnis
und Erkenntnis des Glaubens wird noch einmal bekräftigt: der Glaube
verlangt, daß sein Gegenstand mit Hilfe der Vernunft verstanden wird; die
Vernunft gibt auf dem Höhepunkt ihrer Suche das, was der Glaube vorlegt, als
notwendig zu.
Die bleibende Neuheit des Denkens des hl. Thomas
von Aquin [43-44]
43. Ein ganz besonderer Platz auf diesem langen Weg
gebührt dem hl. Thomas nicht nur wegen des Inhalts seiner Lehre, sondern
auch wegen der Beziehung, die er im Dialog mit dem arabischen und jüdischen
Denken seiner Zeit herstellen konnte. In einer Epoche, in der die
christlichen Denker die Schätze der antiken, genauer der aristotelischen
Philosophie wiederentdeckten, kam ihm das große Verdienst zu, daß er die
Harmonie, die zwischen Vernunft und Glaube besteht, in den Vordergrund
gerückt hat. Das Licht der Vernunft und das Licht des Glaubens kommen beide
von Gott, lautete sein Argument; sie können daher einander nicht
widersprechen.(44)
Noch grundlegender anerkennt Thomas, daß die Natur, die
Gegenstand der Philosophie ist, zum Verstehen der göttlichen Offenbarung
beitragen kann. Der Glaube fürchtet demnach die Vernunft nicht, sondern
sucht sie und vertraut auf sie. Wie die Gnade die Natur voraussetzt und
vollendet,(45) so setzt der Glaube die Vernunft voraus und vollendet sie.
Vom Glauben erleuchtet, wird diese von der Gebrechlichkeit und den aus dem
Ungehorsam der Sünde herrührenden Grenzen befreit und findet die nötige
Kraft, um sich zur Erkenntnis des Geheimnisses vom dreieinigen Gott zu
erheben. Der Doctor Angelicus hat, so nachdrücklich er auch den
übernatürlichen Charakter des Glaubens unterstrich, den Wert seiner
Vernunftgemäßheit nicht vergessen; ja, er vermochte in die Tiefe zu gehen
und den Sinn dieser Vernunftgemäßheit näher zu erklären. Denn der Glaube ist
eine Art »Denkübung«; die Vernunft nimmt sich durch ihre Zustimmung zu den
Glaubensinhalten weder zurück noch erniedrigt sie sich; zu den
Glaubensinhalten gelangt man in jedem Fall durch freie Entscheidung und das
eigene Gewissen.(46)
Aus diesem Grund ist der hl. Thomas zu Recht von der
Kirche immer als Lehrmeister des Denkens und Vorbild dafür hingestellt
worden, wie Theologie richtig betrieben werden soll. Ich möchte in diesem
Zusammenhang anführen, was mein Vorgänger, der Diener Gottes Papst Paul VI.,
anläßlich des siebenhundertsten Todestages des hl. Thomas geschrieben hat:
»Thomas besaß zweifellos in höchstem Maße den Mut zur Wahrheit, die Freiheit
des Geistes, wenn er an die neuen Probleme heranging, die intellektuelle
Redlichkeit dessen, der die Verschmelzung des Christentums mit der
weltlichen Philosophie ebenso wenig gelten läßt wie deren apriorische
Ablehnung. Er ging deshalb in die Geschichte des christlichen Denkens als
ein Pionier auf dem neuen Weg der Philosophie und der universalen Kultur
ein. Der zentrale, ja gleichsam Kernpunkt der Lösung, die er mit seinem
genialen prophetischen Scharfsinn für das Problem der neuen
Gegenüberstellung von Vernunft und Glaube fand, war die Versöhnung zwischen
der säkularen Diesseitigkeit der Welt und der Radikalität des Evangeliums;
damit entzog er sich der widernatürlichen Tendenz zur Leugnung der Welt und
ihrer Werte, ohne allerdings die höchsten und unbeugsamen Ansprüche der
übernatürlichen Ordnung zu vernachlässigen«.(47)
44. Zu den großen Einsichten des hl. Thomas gehört auch
jene bezüglich der Rolle, die der Heilige Geist dabei spielt, menschliches
Wissen zu Weisheit reifen zu lassen. Bereits auf den ersten Seiten seiner
Summa Theologiae(48) zeigte der Aquinat den Vorrang jener Weisheit auf,
die Gabe des Heiligen Geistes ist und in die Erkenntnis der göttlichen
Wirklichkeiten einführt. Seine Theologie ermöglicht es, die Eigenart der
Weisheit in ihrer engen Beziehung zum Glauben und zur Gotteserkenntnis zu
begreifen. Die Weisheit erkennt auf Grund ihrer natürlichen Verwandtschaft
(Konnaturalität), sie setzt den Glauben voraus und formuliert schließlich
ihr richtiges Urteil von der Wahrheit des Glaubens her: »Die Weisheit, die
zu den Gaben des Heiligen Geistes zählt, unterscheidet sich von jener
(Klugheit), die zu den Tugenden des Verstandes gehört. Diese letztere
nämlich erwirbt man sich durch das Studium: jene hingegen “kommt von oben”,
wie es der hl. Jakobus ausdrückt. So ist sie auch verschieden vom Glauben.
Denn der Glaube nimmt die göttliche Wahrheit so an, wie sie ist: Eigenart
der Gabe der Weisheit ist es hingegen, gemäß der göttlichen Wahrheit zu
urteilen«.(49)
Der Vorrang, den er dieser Weisheit zuerkennt, läßt den
Doctor Angelicus freilich nicht das Vorhandensein zweier anderer ergänzender
Weisheitsformen vergessen: die philosophische, die sich auf das
Vermögen des Verstandes stützt, innerhalb der ihm angeborenen Grenzen die
Wirklichkeit zu erforschen; und die theologische, die auf der
Offenbarung beruht und die Glaubensinhalte prüft, wodurch sie zum Geheimnis
Gottes selbst vorstößt.
Zutiefst davon überzeugt, daß »omne verum a quocumque
dicatur a Spiritu Sancto est«,(50) liebte der hl. Thomas in
uneigennütziger Weise die Wahrheit. Er suchte sie überall, wo sie sich
zeigen könnte, und machte ihre Universalität höchst einsichtig. Das Lehramt
der Kirche hat in ihm die Leidenschaft für die Wahrheit erkannt und
gewürdigt; sein Denken erreichte, eben weil es immer im Horizont der
universalen, objektiven und transzendenten Wahrheit blieb, »Gipfel, wie sie
die menschliche Intelligenz niemals zu denken vermocht hätte«.(51) Er darf
also mit Recht »Apostel der Wahrheit«(52) genannt werden. Weil er die
Wahrheit vorbehaltlos anstrebte, konnte er in seinem Realismus deren
Objektivität anerkennen. Seine Philosophie ist wahrhaftig die Philosophie
des Seins und nicht des bloßen Scheins.
Das Drama der Trennung zwischen Glaube und Vernunft
[45-48]
45. Mit der Errichtung der ersten Universitäten sah sich
die Theologie mit anderen Formen des Forschens und des wissenschaftlichen
Wissens unmittelbarer konfrontiert. Der hl. Albertus Magnus und der hl.
Thomas waren die ersten, die, obwohl sie an einer organischen Verbindung
zwischen Theologie und Philosophie festhielten, der Philosophie und den
Wissenschaften die nötige Autonomie zuerkannten, die diese brauchen, um sich
den jeweiligen Forschungsgebieten erfolgreich widmen zu können. Vom späten
Mittelalter an verwandelte sich jedoch die legitime Unterscheidung zwischen
den beiden Wissensformen nach und nach in eine unselige Trennung. Infolge
des Vorherrschens eines übertriebenen rationalistischen Geistes bei einigen
Denkern wurden die Denkpositionen radikaler, bis man tatsächlich bei einer
getrennten und gegenüber den Glaubensinhalten absolut autonomen Philosophie
anlangte. Zu den Folgen dieser Trennung gehörte unter anderen auch ein
wachsender Argwohn gegenüber der Vernunft. Einige begannen, sich zu einem
allgemeinen, skeptischen und agnostischen Mißtrauen zu bekennen, entweder um
dem Glauben mehr Raum vorzubehalten oder aber um jede nur mögliche seiner
Beziehungen zur Vernunft in Mißkredit zu bringen.
Was das patristische und mittelalterliche Denken als
tiefe Einheit, die eine zu den höchsten Formen spekulativen Denkens
befähigende Erkenntnis hervorbrachte, ersonnen und verwirklicht hatte, wurde
letztendlich von jenen Systemen zerstört, die für eine vom Glauben getrennte
und zu ihm alternative Vernunfterkenntnis eintraten.
46. Die auffälligsten Radikalisierungen sind bekannt und
vor allem in der Geschichte des Abendlandes deutlich sichtbar. Das moderne
philosophische Denken hat sich, so kann man ohne Übertreibung sagen, zu
einem gehörigen Teil in seiner allmählichen Abwendung von der christlichen
Offenbarung entwickelt, bis es schließlich zu klaren Gegenpositionen
gelangte. Im vorigen Jahrhundert hat diese Bewegung ihren Höhepunkt
erreicht. Einige Vertreter des Idealismus haben auf verschiedenste Weise
versucht, den Glauben und seine Inhalte, ja sogar das Geheimnis vom Tod und
Auferstehung Jesu Christi, in rational faßbare dialektische Strukturen
umzuwandeln. Diesem Denken stellten sich verschiedene, philosophisch
aufbereitete Formen eines atheistischen Humanismus entgegen, die den Glauben
als für die Entwicklung der vollen Vernünftigkeit schädlich und entfremdend
darstellten. Sie scheuten sich nicht, sich als neue Religionen zu
präsentieren; damit war die Ausgangsbasis für Zielsetzungen geschaffen, die
sich auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu totalitären Systemen und
damit zu einem Trauma für die Menschheit auswuchsen.
Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung setzte sich
eine positivistische Denkweise durch, die sich nicht nur von jedem Bezug zur
christlichen Weltanschauung entfernt, sondern auch und vor allem jeden
Hinweis auf die metaphysische und moralische Sicht fallen gelassen hatte.
Die Folge davon ist, daß bestimmte Wissenschaftler, die keinen sittlichen
Anhaltspunkt haben, Gefahr laufen, daß nicht mehr der Mensch und die
Ganzheit seines Lebens im Mittelpunkt ihres Interesses steht. Mehr noch:
einige von ihnen scheinen in Kenntnis der dem technologischen Fortschritt
innewohnenden Möglichkeiten außer der Logik des Marktes der Versuchung zu
einer demiurgischen Macht über die Natur und über den Menschen selbst
nachzugeben.
Als Folge der Krise des Rationalismus hat sich
schließlich der Nihilismus herausgebildet. Er schafft es, als
Philosophie vom Nichts auf unsere Zeitgenossen seinen Zauber auszuüben.
Seine Anhänger stellen Theorien darüber auf, daß die Suche in sich selbst
ihr Ende hat, ohne irgendeine Hoffnung oder Möglichkeit, das Ziel der
Wahrheit je zu erreichen. Nach nihilistischer Auslegung ist das Dasein nur
eine Gelegenheit für Eindrücke und Erfahrungen, in denen das Flüchtige den
Vorrang hat. Der Nihilismus steht am Anfang jener verbreiteten
Geisteshaltung, wonach man keine endgültige Verpflichtung mehr übernehmen
muß, weil ohnehin alles vergänglich und vorläufig ist.
47. Andererseits darf man nicht vergessen, daß sich in
der modernen Kultur die Rolle der Philosophie selbst verändert hat. Von
Weisheit und universalem Wissen ist sie allmählich auf eines unter vielen
Gebieten menschlichen Wissens zusammengeschrumpft; sie ist sogar in gewisser
Hinsicht in eine völlige Nebenrolle abgedrängt worden. Inzwischen haben sich
andere Formen von Vernünftigkeit mit immer größerem Gewicht durchgesetzt und
dabei die Nebensächlichkeit des philosophischen Wissens hervorgehoben. Statt
auf die Anschauung der Wahrheit und die Suche nach dem letzten Ziel und dem
Sinn des Lebens sind diese Formen der Vernünftigkeit als »instrumentale
Vernunft« darauf ausgerichtet, utilitaristischen Zielen, dem Genuß oder der
Macht zu dienen. Zumindest können diese Formen darauf ausgerichtet werden.
Wie gefährlich es ist, diesen Weg zu verabsolutieren,
darauf habe ich bereits in meiner ersten Enzyklika hingewiesen, wo ich
schrieb: »Der Mensch von heute scheint immer wieder von dem bedroht zu sein,
was er selbst produziert, das heißt vom Ergebnis der Arbeit seines
Verstandes und seiner Willensentscheidung. Die Früchte dieser
vielgestaltigen Aktivität des Menschen sind nicht nur Gegenstand von
'Entfremdung', weil sie demjenigen, der sie hervorgebracht hat, einfachhin
genommen werden; allzu oft und nicht selten unvorhersehbar wenden sich diese
Früchte, wenigstens teilweise, in einer konsequenten Folge von Wirkungen
indirekt gegen den Menschen selbst. So sind sie tatsächlich gegen ihn
gerichtet oder können es jederzeit sein. Hieraus scheint das wichtigste
Kapitel des Dramas der heutigen menschlichen Existenz in seiner breitesten
und universellen Dimension zu bestehen. Der Mensch lebt darum immer mehr in
Angst. Er befürchtet, daß seine Produkte, natürlich nicht alle und auch
nicht die Mehrzahl, aber doch einige und gerade jene, die ein beträchtliches
Maß an Genialität und schöpferischer Kraft enthalten, sich in radikaler
Weise gegen ihn selbst kehren könnten«.(53)
Im Gefolge dieser kulturellen Veränderungen haben es
einige Philosophen aufgegeben, die Wahrheit um ihrer selbst willen zu
suchen, und als ihr einziges Ziel die Erreichung der subjektiven Gewißheit
oder der praktischen Nützlichkeit übernommen. Als Konsequenz davon kam es
zur Trübung der wahren Würde der Vernunft, der nicht mehr die Möglichkeit
gegeben wurde, das Wahre zu erkennen und nach dem Absoluten zu forschen.
48. Aus diesem letzten Abschnitt der
Philosophiegeschichte ergibt sich also die Feststellung einer
fortschreitenden Trennung zwischen Glaube und philosophischer Vernunft. Es
stimmt zwar, daß sich bei aufmerksamer Beobachtung auch in der
philosophischen Reflexion derer, die zur Vergrößerung des Abstandes zwischen
Glaube und Vernunft beigetragen haben, mitunter wertvolle Denkansätze
erkennen lassen, die, wenn sie mit redlichem Geist und Herzen vertieft und
entwickelt werden, helfen können, den Weg der Wahrheit zu entdecken. Zu
finden sind diese Denkansätze zum Beispiel in den gründlichen Analysen über
Wahrnehmung und Erfahrung, über die Imagination und das Unbewußte, über
Persönlichkeit und Intersubjektivität, über Freiheit und Werte, über Zeit
und Geschichte; auch das Thema Tod kann für jeden Denker eine ernste
Aufforderung sein, in sich den echten Sinn seines Daseins zu suchen. Das
hindert jedoch nicht, daß das derzeitige Verhältnis von Glaube und Vernunft
ein sorgfältiges Bemühen um Unterscheidung erfordert, weil sowohl die
Vernunft als auch der Glaube verarmt und beide gegenüber dem je anderen
schwach geworden sind. Nachdem die Vernunft ohne den Beitrag der Offenbarung
geblieben war, hat sie Seitenwege eingeschlagen, die die Gefahr mit sich
bringen, daß sie ihr letztes Ziel aus dem Blick verliert. Der Glaube, dem
die Vernunft fehlt, hat Empfindung und Erfahrung betont und steht damit in
Gefahr, kein universales Angebot mehr zu sein. Es ist illusorisch zu meinen,
angesichts einer schwachen Vernunft besitze der Glaube größere
Überzeugungskraft; im Gegenteil, er gerät in die ernsthafte Gefahr, auf
Mythos bzw. Aberglauben verkürzt zu werden. In demselben Maß wird sich eine
Vernunft, die keinen reifen Glauben vor sich hat, niemals veranlaßt sehen,
den Blick auf die Neuheit und Radikalität des Seins zu richten.
Nicht unangebracht mag deshalb mein entschlossener und
eindringlicher Aufruf erscheinen, daß Glaube und Philosophie die tiefe
Einheit wiedererlangen sollen, die sie dazu befähigt, unter gegenseitiger
Achtung der Autonomie des anderen ihrem eigenen Wesen treu zu sein. Der
parresia (Freimütigkeit) des Glaubens muß die Kühnheit der Vernunft
entsprechen.
KAPITEL V
DIE WORTMELDUNGEN DES LEHRAMTES
IM PHILOSOPHISCHEN BEREICH
Das Urteilsvermögen des Lehramtes als Dienst an der
Wahrheit [49-56]
49. Die Kirche legt weder eine eigene Philosophie vor
noch gibt sie irgendeiner besonderen Philosophie auf Kosten der anderen den
Vorzug.(54) Der tiefere Grund für diese Zurückhaltung liegt darin, daß die
Philosophie auch dann, wenn sie mit der Theologie in Beziehung tritt, nach
ihren eigenen Regeln und Methoden vorgehen muß; andernfalls gäbe es keine
Gewähr dafür, daß sie auf die Wahrheit ausgerichtet bleibt und mit einem von
der Vernunft her überprüfbaren Prozeß nach ihr strebt. Eine Philosophie, die
nicht im Lichte der Vernunft nach eigenen Prinzipien und den für sie
spezifischen Methoden vorginge, wäre wenig hilfreich. Im Grunde genommen ist
der Ursprung der Autonomie, deren sich die Philosophie erfreut, daran zu
erkennen, daß die Vernunft ihrem Wesen nach auf die Wahrheit hin orientiert
und zudem in sich selbst mit den für deren Erreichung notwendigen Mitteln
ausgestattet ist. Eine Philosophie, die sich dieser ihrer »Verfassung«
bewußt ist, muß auch die Forderungen und Einsichten der geoffenbarten
Wahrheit respektieren.
Die Geschichte hat jedoch gezeigt, auf welche Abwege und
in welche Verirrungen vor allem das moderne philosophische Denken nicht
selten geraten ist. Es ist weder Aufgabe noch Zuständigkeit des Lehramtes
einzugreifen, um die Lücke eines fehlenden philosophischen Diskurses
auszufüllen. Seine Pflicht ist es hingegen, klar und entschieden zu
reagieren, wenn fragwürdige philosophische Auffassungen das richtige
Verständnis des Geoffenbarten bedrohen und wenn falsche und parteiische
Theorien verbreitet werden, die dadurch, daß sie die Schlichtheit und
Reinheit des Glaubens des Gottesvolkes verwirren, schwerwiegende Irrtümer
hervorrufen.
50. Das kirchliche Lehramt kann und soll daher im Lichte
des Glaubens autoritativ seine kritische Unterscheidungskraft gegenüber den
Philosophien und Auffassungen ausüben, die nicht mit der christlichen Lehre
übereinstimmen.(55) Aufgabe des Lehramtes ist es vor allem anzugeben, welche
philosophischen Voraussetzungen und Schlußfolgerungen mit der geoffenbarten
Wahrheit unvereinbar wären, und zugleich die Forderungen zu formulieren, die
der Philosophie unter dem Gesichtspunkt des Glaubens auferlegt werden. Im
Laufe der Entwicklung des philosophischen Wissens sind zudem verschiedene
Denkschulen entstanden. Auch dieser Pluralismus stellt das Lehramt vor die
Verantwortung, sein Urteil über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit der
Grundgedanken, auf die sich diese Schulen stützen, mit den Ansprüchen des
Wortes Gottes und der theologischen Reflexion auszusprechen.
Die Kirche hat die Pflicht anzuzeigen, was sich in einem
philosophischen System als unvereinbar mit ihrem Glauben herausstellen kann.
Denn viele philosophische Inhalte, wie die Themen Gott, Mensch, seine
Freiheit und sein sittliches Handeln, rufen die Kirche unmittelbar auf den
Plan, weil sie an die von ihr gehütete geoffenbarte Wahrheit rühren. Wir
Bischöfe haben, wenn wir diese Unterscheidung anwenden, die Aufgabe, »Zeugen
der Wahrheit« zu sein bei der Ausübung eines demütigen, aber unermüdlichen
Dienstes, den jeder Philosoph anerkennen sollte, zum Vorteil der recta
ratio, das heißt der Vernunft, die über das Wahre in rechter Weise
nachdenkt.
51. Diese Unterscheidung darf allerdings nicht in erster
Linie negativ verstanden werden, so als läge es in der Absicht des
Lehramtes, jede mögliche Vermittlung auszuschließen oder einzuschränken. Im
Gegenteil, seine Interventionen wollen vor allem bezwecken, das
philosophische Denken anzuregen, zu fördern und ihm Mut zu machen. Die
Philosophen verstehen im übrigen als erste die Forderung nach Selbstkritik,
nach Korrektur eventueller Irrtümer und die Notwendigkeit, die allzu engen
Grenzen zu überschreiten, innerhalb der sich ihr Denken vollzieht. In
besonderer Weise gilt es zu beachten, daß die Wahrheit nur eine ist,
obwohl ihre Äußerungen den Stempel der Geschichte tragen und zudem das Werk
einer von der Sünde verletzten und geschwächten menschlichen Vernunft sind.
Daraus ergibt sich, daß keine historische Form der Philosophie legitim
beanspruchen kann, die Gesamtwahrheit zu umfassen; dies gilt auch für die
vollständige Erklärung des Menschen, der Welt und der Beziehung des Menschen
zu Gott.
In der heutigen Zeit ist angesichts der Vermehrung der
oft äußerst detailliert konzipierten philosophischen Systeme, Methoden,
Begriffe und Argumente eine kritische Unterscheidung im Lichte des Glaubens
mit um so größerer Dringlichkeit angesagt: eine keineswegs einfache
Unterscheidung, denn wenn schon das Erkennen der angeborenen und
unveräußerlichen Fähigkeiten der Vernunft mit ihren konstitutiven,
historischen Grenzen mühsam ist, so kann es sich manchmal als noch
problematischer erweisen, in den einzelnen philosophischen Vorgaben das, was
sie vom Glaubensstandpunkt aus an Gültigem und Fruchtbarem bieten, von dem
zu unterscheiden, was sich bei ihnen als irrig oder gefährlich herausstellt.
Die Kirche weiß freilich, daß die »Schätze der Weisheit und Erkenntnis« in
Christus verborgen sind (vgl. Kol 2, 3); deshalb greift sie ein und
spornt die philosophische Reflexion an, sich nicht den Weg zu versperren,
der zum Erkennen des Geheimnisses führt.
52. Das Lehramt der Kirche hat nicht erst in jüngster
Zeit eingegriffen, um seine Ansicht gegenüber bestimmten philosophischen
Lehren zu bekunden. Als Beispiele im Laufe der Jahrhunderte seien hier
erwähnt: die Lehräußerungen gegen die Theorien, welche die Präexistenz der
Seelen vertraten,(56) sowie gegen verschiedene Formen von Götzendienst und
abergläubischer Esoterik, die in astrologischen Auffassungen enthalten
sind;(57) nicht zu vergessen die systematischeren Texte gegen einige, mit
dem christlichen Glauben unvereinbare Auffassungen des lateinischen
Averroismus.(58)
Wenn sich das Lehramt seit der Mitte des vergangenen
Jahrhunderts häufiger zu Wort gemeldet hat, so deshalb, weil in jener Zeit
nicht wenige Katholiken es als ihre Aufgabe ansahen, den verschiedenen
Strömungen des modernen Denkens ihre eigene Philosophie entgegenzusetzen.
Hier wurde es für das Lehramt der Kirche zur Verpflichtung, darüber zu
wachen, daß diese Philosophien nicht ihrerseits in irrige und negative
Formen abglitten. So ergingen gleichermaßen Zensuren: einerseits gegen den
Fideismus(59) und den radikalen Traditionalismus(60) wegen
ihres Mißtrauens gegenüber den natürlichen Fähigkeiten der Vernunft;
andererseits gegen den Rationalismus(61) und den Ontologismus,(62)
weil sie der natürlichen Vernunft etwas zuschrieben, was nur im Lichte des
Glaubens erkennbar ist. Die positiven Inhalte dieser Debatte wurden in der
dogmatischen Konstitution Dei Filius formalisiert, mit der zum ersten
Mal ein ökumenisches Konzil, nämlich das I. Vatikanum, zu den Beziehungen
zwischen Vernunft und Glaube in feierlicher Form eingriff. Die in jenem Text
enthaltene Lehre charakterisierte einprägsam und auf positive Art und Weise
die philosophische Forschung vieler Gläubiger und stellt noch heute einen
normativen Bezugspunkt für eine einwandfreie und konsequente christliche
Reflexion in diesem besonderen Bereich dar.
53. Mehr als mit einzelnen philosophischen Auffassungen
haben sich die Urteile des Lehramtes mit der Notwendigkeit der
Vernunfterkenntnis und daher letzten Endes der philosophischen Erkenntnis
für die Glaubenseinsicht befaßt. Das I. Vatikanische Konzil, das die Lehren,
die das ordentliche Lehramt ständig für die Gläubigen aufgestellt hatte, in
feierlicher Form zusammenfaßte und neu bestätigte, hob hervor, wie
untrennbar und zugleich voneinander unabhängig natürliche Gotteserkenntnis
und Offenbarung, Vernunft und Glaube seien. Das Konzil ging von der durch
die Offenbarung selbst vorausgesetzten Grundforderung nach der natürlichen
Erkennbarkeit der Existenz Gottes, dem Ursprung und Ziel aller Dinge,(63)
aus und schloß mit der bereits zitierten feierlichen Beteuerung: »Es gibt
zwei Erkenntnisordnungen, die nicht nur im Prinzip, sondern auch im
Gegenstand verschieden sind«.(64) Es mußte also gegenüber jeder Art von
Rationalismus der Unterschied der Glaubensgeheimnisse von den
philosophischen Entdeckungen und die Transzendenz und Priorität jener
gegenüber diesen bekräftigt werden; andererseits war es notwendig, den
fideistischen Versuchungen gegenüber die Einheit der Wahrheit und somit auch
den positiven Beitrag zu betonen, den die Vernunfterkenntnis für die
Glaubenserkenntnis leisten kann und soll: »Aber auch wenn der Glaube über
der Vernunft steht, so kann es dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit
zwischen Glaube und Vernunft geben: denn derselbe Gott, der die Geheimnisse
offenbart und den Glauben mitteilt, hat in den menschlichen Geist das Licht
der Vernunft gelegt; Gott aber kann sich nicht selbst verleugnen, noch
(kann) jemals Wahres Wahrem widersprechen«.(65)
54. Auch in unserem Jahrhundert ist das Lehramt
wiederholt auf das Thema zurückgekommen und hat vor der rationalistischen
Versuchung gewarnt. In dieses Szenarium sind die Interventionen Papst Pius'
X. einzuordnen, der feststellte, daß dem Modernismus philosophische
Anschauungen phänomenalistischer, agnostischer und immanentistischer Tendenz
zugrunde lagen.(66) Auch die Bedeutung, die der katholischen Ablehnung der
marxistischen Philosophie und des atheistischen Kommunismus zukam, darf
nicht vergessen werden.(67)
Sodann erhob Papst Pius XII. seine Stimme, als er in der
Enzyklika Humani generis vor irrigen Erklärungen im Zusammenhang mit
den Auffassungen von Evolutionismus, Existentialismus und Historizismus
warnte. Er stellte klar, daß diese Auffassungen nicht von Theologen
erarbeitet und vorgelegt worden sind, haben sie doch ihren Ursprung
»außerhalb des Schafstalls Christi«;(68) er fügte allerdings hinzu, daß
derartige Abirrungen nicht einfach verworfen, sondern kritisch untersucht
werden sollten: »Nun sollen aber die katholischen Theologen und Philosophen,
denen die schwere Aufgabe obliegt, die göttliche und menschliche Wahrheit zu
schützen und sie den Herzen der Menschen einzupflanzen, diese mehr oder
weniger vom rechten Weg abirrenden Auffassungen weder ignorieren noch
unbeachtet lassen. Ja, sie sollen diese Auffassungen sogar gründlich kennen,
sowohl weil Krankheiten nicht angemessen geheilt werden können, wenn sie
nicht vorher richtig erkannt wurden, als auch, weil manchmal selbst in
falschen Ansichten ein Körnchen Wahrheit verborgen liegt, als auch
schließlich, weil diese den Geist herausfordern, bestimmte Wahrheiten,
sowohl philosophische als auch theologische, genauer zu durchforschen und zu
untersuchen«.(69)
Schließlich mußte auch die Kongregation für die
Glaubenslehre in Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe im Dienst des
universalen Lehramtes des Papstes(70) eingreifen, um nachdrücklich auf die
Gefahr hinzuweisen, die eine unkritische Übernahme der aus dem Marxismus
stammenden Auffassungen und Methoden durch einige Befreiungstheologen mit
sich bringt.(71)
Das Lehramt hat also in der Vergangenheit wiederholt und
unter verschiedenen Bedingungen die kritische Unterscheidung in bezug auf
das Gebiet der Philosophie vorgenommen. Alles, was meine ehrwürdigen
Vorgänger dazu geleistet haben, stellt einen wertvollen Beitrag dar, der
nicht in Vergessenheit geraten darf.
55. Wenn wir uns die heutige Situation anschauen, sehen
wir, daß die Probleme von einst wiederkehren, wobei sie aber neue
Eigenheiten aufweisen. Es handelt sich nicht mehr nur um Fragen, die
einzelne Personen oder Gruppen betreffen, sondern um Überzeugungen, die in
der Gesellschaft so verbreitet sind, daß sie gewissermaßen zu einer
gemeinsamen Denkweise werden. Das gilt zum Beispiel für das radikale
Mißtrauen gegen die Vernunft, das die jüngsten Entwicklungen vieler
philosophischer Studien an den Tag legen. Von mehreren Seiten war
diesbezüglich vom »Ende der Metaphysik« zu hören: man will, daß sich die
Philosophie mit bescheideneren Aufgaben begnügt, sich also nur der Erklärung
des Tatsächlichen oder der Erforschung nur bestimmter Gebiete des
menschlichen Wissens oder seiner Strukturen widmet.
In der Theologie selbst tauchen wieder die Versuchungen
von einst auf. In einigen zeitgenössischen Theologien bahnt sich zum
Beispiel neuerdings ein gewisser Rationalismus seinen Weg, vor allem
wenn angeblich philosophisch begründete Aussagen als normativ für die
theologische Forschung übernommen werden. Das geschieht vor allem dann, wenn
sich der Theologe aus Mangel an philosophischer Fachkenntnis auf unkritische
Weise von Aussagen beeinflussen läßt, die zwar in die gängige Sprache und
Kultur Eingang gefunden haben, aber ohne ausreichende rationale Grundlage
sind.(72)
Es fehlt auch nicht an gefährlichen Rückfällen in den
Fideismus, der die Bedeutung der Vernunfterkenntnis und der
philosophischen Debatte für die Glaubenseinsicht, ja für die Möglichkeit,
überhaupt an Gott zu glauben, nicht anerkennt. Ein heutzutage verbreiteter
Ausdruck dieser fideistischen Tendenz ist der »Biblizismus«, dessen
Bestreben dahin geht, aus der Lesung der Heiligen Schrift bzw. ihrer
Auslegung den einzigen glaubhaften Bezugspunkt zu machen. So kommt es, daß
man das Wort Gottes einzig und allein mit der Heiligen Schrift identifiziert
und auf diese Weise die Lehre der Kirche untergräbt, die das II.
Vatikanische Konzil ausdrücklich bestätigt hat. Nachdem die Konstitution
Dei Verbum darauf hingewiesen hat, daß das Wort Gottes sowohl in den
heiligen Texten als auch in der Überlieferung gegenwärtig ist,(73) führt sie
mit Nachdruck aus: »Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden
den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes. Voller
Anhänglichkeit an ihn verharrt das ganze heilige Volk, mit seinen Hirten
vereint, ständig in der Lehre der Apostel«.(74) Die Heilige Schrift ist
daher nicht der einzige Anhaltspunkt für die Kirche. Denn die »höchste
Richtschnur ihres Glaubens«(75) kommt ihr aus der Einheit zwischen der
Heiligen Überlieferung, der Heiligen Schrift und dem Lehramt der Kirche zu,
die der Heilige Geist so geknüpft hat, daß keine der drei ohne die anderen
bestehen kann.(76)
Nicht unterschätzt werden darf zudem die Gefahr, die der
Absicht innewohnt, die Wahrheit der Heiligen Schrift von der Anwendung einer
einzigen Methode abzuleiten, und dabei die Notwendigkeit einer Exegese im
weiteren Sinn außer acht läßt, die es erlaubt, zusammen mit der ganzen
Kirche zum vollen Sinn der Texte zu gelangen. Alle, die sich dem Studium der
Heiligen Schriften widmen, müssen stets berücksichtigen, daß auch den
verschiedenen hermeneutischen Methoden eine philosophische Auffassung
zugrunde liegt: sie gilt es vor ihrer Anwendung auf die heiligen Texte
eingehend zu prüfen.
Weitere Formen eines latenten Fideismus sind an dem
geringen Ansehen, das der spekulativen Theologie entgegengebracht wird,
ebenso erkennbar wie auch an der Geringschätzung für die klassische
Philosophie, aus deren Begriffspotential sowohl das Glaubensverständnis als
auch die dogmatischen Formulierungen ihre Begriffe geschöpft haben. Papst
Pius XII. seligen Andenkens hat vor solcher Vernachlässigung der
philosophischen Tradition und vor dem Aufgeben der überlieferten
Terminologien gewarnt.(77)
56. Schließlich beobachtet man ein verbreitetes Mißtrauen
gegen die umfassenden und absoluten Aussagen, vor allem von seiten derer,
die meinen, die Wahrheit sei das Ergebnis des Konsenses und nicht der
Anpassung des Verstandes an die objektive Wirklichkeit. Es ist sicherlich
verständlich, daß es in einer in viele Fachbereiche unterteilten Welt
schwierig wird, jenen vollständigen und letzten Sinn des Lebens zu erkennen,
nach dem die Philosophie traditionell gesucht hat. Ich kann dennoch nicht
umhin, im Lichte des Glaubens, der in Jesus Christus diesen letzten Sinn
erkennt, die christlichen wie auch nichtchristlichen Philosophen zu
ermutigen, in die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft zu vertrauen und
sich bei ihrem Philosophieren nicht zu bescheidene Ziele zu setzen. Die
Lehre der Geschichte dieses nunmehr zu Ende gehenden Jahrtausends zeugt
davon, daß das der Weg ist, der eingeschlagen werden soll: Die Leidenschaft
für die letzte Wahrheit und der Wunsch, sie zu suchen, verbunden mit dem Mut
zur Entdeckung neuer Wege, dürfen nicht verloren gehen! Es ist der Glaube,
der die Vernunft dazu herausfordert, aus jedweder Isolation herauszutreten
und für alles, was schön, gut und wahr ist, etwas zu riskieren. So wird der
Glaube zum überzeugten und überzeugenden Anwalt der Vernunft.
Das Interesse der Kirche für die Philosophie
[57-63]
57. Das Lehramt hat sich freilich nicht darauf
beschränkt, nur die Irrtümer und Abweichungen der philosophischen Lehren
aufzudecken. Mit derselben Aufmerksamkeit hat es die Grundprinzipien für
eine echte Erneuerung des philosophischen Denkens unterstrichen und auch
konkret einzuschlagende Wege aufgezeigt. In diesem Sinn vollzog Papst Leo
XIII. mit seiner Enzyklika Æterni Patris einen Schritt von wahrhaft
historischer Tragweite für das Leben der Kirche. Jener Text war bis zum
heutigen Tag das einzige päpstliche Dokument auf solcher Ebene, das
ausschließlich der Philosophie gewidmet war. Der große Papst griff die Lehre
des I. Vatikanischen Konzils über das Verhältnis von Glaube und Vernunft auf
und entwickelte sie weiter, indem er zeigte, daß das philosophische Denken
ein grundlegender Beitrag zum Glauben und zur theologischen Wissenschaft
ist.(78) Nach über einem Jahrhundert haben viele in jenem Text enthaltene
Hinweise sowohl unter praktischem wie unter pädagogischem Gesichtspunkt
nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt; das gilt zuallererst für die Bedeutung
in bezug auf den unvergleichlichen Wert der Philosophie des hl. Thomas. Das
Denken des Doctor Angelicus neu vorzulegen, erschien Papst Leo XIII. als der
beste Weg, mit der Philosophie wieder so umzugehen, daß sie mit den
Ansprüchen des Glaubens übereinstimmt. Der Papst schrieb: »Im selben
Augenblick, in dem er (der hl. Thomas), wie es sich gehört, den Glauben
vollkommen von der Vernunft unterscheidet, vereint er die beiden durch Bande
wechselseitiger Freundschaft: er sichert jeder von ihnen ihre Rechte zu und
schützt ihre Würde«.(79)
58. Die glücklichen Folgen, die jene päpstliche
Aufforderung nach sich zog, sind bekannt. Die Forschungen über das Denken
des hl. Thomas und anderer scholastischer Autoren erfuhren einen neuen
Aufschwung. Starken Auftrieb erhielt die historische Forschung mit der
Wiederentdeckung der bis dahin weithin unbekannten Schätze des
mittelalterlichen Denkens zur Folge; außerdem entstanden neue thomistische
Schulen. Durch die Anwendung der historischen Methode machte die Kenntnis
des Werkes des hl. Thomas große Fortschritte; zahlreiche Gelehrte brachten
mutig die thomistische Überlieferung in die Diskussionen über die damaligen
philosophischen und theologischen Probleme ein. Die einflußreichsten
katholischen Theologen dieses Jahrhunderts, deren Denken und Forschen das
II. Vatikanische Konzil viel zu verdanken hat, sind Kinder dieser Erneuerung
der thomistischen Philosophie. So stand der Kirche im Laufe des 20.
Jahrhunderts eine starke Gruppe von Denkern zur Verfügung, die in der Schule
des Doctor Angelicus herangebildet worden waren.
59. Die thomistische und neothomistische Erneuerung war
allerdings nicht das einzige Zeichen einer Wiederaufnahme des
philosophischen Denkens in die christlich geprägte Kultur. Schon vor der
Aufforderung Papst Leos und parallel zu ihr waren zahlreiche katholische
Philosophen aufgetreten, die an jüngere Denkströmungen angeknüpft und dabei
nach ihrer eigenen Methode philosophische Werke von großem Einfluß und
bleibendem Wert hervorgebracht hatten. Darunter befanden sich einige, die
Synthesen von solchem Profil entwickelten, daß sie den großen Systemen des
Idealismus in nichts nachstanden; wieder andere legten die
erkenntnistheoretischen Grundlagen für eine neue Behandlung des Glaubens im
Lichte eines erneuerten Verständnisses des moralischen Gewissens; noch
andere schufen eine Philosophie, die, ausgehend von der Analyse des
Innerweltlichen, den Weg zum Transzendenten eröffnete; und schließlich gab
es auch jene, welche die Forderungen des Glaubens im Horizont der
phänomenologischen Methode anzuwenden versuchten. Von verschiedenen
Perspektiven her hat man also fortwährend Formen philosophischer Spekulation
hervorgebracht, die die großartige Tradition christlichen Denkens in der
Einheit von Glaube und Vernunft lebendig erhalten wollten.
60. Das II. Vatikanische Konzil legt seinerseits eine
sehr reiche und fruchtbare Lehre in bezug auf die Philosophie vor. Ich kann
besonders im Rahmen dieser Enzyklika nicht vergessen, daß ein ganzes Kapitel
der Konstitution Gaudium et spes gleichsam eine Zusammenfassung
biblischer Anthropologie und damit auch Inspirationsquelle für die
Philosophie darstellt. Auf jenen Seiten geht es um den Wert der nach dem
Bild Gottes geschaffenen menschlichen Person, es werden ihre Würde und
Überlegenheit über die übrige Schöpfung begründet und die transzendente
Fähigkeit ihrer Vernunft aufgezeigt.(80) Auch das Problem des Atheismus
kommt in Gaudium et spes in den Blick; dabei werden die Irrtümer
jener philosophischen Anschauung, vor allem gegenüber der unveräußerlichen
Würde der Person und ihrer Freiheit, genau begründet.(81) Tiefe
philosophische Bedeutung besitzt gewiß auch die Formulierung, die den
Höhepunkt jenes Abschnittes bildet. Ich habe sie in meiner Enzyklika
Redemptor hominis aufgegriffen; sie gehört zu den festen Bezugspunkten
meines Lehrens: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des
fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam,
der erste Mensch, war das Vorausbild des zukünftigen, nämlich Christi des
Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des
Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst
voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«.(82)
Das Konzil hat sich auch mit dem Studium der Philosophie
befaßt, dem sich die Priesteramtskandidaten widmen sollen; es handelt sich
um Empfehlungen, die sich allgemeiner auf das christliche Lehren in seiner
Gesamtheit ausdehnen lassen. Das Konzil lehrt: »Die philosophischen
Disziplinen sollen so dargeboten werden, daß die Alumnen vor allem zu einem
gründlichen und zusammenhängenden Wissen über Mensch, Welt und Gott
hingeführt werden. Sie sollen sich dabei auf das stets gültige
philosophische Erbe stützen. Es sollen aber auch die philosophischen
Forschungen der neueren Zeit berücksichtigt werden«.(83)
Diese Weisungen sind wiederholt in anderen lehramtlichen
Dokumenten bekräftigt und genauerhin erläutert worden, um vor allem für
jene, die sich auf das Theologiestudium vorbereiten, eine solide
philosophische Bildung zu gewährleisten. Ich habe meinerseits mehrmals die
Bedeutung dieser philosophischen Bildung für alle betont, die sich eines
Tages in der Seelsorge mit den Forderungen der modernen Welt
auseinandersetzen und die Ursachen mancher Haltungen werden begreifen
müssen, um umgehend darauf antworten zu können.(84)
61. Wenn sich unter verschiedenen Umständen eine
Intervention zu diesem Thema — wobei man auch den Wert der Einsichten des
Doctor Angelicus bekräftigte und auf der Aneignung seines Denkens bestand —
als notwendig erwies, so hatte das seinen Grund darin, daß die Weisungen des
Lehramtes nicht immer mit der erwünschten Bereitschaft befolgt worden sind.
In vielen katholischen Schulen war in den Jahren unmittelbar nach dem II.
Vatikanischen Konzil diesbezüglich ein gewisser Verfall zu beobachten, der
einer geringeren Wertschätzung nicht nur der scholastischen Philosophie,
sondern allgemeiner des Studiums der Philosophie überhaupt zuzuschreiben
ist. Mit Verwunderung und Bedauern muß ich feststellen, daß nicht wenige
Theologen diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Studium der Philosophie
teilen.
Es sind verschiedene Gründe, die dieser Abneigung
zugrunde liegen. An erster Stelle ist das Mißtrauen gegen die Vernunft
festzuhalten, das ein Großteil der zeitgenössischen Philosophie dadurch
bekundet, daß auf die metaphysische Erforschung der letzten Fragen des
Menschen weitgehend verzichtet wird, um die Aufmerksamkeit auf Teil- und
Gebietsprobleme, mitunter auch reine Formprobleme zu konzentrieren. Außerdem
kommt das Mißverständnis hinzu, das vor allem in bezug auf die
»Humanwissenschaften« entstanden ist. Das II. Vatikanische Konzil hat
mehrmals auf den positiven Wert der wissenschaftlichen Forschung für eine
tiefere Erkenntnis des Geheimnisses des Menschen hingewiesen.(85) Die
Aufforderung an die Theologen, sich diese Wissenschaften anzueignen und sie,
wenn nötig, in ihrer Forschung korrekt anzuwenden, darf jedoch nicht als
unausgesprochene Ermächtigung dazu interpretiert werden, die Philosophie in
der Pastoralausbildung und in der praeparatio fidei nur am Rande zu
behandeln oder gar zu ersetzen. Endlich darf man das wiederentdeckte
Interesse für die Inkulturation des Glaubens nicht vergessen. Besonders das
Leben der jungen Kirchen bot Gelegenheit, neben gehobenen Denkformen das
Vorhandensein vielfältiger Ausdrucksformen der Volksweisheit zu entdecken,
die ein wirkliches Erbe an Kulturen und Traditionen darstellen. Die
Untersuchung dieser überlieferten Bräuche muß jedoch im Gleichschritt mit
der philosophischen Forschung einhergehen. Diese erst wird es ermöglichen,
die positiven Züge der Volksweisheit hervortreten zu lassen, indem die
notwendige Verbindung mit der Verkündigung des Evangeliums hergestellt
wird.(86)
62. Ich möchte nachdrücklich betonen, daß das Studium der
Philosophie ein grundlegendes und untilgbares Wesensmerkmal im Aufbau des
Theologiestudiums und in der Ausbildung der Priesteramtskandidaten
darstellt. Es ist kein Zufall, daß dem Curriculum der Theologie eine
Periode vorausgeht, in der eine besondere Beschäftigung mit dem Studium der
Philosophie vorgesehen ist. Diese vom V. Laterankonzil bestätigte
Entscheidung(87) hat ihre Wurzeln in der während des Mittelalters gereiften
Erfahrung, als die Bedeutung einer konstruktiven Harmonie zwischen
philosophischem und theologischem Wissen herausgestellt wurde. Diese
Studienordnung hat, wenn auch auf indirekte Weise, zu einem guten Teil die
Entwicklung der modernen Philosophie beeinflußt, erleichtert und gefördert.
Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der von den Disputationes
metaphysicae von Francisco Suárez ausgeübte Einfluß: sie fanden sogar in
den deutschen lutherischen Universitäten Eingang. Der Verlust dieser Methode
war hingegen Ursache schwerwiegender Mängel sowohl in der Priesterausbildung
als auch in der theologischen Forschung. Man denke an die Gleichgültigkeit
dem modernen Denken und der modernen Kultur gegenüber, die dazu geführt hat,
sich jeder Form von Dialog zu verschließen oder aber jede Philosophie
unterschiedslos anzunehmen.
Ich vertraue sehr darauf, daß diese Schwierigkeiten durch
eine sinnvolle philosophische und theologische Ausbildung überwunden werden,
die in der Kirche niemals verloren gehen darf.
63. Wegen der genannten Gründe schien es mir dringend
geboten, mit dieser Enzyklika das starke Interesse zu betonen, das die
Kirche der Philosophie entgegenbringt; ja, es geht um die engen Bande,
welche die theologische Arbeit mit der philosophischen Suche nach der
Wahrheit verbinden. Daraus erwächst für das Lehramt die Verpflichtung, genau
zu unterscheiden und ein philosophisches Denken anzuregen, das sich nicht in
Unstimmigkeit mit dem Glauben befindet. Meine Aufgabe ist es, einige
Grundsätze und Bezugspunkte vorzulegen, die ich als notwendig erachte, um
wieder eine harmonische und wirksame Beziehung zwischen Philosophie und
Theologie aufbauen zu können. Im Lichte dieser Grundsätze wird es möglich
sein, mit größerer Klarheit zu prüfen, ob und welches Verhältnis die
Theologie zu den verschiedenen philosophischen Systemen oder Auffassungen,
die die heutige Welt aufweist, unterhalten solle.
KAPITEL VI
DIE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN
THEOLOGIE UND PHILOSOPHIE
Die Glaubenswissenschaft und die Erfordernisse der
philosophischen Vernunft [64-74]
64. Das Wort Gottes richtet sich an jeden Menschen, zu
jeder Zeit und an jedem Ort der Erde; und der Mensch ist von Natur aus
Philosoph. Die Theologie, als durchdachte wissenschaftliche Erarbeitung des
Verständnisses dieses Wortes im Lichte des Glaubens, kann sowohl für manche
ihrer Verfahrensweisen wie auch für die Erfüllung bestimmter Aufgaben nicht
darauf verzichten, mit den Philosophien in Beziehung zu treten, die im Laufe
der Geschichte tatsächlich ausgearbeitet worden sind. Ohne den Theologen
besondere Methoden empfehlen zu wollen, was dem Lehramt auch gar nicht
zusteht, möchte ich vielmehr einige Aufgaben der Theologie ins Gedächtnis
rufen, bei denen aufgrund des Wesens des geoffenbarten Wortes der Rückgriff
auf das philosophische Denken geboten ist.
65. Die Theologie konstituiert sich als
Glaubenswissenschaft im Lichte eines methodischen Doppelprinzips: dem
auditus fidei und dem intellectus fidei. Durch das erste gelangt
sie in den Besitz der Offenbarungsinhalte, so wie sie in der Heiligen
Überlieferung, in der Heiligen Schrift und im lebendigen Lehramt der Kirche
fortschreitend ausgefaltet worden sind.(88) Mit dem zweiten Prinzip will die
Theologie den Anforderungen des Denkens durch die spekulative Reflexion
entsprechen.
Was die Vorbereitung auf einen korrekten auditus fidei
betrifft, so leistet die Philosophie der Theologie ihren eigentlichen
Beitrag dann, wenn sie die Struktur der Erkenntnis und der persönlichen
Mitteilung sowie besonders die vielfältigen Formen und Funktionen der
Sprache betrachtet und bedenkt. Ebenso wichtig ist der Beitrag der
Philosophie für ein zusammenhängendes Verständnis der kirchlichen
Überlieferung, der Erklärungen des Lehramtes und der Sätze der großen Lehrer
der Theologie: diese drücken sich nämlich häufig in Begriffen und Denkformen
aus, die einer bestimmten philosophischen Tradition entlehnt sind. In diesem
Fall wird vom Theologen verlangt, daß er nicht nur die Begriffe und
Formulierungen erklärt, mit denen die Kirche über ihre Lehre nachdenkt und
sie erarbeitet; er muß auch die philosophischen Systeme, die möglicherweise
Begriffe und Terminologie beeinflußt haben, gründlich kennen, um zu
korrekten und kohärenten Interpretationen zu gelangen.
66. Was den intellectus fidei betrifft, so ist vor
allem zu beachten, daß die göttliche Wahrheit, »die uns in den von der Lehre
der Kirche richtig ausgelegten Heiligen Schriften vorgelegt wird«,(89) eine
eigene, in ihrer Logik so konsequente Verständlichkeit besitzt, daß sie sich
als ein echtes Wissen darstellt. Der intellectus fidei legt diese
Wahrheit aus, indem er nicht nur die logischen und begrifflichen Strukturen
der Aussagen aufnimmt, in denen sich die Lehre der Kirche artikuliert,
sondern auch und vorrangig die Heilsbedeutung sichtbar werden läßt, die
diese Aussagen für den einzelnen und für die Menschheit enthalten. Von der
Gesamtheit dieser Aussagen gelangt der Glaubende zur Kenntnis der
Heilsgeschichte, die in der Person Jesu Christi und in seinem Ostergeheimnis
ihren Höhepunkt hat. Durch seine Zustimmung aus dem Glauben hat er an diesem
Geheimnis teil.
Die dogmatische Theologie muß ihrerseits imstande
sein, den universalen Sinn des Geheimnisses des dreieinigen Gottes und des
Heilsplanes sowohl in erzählerischer Weise als auch vor allem in Form der
Argumentation darzulegen. Das muß sie mit Hilfe von Ausdrücken und Begriffen
tun, die aus der Urteilskraft heraus formuliert und allgemein mitteilbar
sind. Denn ohne den Beitrag der Philosophie ließen sich theologische
Inhalte, wie zum Beispiel das Sprechen über Gott, die Personbeziehungen
innerhalb der Trinität, das schöpferische Wirken Gottes in der Welt, die
Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, die Identität Christi, der wahrer
Gott und wahrer Mensch ist, nicht veranschaulichen. Dasselbe gilt für
verschiedene Themen der Moraltheologie, wo ganz offenkundig Begriffe, wie
z.B. Sittengesetz, Gewissen, Freiheit, persönliche Verantwortung, Schuld
usw. zur Anwendung kommen, die im Rahmen der philosophischen Ethik definiert
werden.
Daher muß die Vernunft des Gläubigen eine natürliche,
wahre und stimmige Kenntnis der geschaffenen Dinge, der Welt und des
Menschen besitzen, die auch Gegenstand der göttlichen Offenbarung sind; mehr
noch: die Vernunft des Gläubigen muß in der Lage sein, diese Kenntnis
begrifflich und in der Form der Argumentation darzulegen. Die spekulative
dogmatische Theologie setzt daher implizit eine auf die objektive Wahrheit
gegründete Philosophie vom Menschen, von der Welt und, radikaler, vom Sein
voraus.
67. Die Fundamentaltheologie wird sich wegen des
Charakters dieser theologischen Disziplin, deren Aufgabe die Rechenschaft
über den Glauben ist (vgl. 1 Petr 3, 15), darum kümmern müssen, die
Beziehung zwischen dem Glauben und dem philosophischen Denken zu
rechtfertigen und zu erklären. Schon das I. Vatikanische Konzil hatte die
paulinische Lehre (vgl. Röm 1, 19-20) neu eingebracht und die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß es Wahrheiten gibt, die auf natürlichem
Weg erkennbar sind. Daher sind sie es auch auf philosophischem Weg. Ihr
Erkennen stellt eine notwendige Voraussetzung für die Annahme der
Offenbarung Gottes dar. Beim Erforschen der Offenbarung und ihrer
Glaubwürdigkeit, begleitet von dem entsprechenden Glaubensakt, wird die
Fundamentaltheologie zeigen müssen, daß im Lichte der Erkenntnis durch den
Glauben einige Wahrheiten ans Licht kommen, welche die Vernunft bereits auf
ihrem selbständigen Weg der Suche erreicht. Die Offenbarung verleiht diesen
Wahrheiten dadurch Sinnfülle, daß sie sie auf den Reichtum des geoffenbarten
Geheimnisses hinlenkt, in dem sie ihr letztes Ziel finden. Man denke zum
Beispiel an die natürliche Gotteserkenntnis, an die Möglichkeit der
Unterscheidung der göttlichen Offenbarung von anderen Phänomenen oder an die
Anerkennung ihrer Glaubwürdigkeit, an die Fähigkeit der menschlichen
Sprache, ausdrücklich und wahrhaftig auch von dem zu sprechen, was jede
menschliche Erfahrung übersteigt. Von allen diesen Wahrheiten wird der Geist
dazu gebracht, das Vorhandensein eines wirklich auf den Glauben
vorbereitenden Weges anzuerkennen, der in die Annahme der Offenbarung
einmünden kann, ohne die eigenen Prinzipien und ihre Autonomie im geringsten
zu verletzen.(90)
In demselben Maß wird die Fundamentaltheologie aufzeigen
müssen, daß eine innere Vereinbarkeit zwischen dem Glauben und seinem
wesentlichen Anspruch besteht, sich durch eine Vernunft darzustellen, die in
der Lage ist, in voller Freiheit ihre Zustimmung zu geben. So wird der
Glaube »einer Vernunft, die aufrichtig nach der Wahrheit sucht, voll den Weg
weisen können. Auf diese Weise kann der Glaube als Geschenk Gottes, auch
wenn er sich nicht auf die Vernunft stützt, sicher nicht auf sie verzichten;
gleichzeitig erscheint es für die Vernunft notwendig, vom Glauben Gebrauch
zu machen, um die Horizonte zu entdecken, die sie allein nicht zu erreichen
vermöchte«.(91)
68. Die Moraltheologie hat vielleicht in noch
höherem Maße den Beitrag der Philosophie nötig. Denn im Neuen Bund ist das
menschliche Leben viel weniger durch Vorschriften geregelt als im Alten
Bund. Das Leben im Heiligen Geist führt die Glaubenden zu einer Freiheit und
Verantwortlichkeit, die über das Gesetz selbst hinausgehen. Immerhin stellen
das Evangelium und die apostolischen Schriften sowohl allgemeine Prinzipien
christlicher Lebensführung als auch gewissenhafte Lehren und Gebote auf. Um
sie auf die besonderen Verhältnisse des Lebens des einzelnen und der
Gesellschaft anzuwenden, muß der Christ imstande sein, sein Gewissen und
seine Denkkraft bis zum Äußersten einzusetzen. Das heißt mit anderen Worten,
die Moraltheologie muß sich einer richtigen philosophischen Sicht sowohl von
der menschlichen Natur und Gesellschaft wie von den allgemeinen Prinzipien
einer sittlichen Entscheidung bedienen.
69. Man mag vielleicht einwenden, daß sich der Theologe
in der gegenwärtigen Situation weniger der Philosophie als vielmehr der
Hilfe anderer Formen des menschlichen Wissens bedienen sollte, wie der
Geschichte und vor allem der Naturwissenschaften, deren jüngste
außergewöhnliche Entwicklungen alle bewundern. Andere dagegen vertreten
infolge einer gesteigerten Sensibilität für die Beziehung zwischen Glaube
und Kultur die Ansicht, die Theologie sollte sich statt einer Philosophie
griechischen und eurozentrischen Ursprungs lieber den traditionellen
Weisheitsformen zuwenden. Wieder andere leugnen, von einer falschen
Vorstellung des Pluralismus der Kulturen ausgehend, schlechthin den
universalen Wert des von der Kirche empfangenen philosophischen Erbes.
Diese hier angeführten Ansichten, die uns unter anderem
bereits in der Lehre des Konzils begegnen,(92) sind teilweise wahr. Die
Bezugnahme auf die Naturwissenschaften ist in vielen Fällen nützlich, weil
sie eine vollständigere Kenntnis des Forschungsobjektes ermöglicht; sie darf
jedoch nicht die notwendige Vermittlung einer typisch philosophischen,
kritischen und Allgemeingültigkeit anstrebenden Reflexion in Vergessenheit
geraten lassen, die im übrigen von einem fruchtbaren Austausch zwischen den
Kulturen gefordert wird. Was ich dringend unterstreichen möchte, ist die
Verpflichtung, nicht beim konkreten Einzelfall stehenzubleiben und damit die
vorrangige Aufgabe zu vernachlässigen, die darin besteht, den universalen
Charakter des Glaubensinhaltes aufzuzeigen. Zudem darf man nicht vergessen,
daß es der besondere Beitrag des philosophischen Denkens erlaubt, sowohl in
den verschiedenen Lebensauffassungen wie in den Kulturen zu erkennen, »nicht
was die Menschen denken, sondern welches die objektive Wahrheit ist«.(93)
Nicht die verschiedenen menschlichen Meinungen, sondern allein die Wahrheit
kann für die Theologie hilfreich sein.
70. Das Thema der Beziehung zu den Kulturen verdient eine
spezielle, wenn auch notgedrungen nicht erschöpfende Überlegung wegen der
von dort herrührenden Implikationen sowohl im philosophischen wie im
theologischen Bereich. Der Prozeß der Begegnung und Auseinandersetzung mit
den Kulturen ist eine Erfahrung, welche die Kirche von den Anfängen der
Verkündigung des Evangeliums an erlebt hat. Das Gebot Christi an die Jünger,
überall hinzugehen, »bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1, 8), um die
von ihm geoffenbarte Wahrheit weiterzugeben, hat die Christengemeinde in die
Lage versetzt, schon sehr bald die Allgemeingültigkeit der Verkündigung und
die aus der Verschiedenheit der Kulturen entstehenden Hindernisse
festzustellen. Ein Abschnitt aus dem Brief des hl. Paulus an die Christen
von Ephesus bietet eine gute Hilfe, um zu verstehen, wie die Urgemeinde an
dieses Problem herangegangen ist. Der Apostel schreibt: »Jetzt aber seid
ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch
sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die
beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die trennende
Wand der Feindschaft nieder« (2, 13-14).
Im Lichte dieses Textes dehnt sich unsere Überlegung auf
den Wandel aus, der sich in den Heiden ereignet hat, die einst zum Glauben
gelangt sind. Angesichts der Fülle des von Christus vollbrachten Heils
fallen die trennenden Wände zwischen den verschiedenen Kulturen. Die
Verheißung Gottes wird nun in Christus zu einem Angebot für alle: sie ist
nicht mehr auf die Eigenart eines Volkes, seiner Sprache und seiner Bräuche
beschränkt, sondern wird als Schatz, aus dem jeder frei schöpfen kann, auf
alle ausgedehnt. Von verschiedenen Orten und Traditionen sind alle in
Christus dazu berufen, an der Einheit der Familie der Kinder Gottes
teilzuhaben. Christus erlaubt den beiden Völkern »eins« zu werden. Jene, die
»in der Ferne« waren, sind dank des vom Ostergeheimnis gewirkten Neuen »in
die Nähe gekommen«. Jesus reißt die trennenden Wände nieder und vollzieht
auf einzigartige und erhabene Weise die Vereinigung durch die Teilhabe an
seinem Geheimnis. Diese Einheit ist so tief, daß die Kirche mit dem hl.
Paulus sagen kann: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht,
sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Eph 2, 19).
In einem so einfachen Satz wird eine großartige Wahrheit
beschrieben: Die Begegnung des Glaubens mit den verschiedenen Kulturen hat
tatsächlich eine neue Wirklichkeit ins Leben gerufen. Wenn die Kulturen tief
im Humanen verwurzelt sind, tragen sie das Zeugnis der typischen Öffnung des
Menschen für das Universale und für die Transzendenz in sich. Deshalb stehen
sie als verschiedene Annäherungen an die Wahrheit da; diese stellen sich als
zweifellos nützlich für den Menschen heraus, den sie auf Werte hinweisen,
die sein Dasein immer menschlicher machen können.(94) Insofern sich dann die
Kulturen auf die Werte der antiken Überlieferungen berufen, enthalten sie —
zwar unausgesprochen, deshalb aber nicht weniger real — den Bezug auf das
Sich-Offenbaren Gottes in der Natur, wie wir vorher bei der Besprechung der
Weisheitstexte und der Lehre des hl. Paulus gesehen haben.
71. Da die Kulturen in enger Beziehung zu den Menschen
und ihrer Geschichte stehen, teilen sie dieselben dynamischen Kräfte, mit
denen sich die menschliche Zeit Ausdruck verschafft. Demzufolge sind
Veränderungen und Fortschritte zu verzeichnen, die auf den Begegnungen der
Menschen miteinander und auf ihrem gegenseitigen Austausch über ihre
Lebensmodelle beruhen. Die Kulturen nähren sich aus der Mitteilung von
Werten, und ihre Lebenskraft und ihr Bestand rührt von der Fähigkeit her,
offen zu bleiben für die Aufnahme des Neuen. Welche Erklärung gibt es für
diese dynamischen Kräfte? Jeder Mensch ist in eine Kultur verflochten, hängt
von ihr ab und beeinflußt sie. Er ist zugleich Kind und Vater der Kultur, in
der er eingebunden ist. In jeder seiner Lebensäußerungen trägt er etwas mit
sich, was ihn aus der Schöpfung heraushebt: seine ständige Offenheit für das
Geheimnis und sein unerschöpfliches Verlangen nach Erkenntnis. Infolgedessen
trägt jede Kultur das Prägemal der auf eine Vollendung hin gerichtete
Spannung an sich und läßt sie durchscheinen. Man kann daher sagen, die
Kultur hat die Möglichkeit in sich, die göttliche Offenbarung anzunehmen.
Die Art und Weise, wie die Christen den Glauben leben,
ist auch durchdrungen von der Kultur ihrer Umgebung und trägt ihrerseits
dazu bei, fortlaufend deren Wesensmerkmale zu gestalten. Die Christen
bringen in jede Kultur die von Gott in der Geschichte und in der Kultur
eines Volkes geoffenbarte, unwandelbare Wahrheit von Gott ein. So pflanzt
sich im Laufe der Jahrhunderte das Ereignis immer weiter fort, dessen Zeugen
die am Pfingsttag in Jerusalem anwesenden Pilger waren. Als sie den Aposteln
zuhörten, fragten sie sich: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?
Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder
und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus
und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem
Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten,
Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen
Gottes große Taten verkünden« (Apg 2, 7-11). Die Verkündigung des
Evangeliums in den verschiedenen Kulturen verlangt von den einzelnen
Empfängern das Festhalten am Glauben; sie hindert die Empfänger aber nicht
daran, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Das erzeugt keine Spaltung,
weil sich das Volk der Getauften durch eine Universalität auszeichnet, die
jede Kultur aufnehmen kann, wodurch die Weiterentwicklung des in ihr
implizit Vorhandenen hin zu seiner vollen Entfaltung in der Wahrheit
begünstigt wird.
Die Schlußfolgerung daraus ist, daß eine Kultur niemals
zum Urteilskriterium und noch weniger zum letzten Wahrheitskriterium
gegenüber der Offenbarung Gottes werden kann. Das Evangelium steht nicht im
Gegensatz zu dieser oder jener Kultur, als wollte es ihr bei der Begegnung
mit ihr das aberkennen, was zu ihr gehört, und sie zur Annahme äußerer
Formen nötigen, die nicht zu ihr passen. Im Gegenteil, die Verkündigung, die
der Gläubige in die Welt und in die Kulturen trägt, ist eine wirkliche Form
der Befreiung von jeder durch die Sünde eingeführten Unordnung und zugleich
Aufruf zur vollen Wahrheit. Bei dieser Begegnung wird den Kulturen nichts
aberkannt; sie werden sogar ermuntert, sich dem Neuen zu öffnen, das die
Wahrheit des Evangeliums enthält, um daraus Ansporn zu weiteren
Entwicklungen zu gewinnen.
72. Der Umstand, daß die Evangelisierung auf ihrem Weg
zunächst der griechischen Philosophie begegnete, ist keineswegs ein Hinweis
darauf, daß andere Wege der Annäherung ausgeschlossen wären. In unserer
heutigen Zeit, in der das Evangelium nach und nach mit Kulturräumen in
Berührung kommt, die sich bisher außerhalb des Verbreitungsbereiches des
Christentums befunden hatten, eröffnen sich für die Inkulturation neue
Aufgaben. Unserer Generation stellen sich ähnliche Probleme, wie sie die
Kirche in den ersten Jahrhunderten zu bewältigen hatte.
Meine Gedanken gehen spontan zu den Ländern des Orients,
die so reich an sehr alten religiösen und philosophischen Überlieferungen
sind. Unter ihnen nimmt Indien einen besonderen Platz ein. Ein großartiger
geistiger Aufschwung führt das indische Denken zur Suche nach einer
Erfahrung, die dadurch, daß sie den Geist von den durch Zeit und Raum
gegebenen Bedingtheiten befreit, Absolutheitswert hat. Im Dynamismus dieser
Suche nach Befreiung finden sich große metaphysische Systeme.
Den Christen von heute, vor allem jenen in Indien, fällt
die Aufgabe zu, aus diesem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit
ihrem Glauben vereinbar sind, so daß es zu einer Bereicherung des
christlichen Denkens kommt. Für diese Unterscheidungsarbeit, zu der die
Konzilserklärung Nostra aetate Anregung bietet, sollen sie eine Reihe
von Kriterien berücksichtigen. Das erste ist die Universalität des
menschlichen Geistes, dessen Grundbedürfnisse in den verschiedenen Kulturen
identisch sind. Das zweite Kriterium, das sich aus dem ersten ergibt,
besteht in Folgendem: Wenn die Kirche mit großen Kulturen in Kontakt tritt,
mit denen sie vorher noch nicht in Berührung gekommen war, darf sie sich
nicht von dem trennen, was sie sich durch die Inkulturation ins
griechisch-lateinische Denken angeeignet hat. Der Verzicht auf ein solches
Erbe würde dem Vorsehungsplan Gottes zuwiderlaufen, der seine Kirche die
Straßen der Zeit und der Geschichte entlangführt. Dieses Kriterium gilt
übrigens für die Kirche jeder Epoche, auch für die Kirche von morgen, die
sich durch die in der heutigen Annäherung an die orientalischen Kulturen
gewonnenen Errungenschaften bereichert fühlen wird. Sie wird in diesem Erbe
neue Hinweise finden, um in einen fruchtbaren Dialog mit jenen Kulturen
einzutreten, welche die Menschheit auf ihrem Weg in die Zukunft zum Erblühen
bringen können. Drittens soll man sich davor hüten, den legitimen Anspruch
des indischen Denkens auf Besonderheit und Originalität mit der Vorstellung
zu verwechseln, eine kulturelle Tradition müsse sich in ihr Verschiedensein
einkapseln und sich in ihrer Gegensätzlichkeit zu den anderen Traditionen
behaupten; dies würde dem Wesen des menschlichen Geistes widersprechen.
Was hier für Indien gesagt wird, gilt auch für das Erbe,
das die großen Kulturen Chinas, Japans und der anderen Länder Asiens sowie
der Reichtum der vor allem mündlich überlieferten traditionellen Kulturen
Afrikas enthalten.
73. Im Lichte dieser Überlegungen wird die Beziehung, die
sich zwischen Theologie und Philosophie anbahnen soll, in Form einer
Kreisbewegung erfolgen. Für die Theologie wird das in der Geschichte
geoffenbarte Wort Gottes stets Ausgangspunkt und Quelle sein, während das
letzte Ziel nur das in der Aufeinanderfolge der Generationen nach und nach
vertiefte Verständnis des Gotteswortes sein kann. Da andererseits das Wort
Gottes Wahrheit ist (vgl. Joh 17, 17), muß zu seinem besseren
Verständnis die menschliche Suche nach der Wahrheit, das heißt das unter
Respektierung der ihm eigenen Gesetze entwickelte Philosophieren, nutzbar
gemacht werden. Dabei handelt es sich nicht einfach darum, in der
theologischen Argumentation den einen oder anderen Begriff oder Bruchstücke
eines philosophischen Gefüges zu verwenden; entscheidend ist, daß bei der
Suche nach dem Wahren innerhalb einer Bewegung, die sich, ausgehend vom Wort
Gottes, um dessen besseres Verständnis bemüht, die Vernunft des Glaubenden
ihre Denkfähigkeiten einsetzt. Im übrigen ist klar, daß die Vernunft, wenn
sie sich innerhalb dieser beiden Pole — Wort Gottes und sein besseres
Verständnis — bewegt, gleichsam darauf hingewiesen, ja in gewisser Weise
dazu angehalten wird, Wege zu meiden, die sie außerhalb der geoffenbarten
Wahrheit und letzten Endes außerhalb der reinen, einfachen Wahrheit führen
würden; sie wird sogar angespornt, Wege zu erforschen, von denen sie von
sich aus nicht einmal vermutet hätte, sie je einschlagen zu können. Aus
diesem Verhältnis zum Wort Gottes in Form der Kreisbewegung geht die
Philosophie bereichert hervor, weil die Vernunft neue und unerwartete
Horizonte entdeckt.
74. Den Beweis für die Fruchtbarkeit einer solchen
Beziehung liefert die persönliche Geschichte großer christlicher Theologen,
die sich auch als große Philosophen auszeichneten und Schriften von so hohem
spekulativen Wert hinterließen, daß sie mit Recht neben die Meister der
antiken Philosophie gestellt werden können. Das gilt sowohl für die
Kirchenväter, von denen wenigstens die Namen des hl. Gregor von Nazianz und
des hl. Augustinus genannt seien, als auch für die mittelalterlichen
Gelehrten mit dem großen Dreigestirn hl. Anselm, hl. Bonaventura und hl.
Thomas von Aquin. Die fruchtbare Beziehung zwischen der Philosophie und dem
Wort Gottes schlägt sich auch in der mutigen Forschung nieder, die von
einigen jüngeren Denkern geleistet wurde. Unter ihnen möchte ich für den
westlichen Bereich Persönlichkeiten nennen wie John Henry Newman, Antonio
Rosmini, Jacques Maritain, Étienne Gilson und Edith Stein. Aus dem östlichen
Bereich sind Gelehrte wie Vladimir S. Solov'ev, Pavel A. Florenskij, Petr J.
Tschaadaev und Vladimir N. Lossky zu erwähnen. Wenn ich mich auf diese
Autoren berufe, neben denen noch andere Namen stehen könnten, möchte ich
natürlich nicht alle Gesichtspunkte ihres Denkens bestätigen, sondern
lediglich sprechende Beispiele eines philosophischen Forschungsweges
vorstellen, der aus der Auseinandersetzung mit den Vorgaben des Glaubens
beachtenswerte Vorteile gezogen hat. Eines ist sicher: Die Beachtung des
geistlichen Weges dieser Lehrmeister muß dem Fortschritt in der Suche nach
Wahrheit und in der Nutzbarmachung der erzielten Ergebnisse zum Wohl der
Menschen dienen. Es bleibt zu hoffen, daß diese große
philosophisch-theologische Tradition heute und in Zukunft zum Wohl der
Kirche und der Menschheit ihre Fortsetzer und Verehrer finden möge.
Verschiedene Standorte der Philosophie
[75-79]
75. Wie sich aus der oben kurz angedeuteten Geschichte
der Beziehungen von Glaube und Philosophie ergibt, lassen sich verschiedene
Standorte der Philosophie in bezug auf den christlichen Glauben
unterscheiden. Da ist zuerst der Status der von der Offenbarung des
Evangeliums völlig unabhängigen Philosophie: Gemeint ist die
Philosophie, wie sie geschichtlich in den der Geburt des Erlösers
vorausgehenden Epochen und danach in den vom Evangelium noch nicht
erreichten Regionen Gestalt angenommen hat. In dieser Situation bekundet die
Philosophie das legitime Bestreben, eine Unternehmung zu sein, die
autonom ist; das heißt: sie geht nach ihren eigenen Gesetzen vor und
bedient sich auschließlich der Kräfte der Vernunft. Dieses Bestreben muß man
unterstützen und stärken, auch wenn man sich der schwerwiegenden, durch die
angeborene Schwäche der menschlichen Vernunft bedingten Grenzen bewußt ist.
Denn das philosophische Engagement als Suche nach der Wahrheit im
natürlichen Bereich bleibt zumindest implizit offen für das Übernatürliche.
Mehr noch: Auch dann, wenn sich die theologische
Argumentation philosophischer Begriffe und Argumente bedient, muß der
Anspruch auf die rechte Autonomie des Denkens respektiert werden. Denn die
nach strengen Vernunftkriterien entwickelte Argumentation ist Gewähr für das
Erreichen allgemeingültiger Ergebnisse. Auch hier erfüllt sich das Prinzip,
wonach die Gnade die Natur nicht zerstört, sondern vervollkommnet: Die
Glaubenszustimmung, die den Verstand und den Willen verpflichtet, zerstört
nicht die Willensfreiheit eines jeden Glaubenden, der das Geoffenbarte in
sich aufnimmt, sondern vervollkommnet sie.
Von diesem korrekten Anspruch weicht ganz klar die
Theorie von der sogenannten »getrennten« Philosophie ab, wie sie von einigen
modernen Philosophen vertreten wird. Über die Bejahung der berechtigten
Autonomie hinaus fordert sie eine Unabhängigkeit des Denkens, die sich klar
als unzulässig erweist: Die aus der göttlichen Offenbarung kommenden
Beiträge zur Wahrheit abzulehnen, bedeutet nämlich, sich zum Schaden der
Philosophie den Zugang zu einer tieferen Wahrheitserkenntnis zu versperren.
76. Ein zweiter Standort der Philosophie ist jener, den
viele mit dem Ausdruck christliche Philosophie bezeichnen. Die
Bezeichnung ist an und für sich zulässig, darf aber nicht mißverstanden
werden: Es wird damit nicht beabsichtigt, auf eine offizielle Philosophie
der Kirche anzuspielen, da ja der Glaube an sich keine Philosophie ist.
Vielmehr soll mit dieser Bezeichnung auf ein christliches Philosophieren,
auf eine in lebendiger Verbundenheit mit dem Glauben konzipierte
philosophische Spekulation hingewiesen werden. Man bezieht sich dabei also
nicht einfach auf eine Philosophie, die von christlichen Philosophen
erarbeitet wurde, die in ihrer Forschung dem Glauben nicht widersprochen
haben. Wenn von christlicher Philosophie die Rede ist, will man damit alle
jene bedeutenden Entwicklungen des philosophischen Denkens erfassen, die
sich ohne den direkten oder indirekten Beitrag des christlichen Glaubens
nicht hätten verwirklichen lassen.
Es gibt daher zwei Aspekte der christlichen Philosophie:
einen subjektiven, der in der Läuterung der Vernunft durch den Glauben
besteht. Als göttliche Tugend befreit er die Vernunft von der typischen
Versuchung zur Anmaßung, der die Philosophen leicht erliegen. Schon der hl.
Paulus, die Kirchenväter und Philosophen wie Pascal und Kierkegaard, die uns
zeitlich näher sind, haben sie gebrandmarkt. Mit der Demut gewinnt der
Philosoph auch den Mut, sich mit manchen Problemen auseinanderzusetzen, die
er ohne Berücksichtigung der von der Offenbarung empfangenen Erkenntnisse
kaum lösen könnte. Man denke zum Beispiel an die Probleme des Bösen und des
Leides, an die Identität eines persönlichen Gottes und an die Frage nach dem
Sinn des Lebens oder, direkter, an die radikale metaphysische Frage: »Warum
gibt es etwas?«.
Daneben steht der objektive Aspekt, der die Inhalte
betrifft: die Offenbarung legt klar und deutlich einige Wahrheiten vor, die
von der Vernunft, obwohl sie ihr natürlich nicht unzugänglich sind,
vielleicht niemals entdeckt worden wären, wenn sie sich selbst überlassen
geblieben wäre. In diesem Blickfeld liegen Fragen wie der Begriff eines
freien und schöpferischen persönlichen Gottes, der für die Entwicklung des
philosophischen Denkens und insbesondere für die Philosophie des Seins so
große Bedeutung gehabt hat. In diesen Bereich gehört auch die Realität der
Sünde, wie sie im Lichte des Glaubens erscheint, der hilft, das Problem des
Bösen in geeigneter Weise philosophisch anzugehen. Auch die Auffassung von
der Person als geistiges Wesen ist eine besondere Eigenart des Glaubens: Die
christliche Botschaft von der Würde, der Gleichheit und der Freiheit der
Menschen hat sicher das philosophische Denken beeinflußt, das die Modernen
vollzogen haben. Als Beispiel, das unserer Zeit näher ist, kann man die
Entdeckung der Bedeutung des geschichtlichen Ereignisses für die Philosophie
erwähnen, das die Mitte der christlichen Offenbarung bildet. Nicht zufällig
ist es zur Grundlage einer Geschichtsphilosophie geworden, das sich als ein
neues Kapitel der menschlichen Suche nach der Wahrheit darstellt.
Zu den objektiven Elementen der christlichen Philosophie
gehört auch die Notwendigkeit, die Vernünftigkeit mancher von der Heiligen
Schrift ausgesprochenen Wahrheiten zu erforschen, wie die Möglichkeit einer
übernatürlichen Berufung des Menschen und eben auch die Erbsünde. Das sind
Aufgaben, welche die Vernunft veranlassen anzuerkennen, daß es Wahres und
Vernünftiges außerhalb der engen Grenzen gibt, in die sich einzuschließen
sie geneigt wäre. Diese Themen erweitern tatsächlich den Bereich des
Vernünftigen.
Im Nachdenken über diese Inhalte sind die Philosophen
nicht Theologen geworden; denn sie haben nicht versucht, die
Glaubenswahrheiten von der Offenbarung her zu verstehen und zu deuten. Sie
setzten die Arbeit auf ihrem eigenen Gebiet und mit ihrer rein rationalen
Methode fort, dehnten aber ihre Untersuchung auf neue Bereiche des Wahren
aus. Man kann sagen, daß es ohne diesen stimulierenden Einfluß des Wortes
Gottes einen beachtlichen Teil der modernen und zeitgenössischen Philosophie
gar nicht gäbe. Der Befund bewahrt seine ganze Bedeutung auch angesichts der
enttäuschenden Feststellung, daß nicht wenige Denker dieser letzten
Jahrhunderte die christliche Rechtgläubigkeit aufgegeben haben.
77. Ein weiterer bedeutsamer Standort der Philosophie
ergibt sich, wenn die Theologie selbst die Philosophie hineinzieht.
In Wirklichkeit hat die Theologie immer den philosophischen Beitrag
gebraucht. Sie braucht ihn auch weiterhin. Da die theologische Arbeit ein
Werk der kritischen Vernunft im Lichte des Glaubens ist, ist für sie bei
ihrem ganzen Forschen eine in begrifflicher und argumentativer Hinsicht
erzogene und ausgebildete Vernunft Voraussetzung und Forderung. Darüber
hinaus braucht die Theologie die Philosophie als Gesprächspartnerin, um die
Verständlichkeit und allgemeingültige Wahrheit ihrer Aussagen festzustellen.
Nicht zufällig wurden von den Kirchenvätern und von den mittelalterlichen
Theologen nichtchristliche Philosophien für diese Erklärungsfunktion
übernommen. Diese historische Tatsache weist auf den Wert der Autonomie
hin, den die Philosophie auch in diesem dritten Standort bewahrt, zeigt
aber zugleich die notwendigen und tiefgreifenden Veränderungen auf, die sie
auf sich nehmen muß.
Ganz im Sinne eines unerläßlichen und vortrefflichen
Beitrags wurde die Philosophie seit der Väterzeit ancilla theologiae
genannt. Der Beiname wurde nicht verwendet, um eine sklavische Unterwerfung
oder eine rein funktionale Rolle der Philosophie gegenüber der Theologie zu
bezeichnen. Er wurde vielmehr in dem Sinne gebraucht, in dem Aristoteles von
den Erfahrungswissenschaften als »Mägden« der »ersten Philosophie« sprach.
Der Ausdruck, der heute wegen der oben angeführten Autonomieprinzipien
schwer anwendbar ist, diente im Laufe der Geschichte dazu, auf die
Notwendigkeit der Beziehung zwischen den beiden Wissenschaften und auf die
Unmöglichkeit ihrer Trennung hinzuweisen.
Würde sich der Theologe weigern, von der Philosophie
Gebrauch zu machen, liefe er Gefahr, ohne sein Wissen Philosophie zu treiben
und sich in Denkstrukturen einzuschließen, die dem Glaubensverständnis wenig
angemessen sind. Der Philosoph wiederum würde sich, wenn er jeden Kontakt
mit der Theologie ausschlösse, verpflichtet fühlen, sich eigenständig der
Inhalte des christlichen Glaubens zu bemächtigen, wie das bei einigen
modernen Philosophen der Fall war. Im einen wie im anderen Fall würde sich
die Gefahr der Zerstörung der Grundprinzipien der Autonomie ergeben, deren
Garantie jede Wissenschaft mit Recht für sich fordert.
Der hier besprochene Status der Philosophie steht wegen
der Implikationen, die er im Verständnis der Offenbarung mit sich bringt,
zusammen mit der Theologie unmittelbarer unter der Autorität des Lehramtes
und seiner Prüfung; dies habe ich vorher dargelegt. Denn aus der
Glaubenswahrheit ergeben sich bestimmte Forderungen, welche die Philosophie
in dem Augenblick respektieren muß, wo sie mit der Theologie in Verbindung
tritt.
78. Im Lichte dieser Überlegungen wird es wohl
verständlich, warum das Lehramt wiederholt die Verdienste des Denkens des
hl. Thomas gelobt und ihn als führenden Lehrmeister und Vorbild für das
Theologiestudium herausgestellt hat. Es war dem Lehramt weder daran gelegen,
zu eigentlich philosophischen Fragen Stellung zu nehmen noch die Zustimmung
zu besonderen Auffassungen aufzuerlegen. Die Absicht des Lehramtes war und
ist es weiterhin zu zeigen, daß der hl. Thomas ein authentisches Vorbild für
alle ist, die nach der Wahrheit suchen. Denn in seinem Denken haben der
Anspruch der Vernunft und die Kraft des Glaubens zur höchsten Zusammenschau
gefunden, zu der das Denken je gelangt ist. Er hat es verstanden, das
radikal Neue, das die Offenbarung gebracht hat, zu verteidigen, ohne je den
typischen Weg der Vernunft zu demütigen.
79. Mit einer weiteren ausführlichen Darlegung der
Inhalte des bisherigen Lehramtes möchte ich in diesem letzten Teil einige
Forderungen aufzeigen, die heute die Theologie — und zuvor noch das Wort
Gottes — an das philosophische Denken und die modernen Philosophien stellt.
Wie ich bereits hervorgehoben habe, muß der Philosoph nach eigenen Regeln
vorgehen und sich auf seine eigenen Prinzipien stützen; die Wahrheit kann
jedoch nur eine sein. Die Offenbarung mit ihren Inhalten wird niemals die
Vernunft bei ihren Entdeckungen und in ihrer legitimen Autonomie
unterdrücken können; umgekehrt wird jedoch die Vernunft in dem Bewußtsein,
sich nicht zu absoluter und ausschließlicher Gültigkeit erheben zu können,
nie ihre Fähigkeit verlieren dürfen, sich fragen zu lassen und zu fragen.
Indem die geoffenbarte Wahrheit von dem Glanz her, der von dem subsistenten
Sein selbst ausgeht, volle Erhellung über das Sein gewährt, wird sie den Weg
der philosophischen Reflexion erleuchten. Die christliche Offenbarung wird
somit zum eigentlichen Ansatz- und Vergleichspunkt zwischen philosophischem
und theologischem Denken, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen.
Daher ist es wünschenswert, daß sich Theologen und Philosophen von der
einzigen Autorität der Wahrheit leiten lassen und eine Philosophie
erarbeiten, die im Einklang mit dem Wort Gottes steht. Diese Philosophie
wird der Boden für die Begegnung zwischen den Kulturen und dem christlichen
Glauben sein, der Ort der Verständigung zwischen Glaubenden und
Nichtglaubenden. Sie wird hilfreich sein, damit sich die Gläubigen aus
nächster Nähe davon überzeugen, daß die Tiefe und Unverfälschtheit des
Glaubens gefördert wird, wenn er sich mit dem Denken verbindet und nicht
darauf verzichtet. Und wieder ist es die Lehre der Kirchenväter, die uns zu
dieser Überzeugung führt: »Dasselbe glauben ist nichts anderes als
zustimmend denken [...]. Jeder, der glaubt, denkt; wenn er glaubt, denkt er,
und wenn er denkt, glaubt er [...]. Wenn der Glaube nicht gedacht wird, ist
er nichts«.(95) Und an anderer Stelle heißt es: »Wenn einer die Zustimmung
aufgibt, gibt er den Glauben auf, denn ohne Zustimmung glaubt man überhaupt
nicht«.(96)
KAPITEL VII
AKTUELLE FORDERUNGEN
UND AUFGABEN
Die unverzichtbaren Forderungen des Wortes Gottes
[80-91]
80. Die Heilige Schrift enthält sowohl in expliziter wie
impliziter Form eine Reihe von Elementen, die uns zu einem Menschenbild und
einer Weltsicht von beträchtlicher philosophischer Stärke gelangen lassen.
Die Christen wurden sich allmählich des in heiligen Büchern enthaltenen
Reichtums bewußt. Aus jenen Seiten ergibt sich, daß die Wirklichkeit, die
wir erfahren, nicht das Absolute ist: sie ist weder ungeschaffen noch ist
sie sich selbst geschaffen. Nur Gott ist das Absolute. Aus den Seiten der
Bibel geht außerdem eine Sicht vom Menschen als imago Dei, Abbild
Gottes, hervor, die genaue Hinweise auf sein Sein, seine Freiheit und die
Unsterblichkeit seiner Seele enthält. Da die geschaffene Welt sich nicht
selbst genügt, führt jede Illusion von Autonomie, welche die wesentliche
Abhängigkeit übersieht, in der jedes Geschöpf — einschließlich der Mensch —
vor Gott steht, zu Konflikten, welche die rationale Suche nach der Harmonie
und dem Sinn des menschlichen Daseins zunichte machen.
Auch das Problem des sittlich Bösen — die tragischste
Form des Bösen — wird in der Bibel aufgegriffen, die uns sagt, daß es nicht
auf irgendeinen durch die Materie bedingten Mangel zurückzuführen ist,
sondern auf eine Wunde, die von einem ungeordneten Sich-Äußern der
menschlichen Freiheit herrührt. Schließlich zeigt das Wort Gottes das
Problem auf, welchen Sinn das Dasein hat, und enthüllt seine Antwort, indem
es den Menschen auf Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, hinweist, der
das menschliche Dasein im Vollsinn verwirklicht. Weitere Aspekte ließen sich
aus der Lektüre des heiligen Textes verdeutlichen; jedenfalls ergibt sich
daraus die Zurückweisung jeder Form von Relativismus, Materialismus und
Pantheismus.
Die Grundüberzeugung dieser in der Bibel enthaltenen
»Philosophie« besteht darin, daß das menschliche Leben und die Welt einen
Sinn haben und auf ihre Vollendung hin ausgerichtet sind, die sich in Jesus
Christus erfüllt. Das Geheimnis der Menschwerdung wird immer der Mittelpunkt
bleiben, auf den man sich beziehen muß, um das Rätsel vom menschlichen
Dasein, der geschaffenen Welt und von Gott selber begreifen zu können. In
diesem Geheimnis liegen extreme Herausforderungen für die Philosophie, weil
die Vernunft aufgerufen ist, sich eine Logik zu eigen zu machen, welche die
Schranken niederreißt, hinter denen sie sich zu verschanzen droht. Erst hier
jedoch erreicht der Sinn des Daseins seinen Höhepunkt. Denn es wird das
innerste Wesen Gottes und des Menschen verständlich: Im Geheimnis des
fleischgewordenen Wortes werden göttliche und menschliche Natur in ihrer je
eigenen Autonomie bewahrt, und zugleich offenbart sich ein einziges Band,
das sie unvermischt in gegenseitige Beziehung setzt.(97)
81. Wir müssen feststellen, daß eines der gewichtigsten
Fakten in unserer derzeitigen Situation in der »Sinnkrise« besteht. Die
häufig wissenschaftlich geprägten Ansichten über Leben und Welt haben eine
derartige Vermehrung erfahren, daß wir wirklich erleben, wie das Phänomen
der Bruchstückhaftigkeit des Wissens um sich greift. Genau das macht die
Suche nach einem Sinn schwierig und oft vergeblich. Noch dramatischer ist
es, daß sich in diesem wirren Geflecht aus Daten und Fakten, zwischen denen
man lebt und die den eigentlichen Gang des Daseins auszumachen scheinen,
nicht wenige fragen, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, eine Sinnfrage zu
stellen. Die Mehrzahl der um eine Antwort streitenden Theorien bzw. die
unterschiedlichen Sicht- und Interpretationsweisen in bezug auf die Welt und
das Leben des Menschen verschärfen nur diesen radikalen Zweifel, der leicht
auf einen Zustand des Skeptizismus und der Gleichgültigkeit oder auf die
verschiedenen Äußerungen des Nihilismus hinausläuft.
Als Folge davon wird der menschliche Geist von einem
zweideutigen Denken vereinnahmt, das ihn veranlaßt, sich noch mehr in sich
selbst, in die Grenzen seiner Immanenz zu verschließen, ohne irgendeinen
Bezug zur Transzendenz zu haben. Eine Philosophie, die nicht mehr die Frage
nach dem Sinn des Daseins stellt, würde ernsthaft Gefahr laufen, die
Vernunft zu rein instrumentalen Funktionen zu degradieren, ohne jegliche
echte Leidenschaft für die Suche nach der Wahrheit.
Um sich in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes zu
befinden, muß die Philosophie vor allem ihre Weisheitsdimension
wiederfinden, die in der Suche nach dem letzten und umfassenden Sinn des
Lebens besteht. Wenn man es recht betrachtet, stellt diese erste Forderung
für die Philosophie einen sehr nützlichen Ansporn dazu dar, ihrem
eigentlichen Wesen gerecht zu werden. Denn wenn sie das tut, wird sie nicht
nur die entscheidende kritische Instanz sein, die die verschiedenen Seiten
des wissenschaftlichen Wissens auf ihre Zuverlässigkeit und ihre Grenzen
hinweist, sondern sie wird sich auch als letzte Instanz für die Einigung von
menschlichem Wissen und Handeln erweisen, indem sie diese dazu veranläßt,
ein endgültiges Ziel und einen letzten Sinn anzustreben. Diese
Weisheitsdimension ist heute um so unerläßlicher, weil die enorme Zunahme
der technischen Macht der Menschheit ein erneuertes und geschärftes
Bewußtsein für die letzten Werte verlangt. Sollten diese technischen Mittel
ohne Hinordnung auf ein Ziel bleiben, das nicht bloß vom
Nützlichkeitsstandpunkt her bestimmt wird, könnten sie sich sehr schnell als
inhuman herausstellen, ja sich in potentielle Zerstörer des
Menschengeschlechts verwandeln.(98)
Das Wort Gottes offenbart das letzte Ziel des Menschen
und verleiht seinem Handeln in der Welt einen umfassenden Sinn. Deshalb lädt
das Wort Gottes die Philosophie ein, sich für die Suche nach der natürlichen
Grundlage dieses Sinnes einzusetzen; diese Grundlage besteht in der
Religiosität, die jedem Menschen als Person eigen ist. Eine Philosophie, die
die Möglichkeit eines letzten und umfassenden Sinnes leugnen wollte, wäre
nicht nur unangemessen, sondern irrig.
82. Diese der Weisheit verpflichtete Rolle könnte
allerdings nicht von einer Philosophie wahrgenommen werden, die nicht selbst
echtes und wahres Wissen wäre; das heißt eine Philosophie, die nicht nur auf
einzelne, bedingte — ob funktionale, formale oder utilitaristische — Aspekte
des Wirklichen, sondern auf seine vollständige und endgültige Wahrheit, also
auf das Sein des Erkenntnisgegenstandes selbst gerichtet ist. Daher gilt
eine zweite Forderung: Überprüfung der Fähigkeit des Menschen, zur
Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen; eine Erkenntnis übrigens, die zur
objektiven Wahrheit gelangt durch jene adaequatio rei et intellectus,(99)
auf die sich die Gelehrten der Scholastik beziehen. Diese Forderung, die dem
Glauben eigen ist, wurde vom II. Vatikanischen Konzil ausdrücklich neu
bekräftigt: »Die Vernunft ist nämlich nicht auf die bloßen Phänomene
eingeengt, sondern vermag geistig tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit
wahrer Sicherheit zu erreichen, wenn sie auch infolge der Sünde zum Teil
verdunkelt und geschwächt ist«. (100)
Eine radikal phänomenalistische oder relativistische
Philosophie würde sich als ungeeignet dafür erweisen, diese Hilfe zu
leisten, wenn es um die Vertiefung der im Wort Gottes enthaltenen Fülle
geht. Die Heilige Schrift setzt nämlich immer voraus, daß der Mensch, auch
wenn er der Doppelzüngigkeit und Lüge schuldig ist, die reine und einfache
Wahrheit zu erkennen und zu begreifen vermag. In den Heiligen Büchern und
besonders im Neuen Testament finden sich Texte und Aussagen von wirklich
ontologischer Tragweite. Die inspirierten Verfasser wollten nämlich wahre
Aussagen formulieren, Aussagen also, welche die objektive Wirklichkeit
ausdrücken sollten. Man kann nicht behaupten, die katholische Überlieferung
habe einen Irrtum begangen, als sie einige Texte des hl. Johannes und des
hl. Paulus als Aussagen über das Sein Christi selbst verstanden hat. Die
Theologie braucht daher, wenn sie sich dem Verstehen und Erklären dieser
Aussagen widmet, den Beitrag einer Philosophie, welche die Möglichkeit einer
objektiv wahren, freilich immer vervollkommnungsfähigen Erkenntnis nicht
leugnet. Das Gesagte gilt auch für die Urteile des sittlichen Gewissens, von
denen die Heilige Schrift annimmt, daß sie objektiv wahr sein können. (101)
83. Die beiden obengenannten Forderungen ziehen eine
dritte nach sich: Erforderlich ist eine Philosophie von wahrhaft
metaphysischer Tragweite; sie muß imstande sein, das empirisch Gegebene
zu transzendieren, um bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu etwas Absolutem,
Letztem und Grundlegendem zu gelangen. Das ist eine selbstverständliche
Forderung, die sowohl für die auf Grund der Weisheit wie auch für die auf
analytischem Wege gewonnenen Erkenntnis Geltung hat; es ist im besonderen
eine Forderung an die Erkenntnis des sittlich Guten, dessen letzter Grund
das höchste Gut, Gott selber, ist. Ich spreche hier nicht von der Metaphysik
als einer bestimmten Schule oder einer besonderen geschichtlichen Strömung.
Ich möchte nur bekräftigen, daß die Wirklichkeit und die Wahrheit das
Tatsächliche und Empirische übersteigen. Zudem will ich die Fähigkeit des
Menschen geltend machen, diese transzendente und metaphysische Dimension
wahrhaftig und sicher, wenngleich auf unvollkommene und analoge Weise, zu
erkennen. So verstanden, darf die Metaphysik nicht als Alternative zur
Anthropologie gesehen werden, gestattet es doch gerade die Metaphysik, dem
Begriff von der Würde der Person, die auf ihrer geistigen Verfaßtheit fußt,
eine Grundlage zu geben. Besonders die Person stellt einen bevorzugten
Bereich dar für die Begegnung mit dem Sein und daher mit dem metaphysischen
Denken.
Wo immer der Mensch einen Hinweis auf das Absolute und
Transzendente entdeckt, öffnet sich für ihn ein Spalt zur metaphysischen
Dimension des Wirklichen: in der Wahrheit, in der Schönheit, in den
sittlichen Werten, in der Person des anderen, im Sein selbst, in Gott. Eine
große Herausforderung, die uns am Ende dieses Jahrtausends erwartet, besteht
darin, daß es uns gelingt, den ebenso notwendigen wie dringenden Übergang
vom Phänomen zum Fundament zu vollziehen. Wir können unmöglich
bei der bloßen Erfahrung stehenbleiben; auch wenn diese die Innerlichkeit
des Menschen und seine Spiritualität ausdrückt und verdeutlicht, muß das
spekulative Denken die geistliche Mitte und das sie tragende Fundament
erreichen. Ein philosophisches Denken, das jede metaphysische Öffnung
ablehnte, wäre daher völlig ungeeignet, im Verständnis der Offenbarung als
Vermittlerin wirken zu können.
Das Wort Gottes nimmt ständig auf das Bezug, was die
Erfahrung und sogar das Denken des Menschen übersteigt; aber dieses
»Geheimnis« könnte weder enthüllt werden noch wäre die Theologie imstande,
es auf irgendeine Weise verständlich zu machen, (102) wenn die menschliche
Erkenntnis streng auf die Welt der sinnlichen Erfahrung beschränkt wäre. Die
Metaphysik stellt sich deshalb als bevorzugte Vermittlung in der
theologischen Forschung dar. Einer Theologie ohne metaphysischen Horizont
würde es nicht gelingen, über die Analyse der religiösen Erfahrung
hinauszutreten; außerdem würde sie es dem intellectus fidei unmöglich
machen, den universalen und transzendenten Wert der geoffenbarten Wahrheit
auf kohärente Weise zum Ausdruck zu bringen.
Wenn ich so sehr auf der metaphysischen Komponente
bestehe, dann deshalb, weil ich davon überzeugt bin, daß sie der
unumgängliche Weg ist, um die Krisensituation, die heutzutage große Teile
der Philosophie durchzieht, zu überwinden und auf diese Weise manche in
unserer Gesellschaft verbreiteten abwegigen Verhaltensweisen zu korrigieren.
84. Die Bedeutung des metaphysischen Anspruchs wird noch
offenkundiger, wenn man die heutige Entwicklung der hermeneutischen
Wissenschaften und der verschiedenen Sprachanalysen unter die Lupe nimmt.
Die Ergebnisse, zu welchen diese Forschungen gelangen, können für das
Glaubensverständnis sehr nützlich sein, insofern sie die Struktur unseres
Denkens und Sprechens und den in der Sprache enthaltenen Sinn deutlich
machen. Es gibt jedoch Vertreter dieser Wissenschaften, die dazu neigen, in
ihren Forschungen dabei stehenzubleiben, wie die Wirklichkeit zu verstehen
und zu benennen ist, während sie davon absehen, die Möglichkeiten zu
überprüfen, die der Vernunft eigen sind, um das Wesen der Wirklichkeit zu
entdecken. Muß man in einer solchen Haltung nicht eine Bestätigung der
Vertrauenskrise hinsichtlich der Fähigkeiten der Vernunft sehen, wie sie
unsere Zeit durchmacht? Wenn sich dann auf Grund aprioristischer Annahmen
diese Auffassungen dazu anschicken, die Glaubensinhalte zu verwischen oder
ihre Allgemeingültigkeit zu leugnen, so unterdrücken sie nicht nur die
Vernunft, sondern stellen sich selbst ins Abseits. Denn der Glaube setzt
ganz klar voraus, daß die menschliche Sprache fähig ist, die göttliche und
transzendente Wirklichkeit auf allgemeingültige Weise auszudrücken. Wenn die
Worte auch analog gebraucht werden, so sind sie dennoch nicht weniger
bedeutungsträchtig. (103) Träfe dies nicht zu, würde das Wort Gottes, das
immer göttliches Wort in menschlicher Sprache ist, nicht imstande sein,
irgendetwas über Gott auszusagen. Die Auslegung dieses Wortes darf uns nicht
nur von einer Interpretation auf die andere verweisen, ohne uns je dahin zu
bringen, ihm eine schlichtweg wahre Aussage zu entnehmen; andernfalls gäbe
es Offenbarung Gottes nicht, sondern nur die Formulierung menschlicher
Auffassungen über Ihn und über das, was Er wahrscheinlich von uns denkt.
85. Ich bin mir wohl bewußt, daß diese vom Wort Gottes an
die Philosophie gestellten Forderungen vielen, die die heutige Situation
philosophischer Forschung erleben, schwierig erscheinen mögen. Ich greife
deshalb auf, was die Päpste seit Generationen unaufhörlich lehren und was
auch das II. Vatikanische Konzil bekräftigt hat, und möchte mit aller
Deutlichkeit der Überzeugung Ausdruck geben, daß der Mensch imstande ist, zu
einer einheitlichen und organischen Wissensschau zu gelangen. Das ist eine
der Aufgaben, deren sich das christliche Denken im Laufe des nächsten
Jahrtausends christlicher Zeitrechnung wird annehmen müssen. Da die
Bruchstückhaftigkeit des Wissens eine fragmentarische Annäherung an die
Wahrheit mit der sich daraus ergebenden Sinnzersplitterung mit sich bringt,
verhindert sie die innere Einheit des heutigen Menschen. Sollte sich die
Kirche etwa nicht darüber Sorgen machen? Diese der Weisheit geltende Aufgabe
erwächst den Bischöfen direkt aus dem Evangelium; sie können sich der
Verpflichtung nicht entziehen, dieser Aufgabe nachzukommen.
Ich meine, daß alle, die heute als Philosophen den
Forderungen entsprechen wollen, die das Wort Gottes an das menschliche
Denken stellt, ihre Argumentation auf der Grundlage dieser Postulate und in
Kontinuität mit jener großen Tradition erarbeiten sollten, die bei den
antiken Philosophen anfängt und über die Kirchenväter sowie die Meister der
Scholastik führt, um schließlich die grundlegenden Errungenschaften des
modernen und zeitgenössischen Denkens zu erfassen. Wenn der Philosoph aus
dieser Tradition zu schöpfen und sich an ihr zu inspirieren vermag, wird er
es nicht versäumen, sich als getreuer Anhänger des Autonomieanspruchs des
philosophischen Denkens zu erweisen.
In diesem Sinne ist es um so bedeutsamer, daß im
Zusammenhang mit unserer gegenwärtigen Situation einige Philosophen zu
Initiatoren der Wiederentdeckung der entscheidenden Rolle werden, die der
Überlieferung für eine richtige Erkenntnisform zukommt. Der Verweis auf die
Tradition ist nämlich nicht bloß eine Erinnerung an die Vergangenheit; er
stellt vielmehr die Anerkennung eines Kulturerbes dar, das der ganzen
Menschheit gehört. Man könnte sogar sagen, wir gehören zur Tradition und
können nicht einfach über sie verfügen, wie wir wollen. Gerade diese
Einwurzelung in der Überlieferung erlaubt uns heute, ein originelles, neues
und in die Zukunft weisendes Denken zum Ausdruck zu bringen. Dieser Hinweis
gilt auch in hohem Maße für die Theologie — nicht nur, weil sie die
lebendige Überlieferung der Kirche als Urquelle besitzt, (104) sondern auch
weil sie dadurch fähig sein soll, sowohl die tiefe theologische
Überlieferung, die die vorangegangenen Epochen geprägt hat, als auch die
ununterbrochene philosophische Tradition zurückzugewinnen, die durch ihre
wirkliche Weisheit die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden vermocht hat.
86. Das Bestehen auf der Notwendigkeit einer engen
kontinuierlichen Beziehung des heutigen zu dem in der christlichen Tradition
erarbeiteten philosophischen Denkens will der Gefahr zuvorkommen, die sich
in manchen, heute besonders verbreiteten Denkrichtungen verbirgt. Ich halte
es für angebracht, wenigstens kurz auf sie einzugehen, um ihre Irrtümer und
die sich daraus für die philosophische Tätigkeit ergebenden Gefahren
festzustellen.
Die erste dieser Denkrichtungen ist unter dem Namen
Eklektizismus bekannt; ein Begriff, mit dem man die Haltung dessen
bezeichnet, der in Forschung, Lehre und auch theologischer Argumentation
einzelne, aus verschiedenen Philosophien stammende Ideen zu übernehmen
pflegt, ohne sich um deren systematischen Zusammenhang und ihre Einbettung
in einen geschichtlichen Kontext zu kümmern. Auf diese Weise gerät er in die
Lage, den Wahrheitsanteil eines bestimmten Denkens nicht mehr von dem
unterscheiden zu können, was an ihm möglicherweise irrtümlich oder
unangemessen ist. Eine Extremform des Eklektizismus ist auch im rhetorischen
Mißbrauch der philosophischen Begriffe erkennbar, der sich der eine oder
andere Theologe bisweilen hingibt. Eine solche Instrumentalisierung dient
nicht der Wahrheitssuche und erzieht weder die theologische noch die
philosophische Vernunft zu ernsthafter, wissenschaftlicher Argumentation.
Das konsequente und gründliche Studium der philosophischen Lehren, ihrer
besonderen Sprache und des Umfeldes ihrer Entstehung hilft, die Gefahren des
Eklektizismus zu überwinden, und erlaubt eine angemessene Integration dieser
Lehren in die theologische Argumentation.
87. Der Eklektizismus ist ein methodischer Irrtum, könnte
aber auch Auffassungen in sich bergen, die für den Historizismus
typisch sind. Um eine Lehre aus der Vergangenheit richtig zu verstehen, muß
man sie in ihren geschichtlichen und kulturellen Zusammenhang einordnen. Die
Grundthese des Historizismus besteht hingegen darin, daß die Wahrheit einer
Philosophie auf der Grundlage ihrer Angemessenheit für eine bestimmte
Periode und eine bestimmte historische Aufgabe festgestellt wird. Auf diese
Weise wird, wenigstens implizit, die ewige Gültigkeit des Wahren geleugnet.
Was in einer Epoche wahr gewesen ist, so behauptet der Historist, braucht es
in einer anderen Zeit nicht mehr zu sein. Die Geschichte des Denkens wird
für ihn somit kaum mehr als ein archäologischer Fund, aus dem man schöpft,
um Positionen der Vergangenheit herauszustellen, die nunmehr großenteils
überholt und für die Gegenwart ohne Bedeutung sind. Dagegen gilt es zu
bedenken, daß man in der Formulierung, auch wenn sie in gewisser Weise an
die Zeit und die Kultur gebunden ist, die in ihr ausgedrückte Wahrheit oder
den Irrtum trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz auf jeden Fall
erkennen und als solche bewerten kann.
Im theologischen Denken präsentiert sich der
Historizismus meistens in einer Form des »Modernismus«. Mit der berechtigten
Sorge, die theologische Argumentation zeitgemäß und für den heutigen
Menschen annehmbar zu machen, bedient man sich nur jüngster Aussagen und des
gängigen philosophischen Jargons; dabei werden die kritischen Ansprüche
vernachlässigt, die im Lichte der Überlieferung eventuell erhoben werden
müßten. Weil diese Form des Modernismus Aktualität mit Wahrheit verwechselt,
erweist sie sich als unfähig, die Wahrheitsansprüche zu befriedigen, auf
welche die Theologie Antwort zu geben berufen ist.
88. Eine weitere Gefahr, auf die es zu achten gilt, ist
der Szientismus. Diese philosophische Auffassung weigert sich, neben
den Erkenntnisformen der positiven Wissenschaften andere Weisen der
Erkenntnis als gültig zuzulassen, indem sie sowohl die religiöse und
theologische Erkenntnis als auch das ethische und ästhetische Wissen in den
Bereich der reinen Phantasie verbannt. In der Vergangenheit äußerte sich
diese Vorstellung im Positivismus und Neopositivismus, die Aussagen
metaphysischen Charakters für sinnlos hielten. Die epistemologische Kritik
hat diese Einstellung in Mißkredit gebracht; so ist sie jetzt dabei, im
Gewand des Szientismus wiederzuerstehen. In dieser Sicht werden die Werte in
einfache Produkte des Gefühls verbannt; die Erkenntnis des Seins wird
zurückgestellt, um der reinen Tatsächlichkeit Platz zu machen. Die
Wissenschaft bereitet sich also darauf vor, sämtliche Aspekte des
menschlichen Daseins durch den technologischen Fortschritt zu beherrschen.
Die unbestreitbaren Erfolge der naturwissenschaftlichen Forschung und der
modernen Technologie haben zur Verbreitung der szientistischen Gesinnung
beigetragen. Diese scheint grenzenlos zu sein in Anbetracht dessen, wie sie
in die verschiedenen Kulturen eingedrungen ist und welche radikalen
Umwälzungen sie dort herbeigeführt hat.
Man muß leider feststellen, daß alles, was die Frage nach
dem Sinn des Lebens betrifft, vom Szientismus in den Bereich des
Irrationalen oder Imaginären verwiesen wird. Nicht minder enttäuschend ist
die Art, in der diese Denkströmung an die anderen großen Probleme der
Philosophie herangeht. Sofern sie nicht ignoriert werden, begegnet man ihnen
mit Analysen, die sich auf oberflächliche Analogien stützen, die einer
rationalen Grundlage entbehren. Das führt zur Verarmung des menschlichen
Denkens, dem jene Grundprobleme entzogen werden, die sich das animal
rationale von Anbeginn seines Erdendaseins an ständig gestellt hat.
Nachdem aus dieser Perspektive die aus der sittlichen Bewertung stammende
Kritik zurückgestellt worden war, gelang es der szientistischen Denkart,
viele zur Annahme der Vorstellung zu bringen, wonach das, was technisch
machbar ist, eben dadurch auch moralisch annehmbar wird.
89. Von nicht geringeren Gefahren kündet der
Pragmatismus, eine für diejenigen typische Denkhaltung, die es in ihren
Entscheidungsprozessen ausschließen, auf theoretische Überlegungen
zurückzugreifen oder auf ethischen Prinzipien gestützte Bewertungen
vorzunehmen. Die praktischen Folgen aus dieser Denkrichtung sind
beträchtlich. Insbesondere hat sich ein Demokratieverständnis durchgesetzt,
das den Bezug zu wertorientierten und deshalb unwandelbaren Grundlagen
unberücksichtigt läßt: Die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit eines bestimmten
Verhaltens entscheidet sich auf Grund des Votums der parlamentarischen
Mehrheit. (105) Welche Konsequenzen ein solcher Ansatz hat, liegt auf der
Hand: Die großen moralischen Entscheidungen des Menschen werden in
Wirklichkeit den Beschlüssen untergeordnet, die nach und nach von den
institutionellen Organen an sich gezogen werden. Mehr noch: Die
Anthropologie selbst gerät in massive Abhängigkeit durch das Angebot einer
eindimensionalen Sicht vom Menschen, der die großen sittlichen Nöte und die
existentiellen Analysen über den Sinn von Leiden und Opfer, von Leben und
Tod fern sind.
90. Die bis jetzt untersuchten Anschauungen führen
ihrerseits zu einer allgemeineren Auffassung, die heute für viele
Philosophien, die sich vom Sinn des Seins verabschiedet haben, den
gemeinsamen Horizont zu bilden scheint. Ich meine die nihilistische Deutung,
die zugleich die Ablehnung jeder Grundlage und die Leugnung jeder objektiven
Wahrheit ist. Der Nihilismus ist, ehe er noch im Gegensatz zu den
Ansprüchen und Inhalten des Wortes Gottes steht, Verneinung der Humanität
des Menschen und seiner Identität. Denn man darf nicht übersehen, daß die
Seinsvergessenheit unvermeidlich den Kontaktverlust mit der objektiven
Wahrheit und daher mit dem Grund zur Folge hat, auf dem die Würde des
Menschen fußt. So wird der Möglichkeit Platz geschaffen, vom Angesicht des
Menschen die Züge zu löschen, die seine Gottähnlichkeit offenbaren, um ihn
fortschreitend entweder zu einem zerstörerischen Machtwillen oder in die
Verzweiflung der Einsamkeit zu treiben. Wenn man dem Menschen einmal die
Wahrheit genommen hat, ist die Behauptung, ihn befreien zu wollen, reine
Illusion. Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder sie
gehen gemeinsam elend zugrunde. (106)
91. Wenn ich auf die eben erwähnten Denkrichtungen
einging, war es nicht meine Absicht, ein vollständiges Bild von der
aktuellen Situation der Philosophie zu bieten: Sie ließe sich im übrigen
schwerlich auf eine einheitliche Sicht reduzieren. Ich möchte
unterstreichen, daß das Erbe an Wissen und Weisheit tatsächlich auf
verschiedenen Gebieten eine Bereicherung erfahren hat. Es seien genannt: die
Logik, die Sprachphilosophie, die Epistemologie, die Naturphilosophie, die
Anthropologie, die eingehende Analyse der affektiven Erkenntniswege, die
existentielle Annäherung an die Analyse der Freiheit. Andererseits hat die
Bejahung des Immanenzprinzips, die im Mittelpunkt des rationalistischen
Anspruchs steht, seit dem vorigen Jahrhundert Reaktionen ausgelöst, die in
bezug auf Postulate, die für unbestreitbar gehalten wurden, zu einem
radikalen Verlust geführt haben. Auf diese Weise sind irrationale Strömungen
entstanden, während die Kritik die Vergeblichkeit des absoluten
Selbstbegründungsanspruchs der Vernunft hervorhob.
Unsere Zeit ist von einigen Denkern als die Epoche der
»Post-Moderne« eingestuft worden. Dieser Begriff, der nicht selten in
voneinander sehr weit entfernten Zusammenhängen verwendet wird, bezeichnet
das Auftauchen einer Gesamtheit neuer Faktoren, die im Hinblick auf ihre
Verbreitung und Wirksamkeit erkennen ließen, daß sie bedeutsame und
dauerhafte Veränderungen zu verursachen vermögen. So ist der Begriff anfangs
auf ästhetische, soziale und technologische Phänomene angewandt worden.
Später wurde er in den philosophischen Bereich übertragen, wobei er jedoch
eine gewisse Zweideutigkeit aufwies — sowohl deshalb, weil das Urteil über
das, was als »postmodern« eingestuft wird, manchmal positiv und manchmal
negativ ist, als auch daher, weil es kein Einvernehmen über das heikle
Problem der Abgrenzung der verschiedenen Geschichtsepochen gibt. Eines steht
jedoch außer Zweifel: Die Denkrichtungen, die sich auf die Post-Moderne
berufen, verdienen entsprechende Aufmerksamkeit. Denn nach Ansicht einiger
von ihnen wäre die Zeit der Gewißheiten hoffnungslos vorbei; nunmehr müßte
der Mensch lernen, vor einem Horizont völliger Sinnferne im Zeichen des
Vorläufigen und Vergänglichen zu leben. In ihrer zerstörerischen Kritik an
jeder Gewißheit ignorieren zahlreiche Autoren die notwendigen
Unterscheidungen und leugnen auch die Glaubensgewißheiten.
Dieser Nihilismus findet eine Art Bestätigung in der
schrecklichen Erfahrung des Bösen, die unser Zeitalter gezeichnet hat. Der
Dramatik dieser Erfahrung gegenüber vermochte der rationalistische
Optimismus, der in der Geschichte den fortschreitenden Sieg der Vernunft als
Quelle von Glück und Freiheit sah, nicht standzuhalten, so daß eine der
ärgsten Bedrohungen am Ende dieses Jahrhunderts die Versuchung der
Verzweiflung ist.
Es trifft jedoch zu, daß eine bestimmte positivistische
Geisteshaltung weiterhin die Illusion glaubhaft macht, daß dank der
naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Mensch als
Weltenschöpfer von sich allein aus dahin gelangen könne, sich der völligen
Herrschaft über sein Schicksal zu versichern.
Aktuelle Aufgaben für die Theologie [92-99]
92. Was das Verständnis der Offenbarung betrifft, so
mußte die Theologie in den unterschiedlichen Geschichtsepochen stets die
Ansprüche der verschiedenen Kulturen aufnehmen, um dann in ihnen mit einer
in sich stimmigen Begrifflichkeit den Glaubensinhalt zu vermitteln. Auch
heute hat sie eine doppelte Aufgabe. Denn sie muß einerseits der
Verpflichtung nachkommen, die ihr das II. Vatikanische Konzil seinerzeit
übertragen hat: Erneuerung ihrer Methoden im Hinblick auf einen
wirkungsvolleren Dienst an der Evangelisierung. Sollte man aus dieser Sicht
etwa nicht an die Worte denken, die von Papst Johannes XXIII. bei der
Eröffnung des Konzils gesprochen worden sind? Er sagte damals: »Es ist
notwendig, daß der lebendigen Erwartung derer, die wahrhaft die christliche,
katholische und apostolische Religion lieben, entsprochen wird und daß diese
Lehre in einer breiteren und tieferen Weise bekannt wird; es ist notwendig,
daß die einzelnen besser gebildet und geformt werden; es ist notwendig, daß
diese sichere und unveränderliche Lehre, die getreu eingehalten werden soll,
in einer Weise vertieft und dargelegt wird, die den Erfordernissen unserer
Zeit entspricht«. (107)
Andererseits muß die Theologie die Augen auf die letzte
Wahrheit richten, die ihr mit der Offenbarung anvertraut wird, ohne sich mit
einem Verweilen in Zwischenstadien zufrieden zu geben. Der Theologe tut gut
daran sich zu erinnern, daß seine Arbeit »der Dynamik entspricht, die dem
Glauben selber innewohnt«, und daß das eigentliche Objekt seines Forschens
»die Wahrheit, nämlich der lebendige Gott und sein in Jesus Christus
geoffenbarter Heilsplan« ist. (108) Diese Aufgabe, die in erster Linie die
Theologie angeht, fordert zugleich die Philosophie heraus. Das Ausmaß der
Probleme, die sich heute aufdrängen, erfordert in der Tat eine gemeinsame,
wenn auch mit verschiedenen Methoden durchgeführte Arbeit, damit die
Wahrheit wieder erkannt und zum Ausdruck gebracht wird. Die Wahrheit, die
Christus ist, erscheint nötig als universale Autorität, die sowohl die
Theologie als auch die Philosophie leitet, anregt und wachsen läßt(vgl.
Eph 4, 15).
An die Möglichkeit des Erkennens einer allgemeingültigen
Wahrheit zu glauben, ist keineswegs eine Quelle der Intoleranz; im
Gegenteil, es ist die notwendige Voraussetzung für einen ehrlichen und
glaubwürdigen Dialog der Menschen untereinander. Nur unter dieser
Voraussetzung ist es möglich, die trennenden Uneinigkeiten zu überwinden und
gemeinsam den Weg zur ganzen, ungeteilten Wahrheit einzuschlagen, indem wir
jenen Pfaden folgen, die allein der Geist des auferstandenen Herrn kennt.
(109)
Wie sich die Forderung nach Einheit heute im Hinblick auf
die aktuellen Aufgaben der Theologie konkret gestaltet, möchte ich jetzt
aufzeigen.
93. Das Hauptziel, das die Theologie anstrebt, besteht
darin, das Verständnis der Offenbarung und den Glaubensinhalt darzulegen.
Der tatsächliche Mittelpunkt ihrer Reflexion wird darum die Betrachtung des
Geheimnisses vom dreieinigen Gott sein. Zu diesem hat man Zugang, wenn man
über das Mysterium der Inkarnation des Gottessohnes nachdenkt: über seine
Menschwerdung und sein konsequentes Aufsichnehmen von Leiden und Tod, ein
Mysterium, das einmünden wird in seine glorreiche Auferstehung und Erhöhung
zur Rechten des Vaters; von dort wird er den Geist der Wahrheit aussenden,
um seine Kirche zu stiften und zu beseelen. Vorrangige Aufgabe der Theologie
wird vor diesem Horizont das Verständnis der kenosis Gottes sein, ein
wahrhaft großes Geheimnis für den menschlichen Geist, dem es unhaltbar
erscheint, daß Leiden und Tod die Liebe auszudrücken vermögen, die sich
hingibt, ohne etwas dafür einzufordern. Aus dieser Perspektive ist eine
sorgfältige Analyse der Texte grundlegend und dringend geboten: zuerst der
Schrifttexte, dann jener Texte, in denen die lebendige Überlieferung der
Kirche Ausdruck findet. In diesem Zusammenhang stellen sich heute manche,
nur zum Teil neue Probleme, für die man keine entsprechende Lösung wird
finden können, wenn man auf den Beitrag der Philosophie verzichtet.
94. Ein erster problematischer Aspekt betrifft das
Verhältnis von Bedeutung und Wahrheit. Wie jeder andere Text, so übermitteln
auch die Quellen, die der Theologe auslegt, zunächst eine Bedeutung, die
erhoben und dargelegt werden muß. Nun erscheint diese Bedeutung als die
Wahrheit über Gott, die von Gott selber durch den heiligen Text mitgeteilt
wird. Die Sprache Gottes, der durch den wunderbaren, die Logik der
Menschwerdung widerspiegelnden »Mitabstieg« seine Wahrheit mitteilt, nimmt
also in der menschlichen Sprache Gestalt an. (110) Der Theologe muß sich bei
der Auslegung der Offenbarungsquellen daher fragen, welches die tiefe und
unverfälschte Wahrheit ist, die die Texte, freilich in den Grenzen der
Sprache, mitteilen wollen.
Was die biblischen Texte und besonders die Evangelien
betrifft, so reduziert sich ihre Wahrheit sicher nicht auf die Erzählung
einfacher historischer Geschehnisse oder auf die Enthüllung neutraler
Fakten, wie es der historizistische Positivismus gern hätte. (111) Im
Gegenteil, diese Texte berichten von Ereignissen, deren Wahrheit jenseits
des gewöhnlichen geschichtlichen Geschehens liegt: sie liegt in ihrer
Bedeutung in der und für die Heilsgeschichte. Ihre vollständige
Darstellung findet diese Wahrheit in der fortwährenden Lesung und Deutung,
welche die Kirche im Laufe der Jahrhunderte von diesen Texten vornimmt,
wobei sie deren ursprüngliche Bedeutung unverändert bewahrt. Es ist daher
dringend geboten, daß man sich auch philosophisch nach dem Verhältnis fragt,
das zwischen dem Faktum und seiner Bedeutung besteht; ein Verhältnis, das
den besonderen Sinn der Geschichte begründet.
95. Das Wort Gottes wendet sich nicht an ein einziges
Volk oder an eine bestimmte Epoche. In gleicher Weise formulieren die
dogmatischen Aussagen, auch wenn sie bisweilen unter dem Einfluß der Kultur
der Zeit stehen, in der sie definiert werden, eine feststehende und
endgültige Wahrheit. Es erhebt sich also die Frage, wie sich die Absolutheit
und Universalität der Wahrheit mit der unvermeidlichen Abhängigkeit der sie
wiedergebenden Formeln von Geschichte und Kultur versöhnen läßt. Wie ich
vorhin sagte, sind die Ansichten des Historizismus unvertretbar. Hingegen
ist die Anwendung einer Hermeneutik, die für den metaphysischen Anspruch
offen ist, in der Lage zu zeigen, wie sich von den historischen Umständen
und Zufällen her, unter denen die Texte herangereift sind, der Übergang zu
der von ihnen zum Ausdruck gebrachten Wahrheit vollzieht, die diese
Abhängigkeiten hinter sich läßt.
Der Mensch vermag mit Hilfe seiner begrenzten
geschichtlichen Sprache Wahrheiten auszudrücken, die das Sprachereignis
transzendieren. Denn die Wahrheit kann niemals auf die Zeit und die Kultur
beschränkt werden; sie ist in der Geschichte zu erkennen, übersteigt aber
diese Geschichte.
96. Diese Überlegung läßt uns die Lösung eines anderen
Problems erahnen: nämlich das Problem der immerwährenden Gültigkeit der in
den Konzilsdefinitionen verwendeten Begriffssprache. Schon mein ehrwürdiger
Vorgänger Pius XII. hat sich in seiner Enzyklika Humani generis mit
dieser Frage auseinandergesetzt. (112)
Die Reflexion über dieses Thema fällt nicht leicht, weil
man ernsthaft dem Sinn Rechnung tragen muß, den die Worte in den
verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Epochen erhalten. Die Geschichte
des Denkens zeigt allerdings, daß bestimmte Grundbegriffe durch die
Entwicklung und die Vielfalt der Kulturen hindurch ihren universalen
Erkenntniswert und somit die Wahrheit der Sätze, die sie ausdrücken,
bewahren. (113) Andernfalls könnten die Philosophie und die
Naturwissenschaften sich nicht untereinander austauschen, noch könnten sie
von Kulturen übernommen werden, die verschieden von jenen sind, in denen sie
erdacht und erarbeitet wurden. Das hermeneutische Problem besteht also, ist
aber lösbar. Der realistische Wert vieler Begriffe schließt im übrigen nicht
aus, daß ihre Bedeutung oft unvollständig ist. Das philosophische Denken
könnte auf diesem Gebiet sehr hilfreich sein. Sein besonderer Einsatz bei
der Vertiefung des Verhältnisses von Begriffssprache und Wahrheit und beim
Angebot geeigneter Wege für ein richtiges Verständnis dieses Verhältnisses
ist daher wünschenswert.
97. Wenngleich die Auslegung der Quellen eine wichtige
Aufgabe der Theologie ist, so gilt ein weiteres, noch schwierigeres und
anspruchsvolleres Bemühen dem Verständnis der geoffenbarten Wahrheit
bzw. dem Prozeß des intellectus fidei. Der intellectus fidei
verlangt, wie ich schon angedeutet habe, den Beitrag einer Philosophie des
Seins, die es vor allem der dogmatischen Theologie erlaubt, ihre
Funktionen auf angemessene Weise auszuüben. Der dogmatische Pragmatismus vom
Anfang dieses Jahrhunderts, wonach die Glaubenswahrheiten nichts anderes als
Verhaltensregeln wären, ist bereits abgelehnt und zurückgewiesen worden;
(114) trotzdem bleibt immer die Versuchung bestehen, diese Wahrheiten rein
funktional zu verstehen. In diesem Fall würde man in ein unangemessenes und
verkürztes Schema verfallen, dem die spekulative Klarheit fehlt. Eine
Christologie zum Beispiel, die einseitig »von unten« vorginge, wie man heute
zu sagen pflegt, oder eine Ekklesiologie, die ausschließlich nach dem
Vorbild bürgerlicher Gesellschaften aufgebaut ist, könnten die Gefahr einer
derartigen Verkürzung kaum vermeiden.
Wenn der intellectus fidei den ganzen Reichtum der
theologischen Überlieferung integrieren soll, muß er sich der Philosophie
des Seins bedienen. Diese Philosophie des Seins wird fähig sein müssen, das
Problem des Seins je nach den Ansprüchen und Beiträgen der ganzen
philosophischen Tradition — auch der aus jüngster Zeit — wieder
aufzugreifen; dabei muß sie aber vermeiden, in blutleere Wiederholungen
veralteter Schemata zu verfallen. Die Philosophie des Seins ist im Rahmen
der christlichen metaphysischen Überlieferung eine dynamische Philosophie,
welche die Wirklichkeit in ihren ontologischen, kausalen und kommunikativen
Strukturen sieht. Sie findet ihre Kraft und Beständigkeit darin, daß sie
sich auf den Seinsakt selber stützt, der die volle und globale Öffnung
gegenüber der ganzen Wirklichkeit gestattet. Dabei überschreitet sie jede
Grenze, bis sie Den erreicht, der allem Vollendung schenkt. (115) In der
Theologie, die ihre Prinzipien von der Offenbarung als neuer
Erkenntnisquelle erhält, wird diese Sicht entsprechend dem engen Verhältnis
zwischen Glaube und metaphysischer Vernünftigkeit bestätigt.
98. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch in bezug auf
die Moraltheologie anstellen. Die Wiedergewinnung der Philosophie ist
auch für das Glaubensverständnis, das sich auf das Handeln der Gläubigen
bezieht, dringend nötig. Angesichts der heutigen Herausforderungen auf
sozialem, wirtschaftlichem, politischem und wissenschaftlichem Gebiet ist
das sittliche Gewissen des Menschen desorientiert. In der Enzyklika
Veritatis splendor habe ich hervorgehoben, daß viele der in der heutigen
Welt vorhandenen Probleme einer »Krise um die Wahrheit« entstammen. »Nachdem
die Idee von einer für die menschliche Vernunft erkennbaren universalen
Wahrheit über das Gute verloren gegangen war, hat sich unvermeidlich auch
der Begriff des Gewissens gewandelt; das Gewissen wird nicht mehr in seiner
ursprünglichen Wirklichkeit gesehen, das heißt als ein Akt der Einsicht der
Person, der es obliegt, die allgemeine Erkenntnis des Guten auf eine
bestimmte Situation anzuwenden und so ein Urteil über das richtige zu
wählende Verhalten zu fällen; man stellte sich darauf ein, dem Gewissen des
Einzelnen das Vorrecht zuzugestehen, die Kriterien für Gut und Böse autonom
festzulegen und dementsprechend zu handeln. Diese Sicht ist nichts anderes
als eine individualistische Ethik, aufgrund welcher sich jeder mit seiner
Wahrheit, die von der Wahrheit der anderen verschieden ist, konfrontiert
sieht«. (116)
In der gesamten Enzyklika habe ich die fundamentale
Rolle, die der Wahrheit im Bereich der Moral zukommt, klar und deutlich
unterstrichen. Was den Großteil der dringendsten ethischen Probleme
betrifft, verlangt diese Wahrheit von seiten der Moraltheologie ein
aufmerksames Nachdenken, das fähig ist, auf seine Wurzeln im Wort Gottes
hinzuweisen. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, muß sich die
Moraltheologie einer der Wahrheit des Guten zugewandten philosophischen
Ethik bedienen; einer Ethik also, die weder subjektivistisch noch
utilitaristisch ist. Die erforderliche Ethik impliziert und setzt eine
philosophische Anthropologie und eine Metaphysik des Guten voraus. Wenn die
Moraltheologie diese einheitliche Auffassung anwendet, die notwendigerweise
mit der christlichen Heiligkeit und mit der Übung der menschlichen und
übernatürlichen Tugenden verbunden ist, wird sie imstande sein, in höchst
angemessener und wirksamer Weise die verschiedenen Probleme anzugehen, für
die sie zuständig ist: der Friede, die soziale Gerechtigkeit, die Familie,
die Verteidigung des Lebens und der Umwelt.
99. Die theologische Arbeit in der Kirche steht
zuallererst im Dienst der Glaubensverkündigung und der Katechese. (117) Die
Verkündigung oder das Kerygma ruft zur Umkehr, indem die Wahrheit Christi
dargelegt wird, die im Ostergeheimnis ihren Höhepunkt erreicht: denn allein
in Christus ist es möglich, die Fülle der rettenden Wahrheit zu erkennen
(vgl. Apg 4, 12; 1 Tim 2, 4-6).
In diesem Zusammenhang versteht man gut, warum außer der
Theologie auch dem Bezug zur Katechese eine beträchtliche Bedeutung
zukommt: sie besitzt nämlich philosophische Implikationen, die im Lichte des
Glaubens vertieft werden müssen. Die in der Katechese vermittelte Lehre hat
für die Person eine bildende Wirkung. Die Katechese, die auch sprachliche
Mitteilung ist, muß die Lehre der Kirche in ihrer Vollständigkeit vorlegen,
(118) indem sie deren Ansatzpunkt mit dem Leben der Gläubigen aufzeigt.
(119) So verwirklicht sich eine einzigartige Verbindung zwischen Lehre und
Leben, die andernfalls unmöglich zu erreichen ist. Denn was in der Katechese
mitgeteilt wird, ist nicht eine Sammlung begrifflicher Wahrheiten, sondern
das Geheimnis des lebendigen Gottes. (120)
Die philosophische Reflexion kann viel beitragen zur
Klärung des Verhältnisses von Wahrheit und Leben, von Ereignis und
lehrmäßiger Wahrheit. Besonders kann sie zur Klärung der Beziehung zwischen
transzendenter Wahrheit und menschlich verständlicher Sprache beitragen.
(121) Die Wechselbeziehung, die zwischen den theologischen Fächern und den
von den verschiedenen philosophischen Strömungen erreichten Ergebnissen
entsteht, vermag also eine wirkliche Fruchtbarkeit zum Ausdruck zu bringen,
was die Vermittlung des Glaubens und sein tieferes Verständnis anbelangt.
SCHLUSS
100. Mehr als hundert Jahre seit der Veröffentlichung der
Enzyklika Æterni Patris Leos XIII., auf die ich auf diesen Seiten
wiederholt Bezug genommen habe, schien es mir geboten, die
Auseinandersetzung mit dem Thema des Verhältnisses von Glaube und Vernunft
auf eher systematische Weise wiederaufzunehmen. Welche Bedeutung dem
philosophischen Denken bei der Entfaltung der Kulturen und bei der
Orientierung des persönlichen und sozialen Verhaltens zukommt, ist
offenkundig. Auch auf die Theologie und ihre verschiedenen Disziplinen übt
das philosophische Denken einen starken Einfluß aus, auch wenn dieser nicht
immer explizit wahrgenommen wird. Ich habe es aus vielen Gründen für richtig
und notwendig gehalten, den Wert der Philosophie für das Glaubensverständnis
ebenso zu unterstreichen wie die Grenzen, an die sie stößt, wenn sie die
Offenbarungswahrheiten vergißt oder zurückweist. Denn die Kirche hält
zutiefst an ihrer Überzeugung fest, daß sich Glaube und Vernunft
»wechselseitig Hilfe leisten können«, (122) indem sie füreinander eine
Funktion sowohl kritisch-reinigender Prüfung als auch im Sinne eines
Ansporns ausüben, auf dem Weg der Suche und Vertiefung voranzuschreiten.
101. Wenn wir unseren Blick auf die Geschichte vor allem
des abendländischen Denkens richten, läßt sich leicht erkennen, welcher
Reichtum für den Fortschritt der Menschheit aus der Begegnung zwischen
Philosophie und Theologie und aus dem Austausch ihrer jeweiligen
Errungenschaften hervorgegangen ist. Die Theologie, die eine Offenheit und
Originalität geschenkt bekommen hat, denen sie ihre Existenzberechtigung als
Wissenschaft vom Glauben verdankt, hat mit Sicherheit die Vernunft dazu
veranlaßt, gegenüber der radikalen Neuheit offen zu bleiben, wie sie die
Offenbarung Gottes darstellt. Das war zweifellos von Vorteil für die
Philosophie, die erlebt hat, daß sich auf diese Weise neue Horizonte über
weitere Bedeutungen erschließen, die zu vertiefen die Vernunft berufen ist.
Im Lichte dieser Feststellung halte ich es — wie ich die
Aufgabe der Theologie, ihr wahres Verhältnis zur Philosophie
wiederherzustellen, betont habe — für meine Pflicht, die Notwendigkeit zu
unterstreichen, daß um des Wohles und Fortschrittes des Denkens willen auch
die Philosophie ihre Beziehung zur Theologie zurückgewinnen soll. Die
Philosophie wird in der Theologie nicht die Überlegung des einzelnen
Individuums finden, die, so tief und reich sie sein mag, immer auch die dem
Denken eines Einzelnen eigenen perspektivischen Grenzen aufweist, sondern
den Reichtum eines gemeinsamen Nachdenkens. Denn die Theologie stützt sich
von ihrem Wesen her bei der Erforschung der Wahrheit auf das Merkmal der
Kirchlichkeit (123) und auf die Tradition des Gottesvolkes mit ihrer
Vielfalt an Wissen und Kulturen in der Einheit des Glaubens.
102. Während die Kirche so immer wieder auf die Bedeutung
und die wahren Dimensionen des philosophischen Denkens zurückkommt, fördert
sie zugleich sowohl die Verteidigung der Menschenwürde wie auch die
Verkündigung der Botschaft, die das Evangelium enthält. Denn die dringend
notwendige Vorbereitung auf diese Aufgaben besteht heute darin, die Menschen
zur Entdeckung ihrer Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis (124) und ihrer
Sehnsucht nach einem letzten, endgültigen Sinn des Daseins zu führen. In der
Sicht dieser tiefen, der menschlichen Natur von Gott eingeschriebenen
Bedürfnisse gewinnt auch die Bedeutung des Wortes Gottes deutlicher
sichtbare Konturen: sie ist menschlich und macht menschlicher. Dank der
Vermittlung einer zu echter Weisheit gewordenen Philosophie wird der heutige
Mensch allmählich erkennen können, daß er um so mehr Mensch sein wird, je
mehr er sich, im Vertrauen auf das Evangelium, Christus öffnet.
103. Zudem ist die Philosophie gleichsam der Spiegel, in
dem sich die Kultur der Völker niederschlägt. Eine Philosophie, die sich
unter der Herausforderung der theologischen Ansprüche in Übereinstimmung mit
dem Glauben entfaltet, gehört zu jener »Evangelisierung der Kultur«, die
Paul VI. zu einem der Hauptziele der Evangelisierung erklärt hat. (125)
Während ich nicht müde werde, auf die Dringlichkeit einer
Neuevangelisierung hinzuweisen, rufe ich die Philosophen auf, die
Dimensionen des Wahren, Guten und Schönen, zu denen das Wort Gottes
hinführt, zu vertiefen. Das wird um so dringender, wenn man die
Herausforderungen berücksichtigt, die das neue Jahrtausend mitzubringen
scheint: sie betreffen in besonderer Weise die Regionen und Kulturen alter
christlicher Tradition. Darauf zu achten, darf als ein grundlegender und
origineller Beitrag auf dem Weg der Neuevangelisierung angesehen werden.
104. Das philosophische Denken ist oft das einzige
Terrain für Verständigung und Dialog mit denen, die unseren Glauben nicht
teilen. Die philosophische Bewegung der heutigen Zeit verlangt den
aufmerksamen und kompetenten Einsatz gläubiger Philosophen, die fähig sind,
die Erwartungen, Öffnungen und Problemstellungen dieses geschichtlichen
Augenblicks zu erfassen. Während der christliche Philosoph im Lichte der
Vernunft und nach ihren Regeln argumentiert, sich dabei aber immer von dem
weitergehenden Verständnis leiten läßt, das ihm das Wort Gottes schenkt,
kann er eine Überlegung entwickeln, die auch für den verständlich und
wahrnehmbar sein wird, der die volle Wahrheit, die die göttliche Offenbarung
kundtut, noch nicht begreift. Dieses Terrain von Verständigung und Dialog
ist heute um so wichtiger, da die Probleme, die sich der Menschheit immer
dringender stellen — man denke an die Probleme der Umwelt, des Friedens oder
des Zusammenlebens von Rassen und Kulturen —, eine mögliche Lösung finden im
Licht einer klaren, ehrlichen Zusammenarbeit der Christen mit den Gläubigen
anderer Religionen und mit allen, denen die Erneuerung der Menschheit am
Herzen liegt, selbst wenn sie keinen religiösen Glauben teilen. Das hat das
II. Vatikanische Konzil ausgesprochen: »Der Wunsch nach einem solchen
Dialog, geführt einzig aus Liebe zur Wahrheit und unter Wahrung angemessener
Diskretion, schließt unsererseits niemanden aus, weder jene, die hohe Güter
der Humanität pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen, noch jene,
die Gegner der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen«. (126)
Eine Philosophie, in der etwas von der Wahrheit Christi, der einzigen
endgültigen Antwort auf die Probleme des Menschen, (127) zum Leuchten kommt,
wird eine wirksame Stütze für jene wahre und zugleich weltweite Ethik sein,
die die Menschheit heute braucht.
105. Es drängt mich, diese Enzyklika mit einem letzten
Gedanken abzurunden, mit dem ich mich vor allem an die Theologen
wende, damit sie den philosophischen Implikationen des Wortes Gottes
besondere Aufmerksamkeit schenken und eine Überlegung anstellen, aus der
sich die spekulative und praktische Substanz der theologischen Wissenschaft
ergibt. Ich möchte ihnen für ihren kirchlichen Dienst danken. Die engen
Bande zwischen der theologischen Weisheit und dem philosophischen Wissen ist
einer der ursprünglichsten Schätze christlicher Tradition bei der Vertiefung
der geoffenbarten Wahrheit. Darum fordere ich sie auf, die metaphysische
Dimension der Wahrheit wiederzugewinnen und besser herauszustellen, um so in
einen kritischen und anspruchsvollen Dialog einzutreten sowohl mit dem
philosophischen Denken unserer Zeit wie auch mit der gesamten
philosophischen Tradition, ob sie nun im Einklang mit dem Wort Gottes oder
aber im Gegensatz zu ihm steht. Sie sollen sich stets die Anleitung eines
großen Meisters des Denkens und der Spiritualität vor Augen halten, des hl.
Bonaventura, der den Leser, den er in sein Itinerarium mentis in Deum
einführte, darum bat, sich im klaren zu sein, daß »Lesung ohne Reue,
Erkenntnis ohne Frömmigkeit, Suchen ohne den Überschwang des Staunens,
Klugheit ohne die Fähigkeit zur Hingabe an die Freude, Tätigkeit losgelöst
von der Religiosität, Wissen getrennt von der Liebe, Intelligenz ohne Demut,
Studium ohne den Halt der göttlichen Gnade, Nachdenken ohne die von Gott
inspirierte Weisheit — daß all das nicht ausreicht«. (128)
Mein Gedanke gilt auch allen, denen die Verantwortung
für die Priesterausbildung sowohl in akademischer als auch in pastoraler
Hinsicht obliegt: Sie mögen sich mit besonderer Aufmerksamkeit um die
philosophische Ausbildung derer kümmern, die künftig dem Menschen von heute
das Evangelium verkünden sollen, und noch mehr derer, die sich später der
Forschung und Lehre der Theologie widmen werden. Sie mögen sich bemühen,
ihre Arbeit nach den Vorschriften des II. Vatikanischen Konzils (129) und
der nachfolgenden Verfügungen zu vollziehen, aus denen die unabdingbare und
dringende Aufgabe hervorgeht, zu der wir alle berufen sind: beizutragen zu
einer unverfälschten und gründlichen Vermittlung der Glaubenswahrheit. Nicht
zu vergessen ist die hohe Verantwortung für eine angemessene Vorbereitung
des Lehrkörpers, dem der Philosophieunterricht an den Priesterseminarien und
kirchlichen Fakultäten anvertraut werden soll. (130) Eine solche
Lehrtätigkeit setzt natürlich eine entsprechende wissenschaftliche
Ausbildung voraus; sie muß systematisch erfolgen, wenn sie das große Erbe
der christlichen Tradition vorlegt, und sie muß angesichts der aktuellen
Bedürfnisse von Kirche und Welt mit gebührendem Unterscheidungsvermögen
wahrgenommen werden.
106. Mein Appell richtet sich außerdem an die
Philosophen und an alle, die Philosophie lehren: Sie mögen in Anbetracht
einer ewig gültigen philosophischen Tradition den Mut haben, die Dimensionen
echter Weisheit und auch metaphysischer Wahrheit des philosophischen Denkens
zurückzugewinnen. Sie mögen Anfragen, die von aus dem Wort Gottes
entspringenden Forderungen erhoben werden, an sich herankommen lassen und
die Kraft haben, ihre rationale Argumentation in Beantwortung dieser
Anfragen vorzunehmen. Sie mögen sich immer nach der Wahrheit ausstrecken und
auf das Gute achten, das das Wahre enthält. Auf diese Weise werden sie jene
unverfälschte Ethik formulieren können, welche die Menschheit besonders in
der heutigen Zeit so dringend braucht. Die Kirche verfolgt die Forschungen
der Philosophen mit Aufmerksamkeit und Sympathie; sie können daher sicher
sein, daß die Kirche die berechtigte Selbständigkeit ihrer Wissenschaft
stets achten wird. Besonders ermutigen möchte ich die Gläubigen, die auf dem
Gebiet der Philosophie tätig sind: sie sollen die verschiedenen Bereiche
menschlicher Tätigkeit erleuchten, indem sie eine Vernunft gebrauchen, die,
vom Glauben unterstützt, noch sicherer und scharfsinniger wird.
Schließlich muß ich auch noch ein Wort an die
Naturwissenschaftler richten, die uns durch ihre Forschungen wachsende
Kenntnis vermitteln vom gesamten Universum und von der unglaublich reichen
Vielfalt seiner belebten und unbelebten Bestandteile mit ihren komplexen
atomaren und molekularen Strukturen. Der Weg, den sie zurückgelegt haben,
ist besonders in diesem Jahrhundert an Ziele gestoßen, die uns noch immer in
Erstaunen versetzen. Wenn ich diesen mutigen Pionieren der
wissenschaftlichen Forschung, denen die Menschheit in hohem Maße ihre
derzeitige Entwicklung zu verdanken hat, meine Bewunderung und Ermutigung
ausspreche, fühle ich mich gleichzeitig verpflichtet, sie aufzufordern, in
ihren Bemühungen fortzufahren und dabei stets in jenem Weisheitshorizont
zu bleiben, in dem die naturwissenschaftlichen und technologischen
Errungenschaften von den philosophischen und sittlichen Werten flankiert
sind. Diese Werte sind der charakteristische und unverzichtbare Ausdruck der
menschlichen Person. Der Wissenschaftler ist sich wohl bewußt, daß »die
Suche nach der Wahrheit, auch wenn sie eine begrenzte Wirklichkeit der Welt
oder des Menschen betrifft, nie ans Ende kommt, sondern immer zu etwas
hinführt, das über dem unmittelbaren Forschungsgegenstand liegt; sie führt
zu Fragen, die den Zugang zum Geheimnis ermöglichen«. (131)
107. Alle bitte ich, sich intensiv um den
Menschen, den Christus im Geheimnis seiner Liebe gerettet hat, und um sein
ständiges Suchen nach Wahrheit und Sinn zu kümmern. Verschiedene
philosophische Systeme haben ihn durch Täuschung überzeugt, daß er sein
absolut eigener Herr sei, der autonom über sein Schicksal und seine Zukunft
entscheiden könne, wenn er ausschließlich auf sich selbst und seine Kräfte
vertraut. Das wird niemals die Größe des Menschen ausmachen können.
Bestimmend für seine Verwirklichung wird nur die Entscheidung sein, sich
dadurch in die Wahrheit einzufügen, daß er im Schatten der Weisheit seine
Wohnung errichtet und in ihr wohnen bleibt. Erst in diesem Wahrheitshorizont
wird er begreifen, wie sich seine Freiheit im Vollsinn entfaltet und daß er
zur Liebe und zur Erkenntnis Gottes berufen ist. Darin liegt seine höchste
Selbstverwirklichung.
108. Mein letzter Gedanke gilt derjenigen, die das Gebet
der Kirche als Sitz der Weisheit anruft. Ihr Leben ist ein wahres
Gleichnis, daß den zurückgelegten Weg meiner Überlegung zu erleuchten
vermag. Denn es läßt sich ein tiefer Einklang erahnen zwischen der Berufung
der seligen Jungfrau Maria und der Berufung echter Philosophie. Wie die
Jungfrau berufen wurde, ihr ganzes Sein als Mensch und Frau darzubringen,
damit das Wort Gottes Fleisch und einer von uns werden konnte, so ist die
Philosophie berufen, ihre kritische Vernunftarbeit zu leisten, damit die
Theologie als Verständnis des Glaubens fruchtbar und wirksam sei. Wie Maria
durch ihre Zustimmung zu der von Gabriel verkündeten Botschaft nichts von
ihrem wahren Menschsein und ihrer Freiheit eingebüßt hat, so verliert das
philosophische Denken nichts von seiner Autonomie, wenn es sich der Anfrage
stellt, die von der Wahrheit des Evangeliums kommt. Das philosophische
Denken erlebt vielmehr, daß sein ganzes Forschen zur höchsten Verwirklichung
angespornt wird. Diese Wahrheit haben die heiligen Mönche des christlichen
Altertums sehr gut verstanden, wenn sie Maria »den geistigen Tisch des
Glaubens« (132) nannten. In ihr erblickten sie das stimmige Abbild der
Philosophie und waren überzeugt, sie müßten in Maria philosophieren
[philosophari in Maria].
Möge der Sitz der Weisheit der sichere Hafen für alle
sein, die ihr Leben zur Suche nach der Weisheit machen. Möge der Weg zur
Weisheit, dem letzten und glaubwürdigen Ziel jedes wahren Wissens, von jedem
Hindernis befreit werden. Dafür rufen wir die Fürsprache derjenigen an, die
der ganzen Menschheit für immer die Wahrheit dadurch mitgeteilt hat, daß sie
sie hervorgebracht und in ihrem Herzen bewahrt hat.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 14. September, dem
Fest Kreuzerhöhung, des Jahres 1998, dem zwanzigsten meines Pontifikates.
(1) Das schrieb ich bereits in
meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis: »So sind wir also
Teilhaber an dieser prophetischen Sendung Christi geworden, und aus der
Kraft der gleichen Sendung dienen wir zusammen mit ihm der göttlichen
Wahrheit in der Kirche. Die Verantwortung für eine solche Wahrheit bedeutet
auch, sie zu lieben und möglichst genau zu verstehen zu suchen, damit sie
uns selbst und den anderen in aller ihrer erlösenden Kraft, in ihrem hellen
Glanz, in ihrer Tiefe und zugleich Einfachheit immer vertrauter wird«, Nr.
19: AAS 71 (1979), 306.
(2) Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 16.
(3) Dogmatische Konstitution über
die Kirche Lumen gentium, 25.
(4) Nr. 4: AAS 85 (1993),
1136.
(5) II. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.
(6) Vgl. Dogmatische Konstitution
über den katholischen Glauben Dei Filius, Kap. III: DS 3008.
(7) Ebd., Kap. IV: DS
3015; zitiert auch in II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die
Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 59.
(8) Dogmatische Konstitution über
die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2.
(9) Apostolisches Schreiben
Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 10: AAS 87
(1995), 11.
(10) Nr. 4.
(11) Nr. 8.
(12) Nr. 22.
(13) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
4.
(14) Ebd., 5.
(15) Das I. Vatikanische Konzil,
auf das der oben angeführte Satz Bezug nimmt, lehrt, daß der Gehorsam des
Glaubens die Aufbietung des Verstandes und des Willens erfordert: »Da der
Mensch ganz von Gott als seinem Schöpfer und Herrn abhängt und die
geschaffene Vernunft der ungeschaffenen Wahrheit völlig unterworfen ist,
sind wir gehalten, dem offenbarenden Gott im Glauben vollen Gehorsam des
Verstandes und des Willens zu leisten« (Dogmatische Konstitution über den
katholischen Glauben Dei Filius, Kap. III: DS 3008).
(16) Vgl. Sequenz am Fest
des heiligsten Leibes und Blutes Christi.
(17) Pensées, 789 (ed. L.
Brunschvicg).
(18) II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 22.
(19) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
2.
(20) Proslogion, Proemium
und Nr. 1.15: PL 158, 223-224.226; 235.
(21) De vera religione,
XXXIX, 72: CCL 32, 234.
(22) »Ut te semper desiderando
quaererent et inveniendo quiescerent«: Missale Romanum.
(23) Aristoteles, Metaphysik,
I,1.
(24) Bekenntnisse, X, 23,
33: CCL 27, 173.
(25) Nr. 34: AAS 85
(1993), 1161.
(26) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolisches Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984), 9:
AAS 76 (1984), 209-210.
(27) Vgl. II. Vat. Konzil,
Erklärung über die Beziehungen der Kirche zu den nichtchristlichen
Religionen Nostra aetate, 2.
(28) Von dieser von mir seit
langem verfolgten Argumentation habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten
gesprochen: »“Was ist der Mensch, und wozu nützt er? Was ist gut an ihm und
was ist schlecht?” (Sir 18, 8)... Diese Fragen trägt jeder Mensch im
Innersten seines Herzens, wie der dichterische Genius aller Zeiten und
Völker beweist, der wie eine Prophezeiung der Menschheit immer wieder die
ernste Frage stellt, die den Menschen erst wirklich zum Menschen macht.
Sie drücken die Dringlichkeit aus, einen Grund für das Dasein zu finden, für
jeden seiner Augenblicke, für die wichtigen und entscheidenden Perioden
ebenso wie für den gewöhnlichen Alltag. In diesen Fragen bestätigt sich die
tiefe Vernünftigkeit des menschlichen Daseins, denn Verstand und Wille des
Menschen werden hier angeregt, in Freiheit nach einer Lösung zu suchen, die
dem Leben einen vollen Sinn zu bieten vermag. Diese Fragen stellen daher den
erhabensten Ausdruck der Natur des Menschen dar: Infolgedessen ist die
Antwort auf sie der Maßstab für die Tiefe, mit der er sein Dasein bewältigt.
Besonders wenn man bei der Suche nach der letzten und erschöpfendsten
Antwort den Grund der Dinge vollständig erforschen will, erreicht die
menschliche Vernunft ihren Gipfel und öffnet sich dem Religiösen. Denn die
Religiosität stellt die erhabenste Äußerung der menschlichen Person dar,
weil sie der Höhepunkt ihrer Natur als Vernunftwesen ist. Sie entspringt der
tiefen Sehnsucht des Menschen nach der Wahrheit und liegt seinem freien und
persönlichen Suchen nach dem Göttlichen zugrunde« Generalaudienz am 19.
Oktober 1983, 1-2, in: Insegnamenti VI, 2 (1983), 814-815.
(29) »[Galilei] hat ausdrücklich
erklärt, daß die beiden Wahrheiten, die Wahrheit des Glaubens und die
Wahrheit der Wissenschaft, niemals einander widersprechen können, “da die
Heilige Schrift und die Natur gleichermaßen dem göttlichen Wort entspringen,
jene als diktiert vom Heiligen Geist, diese als getreue Vollstreckerin der
Anordnungen Gottes”, wie er in seinem Brief an P. Benedetto Castelli am 21.
Dezember 1613 schrieb. Das II. Vatikanische Konzil drückt sich nicht anders
aus; ja, es nimmt die gleiche Ausdrucksweise wieder auf, wenn es lehrt:
“Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in
einer wirklichen wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der
Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem
Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des
Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben” (Gaudium et spes,
36). Galilei fühlt bei seiner wissenschaftlichen Forschung die Gegenwart des
Schöpfers, der ihn anspornt, seinen Eingebungen zuvorkommt und beisteht,
indem er in der Tiefe seines Geistes wirkt«. Johannes Paul II. Ansprache an
die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, 10. November 1979:
Insegnamenti, II, 2 (1979), 1111-1112.
(30) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
4.
(31) Contra Celsum, 3, 55:
SC 136, 130.
(32) Dialog mit Triphon,
8, 1: PG 6, 492.
(33) Stromata, I, 18, 90:
SC 30, 115.
(34) Vgl. ebd., I, 16, 80,
5: SC 30, 108.
(35) Vgl. ebd., I, 5, 28,
1: SC 30, 65.
(36) Ebd., VI, 7, 55, 1-2:
PG 9, 277.
(37) Ebd., I, 20, 100, 1:
SC 30, 124.
(38) Hl. Augustinus,
Confessiones VI, 5, 7: CCL 27, 77-78.
(39) Vgl. ebd., VII, 9,
13-14: CCL 27, 101-102.
(40) De praescriptione
haereticorum, VII, 9: SC 46, 98: »Quid ergo Athenis et
Hierosolymis? Quid academiae et ecclesiae?«.
(41) Vgl. Kongregation für das
Katholische Bildungswesen, Instruktion über das Studium der Kirchenväter in
der Priesterausbildung (10. November 1989), 25: AAS 82 (1990),
617-618.
(42) Hl. Anselm, Proslogion,
1: PL 158, 226. »Ich bin geschaffen worden, um dich zu schauen; und
ich habe noch nicht getan, wozu ich geschaffen worden bin«.
(43) Ders., Monologion,
64: PL 158, 210.
(44) Vgl. Hl. Thomas von Aquin,
Summa contra Gentiles, I, VII.
(45) Vgl. ders., Summa
Theologiae, I, 1, 8 ad 2: »cum enim gratia non tollat naturam sed
perficiat«.
(46) Vgl. Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer am IX. Internationalen Thomas-Kongreß (29.
September 1990): Insegnamenti, XIII, 2 (1990), 770-771.
(47) Apostolisches Schreiben
Lumen Ecclesiae (20. November 1974), 8: AAS 66 (1974), 680.
(48) Vgl. I, 1, 6: »Praeterea,
haec doctrina per studium acquiritur. Sapientia autem per infusionem
habetur, unde inter septem dona Spiritus Sancti connumeratur«.
(49) Ebd., II, II, 45, 1
ad 2; vgl. auch II, II, 45, 2.
(50) Ebd., I, II, 109, 1
ad 1, greift den bekannten Satz des Ambrosiaster auf, In prima Cor
12, 3: PL 17, 258: “Alles Wahre, wer auch immer es sagt, ist vom
Heiligen Geist”.
(51) Leo XIII., Enzyklika
Æterni Patris (4. August 1879): AAS 11 (1878-1879), 109.
(52) Paul VI., Apostol. Schreiben
Lumen Ecclesiae (20. November 1974), 8: AAS 66 (1974), 683.
(53) Enzyklika Redemptor
hominis (4. März 1979), 15: AAS 71 (1979), 286.
(54) Vgl. Pius XII., Enzyklika
Humani generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 566.
(55) Vgl. I. Vat. Konzil, Erste
Dogmatische Konstitution über die Kirche Christi Pastor aeternus,
DS 3070; II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche
Lumen gentium, 25c.
(56) Vgl. Synode von
Konstantinopel, DS 403.
(57) Vgl. I. Konzil von Toledo,
DS 205; I. Konzil von Braga, DS 459-460; Sixtus V., Bulle
Coeli et terrae Creator (5. Januar 1586): Bullarium Romanum 4/4,
Romae 1747, 176-179; Urban VIII., Inscrutabilis iudiciorum (1. April
1631): Bullarium Romanum 6/1, Romae 1758, 268-270.
(58) Vgl. Konzil von Vienne,
Dekret Fidei catholicae, DS 902; V. Laterankonzil, Bulle
Apostolici regiminis: DS 1440.
(59) Vgl. Theses a Ludovico
Eugenio Bautain iussu sui Episcopi subscriptae (8. September 1840),
DS 2751-2756; Theses a Ludovico Eugenio Bautain ex mandato S. Congr.
Episcoporum et Religiosorum subscriptae (26. April 1844), DS
2765-2769.
(60) Vgl. Hl. Indexkongregation,
Dekret Theses contra traditionalismum Augustini Bonnetty (11. Juni
1855), DS 2811-2814.
(61) Vgl. Pius IX., Breve
Eximiam tuam (15. Juni 1857), DS 2828-2831; Breve Gravissimas
inter (11. Dezember 1862), DS 2850-2861.
(62) Vgl. Kongregation des Hl.
Offiziums, Dekret Errores ontologistarum (18. September 1861), DS
2841-2847.
(63) Vgl. I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
II: DS 3004; und can. 2.1: DS 3026.
(64) Ebd., IV: DS
3015, zitiert in: II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in
der Welt von heute Gudium et spes, 59.
(65) I. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius, IV: DS
3017.
(66) Vgl. Enzyklika Pascendi
dominici gregis (8. September 1907): AAS 40 (1907), 596-597.
(67) Vgl. Pius XI., Enzyklika
Divini Redemptoris (19. März 1937): AAS 29 (1937), 65-106.
(68) Enzyklika Humani generis
(12. August 1950): AAS 42 (1950), 562-563.
(69) Ebd., aaO., 563-564.
(70) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolische Konstitution Pastor Bonus (28. Juni 1988), Art. 48-49:
AAS 80 (1988), 873; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion
über die kirchliche Berufung des Theologen Donum veritatis (24. Mai
1990), 18: AAS 82 (1990), 1558.
(71) Vgl. Instruktion über einige
Aspekte der »Theologie der Befreiung« Libertatis nuntius (6. August
1984), VII-X: AAS 76 (1984), 890-903.
(72) Das I. Vatikanische Konzil
hatte mit ebenso klaren wie gebieterischen Worten diesen Irrtum bereits
verurteilt, indem es einerseits sagte: »Dieser Glaube aber [...] ist nach
dem Bekenntnis der katholischen Kirche eine übernatürliche Tugend, durch die
wir mit Unterstützung und Hilfe der Gnade Gottes glauben, daß das von ihm
Geoffenbarte wahr ist, nicht etwa wegen der vom natürlichen Licht der
Vernunft durchschauten inneren Wahrheit der Dinge, sondern wegen der
Autorität des offenbarenden Gottes selbst, der weder sich täuschen noch
täuschen kann«: Dogmatische Konstitution Dei Filius, III: DS
3008, und can. 3, 2: DS 3032. Andererseits erklärte das Konzil, daß
die Vernunft niemals »dazu befähigt wird, sie [diese Geheimnisse] genauso zu
durchschauen wie die Wahrheiten, die ihren eigentlichen
(Erkenntnis)gegenstand ausmachen«: ebd., IV: DS 3016. Daraus
zog es die praktische Folgerung: »Deswegen ist nicht nur allen gläubigen
Christen verboten, solche Meinungen, von denen man erkennt, daß sie der
Lehre des Glaubens entgegengesetzt sind — vor allem, wenn sie von der Kirche
verworfen wurden —, als rechtmäbige Folgerungen der Wissenschaft zu
verteidigen, sondern sie sind vielmehr durchaus verpflichtet, sie für
Irrtümer zu halten, die den trügerischen Schein von Wahrheit vor sich
hertragen«: ebd., IV: DS 3018.
(73) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
Nr. 9-10.
(74) Ebd., 10.
(75) Ebd., 21.
(76) Vgl. ebd., 10.
(77) Vgl. Enzyklika Humani
generis (12. August 1950): AAS 42 (1950), 565-567; 571-573.
(78) Vgl. Enzyklika Æterni
Patris (4. August 1879): AAS 11 (1878-1879), 97-115.
(79) Ebd., aaO., 109.
(80) Vgl. II. Vat. Konzil,
Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes,
14-15.
(81) Vgl. ebd., 20-21.
(82) Ebd., 22; vgl.
Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 8:
AAS 71 (1979), 271-272.
(83) II. Vat. Konzil, Dekret über
die Priesterausbildung Optatam totius, 15.
(84) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Konstitution Sapientia christiana (15. April 1979), Art.
79-80: AAS 71 (1979), 495-496; Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Pastores dabo vobis (25. März 1992), 52: AAS 84 (1992),
750-751. Vgl. auch einige Kommentare zur Philosophie des hl. Thomas:
Ansprache an die Päpstliche Internationale Universität Angelicum (17.
November 1979): Insegnamenti II, 2 (1979), 1177-1189; Ansprache an
die Teilnehmer am VIII. Internationalen Thomistischen Kongreß (13.
September 1980): Insegnamenti III, 2 (1980), 604-615; Ansprache an
die Teilnehmer am Internationalen Kongreß der »Sankt Thomas«-Gesellschaft
(4. Januar 1986): Insegnamenti IX, 1 (1986), 18-24. Ferner: Hl.
Kongregation für die Katholische Erziehung, Ratio fundamentalis
institutionis sacerdotalis (6. Januar 1970), 70-75: AAS 62
(1970), 366-368; Dekret Sacra Theologia (20. Januar 1972): AAS
64 (1972), 583-586.
(85) Vgl. Pastoralkonstitution
über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 57; 62.
(86) Vgl. ebd., 44.
(87) Vgl. V. Laterankonzil, Bulle
Apostolici regimini sollicitudo, sessio VIII: Conc. Oecum. Decreta,
1991, 605-606.
(88) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
10.
(89) Hl. Thomas von Aquin,
Summa Theologiae, II-II, 5, 3 ad 2.
(90) »Die Erforschung der
Bedingungen, unter denen der Mensch von sich aus die ersten grundlegenden
Fragen stellt nach dem Sinn des Lebens, nach dem Ziel, das er ihm geben
will, und nach dem, was ihn nach dem Tod erwartet, bildet für die
Fundamentaltheologie den notwendigen Vorspann, damit auch heute der Glaube
der Vernunft in ihrer aufrichtigen Suche nach der Wahrheit voll den Weg
weisen kann«: Johannes Paul II., Schreiben an die Teilnehmer an dem
internationalen Kongreß für Fundamentaltheologie zum 125. Jahrestag der
Veröffentlichung von “Dei Filius” (30. September 1995), 4:
L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1995, S. 8.
(91) Ebd.
(92) Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 15; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes,
22.
(93) Hl. Thomas von Aquin, De
Caelo, 1, 22.
(94) Vgl. II. Vat. Konzil,
Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et
spes, 53-59.
(95) Hl. Augustinus, De
praedestinatione sanctorum, 2, 5: PL 44, 963.
(96) Ders., De fide, spe et
caritate, 7: CCL 64, 61.
(97) Vgl. Konzil von Chalkedon,
Symbolum, Definitio: DS 302.
(98) Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 15: AAS 71 (1979),
286-289.
(99) Vgl. z.B. Hl. Thomas von
Aquin, Summa Theologiae, I, 16, 1; Hl. Bonaventura, Coll. in Hex.,
3, 8, 1.
(100) Pastoralkonstitution über
die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 15.
(101) Vgl. Johannes Paul II.,
Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), 57-61: AAS 85
(1993), 1179-1182.
(102) Vgl. I. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius,
IV: DS 3016.
(103) Vgl. IV. Laterankonzil,
De errore abbatis Ioachim, II: DS 806.
(104) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
24; Dekret über die Priesterausbildung Optatam totius, 16.
(105) Vgl. Johannes Paul II.,
Evangelium vitae (25. März 1998), 69: AAS 87 (1995), 481.
(106) Im selben Sinn schrieb ich
in meiner ersten Enzyklika zur Erläuterung des Wortes aus dem
Johannesevangelium: “Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird
euch frei machen” (8, 32): »Diese Worte schließen eine wesentliche Forderung
und zugleich eine Ermahnung ein: die Forderung eines ehrlichen Verhältnisses
zur Wahrheit als Bedingung einer authentischen Freiheit; und auch die
Ermahnung, daß jede nur scheinbare Freiheit, jede oberflächliche und
einseitige Freiheit und jede Freiheit, die nicht von der ganzen Wahrheit
über den Menschen und die Welt geprägt ist, vermieden werde. Auch heute,
nach zweitausend Jahren, erscheint uns Christus als der, der dem Menschen
die Freiheit bringt, die auf der Wahrheit begründet ist, als der, der den
Menschen befreit von allem, was diese Freiheit in der Seele des Menschen, in
seinem Herzen und in seinem Gewissen beschränkt, schmälert und gleichsam von
den Ursprüngen selbst trennt«: Enzyklika Redemptor hominis (4. März
1979), 12: AAS 71 (1979), 280-281.
(107) Ansprache zur Eröffnung
des Konzils (11. Oktober 1962): AAS 54 (1962), 792.
(108) Kongregation für die
Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen
Donum veritatis (24. Mai 1990), 7-8: AAS 82 (1990), 1552-1553.
(109) Indem ich Joh 16, 12-13
kommentierte, habe ich in der Enzyklika Dominum et vivificantem
geschrieben: »Jesus stellt den Beistand, den Geist der Wahrheit, als
denjenigen dar, der “lehren” und “erinnern” wird, der für ihn “Zeugnis
ablegen” wird; jetzt sagt er: “Er wird euch in die ganze Wahrheit führen”.
Dieses “Einführen in die Wahrheit” im Hinblick auf das, was die Apostel
jetzt noch nicht tragen können, hängt notwendigerweise mit der
Entäußerung Christi durch Leiden und Tod am Kreuz zusammen, die damals,
als diese Worte gesprochen wurden, kurz bevorstand. Dann wird jedoch
deutlich, daß dieses “Einführen in die ganze Wahrheit” sich nicht nur auf
das “scandalum crucis” bezieht, sondern auch auf alles, was Christus “getan
und gelehrt hat” (Apg 1, 1). Denn das gesamte Mysterium Christi
erfordert den Glauben, weil dieser es ist, der den Menschen auf angemessene
Weise in die Wirklichkeit des geoffenbarten Geheimnisses einführt. Die
“Einführung in die ganze Wahrheit” verwirklicht sich also im Glauben und mit
Hilfe des Glaubens: Sie ist das Werk des Geistes der Wahrheit und die Frucht
seines Wirkens im Menschen. Der Heilige Geist muß hierbei der oberste Führer
des Menschen, das Licht des menschlichen Geistes sein«: Nr. 6: AAS 78
(1986), 815-816.
(110) Vgl. II. Vat. Konzil,
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum,
13.
(111) Vgl. Päpstliche
Bibelkommission (21. April 1994): Instruktion über die historische Wahrheit
der Evangelien: AAS 56 (1964), 713.
(112) »Es ist klar, daß sich die
Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System binden
kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in
jahrhundertelanger Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem
Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem
so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die der
wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen: bei
Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung, wie
ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte. Daher ist
es nicht zu verwundern, daß einige derartige Begriffe von Ökumenischen
Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt wurden, so daß es
nicht erlaubt ist, davon abzugehen«: Enzyklika Humani generis (12.
August 1950): AAS 42 (1950), 566-567; vgl. Internationale
Theologenkommission, Dokument Interpretationis problema (Oktober
1989): Ench. Vat. 11, Nr. 2717-2811.
(113) »Was den Sinn der
dogmatischen Formeln betrifft, so bleibt er in der Kirche immer und in sich
stimmig, auch wenn er mehr erhellt und vollständiger erkannt wird. Die
Christgläubigen müssen sich also von der Meinung abwenden, nach der erstens
die dogmatischen Formeln (oder bestimmte Arten von ihnen) die Wahrheit nicht
in bestimmter Weise bezeichnen könnten, sondern nur ihre veränderlichen
Annäherung, die sie gewissermaßen deformierten bzw. veränderten«: Hl.
Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur Verteidigung der
katholischen Lehre über die Kirche Mysterium Ecclesiae (24. Juni
1973), 5: AAS 65 (1973), 403.
(114) Vgl. Kongregation des Hl.
Offiziums, Dekret Lamentabili (3. Juli 1907), 26: AAS 40
(1907), 473.
(115) Vgl. Johannes Paul II.,
Ansprache an die Päpstliche Hochschule »Angelicum« (17. November 1979),
6: Insegnamenti, II, 2 (1979), 1183-1185.
(116) Nr. 32: AAS 85
(1993), 1159-1160.
(117) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 30: AAS
71 (1979), 1302-1303; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion
über die kirchliche Berufung des Theologen Donum veritatis (24. Mai
1990), 7: AAS 82 (1990), 1552-1553.
(118) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostol. Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 30: AAS
71 (1979), 1302-1303.
(119) Vgl. ebd., 22, aaO.,
1295-1296.
(120) Vgl. ebd., 7, aaO.,
1282.
(121) Vgl. ebd., 59, aaO.,
1325.
(122) I. Vat. Konzil, Dogmatische
Konstitution über den katholischen Glauben Dei Filius, IV: DS
3019.
(123) »Niemand darf aus der
Theologie so etwas machen wie eine einfache Sammlung von eigenen
persönlichen Auffassungen; sondern jeder muß darauf bedacht sein, in enger
Verbindung zu bleiben mit dem Sendungsauftrag, die Wahrheit zu lehren, für
die die Kirche verantwortlich ist«. Johannes Paul II., Enzyklika
Redemptor hominis (4. März 1979), 19: AAS 71 (1979), 308.
(124) Vgl. II. Vat. Konzil,
Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, 1-3.
(125) Vgl. Apostol. Schreiben
Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 20: AAS 68 (1976), 18-19.
(126) Pastoralkonstitution über
die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 92.
(127) Vgl. ebd., 10.
(128) Prologus, 4: Opera
omnia, Florenz 1891, Bd. V, 296.
(129) Dekret über die
Priesterausbildung Optatam totius, 15.
(130) Vgl. Johannes Paul II.,
Apostolische Konstitution Sapientia Christiana (15. April 1979), Art.
67-68: AAS 71 (1979), 491-492.
(131) Johannes Paul II.,
Ansprache an der Universität von Krakau zum 600-Jahr-Jubiläum der Alma Mater
Jagellonica (8. Juni 1997), 4 L'Osservatore Romano, 9.-10. Juni
1997, S. 12.
(132) »he noerà tes pìsteos
tràpeza«: Homilie zu Ehren der heiligen Maria, der Mutter Gottes,
Pseudo-Epiphanios: PG 43, 493.