Vernunft und Glaube 12
Der Dienst der Kirche:
Welche ist die Haltung des Gläubigen vor der Vernunft?
Die Kirche legt weder eine eigene Philosophie vor noch gibt sie irgendeiner besonderen Philosophie auf Kosten der anderen den Vorzug. Der tiefere Grund für diese Zurückhaltung liegt darin, daß die Philosophie auch dann, wenn sie mit der Theologie in Beziehung tritt, nach ihren eigenen Regeln und Methoden vorgehen muß; andernfalls gäbe es keine Gewähr dafür, daß sie auf die Wahrheit ausgerichtet bleibt und mit einem von der Vernunft her überprüfbaren Prozeß nach ihr strebt. Eine Philosophie, die nicht im Lichte der Vernunft nach eigenen Prinzipien und den für sie spezifischen Methoden vorginge, wäre wenig hilfreich. Im Grunde genommen ist der Ursprung der Autonomie, deren sich die Philosophie erfreut, daran zu erkennen, daß die Vernunft ihrem Wesen nach auf die Wahrheit hin orientiert und zudem in sich selbst mit den für deren Erreichung notwendigen Mitteln ausgestattet ist. Eine Philosophie, die sich dieser ihrer »Verfassung« bewußt ist, muß auch die Forderungen und Einsichten der geoffenbarten Wahrheit respektieren. Die Kirche hat die Pflicht anzuzeigen, was sich in einem philosophischen System als unvereinbar mit ihrem Glauben herausstellen kann. Denn viele philosophische Inhalte, wie die Themen Gott, Mensch, seine Freiheit und sein sittliches Handeln, rufen die Kirche unmittelbar auf den Plan, weil sie an die von ihr gehütete geoffenbarte Wahrheit rühren. Die Gläubigen haben, wenn wir diese Unterscheidung anwenden, die Aufgabe, »Zeugen der Wahrheit« zu sein bei der Ausübung eines demütigen, aber unermüdlichen Dienstes, den jeder Philosoph anerkennen sollte, zum Vorteil der recta ratio, das heißt der Vernunft, die über das Wahre in rechter Weise nachdenkt. Diese Unterscheidung darf allerdings nicht in erster Linie negativ verstanden werden, so als läge es in der Absicht der Kirche, jede mögliche Vermittlung auszuschließen oder einzuschränken. Im Gegenteil, seine Interventionen wollen vor allem bezwecken, das philosophische Denken anzuregen, zu fördern und ihm Mut zu machen. Die Philosophen verstehen im übrigen als erste die Forderung nach Selbstkritik, nach Korrektur eventueller Irrtümer und die Notwendigkeit, die allzu engen Grenzen zu überschreiten, innerhalb der sich ihr Denken vollzieht. In besonderer Weise gilt es zu beachten, daß die Wahrheit nur eine ist, obwohl ihre Äußerungen den Stempel der Geschichte tragen und zudem das Werk einer von der Sünde verletzten und geschwächten menschlichen Vernunft sind. Daraus ergibt sich, daß keine historische Form der Philosophie legitim beanspruchen kann, die Gesamtwahrheit zu umfassen; dies gilt auch für die vollständige Erklärung des Menschen, der Welt und der Beziehung des Menschen zu Gott. Wenn sich die Kirche seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts häufiger zu Wort gemeldet hat, so deshalb, weil in jener Zeit nicht wenige Katholiken es als ihre Aufgabe ansahen, den verschiedenen Strömungen des modernen Denkens ihre eigene Philosophie entgegenzusetzen. Hier wurde es für das Lehramt der Kirche zur Verpflichtung, darüber zu wachen, daß diese Philosophien nicht ihrerseits in irrige und negative Formen abglitten. Es ist interessant festzustellen, dass die Kirche die Extreme kritisiert. Der Gläubige kann keines der Extreme añnnehmen. Im Grunde handelt es sich dabei immer um logische "Kurzschlüsse". Es scheint eine einfache Lösung zu sein, aber die Perzeption der Wirklichkeit kommt zu schaden. Natürlich kann ich, um den Glauben zu verteidigen, sagen: Glaube und Vernunft haben im Grunde nichts mit einander zu tun. So geht es nicht. Die Wahrheit der Wirklichkeit – doppelt gemoppelt – ist die Wirklichkeit der Warheit. Nehmen wir einmal ein Atom. Man redet von einem Mikrokosmos, geordnet, festen Gesetzen unterworfen, in einer wunderbaren Harmonie. Das ist einsichtig, weil die Natur strukturiet und harmonisch ist. Die Wahrheit ist also in dieser Harmonie enthalten und der Mensch kann sie erkennen. Der Agnostiker kann nur sagen, es ist so... möglicherweise. Der Gläubige weiss, dass in allem die Spuren des Schöpfers diesen inneren Glanz der Erkenntlichkeit reflektieren. Darum ist der Schöpfungsbericht so adäquat. Zuerst schuf Gott das Licht, d.h., alles was existiert ist verständlich, begreifbar, in eine wunderbare Ordnung eingegliedert. Der Agnostiker kann mir natürlich sagen, dass diese Interpretation nicht beweisbar ist. Dann soll er mir sagen: Wo kommt diese Ordnung und Harmonie, diese Möglichkeit das Exitierende zu verstehen? Zufall? Erinnert Euch an den Orang Utan mit dem Konzertflügel. Kann er durch Zufall die neunte Symphonie spielen? Es ist jedenfalls bezeichnend, dass die Kirche das Misstrauen gegen die Vernunft verurteilt. Sie muss aber auch warnen vor einem übertriebenen Vertrauen, oder besser gesagt, einem exklusivem Vertrauen. So ergingen gleichermaßen Zensuren: einerseits gegen den Fideismus und den radikalen Traditionalismus wegen ihres Mißtrauens gegenüber den natürlichen Fähigkeiten der Vernunft; andererseits gegen den Rationalismus und den Ontologismus, weil sie der natürlichen Vernunft etwas zuschrieben, was nur im Lichte des Glaubens erkennbar ist. Die positiven Inhalte dieser Debatte wurden in der dogmatischen Konstitution Dei Filius formalisiert, mit der zum ersten Mal ein ökumenisches Konzil, nämlich das I. Vatikanum, zu den Beziehungen zwischen Vernunft und Glaube in feierlicher Form eingriff. Die in jenem Text enthaltene Lehre charakterisierte einprägsam und auf positive Art und Weise die philosophische Forschung vieler Gläubiger und stellt noch heute einen normativen Bezugspunkt für eine einwandfreie und konsequente christliche Reflexion in diesem besonderen Bereich dar.
Der Glaube provoziert die Vernunft Schließlich beobachtet man ein verbreitetes Mißtrauen gegen die umfassenden und absoluten Aussagen, vor allem von seiten derer, die meinen, die Wahrheit sei das Ergebnis des Konsenses und nicht der Anpassung des Verstandes an die objektive Wirklichkeit. Es ist sicherlich verständlich, daß es in einer in viele Fachbereiche unterteilten Welt schwierig wird, jenen vollständigen und letzten Sinn des Lebens zu erkennen, nach dem die Philosophie traditionell gesucht hat. Die Lehre der Geschichte dieses zu Ende gegangenen Jahrtausends zeugt davon, daß das der Weg ist, der eingeschlagen werden soll: Die Leidenschaft für die letzte Wahrheit und der Wunsch, sie zu suchen, verbunden mit dem Mut zur Entdeckung neuer Wege, dürfen nicht verloren gehen! Es ist der Glaube, der die Vernunft dazu herausfordert, aus jedweder Isolation herauszutreten und für alles, was schön, gut und wahr ist, etwas zu riskieren. So wird der Glaube zum überzeugten und überzeugenden Anwalt der Vernunft.
Was sagt Ihr jetzt?
P.S."Wer aus allem ein Dogma macht, misstraut der Vernunft der anderen. Wer aber überhaupt kein Dogma annimmt misstraut der eigenen Vernunft".
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