Immer wieder der alte
Trick:
Aussteigen aus der Geschichte
Es handelt sich hier um einen Brief an
eine Redaktion, die katholisches Material für Pfarrbriefe vorbereitet. Sie
verschickte Plakate, die kaum etwas von der Evangelisation Amerikas
erzählten.
Lima d. 23. September 1992
Sehr geehrte, liebe Freunde:
Die Gnade des Auferstandenen
sei mit Ihnen und sein Friede erleuchte Ihr Werk.
Herzlichen Dank für Ihren
Brief. Ich hatte nicht vor so schnell Ihnen wieder zu schreiben. Aber
gestern erhielt ich Ihre Plakate. Wie immer eine ausgezeichnete Arbeit.
Aber irgendwie war ich nicht davon angetan. Als ich mich fragte, woran das
wohl liegt, bin ich bei der Eklärung des Plakats von Oktober gelandet.
Vor drei Jahren las ich in
einem amerikanischen Nachrichtenmagazin, dass einige Gruppen sich
aufmachten, um dem Jahrestag der Entdeckung Amerikas die richtigen
Kategorien aufzupropfen. Es. hat mich weiter nicht beschäftigt bis ich
dann später las, dass die lieben getrennten Brüder aus den Sekten sich
dieser Bewegung anschlossen. Da wurde ich hellhörig.
Wir bekommen regelmässig
Zeitschriften aus Deutschland, die meisten zwei Monaten nach ihrer
Veröffentlichung. Und sieh da: Die hauen alle in dieselbe Kerbe. Wie
schrecklich war das alles, wie ungerecht, wie grausam! Das darf garnicht
gefeiert werden!
Glauben Sie an globale
Strategien? Wissen Sie, zum Beispiel, dass die nordamerkanischen Banken
und Transnationalen sich zusammengesetzt haben um über Langzeitstrategien
für Lateinamerika nachzudenken? Und Herr Rockefeller hat darauf
hingewiesen, dass die katholische Kirche mit ihrer Forderung nach sozialer
Gerechtigkeit das Geschäft in Unordnung bringe. Die Lösung: Förderung der
Sekten, die immer für Stabilität sind. Und da die meisten Sekten
kalvinistisch angehaucht sind, ist der materielle Wohlstand immer Zeichen
der spürbaren Gnade Gottes und Garantie der Auserwählung. Man hat also
ausgiebig finanziert. Vor einiger Zeit, z. B., ist man an einen Freund
meiner Gemeinschaft herangetreten, er ist Ingenieur, und hat ihm die
Bauaufsicht von hundert Tempeln angetragen. Heute kann man in allen
Vierteln Limas und Umgebung diese Tempel bewundern. Sie stehen lange Zeit
leer, bis dann Personal vorhanden ist. Alle haben einen Sportplatz dabei.
Das ist nur eine der vielen Sekten. Übrigens unser Ingenieur baut ein
Exerzitienzentrum für das Neukatechumenat und verdient wesentlich weniger
Geld als er bei den getrennten Brüdern verdient hätte.
Um zur Jarhundertfeier
:urückzukehren. Was hat man erreicht? Kein Mensch redet davon, dass die
Frohbotschaft die Menschen dort erreicht hat, dass die katholische Kirche
in Südamerika in gegenwartigen Zeitpunkt fast die einzige Stimme der
Wahrheit ist. In Südamerika gibt es keine Reservate für Indios, es sei
denn um die im Urwald zu schützen. In Südamerika hat sich der Indio mit
dem Weisen vermischt und der Mischling ist die Mehrzahl. Das war nur
möglich, weil er bei allem Farbunterschied als Mitmensch angesehen worden
ist. Wer hat das erreicht? Die Forhbotschaft der Missionare.
Anderswo gab es das Sprichwort:
"A good indian is a dead indian".
Sie verstehen mich schon
recht, hoffe ich. Ich leugne nicht die Grausamkeiten, die geschehen sind.
Aber Grausamkeiten der Vergangenheit anzuklagen und jemandem indirekt
aufzuladen hat den bitteren Kapitaleffekt, dass die Heutigen (sprich
katholische Kirche) schuldig sind und lenkt als kleine Zinsbeigabeigabe,
die Aufmerksamkeit von sich selbst weg. Das zeigt sich in vielen Sparten.
Fragen Sie doch irgendjemanden über Spanien zur Zeit des tridentinischen
Konzils. Man wird Ihnen von der Inquisition sprechen. Wer denn? Die
Sympathisanten? Von wegen...! Aber auch Katholiken reden so. Wissen Sie,
dass im Bereich der spanischen Inquisition die Hexenverfolgungen kaum
fussfasten, während die Deutschen Tausende umbrachten. Auch wird keiner
davon sprechen, dass mit den Eroberern immer welche mitgereist sind, die
bereit waren ihr Leben für das Evangelium aufs Spiel zu setzen. Es ist ein
schmutziger Trick von den Damaligen das heutige Verständniss zu verlangen.
In hundert Jahren wird man die jetzige Zivilisation anklagen, dass sie
Menschen wie Tiere in einem Zoo für Jahre in Käfige gesperrt hat. Heute
nennt man das humaner Strafvollzug.
Der Urgrund scheint mir darin
zu liegen, dass die Rationalisten, die Idealisten und ihre "Umstülper",
die Revolutionäre, immer wieder neu die Geschichte von vorn an beginnen
lassen wollen. Und dann sind sie rein und unschuldig.
In anderen Worten, durch einen
intelektuellen Trick sucht man sich von der Sünde zu (er)lösen, die seit
Adam alle Menschen "infiziert". Der Mensch hat ganze Weltanschauungen
filosofisch aufgebaut und metafysich untermauert, nur um zu klären, dass
er kein Schuld hat. Das haben die Epikuräer gemacht und die Gnostiker, das
haben die Kategorien des Idealismus versucht und das versuchen die
Sozialliberalen und die Umweltfreunde aller Schattierungen. Aber wenn man
aus der Geschichte (der Sünde und der Erlösung) aussteigt, dann muss man
jemandem die Schuld geben. Wem? Der Vergangenheit und allen denjenigen
die glauben, dass sie mit der Vergangenheit verwachsen sind. So bin ich
dann ohne Schuld.Während die Kirche immer wieder daran erinnern muss: wir
sind unsere Vergangenheit und wer ohne Sünde ist der werfe den ersten
Stein.
Warum schreibe ich das Ihnen?
Bezüglich des Plakats für Oktober glaube ich, Sie segeln zu hart am Wind
der allgemeinen Meinung. Ehe sie sich versehen, haben sie die Segeltechnik
anderer angewandt und steuern in die falsche Richtung. Ich persönlich
meinte lange Zeit hindurch, den Leuten helfen zu können, wenn ich mich
ihnen anpasse und ihnen helfe sich ihrer Situation bewusst zu sein. Ich
war ein Experte in Gruppendynamik und Sozialpsychologie. Nach vielen
Jahren frustrierender und frustierter Pastoral ist mein Dickschädel
endlich danhitergekommen, dass kein Zen und keine Objekt= oder
Personorientierte Bewusstseinsmachung hilft. Es hilft nur die Verkündigung
des Evangeliums von Jesuschristus dem Gekreuzigten. Im Grunde geht es doch
nur darum, dass man seine eigene Schuld anerkennt, Und das ist das
Allerschwerste. Aber wer nicht seine eigene Schuld annimmt, der findet
auch keine Erlösung.
Man argumentiert, die
Entdeckung Amerikas habe eine Kultur zerstört. Ein Wort zum Respekt vor
der Kultur anderer. Warum glauben Sie hat eine Handvoll Spanier ein ganzes
Imperium zerstören können? Weil ein paar gut organisierte Inkas ganze
Völker unterdrückten. Da kamen welche, die gegen die Inkas anzugehen
wagten und schon hatten die Spanier alle Stämme der Küste an ihrer Seite.
Das war eine Kultur der Unterdrückung. Die menschliche Kultur ist eben
immer infiziert, muss immer erlöst werden. Aber nein; man macht aus der
Kultur eine heilige Kuh, wie weiland die Marxisten, wenn sie vom "Volk"
sprachen. Man meinte, das Volk sein einig, heilig, brüderlich und oberste
Kategorie. Und die heutige Kultur? Sie hat der Atombombe, dem Krieg vom
persischen Golf und dem Ausländerhass das Leben geschenkt. Nein,
konzentrieren wir uns lieber auf die Torturen und die Ausbeutung vor 500
Jahren. Ich weiss, Sarkasmus ist kein gutes Argument. Aber hört man den
auf andere Argumente?
Ich meine, wenn man die
Geschichte angeht und be(ver)urteilt, dann soll man es tun aus dem
Bewusstsein eigener Schuld. Wer dazu noch sich eins weiss mit der gesamten
Menschheit und ihrer Geschichte, genau wie der Mensch der Bibel, der mag
auch um Vergebung nachsuchen der Sünden der Vergangenheit. Und woran das
fünfte Jahrhundertgedächtniss uns erinnern sollte und worauf das Plakat
keinen Hinweis anzeigt: es gibt eine Vergebung, ein Schuldnachlass, d.h.
die Frohbotschaft von damals erlöst auch den Menschen von heute. Jemand
hat all diese Schuld auf sich geladen und seitdem hat das Gericht nur
darüber zu befinden ob jemand den Losspruch annimmt oder nicht. Es geht
also nicht um wunderbare Konstruktionen sondern darum bei aller
Ausgewogenheit das Wichtigste zu zeigen oder wenigstens anzudeuten.
Haben Sie die
Eröffnungszeremonie der Olympiade gesehen? Ein grandioses Schauspiel. Was
war denn die Botschaft? Ein mythisches Spektakel. Hinter den Galeeren
konnte man, wenn man sich anstrengte, einen indirekten Schlenker in
Richtung von der Entdeckung Amerikas sehen. Haben Sie irgend eine
Andeutung gesehen, dass das Evangelium mitgetragen wurde? Nun, die
spanische Regierung ist sozialliberal, mann sollte vom Pferd keine
Kuhmilch verlangen. Sie sind aber nicht sozialliberal, nicht wahr?
Man kann argumentieren: die
Evangelisierung fand statt inmitten von Unrecht und Gewalt, deswegen
sollte man besser nicht daran rühren. Es gibt natürlich Evangelisierungen,
die von Heiligen durchgeführt worden sind, aber auch nie inmitten einer
sündenaseptischen Situation. Ach, was soll´s. Mir geht es nur darum, dass
die ganze Strategie erreicht hat, dass keiner dem Herrn dankt, dass auch
inmitten von Ungerechtigkeit sein Heil verkündet wurde und wird. Der
Kirche steht es durchaus an, die Schuld einzugestehen. Ich denke im
Oktober wird man Bussgottesdienste feiern. Aber die Kirche hat weltweit,
wenn man von der Entdeckung redet, eine schlechte Presse. Wie gewollt.
Müssen Sie dann den Eingeborenen in seiner Unerlöstheit zeigen, ohne
Zeichen, dass jemand ihn von seiner Angst, von seinem Aberglauben erlöst
hat?
Man braucht ja nicht gleich
einen lautstarken Angriff starten. Ich erinnere Sie an den Fall des
Filemón, ein typischer Fall von Ungerechtigkeit: Slavenbesitzer. Ein
Sklave ist seinem Eigentümer durchgebrannt und ist bei Paulus gelandet.
Er bekehrt sich, wird getauft und kommt zu seinem Herrn zurück als Bruder
im Glauben und in der Liebe. Paulus hat keine Revolution gegen die
Sklaverei angezettelt. Er hat nicht einmal dagegen geschrieben. Er hat
seinen Hörern (dem Sklaven und Filemon, seinem Herrn) "nur" die Befreiung
aus der Skalverei des Todes und der Schuld verkündet und mit ihnen das
Mahl der Freien und Erlösten und Brüder gefeiert. Konnte Ihnen nicht so
etwas einfallen?
Ich frage mich: Ich habe
soviel zu tun, warum quäle ich mich drei Stunden lang - das Schreiben ist
immer eine Schwergeburt für mich - und erinnere Euch an das Wesentliche,
das immer durchscheinen sollte? Nun, ich kenne Sie nicht persönlich aber
die vielen Jahre haben mich gelehrt Sie zu bewundern, weil Sie immer, um
es einmal kompliziert auszudrücken, in der geschichtlichen Dimension der
Welt die Botschaft ansagen. Und wenn dann Symptome der Ungeschichtlichkeit
erscheinen, ja dann soll es Ihnen wenigstens gesagt werden und zwar aus
Mitbrüderlichkeit.
Es kann nun sein, dass ich
ganz falsch liege, dass Sie Ihrem deutschen Pubklikum nicht mehr zutrauen
können und Sie in dieser Sprache sprechen müssen, um überhaupt noch gehört
zu werden. Gleichen Sie sich nicht der Welt an, sonst enden Sie als
Angeglichene, d. h. es muss immer eine geschichtliche Botschaft sein, weil
Gott in die Geschichte hineingestiegen ist. Sie kommen mir ein wenig vor,
wie der Hl. Paulus auf dem Areopag. Der wollte aus der Heilsgeschichte
aussteigen, sich inkulturieren. Er hat sich sehr gut vorbereitet, zitiert
die gängigen Schriftseller, geht von der Situation der Hörer aus und
spricht ihre Sprache. Es hilft garnichts. Als er von dem Auferstanden
spricht, lacht man ihn aus. Seitdem will er nur noch von dem Gekreuzigten
reden, aus dem einfachen Grund dass man dem Hörer erst helfen muss den
geistig-geistlichen Tod seiner Schuld zu sehen und zu erkennen, dass sie
den Gottessohn umgebracht hat, dann erst hat die Verkündigung der
Auferstehung Sinn.
Das bringt mich zum Plakat von
Februar. Die absoluten Herrscher der Vergangenheit hielten sich immer
einen Hofnarren. Der war der einzige, der wirklich die Wahrheit sagen
durfte. Haben Sie im ganzen deutschen Umfeld keinen, der ungeschminkt -
der Clown versteckt sich hinter der Maske, der Narr nie - Ihnen und Ihrem
Publikum die Wahrkeit sagen kann und zwar jedesmal? Suchen Sie sich einen
Profeten und geben Sie ihm "Narrenfreiheit" , die Wahrheit sagen zu
können, die Wahrheit, die für die Kultur= und Ökologiepäpste Torheit ist
und für die ohne Schuld ein Skandal.
Genug. Wenn ich noch einmal
einen "Schreibanfall" bekomme, erzähle ich Ihnen, wie lange ich brauchte,
um schmerzlich zu lernen, dass das Warenangebot der Supermärkte der
Wissenschaft, der Kultur und Zivilisation nur alieniert. Dass das Leben
nicht dort zu finden ist. Ich rede nicht von der "reinen Lehr" sondern von
der Kirche und ihrem Auftrag.
In Deutschland ist auch so
eine globale Strategie zu finden: aus bischöflichen Dienst der Autorität
mach Macht und aus päpstlicher Rede mach Obskurantismus. Mische bei den
Professoren und Schreibern noch ein wenig "unschuldiges Opfer der Macht"
dazu, schmeck es ab mit "Freiheit der Forschung" und schon verlangt
keiner mehr nach dem Gericht Kirche und redet in der Kirche keiner mehr im
Namen Gottes. Zählen Sie doch mal nach, wie oft Sie das Wörtchen Gehorsam
im letzten Jahr gebraucht haben. Aus Gerechtigkeit müsste ich Ihnen jetzt
von meinen Sünden reden. Aber dazu braucht es einen neuen und langen
Schreibanfall. Der jetzige Anfall ist zuende.
Möge der Herr Ihnen seinen
Segen geben und mir ein wenig Weisheit. Ich bin dabei nachzudenken, ob es
nicht nützlicher und effectiver gewesen wäre anstatt Ihnen zu schreiben
lieber für Sie zu beten. Aber das Eine schliesst das Andere nicht aus.
Der Geist des Herrn erleuchte Sie.
Das wünscht Ihnen
in corde Jesu
P. Gerardo Muller msc |
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