VATIKAN, 4. März 2002.- Einen Monat nach dem
Gebetstreffen von Assisi am 24. Januar hat Seine Heiligkeit Papst
Johannes Paul II. am Montag an die Staats- und Regierungschefs der
ganzen Welt einen Brief zur Kenntnisnahme des "Friedensdekalogs von
Assisi" übersandt.
Wir veröffentlichen in der Folge den Wortlaut des
päpstlichen Schreibens sowie des "Friedensdekalogs von Assisi".
An Ihre Exzellenzen Staats- und Regierungschefs
Vor genau einem Monat fand in Assisi das Gebetstreffen
für den Frieden der Welt statt. Heute gelten meine Gedanken spontan
den Verantwortlichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens
jener Länder, die durch die religiösen Oberhäupter zahlreicher Länder
repräsentiert waren.
Die inspirierten Beiträge dieser Männer und Frauen,
Vertreter verschiedener religiöser Bekenntnisse und ihr aufrichtiger
Wunsch, sich für Eintracht und gemeinsame Suche nach wahrem
Fortschritt und Frieden innerhalb der Menschheitsfamilie einzusetzen,
fanden ihren erhabensten und gleichsam konkretesten Ausdruck in einem
am Ende dieses außerordentlichen Tages proklamierten "Dekalog".
Ich habe die Ehre, den Wortlaut dieser gemeinsamen
Verpflichtung an ihre Hoheiten weiterzuleiten in der Überzeugung, dass
diese zehn Vorsätze das politische und soziale Handeln ihrer
Regierungen inspirieren können. Ich konnte feststellen, dass die
Teilnehmer an der Begegnung in Assisi mehr den je von einer
gemeinsamen Überzeugung beseelt waren, nämlich dass die Menschheit
zwischen Hass und Liebe entscheiden muss. Und da sie sich alle als
Glieder der selben Menschheitsfamilie fühlen, wussten sie diesem
Bestreben in Form dieses Dekalogs Ausdruck zu verleihen in der
Überzeugung, dass Hass etwas Destruktives, die Liebe hingegen etwas
Konstruktives ist.
Es ist mein Wunsch, dass dieser Geist und das
Engagement von Assisi alle Menschen guten Willens zur Suche nach
Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe führt, auf dass jeder
Mensch von seinen unveräußerlichen Rechten Gebrauch machen kann und
jedem Volk der Frieden beschert ist. Die katholische Kirche
ihrerseits, die auf "den Gott der Liebe und des Friedens" (2 Kor
13,11) vertraut und hofft, wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass
loyaler Dialog, gegenseitiges Verzeihen und Eintracht, die Marschroute
der Menschen dieses Jahrtausends bestimmen.
Ich danke Ihnen für das Interesse, dass Sie meiner
Botschaft entgegenbringen, und nehme die Gelegenheit wahr, Ihnen meine
tiefe Wertschätzung zu übermitteln.
Aus dem Vatikan, am 24. Februar 2002
IOANNES PAULUS II. PP
FRIEDENSDEKALOG VON ASSISI
1. Wir verpflichten uns, unsere feste Überzeugung kund
zu tun, dass Gewalt und Terrorismus dem authentischen Geist der
Religion widersprechen. Indem wir jede Gewaltanwendung und den Krieg
im Namen Gottes oder der Religion verurteilen, verpflichten wir uns,
alles Mögliche zu unternehmen, um die Ursachen des Terrorismus zu
beseitigen.
2. Wir verpflichten uns, die Menschen zur
gegenseitigen Achtung und Wertschätzung zu erziehen, um ein
brüderliches und friedliches Zusammenleben von Personen verschiedener
ethnischer, kultureller und religiöser Gruppen zu fördern.
3. Wir verpflichten uns, die Kultur des Dialoges zu
fördern, damit unter den Individuen und Völkern Verständnis und
gegenseitiges Vertrauen wachsen, welche die Voraussetzungen für wahren
Frieden sind.
4. Wir verpflichten uns, das Recht jeder menschlichen
Person zu verteidigen, in würdigen Verhältnissen gemäß der eigenen
kulturellen Identität zu leben und frei eine Familie zu gründen.
5. Wir verpflichten uns, einen ehrlichen und
geduldigen Dialog zu führen, ohne das, was uns unterscheidet, als eine
unüberwindbare Mauer zu betrachten, sondern im Gegenteil anzuerkennen,
dass die Begegnung mit der Verschiedenheit des anderen zu einer
Gelegenheit werden kann, das gegenseitige Verständnis zu verbessern.
6. Wir verpflichten uns, gegenseitig die Irrtümer und
Vorurteile der Vergangenheit und Gegenwart zu verzeihen und uns
gegenseitig bei der gemeinsamen Anstrengung zu unterstützen, Egoismus
und Herrschsucht sowie Hass und Gewalt auszumerzen und aus der
Vergangenheit zu lernen, dass der Friede ohne Gerechtigkeit kein
echter Friede ist.
7. Wir verpflichten uns, auf der Seite derer zu
stehen, die aufgrund von Elend und Verlassenheit leiden, und zu
Sprechern derer zu werden, die keine Stimme haben, indem wir konkret
für die Überwindung solcher Situationen arbeiten in der Überzeugung,
dass niemand alleine glücklich sein kann.
8. Wir verpflichten uns, in den Ruf derer
einzustimmen, die sich nicht mit der Gewalt und dem Bösen abfinden,
und wir wollen mit all unserer Kraft dazu beitragen, den Menschen
unserer Zeit echte Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden zu machen.
9. Wir verpflichten uns, jegliche Initiative zu
unterstützen, welche die Freundschaft zwischen den Völkern fördert in
der Überzeugung, dass technischer Fortschritt die Welt wachsenden
Risiken von Zerstörung und Tod aussetzt, wenn keine solidarisches
Verständnis unter den Völkern vorhanden ist.
10. Wir verpflichten uns, die Herrschenden der Völker
zu bitten, dass sie alle Anstrengungen unternehmen, um auf nationaler
und internationaler Ebene eine Welt der Solidarität und des Friedens
zu schaffen und konsolidieren, die auf der Gerechtigkeit gründet.
Zenit.org
[Original: Französisch; Übersetzung: Zenit]