Der cherubinische Wandersmann.
Angelus Silesius

Erstes Buch 101-200

 
101. Christus.

Hört wunder! Christus ist das Lamb und auch der Hirt /
Wenn Gott in meiner Seel ein Mensch gebohren wird.

 
102. Die geistliche Goldmachung.

Dann wird das Bley zu Gold / dann fällt der Zufall hin /
Wann ich mit GOtt durch GOtt in GOtt verwandelt bin.

 
103. Auch von derselben.

Jch selbst bin das Metall / der Geist ist Feur und Herd /
Messias die Tinctur, die Leib und Seel verklärt.

 
104. Noch von jhr.

So bald durch Gottes Feur ich mag geschmeltzet seyn /
So drukt mir GOtt alßbald sein eigen Wesen ein.

 
105. Das Bildnuß Gottes.

Jch trage GOttesbild: wenn Er sich wil besehn /
So kan es nur in mir / und wer mir gleicht / geschehn.

 
106. Das ein' ist in dem Andern.

Jch bin nicht ausser GOtt / und GOtt nicht ausser mir /
Jch bin sein Glantz und Liecht / und Er ist meine Zihr.

 
107. Es ist noch alls in GOtt.

Jsts / daß die Creatur auß GOtt ist außgeflossen:
wie hält Er sie dannoch in seiner Schoß beschlossen?

 
108. Die Rose.

Die Rose / welche hier dein äußres Auge siht /
Die hat von Ewigkeit in GOtt also geblüht.
1)

 
109. Die Geschöpffe.

Weil die Geschöpffe gar in GOttes Wort bestehn:
Wie können sie dann je zerwerden und vergehn?

 
110. Das Gesuche deß Geschöpffes.

Vom Ersten Anbegin / und noch biß heute zu /
Sucht das Geschöpffe nichts als seines Schöpffers Ruh.

 
111. Die GOttheit ist ein nichts.

Die zarte GOttheit ist ein nichts und übernichts:
Wer nichts in allem sicht / Mensch glaube / dieser sichts.

 
112. Jn der Sonnen ists gut seyn.

Wer in der Sonnen ist / dem mangelt nicht das Licht /
Das dem / der ausser jhr verirret geht / gebricht.

 
113. Die Seelen Sonne.

Nimb hin der Sonnen Liecht: mein Jesus ist die Sonne /
Die meine Seel erleucht / und macht sie voller Wonne.

 
114. Die Sonn ist schon genug.

Wem seine Sonne scheint / derselbe darf nicht güken /
Ob irgent wo der Mon / und andre Sterne bliken.

 
115. Du selbst must Sonne seyn.

Jch selbst muß Sonne seyn / ich muß mit meinen Strahlen
Das farbenlose Meer der gantzen GOttheit mahlen.

 
116. Der Thau.

Der Thau erquikt das Feld: Sol er mein Hertze laben /
So muß er seinen fall vom Hertzen JEsu haben.

 
117. Nichts süsses in der Welt.

Wer etwas in der Welt mag süß' und Lieblich nennen:
Der muß die Süssigkeit / die GOtt ist / noch nicht kennen.

 
118. Der Geist bleibt allzeit frey.

Schleuß mich so streng du wilt in tausend Eisen ein /
Jch werde doch gantz frey / und ungefässelt seyn.

 
119. Zum Ursprung mustu gehn.

Mensch in dem Ursprung ist das Wasser rein und klar /
Trinkstu nicht auß dem Quäl / so stehstu in Gefahr.

 
120. Die Perle wird vom Thau.

Die Schneke lekt den Thau / und ich HERR CHrist dein Blut:
Jn beiden wird gebohrn ein kostbarliches Gut.

 
121. Durch die Menschheit zu der GOttheit.

Wiltu den Perlethau der edlen GOttheit fangen /
So mustu unverrukt an seiner Menschheit hangen.

 
122. Die Sinligkeit bringt Leyd.

Ein Auge das sich nie der Lust deß sehns entbricht:
Wird endlich gar Verblendt / und siht sich selbsten nicht.

 
123. GOtt klagt umb seine Braut.

Die Turtel Daube klagt / daß sie den Mann verlohren /
Und GOtt / daß du den Tod / für Jhn dir hast erkohren.

 
124. Du musts hinwider seyn.

Gott ist dir worden Mensch / wirstu nicht wieder Gott /
So schmähstu die Geburt / und hönest seinen Tod.

 
125. Die Gleichheit hat nicht Pein.

Wem alles Gleiche gilt / den rühret keine Pein /
Und solt' er auch im Pful der tieffsten Höllen seyn.

 
126. Begehrn erwartt gewehrn.

Mensch wann du noch nach GOtt begihr hast und verlangen /
So bistu noch von Jhm nicht gantz und gar umfangen.

 
127. Es gilt GOtt alles gleich.

Gott hat nicht Unterscheid / es ist Jhm alles ein:
Er machet sich so viel der Flieg' als dir gemein.

 
128. Alles liegt an der Empfänglichkeit.

Vermöcht' ich GOtts so viel als Christus zu empfangen /
Er liesse mich darzu im Augenblik gelangen.

 
129. Das böß' entsteht auß dir.

Gott ist ja nichts als gut: Verdamnüß / Tod / und Pein /
Und was man böse nennt / muß Mensch in dir nur seyn.

 
130. Die bloßheit ruht in Gott.

Wie seelig ruht der Geist in deß Geliebten schoß!
Der Gotts / und aller ding' / und seiner selbst steht bloß.

 
131. Das Paradeyß in Pein.

Mensch bistu Gott getreu / und meinest Jhn allein:
So wird die gröste Noth ein Paradeiß dir seyn.

 
132. Bewehret muß man seyn.

Mensch in das Paradeyß komt man nicht unbewehrt /
Wiltu hinein / du must durch Feuer und durch Schwerdt.

 
133. Gott ist ein Ewges Nun.

Jst GOtt ein Ewges Nun / was fället dann darein /
Daß Er nicht schon in mir kan alls in allem seyn?

 
134. Unvollkomne gestorbenheit.

Wo dich noch diß und das bekümmert und bewegt /
So bistu noch nicht gantz mit GOtt ins Grab gelegt.

 
135. Bey Gott ist nur sein Sohn.

Mensch werd' auß Gott gebohrn: bey seiner GOttheit Thron /
Steht niemand anders als der eingebohrne Sohn.

 
136. Wie ruhet GOtt in mir?

Du must gantz lauter seyn / und stehn in einem Nun /
Sol GOtt in dir sich schaun / und sänfftiglichen ruhn.

 
137. GOtt verdammt niemand.

Was klagstu über GOtt? Du selbst verdammst dich:
Er möcht' es ja nicht thun / das glaube sicherlich.

 
138. Je mehr du auß / je mehr GOtt ein.

Je mehr du dich auß dir kanst außthun und entgiessen:
Je mehr muß GOtt in dich mit seiner GOttheit fliessen.

 
139. Es trägt und wirt getragen.

Das Wort / das dich und mich / und alle dinge trägt /
Wird widerumb von mir getragen und gehagt.

 
140. Der Mensch ist alle Dinge.

Der Mensch ist alle ding': Jsts daß ihm eins gebricht /
So kennet er fürwar sein Reichthumb selber nicht.

 
141. Es sind viel tausend Sonnen.

Du sprichst im Firmament sey eine Sonn' allein.
Jch aber sage / daß vil tausend Sonnen seyn.

 
142. Je mehr man sich ergiebt / je mehr wird man geliebt.

Warumb wird Seraphin von GOtte mehr geliebt
Als eine Mük? Es ist / daß er sich mehr ergiebt.

 
143. Die Selbheit die verdambt.

Dafern der Teufel könt' auß seiner seinheit gehn /
So sehestu jhn straks in GOttes Throne stehn.

 
144. Der Schöpffer kans alleine.

Was bildestu dir ein zu zehln der Sternenschaar?
Der schöpffer ists allein / der sie kan zehlen gar.

 
145. Jn dir ist was du wilt.

Der Himmel ist in dir / und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und wilst / das hastu überall.

 
146. GOtt liebt nichts ausser Christo.

So lieb GOtt eine Seel in Christi glantz und Licht.
So unlieb ist sie Jhm / im fall' er jhr gebricht.

 
147. Die Jungfern Erde.

Das feinest' auff der Welt ist reine Jungfern Erde:
Man saget daß auß jhr das Kind der weisen werde.

 
148. Das gleichnüß der Dreyeinigkeit.

Der Sinn / der Geist / das Wort / die lehren klar und frey
(So du es fassen kanst) wie GOtt Drey Einig sey.

 
149. Es läst sich nicht bezirken.

So wenig als dir ist die Weite GOttes kund:
So wenig ist die Welt / wie du sprichst Zirkelrund.

 
150. Eins in dem Andern.

Jst meine Seel im Leib / und gleich durch alle Glieder:
So sag ich recht und wol / der Leib ist in jhr wieder.

 
151. Der Mensch ist GOttes kindbett.

Da GOtt das erstemahl hat seinen Sohn gebohrn /
Da hat er mich und dich zum Kindbett außerkohrn.

 
152. Du selbst must GOttes Lämlein seyn.

Daß GOtt ein Lämmlein ist / das hilfft dich nicht mein Christ:
Wo du nicht selber auch ein Lämmlein GOttes bist.

 
153. Du must zum Kinde werden.

Mensch wirstu nicht ein kind / so gehstu nimmer ein /
Wo GOttes Kinder seynd: die Thür ist gar zu klein.

 
154. Die geheime Jungfrauschafft.

Wer lauter wie das Licht / Rein wie der Ursprung ist /
Derselbe wird von GOtt für Jungfrau außerkist.

 
155. Hier muß der Anfang seyn.

Mensch wiltu ewiglich beym Lämlein GOttes stehn /
So mustu schon allhier in seinen tritten gehn.

 
156. GOtt selbst ist unßre Weide.

Schaut doch das Wunder an! Gott macht sich so gemein /
Daß Er auch selber wil der Lämmer Weide seyn.

 
157. Die Wunderliche verwandnuß Gottes.

Sag an O grosser GOtt / wie bin ich dir verwandt?
Daß du mich Mutter / Braut / Gemahl / und Kind genandt.

 
158. Wer trinkt den Lebensbrunn?

Wer dorte bey dem Brunn deß Lebens denkt zusitzen:
Der muß zuvor allhier den eignen Durst außschwitzen.

 
159. Die ledigkeit ist wie GOtt.

Mensch wo du ledig bist / das Wasser quillt auß dir /
So wol als auß dem Brunn der Ewigkeit herfür.

 
160. Gott dürstet / tränk Jhn doch.

GOtt selber klaget durst: Ach daß du Jhn so Kränkest!
Und nicht wie jenes Weib die Samaritin Tränkest.

 
161. Das Ewge Licht.

Jch bin ein Ewig Licht / Jch brenn ohn unterlaß:
Mein tocht und öl ist Gott / Mein Geist der ist das Faß.

 
162. Du must die Kindschafft haben.

So du den höchsten Gott wilt deinen Vatter nennen /
So mustu dich zuvor sein Kind zu seyn / bekennen.

 
163. Die Menschheit sol man lieben.

Daß du nicht Menschen liebst / das thustu recht und wol /
Die Menschheit ists die man im Menschen lieben sol.

 
164. GOtt schaut man mit Gelassenheit.

Der Engel schauet GOtt mit heitern Augen an:
Jch aber noch vil mehr / so ich GOtt lassen kan.

 
165. Wo die Weißheit gerne ist.

Die Weißheit findt sich gern wo jhre Kinder sind /
Warumb? (O wunder ding!) sie selber ist ein Kind.

 
166. Der Spiegel der Weißheit.

Die Weißheit schauet sich in jhrem Spiegel an.
Wer ists? sie selber / und wer Weißheit werden kan.

 
167. So viel du in GOtt / so viel Er in dir.

So viel die Seel in GOtt / so viel ruht GOtt in ihr:
Nichts minder oder mehr / Mensch glaub es / wird er dir.

 
168. Christus ist alles.

O Wunder! Christus ist die Warheit und das Wort /
Licht / Leben / Speiß / und Tranck / Pfad / Pilgram / Thür und Ort.

 
169. Nichts verlangen ist Seeligkeit.

Die Heilgen sind darumb mit GOttes ruh umbfangen /
Und haben Seeligkeit / weil sie nach nichts verlangen.

 
170. GOtt ist nicht hoch noch tieff.

GOtt ist nicht hoch / nicht tieff: wer endlich anderst spricht /
Der hat der Wahrheit noch gar schlechten Unterricht.

 
171. GOtt findet man mit nicht-suchen.

GOtt ist nicht hier noch da: wer jhn begehrt zufinden
Der laß' jhm Händ' und Füß' / und Leib und Seele binden.

 
172. GOtt siehet ehe du gedenkst.

Wo GOtt von Ewigkeit nicht sihet die Gedanken /
So bistu eh' als Er: Er stüpffchen / und du schranken.

 
173. Der Mensch lebt nicht vom Brodt allein.

Das Brodt ernährt dich nicht: was dich im Brodte speist /
Jst GOttes Ewigs Wort / ist Leben / und ist Geist.

 
174. Die gaben sind nicht GOtt.

Wer GOtt umb gaben Bitt / der ist gar übel dran:
Er bettet das Geschöpff / und nicht den Schöpffer an.

 
175. Sohn seyn ist schon genung.

Sohn ist das liebste Wort / das Gott zu mir mag sprechen.
Spricht Ers: so mag mir Welt und GOtt auch selbst gebrechen.

 
176. Eins wie das ander.

Die Höll wird Himmelreich / noch hier auf diser Erden /
(Und diß scheint wunderlich) wann Himmel Höll kan werden.

 
177. Jm Grund ist alles eins.

Man redt von Zeit und Ort / von Nun und Ewigkeit:
Was ist dann Zeit und Ort / und Nun und Ewigkeit?

 
178. Die Schuld ist deine.

Daß dir im Sonne sehn vergehet das Gesicht /
Sind deine Augen schuld / und nicht das grosse Licht.

 
179. Der Brunquell GOttes.

Dieweil der Gottheit Ström' auß mir sich solln ergiessen;
Muß ich ein Brunquell seyn: sonst würden sie verfliessen.

 
180. Ein Christ ist Kirch' und alles.

Was bin ich endlich doch? Jch sol die Kirch' und Stein /
Jch sol der Prister GOtts und auch das Opffer seyn.

 
181. Man muß Gewalt anthun.

Wer sich nicht drängt zu seyn deß höchsten liebes Kind /
Der bleibet in dem Stall wo Vieh und Knechte sind.

 
182. Der Löhner ist nicht Sohn.

Mensch dienstu Gott umb gutt / umb seeligkeit / umb Lohn;
So dienstu jhm noch nicht auß liebe wie ein Sohn.

 
183. Die geheimbe Vermählung.

Was Freude muß doch seyn! wenn GOtt Jhm seine Braut /
Jn seinem Ewgen Wort durch seinen Geist vertraut.

 
184. GOtt ist mir was ich wil.

GOtt ist mein Stab / mein Licht / mein Pfad / mein Zil / mein Spiel /
Mein Vatter / Bruder / Kind / und alles was ich wil.

 
185. Der Orth ist selbst in dir.

Nicht du bist in dem Orth / der Orth der ist in dir!
Wirfstu jhn auß / so steht die Ewigkeit schon hier.

 
186. Der ewigen Weißheit Hauß.

Die Ewge Weißheit baut: Jch werde der Pallast:
Wann sie in mir / und ich in jhr gefunden rast.

 
187. Die weite der Seelen.

Die Welt ist mir zu äng / der Himmel ist zu klein:
Wo wird doch noch ein Raum für meine Seele seyn?

 
188. Die Zeit und Ewigkeit.

Du sprichst: Versetze dich auß Zeit in Ewigkeit.
Jst dann an Ewigkeit und Zeit ein unterscheid?

 
189. Der Mensch der macht die Zeit.

Du selber machst die Zeit: das Uhrwerk sind die sinnen:
Hemstu die Unruh nur / so ist die Zeit von hinnen.

 
190. Die Gleichheit.

Jch weiß nicht was ich sol! Es ist mir alles Ein /
Orth / Unorth / Ewigkeit / Zeit / Nacht / Tag / Freud / und Pein.

 
191. Wer GOtt sol schaun / muß alles seyn.

Wer selbst nicht alles ist / der ist noch zugeringe /
Daß er dich sehen sol Mein GOtt und alle Dinge.

 
192. Wer recht Vergöttet ist.

Mensch allererst wenn du bist alle Dinge worden /
So stehstu in dem Wort / und in der Götter Orden.

 
193. Die Creatur ist recht in GOtt.

Die Creatur ist mehr in GOtte dann in Jhr.
Zerwird sie / bleibt sie doch in Jhme für und für.

 
194. Was bistu gegen GOtt.

Mensch dünke dich nur nicht für GOtt mit werken viel /
Denn Aller Heilgen thun ist gegen GOtt ein spil.

 
195. Das Licht besteht im Feuer.

Das Licht gibt allem krafft: GOtt selber lebt im Lichte:
Doch / wär' Er nicht das Feur / so würd es bald zu nichte.

 
196. Die geistliche Arch und's Manna-Krüglein

Mensch ist dein Hertze Gold / und deine Seele rein /
So kanst auch du die Arch / und's Mannakrüglein seyn.

 
197. GOtt macht Vollkommen seyn.

Daß GOtt Allmächtig sey / das glaubet jener nicht /
Der mir Vollkommenheit / wie GOtt begehrt / abspricht.

 
198. Das Wort ist wie das Feuer.

Das Feur rügt alle Ding' und wird doch nicht bewegt:
So ist das ewge Wort das alles hebt und regt.

 
199. GOtt ausser Creatur.

Geh hin / wo du nicht kanst: sih / wo du sihest nicht:
Hör wo nichts schallt und klingt / so bistu wo Gott spricht.

 
200. GOtt ist nichts (Creatürlichs).

GOtt ist warhafftig nichts: und so er etwas ist:
So ist Ers nur in mir / wie er mich Jhm erkist.


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