Der cherubinische Wandersmann.
Angelus Silesius
Fünftes Buch 101-200
101. GOtt wil ein gantzes Hertze.
Christ mit dem halben theil wirstu Gott nicht begaben: |
102. Warumb niemand vonn Engeln besessen wird.
Wie daß kein heilges Hertz vorm Engeln wird besessen? |
103. GOtt ist nicht's erstemahl am Creutz gestorben.
GOtt ist nicht's erste mahl am Creutz getödtet worden: |
104. Christus ist gewesen / eh' er war.
Daß Christus lang zuvor / eh daß er war gewesen / |
105. Den Himmel kan man stehlen.
Wer heimblich guttes würckt / sein Geld außtheilt verholen / |
106. Das Leben muß dir selbst eingeschrieben seyn.
Mensch wird dein Hertze nicht das Buch deß Lebens seyn: |
107. Christus gestern / heut / und Morgen.
Messias der ist heut / ist gestern / und ist Morgen / |
108. Der glaub' allein ist ein holes Faß.
Der glaub' / ohn lieb' / allein / (wie ich mich wol besinne) |
109. Wer Gott hat / hat alles mit jhm.
Bey GOtt ist alls und jeds: Wer neben Jhm trägt ein / |
110. Dem Schöpffer lauffen alle Geschöpffe nach.
Wenn du den Schöpffer hast / so laufft dir alles nach / |
111. Ausser GOtt leben ist Todt seyn.
Mensch glaube diß gewiß: Wo du nicht lebst in GOtt / |
112. Nicht alles gutte ist gut.
Nicht alles gut' ist gut: Mensch überred dich nicht: |
113. Gewien ist verlust.
Der Reiche dieser Welt was hat er vor gewin? |
114. Nach Ehre streben ist thöricht.
Wie thöricht sind wir doch daß wir nach Ehre streben! |
115. Erfahrung ist besser als wissenschafft.
Jß doch / waß redstu viel von krafft der Wurtzel Jesse: |
116. Du must der erste im Himmel seyn.
Christ lauffe was du kanst / wiltu inn Himmel ein: |
117. Der Demütige wird nicht gericht.
Wer stäts in demut lebt / wird nie von GOtt Gericht: |
118. GOtt ist nicht mehr barmhertzig als Gerecht.
Gott der wird nicht für Gott vom weisen Mann erkiest: |
119. Die würckung deß heiligen Sacraments.
Das Brodt der Herr in uns wirkt wie der weisen stein: |
120. Der mensch ist zwey Menschen.
Zwey Menschen sind in mir: Der eine wil was GOtt / |
121. Nichts ist herrlicher als die Seele.
Solt' auch was herrlichers alß meine Seele seyn / |
122. Es sind nicht Heiligen.
Es können / wie du sprichst / nicht viel der Heilgen seyn. |
123. Gleichnuß der H. Dreyeinigkeit.
GOtt Vatter ist der Brunn / der Quall der ist der Sohn / |
124. Von GOtt wird mehr gelogen als war geredt.
Was du von GOtt verjahst / dasselb ist mehr erlogen / |
125. Zeit ist edler alß Ewigkeit.
Die Zeit ist edeler alß tausend Ewigkeiten: |
126. Der Jchheit Tod stärckt in dir Gott.
So viel mein Jch in mir verschmachtet und abnimbt / |
127. Die Seel ist aber Zeit.
Die Seel ein ewger Geist ist über alle Zeit: |
128. Der Seelen wird es nie Nacht.
Mich wundert daß du darffst den tag so sehr verlangen! |
129. Das jnnere bedarf Nicht deß äuseren.
Wer seine Sinnen hat ins innere gebracht / |
130. Der geistliche Magnet und Stahl.
GOtt der ist ein Magnet / mein Hertz das ist der Stahl: |
131. Der Mensch ist etwas grosses.
Der Mensch muß doch was seyn! GOtt niembt sein wesen an: |
132. Der gelassene leidet keinen schaden.
Wer nichts mit eigenthum besitzet in der Welt / |
133. Der Weise grämt sich nie.
Der Weise wird sich nie in Pein und Unglük grämen: |
134. Ein König und ein knecht ist GOtt gerecht.
Mensch allererst bistu für GOtt geschikt und recht. |
135. Vorbereitung macht weniger empfindligkeit.
Wie daß den Weisen nie betrübet Weh und Leid? |
136. Dem Weisen gilt alles gleiche.
Alls gilt dem Weisen gleich; er sitzt in ruh und stille: |
137. GOtt höret auch die Stummen.
Mensch wo du GOtt umb gnad nicht kanst mit worten ehren / |
138. Wen GOtt nicht ewig verdammen kan.
Den Sünder / welcher sich nicht ewig wendt von GOtt / |
139. Das Alleradelichste.
Bin ich nicht adelich! die Engel dienen mir / |
140. Der Weise fehlt nie deß Ziehls.
Der Weise fehlet nie: er trifft allzeit das Ziehl; |
141. Der Welt thun ist ein Trauerspiel.
Freund gönn' es doch der Welt / jhr gehts zwar wie sie wil: |
142. Jm Himmel mag man thun was man wil.
Mensch zähme doch ein kleins auf erden deinen willen: |
143. Der Unempfindliche ist mehr als Englisch.
Wer in dem Fleische lebt / und fühlt nicht dessen pein: |
144. Die Jchheit schadt mehr als tausend Teuffel.
Mensch hütte dich für dir. Wirstu mit dir beladen / |
145. Christus verursacht nur haß und streit.
Meinstu daß Christus dir bringt Fried und Einigkeit? |
146. Die Welt ist von Ewigkeit.
Weil GOtt der ewige die Welt schuf ausser zeit: |
147. Jn GOtt ist alles gleiche.
Jn GOtt ist alles eins. Der minst im Himmelreich |
148. Jn der Ewigkeit geschieht alles zugleiche.
Dort in der Ewigkeit geschihet alls zugleich: |
149. Alle Menschen müssen ein Mensch werden.
Der vielheit ist GOtt feind; Drumb zieht er uns so ein: |
150. Jm Himmel ist alles gemein.
Jm Himmel lebt man wol; Niemand hat was allein. |
151. Ein jeder geneust des andren Seeligkeit.
MArien Seeligkeit / und jhres Sohns deß süssen / |
152. Was ein Heiliger hat / das ist der andern auch.
Was hier die Heiligen mit grosser müh erlangt / |
153. Ein jeder im Himmel freuet sich ob dem andern.
Der gröste Heilige wird sich so hoch erfreun |
154. Wer friede sucht muß vil übersehn.
Mensch wenn du so genau das deine wilt beschützen / |
155. Christus ist der erste und letzte Mensch.
Der erst' und letzte Mensch ist Christus selbst allein / |
156. Wer viel begehrt dem mangelt vil.
Wer gnugsam reich / hat alls. Wer viel begehrt und wil / |
157. Der Reiche ist wahrhafftig arm.
Der Reiche wann er viel von seiner Armuth spricht / |
158. Die abgestorbenheit ist eine Wittib.
Die abgestorbenheit muß eine Wittib seyn; |
159. Das Leiden Christi ist noch nicht gar vollbracht.
Das Leiden Christi ist am Creutz nicht gar vollbracht: |
160. Der Mensch muß das Leiden Christi erfüllen.
Mensch du solst Paulus seyn / und in dir selbst erfüllen / |
161. Niemand liegt an der brust Christi als Johannes.
Kind bilde dir nicht ein / eh du Johannes bist / |
162. Das Lob deß Sünders.
Das Lob das GOtt dem Herrn ein Ungerechter giebt / |
163. GOtt hilfft dem grösten Sünder am liebsten.
Die Sünder liegen krank / jhr artzt ist JEsus Christ: |
164. GOtt nimbt nur die Lämmer an.
GOtt wil daß alle solln zu seinem Sohne kommen: |
165. Wer GOtt siehet.
GOtt ist ein ewger Blitz / wer kan jhn sehn und leben? |
166. Wer böse bleibt / hat nichts an Christo.
Mensch bleibestu verbost / so ist dir nichts erworben: |
167. Die Sünde bringt was Guttes.
Die Sünd bringt doch was gutts: Sie muß den Fromen dienen / |
168. Der Sünder thut nichts gut.
Mensch speise wen du wilt / zeuch tausend Armen an; |
169. Wie man für die Majestät gehet.
Wer für der Majestät wil unerschrokken stehn / |
170. GOtt sind alle Werke gleich.
GOtt sind die Werke gleich / der Heilge wann er trinkt / |
171. Die Tugenden hängen alle aneinander.
Die Tugenden sind so verknüpffet und verbunden / |
172. Alle Tugenden sind eine Tugend.
Schau alle Tugenden ist ein' ohn unterscheid: |
173. GOtt hat keine Gedanken.
Mensch GOtt gedänket nichts. Ja wärn in Jhm Gedanken |
174. Was der Heilige thut / thut GOtt in jhm.
Gott thut im Heilgen selbst alls was der Heilge thut: |
175. Das Gewissen ist ein Wegweiser.
Mensch wenn du jrre gehst so frage dein Gewissen: |
176 [fehlt]
177. Wer das Buch deß Lebens lieset.
Mensch wer dem HErren folgt in seinem Thun und lassen / |
178. Christus war was Er redte.
Was Christus auf der Welt geredt hat und gethan / |
179. GOtt macht nichts Neues.
Gott macht kein neues Ding / obs uns zwar neue scheint: |
180. GOtt kombt nur in keusche Hertzen.
Den Bräutgam deiner Seel verlanget ein zu ziehen / |
181. Das allergeitzigste.
Wie Geitzig ist ein Hertz! wenn tausend Welten wären / |
182. Das Hertz muß auß dem Hertzen.
Schütt auß dein Hertz für GOtt: Er zeucht nicht bey dir ein / |
183. Deß Christen Natur.
Umb böses guttes thun / umb Schmach sich nicht entrüsten: |
184. Ein Heiliger sicht sich im andern.
Ein jeder Heiliger wird sich in allen sehn: |
185. Der Weise weil er nichts hat verliehrt nichts.
Der weise Mann ist nie umb einen Heller kommen: |
186. Die Eigenheit ist alles übels Ursache.
Mittheilen schaffet Ruh. Bloß auß der Eigenheit |
187. Der gröste Trost nach GOtt.
Der gröste Trost nach GOtt dünkt mich im Himmel seyn: |
188. Es sind viel Seeligkeiten.
Es sind viel Wohnungen / und auch viel Seeligkeiten: |
189. GOtt ist Ewig in seine Schönheit verliebt.
GOtt ist so überschön / daß Jhn auch selber gantz |
190. Die Seeligkeit in der Zeit.
Dem Heilgen geht nichts ab; er hat schon in der Zeit |
191. Der Seeligen und Verdampten eigenschafft.
Der Seelgen Eigenschafft ist gantz nach GOtte leben: |
192. GOtt macht mit Hülffe der Creatur das beste.
Den ersten Adam den hat GOtt allein gemacht: |
193. GOtt liebet einen wie alle.
GOtt liebet mich so sehr als alles was auf Erden; |
194. Aller Heiligen Werke sind nur ein Werk.
Was alle Heilgen thun / das kan ein Mensch allein: |
195. GOtt wird im müssig seyn gefunden.
GOtt wird viel eher dem der gäntzlich müssig sitzt; |
196. GOtt hat alle Nahmen / und keinen.
Man kan den höchsten GOtt mit allen Nahmen nennen: |
197. GOtt ist nichts und alles.
GOtt der ist nichts und alls ohn alle deuteley: |
198. Christus ist unser Muster.
Mensch wenn du dich wilt GOTT zum Tempel auferbauen / |
199. Der Liebe gegenwurf
Der Liebe gegen-wurff ists höchste Gutt allein: |
200. Was man liebt / in das verwandelt man sich.
auß S. Augustino.
Mensch was du liebst in das wirstu verwandelt werden / |
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