Der cherubinische Wandersmann.
Angelus Silesius

Drittes Buch 201-246

201. GOtt gibt gern grosse Gaben.

GOtt / weil Er groß ist / gibt am liebsten grosse Gaben:
Ach daß wir arme nur so kleine Hertzen haben!

 
202. Man kan auch GOtt verwunden.

GOtt wird von nichts verletzt / hat nie kein Leyd empfunden:
Und doch kan meine Seel Jhm gar das Hertz verwunden.

 
203. Der Mensch ist groß für GOtt.

Wie groß sind wir gesehn! die hohen Seraphim
Verdekken sich für GOtt: wir dürffen bloß zu Jhm.

 
204. Man achtt das Ewge nicht.

Ach weh! umb eitle Lust verschertzt man Gurt und Blutt:
Und umb die Ewige fast niemand werben thut!

 
205. Der allerverliebste der Allerheiligste.

Wer ist der heiligste? der mehr verliebet ist:
Die Liebe machts daß man für heilig wird erkiest.

 
206. Vom Gewissen.

Ein gutt Gewissen ruht / ein böses beist und billt:
Jst wie ein Kettenhund / der schwerlich wird gestillt.

 
207. Vom wissen.

Viel wissen ist zwar fein: doch gibts nicht solche Lust /
Als jhm von Kindheit an nichts böses seyn bewust.

 
208. Deß Weisen Goldmachung.

Der Weise machet Gold / verändert Ertz und Stein /
Wann er die Tugend pflantzt / und unß macht Englisch seyn.

 
209. GOtt ist mein Himmelbrodt.

Jch habe nichts so gern in meinem Mund als Gott:
Er schmäkt mir wie ich wil; Er ist mein Himmelbrodt.

 
210. Du must geübet werden.

Freund habe doch geduld: wer für dem HErrn sol stehn /
Der muß vor Viertzig Jahr in der Versuchung gehn.

 
211. Die Gliedmassen der Seelen.

Die Seel steht mit verstand / geht mit begierden fort /
Mit Andacht redet sie / kombt mit Verharrn ann Port.

 
212. Das Vieh lebt nach den Sinnen.

Wer nach den Sinnen lebt / den schätz ich für ein Vieh:
Wer aber Göttlich wird / dem beug ich meine Knie.

 
213. Die Weißheit ist ein Qual.

Die Weißheit ist ein Qual / je mehr man auß jhr trinkt /
Je mehr und mächtiger sie wieder treibt und springt.

 
214. Die Heiligen messen GOtt.

Wer gründt die tieffe GOtts? wer schätzt wie hoch Er flammt?
Wer mist Jhn lang und breit? die Heilgen allesambt.
1)

 
215. Der da war / ist und kommen wird / in Apocal.

Der Vater war zuvor / der Sohn ist noch zur Zeit /
Der heilge Geist wird seyn im Tag der Herrligkeit.

 
216. GOtt thut es alles selbst.

GOtt ist nur alles gar; Er stimmt die Seiten an
Er singt und spilt in unß: wie hast dann du's gethan?

 
217. GOtt ist überall und nirgends.

Dänkt / überall ist GOtt der grosse Iehova.
Und ist doch weder hier / noch anderswo / noch da.

 
218. Jm Himmel ist kein Mann noch Weib.

Jm Himmel ist kein Mann noch Weib / was dann zuschauen?
Jungfräulich' Engel sinds / und Englische Jungfrauen.

 
219. Wer viel verläst / empfäht viel.

Laß alles was du hast / auf daß du alles nimst /
Verschmäh die Welt / daß du sie Hundertfach bekömst.

 
220. Der Seelen höchster Stand.

Niemand hat seinen Stand so hoch und groß gemacht /
Als eine Seel die jhr Gemüth in Ruh gebracht.

 
221. Der Böse kan nicht ruhen.

O wunder! Alles laufft daß es zur ruh gelange!
Und einem bösen Mann ist bey derselben bange!

 
222. Deß Himmels und der Hölln geschrey.

Jm Himmel rufft man stäts O-Sanna in der höh:
Und in der Höllen nichts als Jammer Ach und Weh!

 
223. Dein Wille kan dir helffen.

Verzage nicht mein Kind / hastu nur gutten Willen /
So wird sich endlich wol dein Ungewitter stillen.

 
224. Die Jungfrau muß auch Mutter seyn.

Die Jungfrauschafft ist wehrt: doch muß sie Mutter werden:
Sonst ist sie wie ein Plan von Unbefruchter Erden.

 
225. Bedänk das künfftige.

Bey GOtt ist Ewge Lust / beym Teufel Ewge Peyn:
Ach Sünder dänke doch bey welchem du wirst seyn.

 
226. Allein und nicht Allein.

Jch fliehe zwar das Volk / bin aber nie Allein:
Denn weh! wie solte mir ohn meinen Heyland seyn?

 
227. Die dreyfache Zukunfft Christi.

Die Zukunfft unsres HErrn / war / ist / und wird geschehn /
Jm Fleisch / im Geist / und wann man jhn wird Herrlich sehn.

 
228. Die Augen der Seele.

Zwey Augen hat die Seel: eins schauet in die Zeit /
Das andre richtet sich hin in die Ewigkeit.

 
229. Der Haß seiner selbst.

Jch lieb und hasse mich / ich führe mit mir Kriege /
Jch brauche List und Macht / daß ich mich selbst besiege:
Jch schlag' und tödte mich / ich mach' es wie ich kan
Daß ich nicht ich mehr bin: rath was ich für ein Mann?

 
230. Der Glaube / Hoffnung / Liebe und Andacht.

Der Glaube greifft nach GOtt; die Hoffnung nimbt jhn wahr;
Die Lieb' umbhalset Jhn: die Andacht ißt Jhn gar.

 
231. Das fein-Perlein.

Der HErr vergleicht sein Reich mit einem fein-Perlein /
Daß es sol wol bewahrt / und wehrt geschätzet seyn.

 
232. Miß dir doch ja nichts zu.

Freund so du etwas bist / so bleib doch ja nicht stehn:
Man muß auß einem Licht fort in das andre gehn.

 
233. Drey Feinde deß Menschen.

Drey Feinde hat der Mensch: sich / Belzebub und Welt:
Auß diesem wird der Erst am langsamsten gefällt.

 
234. Die Seel ists theureste.

Jch halte meine Seel fürs theurest' auf der Erden:
Weil sie mit Gottesblutt erkaufft hat müssen werden.

 
235. Der Dreyfache Gottes Kuß.

Drey Stände küssen GOTT: die Mägde falln zun Füssen /
Die Jungfern nahen sich die milde Hand zuküssen /
Die Braut so gantz und gar von seiner Lieb ist Wund /
Die liegt an seiner Brust / und küst den Hönig Mund.

 
236. Deß Teuffels / Engels / Menschens / und Viehes Kennzeichen.

Die Teuffel lästern GOtt / das Vieh das acht jhn nicht /
Die Menschen lieben jhn / die Engel schaun sein Licht /
Stäts unverwendet an. Auß diesem kanstu kennen /
Wen du solt Engel / Mensch / Vieh / oder Teufel nennen.

 
237. Wer Christo gleich ist.

Wer ist dem HErren gleich? der seine Feinde liebt /
Für die Verfolger bitt / und gutts umb böses giebt.

 
238. Die innerliche Geburt Gottes.

Ach freude! GOtt wird Mensch / und ist auch schon gebohren!
Wo da? Jn mir: Er hat zur Mutter mich erkohren.
Wie gehet es dann zu? Maria ist die Seel /
Das Krippelein mein Hertz / der Leib der ist die Höl /
Die neu Gerechtigkeit sind Windeln und sind Binden:
Der Joseph Gottes Furcht: Die Kräffte deß Gemütts
Sind Engel die sich freun: Die Klarheit ist jhr Blitz:
Die keusche Sinnen sind die Hirten die jhn finden.

 
239. Deutung deß Nahmens JEsus.

Kein Nahm ist unter alln so hoch gebenedeit
Als JEsus: denn Er Jst Ein Schatz voll Seeligkeit.

 
240. Die Drey Geistliche Weisen.

Drey Weisen tragen GOtt in mir drey Gaben an:
Der Leib zerknirschungs Myrrhn / die Seele Gold der Liebe /
Der Geist den Weyherauch der Andacht wie er kan:
Ach daß ich jmmerdar so dreymal Weise bliebe!

 
241. Die geheime Seelenflucht.

Herodes ist der Feind; Der Joseph der Verstand /
Dem macht GOtt die Gefahr im Traum (im Geist) bekandt.
Die Welt ist Bethlehem / Egypten Einsamkeit:
Fleuch meine Seele fleuch / sonst stirbestu für Leyd.

 
242. Die Wunder Geburt.

Maria ist Crystall / jhr Sohn ist Himmlisch Licht:
Drumb dringt er gantz durch sie / und öffnet sie doch nicht.

 
243. Die wunderliche umbwechßlung.

Schaut wunder: GOttes Sohn wird jung in lauter Freuden /
Und muß mit lauter Angst von hinnen wieder scheiden:
Wir kommen auff die Welt mit Thränen / und vergehn
Mit Lachen / wo wir recht in seinem Geiste stehn.

 
244. Sey niemals sicher.

Ach Jungfrau sieh dich für: denn wann du Mutter worden /
So suchet straks der Feind dein Kindlein zuermorden.

 
245. Die unerhörte Verkehrung.

Es kehrt sich alles umb: die Burg ist in der Höle /
Die Krippe wird ein Thron / der Tag kombt in der Nacht /
Die Jungfrau bringt ein Kind: Ach Mensch biß auch bedacht /
Daß sich verkehre wol / dein Hertze Geist und Seele.

 
246. Von der Krippe.

Die Krippe halt' ich nu für einen Kleinod-schrein /
Weil JEsus drinnen liegt / der mein Carfunkelstein.

 
247. Von der Jungfrawen Maria.

Das Weib umbgiebt den Mann / der Jungfrau wird vertraut
Der Held. Wie da? Sie ist das Brauttbett und auch Braut.

 
248. Die Perlen geburt.

Die Perle wird vom Thau in einer Muschel Höle
Gezeuget und gebohrn / und diß ist bald beweist
Wo du's nicht glauben wilt: Der Thau ist GOttes-Geist /
Die Perle JEsus Christ / die Muschel meine Seele.

 
249. Der Jahrs Beschluß.

Es wird das alte Jahr / das sich nu schleust / gehalten
Als wanns vergangen wär': und diß ist wahr mein Krist /
Wo du ein Neuer Mensch in GOtt geworden bist:
Jsts nicht; so lebstu noch wahrhafftig in dem alten.


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